Der Arbesser

Über Rüstungen zur Mode

Der erfolgreiche österreichische Modedesigner Arthur Arbesser schwirrt durch die Gänge seines Ateliers in Mailand, vorbei an bunten Bildern und Stoffresten. In der hintersten Ecke nimmt er neben seinem WLAN-Kästchen Platz. Schlechter Empfang! Verpixelt, aber freundlich lächelt er uns auf dem Bildschirm an. Wir sprechen anlässlich der Ausstellung Look in der Heidi Horten Collection (bis 16. April 2023), dessen Co-Kurator er ist, über Kunst, Marienkäferkostüme und den Apfelstrudel seiner Mutter. 

Portrait von Arthur Arbesser

„Man spürt den Geist der Person, die die Roben trug.“

Elisa Promitzer: Was lässt Dich vor Freude in die Luft springen? Das Internet wahrscheinlich weniger ...

Arthur Arbesser: Das analoge Gegenteil zum Digitalen macht mich glücklich (lacht), etwa ein Brief oder eine Postkarte von guten Freunden im Briefkasten. Da bin ich oldschool, das ist eine nette Abwechslung zu den vielen Rechnungen, die mich erreichen. Gewisse finanzielle Ängste gehen mit einem selbstfinanzierten, kleinen Unternehmen wie dem meinen einher. Ich bin mehr Künstler und Kreativer als Wirtschaftsexperte.

Erzähle unseren Leserinnen, was Du gerade trägst!

Ich trage ein schwarzes Langarm-Sweatshirt, Jeans, Boots und meine schwarze Puck-Brille. Nicht besonders spannend. Ich bin mehr Mode-Beobachter, weniger Mode-Provokateur. Wenn du dich tagtäglich mit dieser Materie beschäftigst, dann wirst du irgendwann besonders uneitel.

Du bist Co-Kurator der Ausstellung „Look“, welche bis 16. April 2023 in der Heidi Horten Collection in Wien im ersten Bezirk gezeigt wird. Es ist ein Wechselspiel zwischen modernen und zeitgenössischen Kunstwerken und Haute-Couture-Roben der österreichischen Milliardärin und Kunstsammlerin Heidi Goëss-Horten. Andy-Warhol-Gemälde hängen neben Christian-Dior-Roben und Givenchy-Kleidern. Was ist mit diesem Titel gemeint?

„Look“ heißt „Schau hin“ oder ist der Look, das Aussehen einer Person. „Look“ kann aber auch zeigen, mit welchem Blick man auf die Welt schaut. Wir wollten mit der Schau die Phantasie und Inspiration der Besucherinnen anregen. Sowohl die Kleider als auch die Kunstwerke sind von extrem erlesener Qualität. Ein besonderer Dialog, der hier entsteht, und eine intime Dimension, die sich durch die ganze Ausstellung zieht. Man kann sich richtig vorstellen, wie die Gemälde bei der Familie Goëss-Horten zu Hause hingen, und man spürt bei den Kleidern förmlich den Geist und die Erlebnisse der Person, die sie trug. 

„Welche Kleider schreien nach einem Museum?“

Sehr privat war auch die Korrespondenz zwischen Heidi Goëss-Horten und Haute-Couture-Designern wie zum Beispiel Jean Patou und Yves Saint Laurent, die in der Ausstellung in Auszügen zu lesen ist. Die Kleider wurden an ihre Wünsche angepasst. Wie kann man sich solche Bestellungen vorstellen?

Für Normalsterbliche ist das irrsinnig spannend, wie eine Haute-Couture-Robe entsteht. Roter Kragen anstelle eines schwarzen Kragens? Kein Problem. Heidi Goëss-Horten hat ihre Wunschänderungen per Brief an die Designer geschickt und diese haben die Roben nach ihren Wünschen geändert. Dadurch ist ein richtiges Korrespondenz-Archiv über die Jahre entstanden. Es wurden individuelle Kleider kreiert, die niemand so auf der Welt besitzt. Haute Couture ist eine zeitlose Kunstform. 

Man sieht Maßanfertigungen von Christian Dior und Jean Patou vor dem digitalen Zeitalter, einfach mit Stift und Papier?

Dieser Prozess ist fast unvorstellbar heutzutage. Für eine wichtige Haute-Couture-Kundin wie Heidi Goëss-Horten wurde in jedem Couture-Haus eine Schneiderpuppe mit ihren Maßen angefertigt und die Roben wurden auf dieser Puppe geschneidert. Bei Gewichtszunahme wurde die Puppe ein bisschen aufgepolstert, bei Gewichtsabnahme die Polster wieder entfernt.

„Haute Couture ist eine zeitlose Kunstform.“

Wie hast Du die Haute-Couture-Roben vorgefunden? Verstaubte Kleider in großen Kleiderschränken, die nach abgestandenem Parfum und Mottenkugeln rochen?

Ich kam leider erst später dazu. Museumsdirektorin Agnes Husslein hat die Kleider sozusagen „zum Erwachen“ gebracht. Viele Roben waren bereits an Freundinnen verschenkt und auf der ganzen Welt verstreut. Sie hat Fotoalben von Heidi Goëss-Horten durchforstet, den neuen „Wohnort“ der Kleider ausgeforscht und sie wieder nach Wien gebracht. Die Kleider haben dort – gereinigt und gebügelt – auf Kleiderstangen auf mich gewartet. 

Warum hast Du ein pinkes Yves-Saint-Laurent-Kleid, eine cognacfarbene Robe von Christian Dior und ein Seidencrêpe-Kleid mit Perlen und Strasssteinen von Jean Patou ausgewählt?

Keine einfache Entscheidung. Ich habe mich gefragt: Welche Kleider sind am aufregendsten in ihrer Farbe, Qualität und ihrem Volumen. Welche Kleider schreien nach einer Stage, nach einem Museum? In welchem Dialog können die Haute-Couture-Roben mit Skulpturen und Gemälden stehen?

„Ich habe mich jeden Tag in ein neues Kunstwerk verliebt.“

Was spricht das pinke Yves-Saint-Laurent-Kleid zu den bunten Marilyn-Portraits auf dem Gemälde von Andy Warhol?

Es gibt keine direkte kunsthistorische Verbindung. Mein Auge für Farben und Formen hat einen rein ästhetischen Dialog geschaffen – aber beides steht ganz klar für Glamour und Diva.

Welches Kunstwerk in der Ausstellung könnte Inspiration für eines Deiner Designs sein?

Ich habe mich jeden Tag in ein neues Kunstwerk verliebt. Was mich nie losgelassen hat, ist ein Gemälde des US-amerikanischen Malers Roy Lichtenstein. Irrsinnig peppig und schwungvoll. Ich wollte sofort am ersten Tag einen Print daraus machen – Liebe auf den ersten Blick. Am liebsten würde ich alle Kunstwerke der Show in einen Sack packen und mit nach Mailand nehmen (lacht).

Die Eröffnung der Heidi Horten Collection ist bereits im Vorfeld auf viel Kritik gestoßen. Helmut Horten, ihr erster Mann, hat von den Umständen des NS-Regimes, vor allem der Übernahme jüdischer Unternehmen in der NS-Zeit, profitiert und darauf basierend sein Vermögen aufgebaut. Wie bist Du damit umgegangen?

Ich denke, das ist eine typische Wiener Art, den Fokus auf das Negative zu richten. Denn im Prinzip ist das Museum eine rein positive Sache – eine sehr vermögende Frau hat eine unfassbare Kunstsammlung aufgebaut. Entweder verstaubt diese in ihren privaten Häusern oder die Öffentlichkeit kann sich daran erfreuen. Heidi Goëss-Horten hat sich für Zweiteres entschieden. 

„Die Modeindustrie macht mich müde.“

In der Ausstellung wird ein Büstenhalter aus Ziegelsteinen von der jungen deutschen Künstlerin Michèle Pagel präsentiert. Was war das spannendste Material, mit dem Du je gearbeitet hast?

Vergangenen Winter hatten wir aus Filz, mit dem wir davor einen großen Präsentationsraum verkleidet hatten, einen Rock geschneidert. Tintenspritzer in verschiedenen Farben verwandelten den Rock zu einem Eyecatcher. Ein anderes Mal haben wir Denim lackiert, mit Sprühdosen vollgesprayt und silberne Mini-Röcke daraus genäht. Diese Teile sind nicht reproduzierbar, sie machen einfach Spaß.

Ich erreiche Dich gerade in Mailand. Was vermisst Du am meisten an Wien, Deiner Heimatstadt? Gibt es einen Lieblingsplatz in der Stadt?

Ich habe einen großen Wiener Freundeskreis. Den vermisse ich natürlich. Wenn ich Heimaturlaub mache, sitze ich an einem der gemütlichen Fensterplätze im Café Korb. Solche gemütlichen Kaffeehäuser, wo du stundenlang sitzt, gibt es in Mailand nicht.

Mit einem Verlängerten oder einem kleinen Braunen?

Weder noch. Meistens mit einem Soda-Zitron. Das gibt es in Mailand nämlich auch nicht.

„Mehr Mode-Beobachter, weniger Mode-Provokateur.“

Du hast eine eigene Möbelkollektion lanciert und designst Kostüme, unter anderem für das legendäre Stück „Der Rosenkavalier“ an der Staatsoper „Unter den Linden“ in Berlin. Mit der „Look“-Ausstellung in der Heidi Horten Collection hast Du Deinen Debutauftritt als Co-Kurator gefeiert. Was können diese Branchen, was Mode nicht kann?

Die Modeindustrie macht mich müde. Überdruss, wohin das Auge reicht. Die Welt des Theaters und der Oper ist eine willkommene Abwechslung, wo noch andere Rhythmen und Wichtigkeiten den Ton angeben. Das Kommerzielle steht nicht an erster Stelle, sie werden von Phantasie, Schönheit, Qualität und Perfektion getrieben. 

Langweilig scheint Dir nicht zu werden. Was tust Du in Deiner wenigen freien Zeit?

Freizeit habe ich wenig. 2023 möchte ich Sport in meinen Alltag integrieren – mit dem Alter beginnen ja auch die Rückenschmerzen. Ansonsten findet man mich in Ausstellungen, auf Galerie-Eröffnungen, im Theater oder in der Oper. Essen ist auch nie schlecht – ich spiele gerne Gastgeber und bekoche Freunde und Familie.

Alte Familienrezepte oder moderne Küche?

Mal so, mal so. Ein Apfelstrudel nach dem Rezept meiner Mutter geht immer. 

„Alles, was Farbe und einen gewissen Glanz hatte, hat mich fasziniert.“

Nochmal zurück zum verpönten Sportthema: Du hast Deine Herbst/Winter-19/20-Fashion-Show in einer Kletterhalle präsentiert. Warum das?

Die Körper von Kletterer sind bewundernswert und ich finde Kletterhallen ästhetisch sehr ansprechend. Ich fand das spannend als Location. 

Dein Vater ist Jurist, Deine Mutter Pharmazeutin. Was waren Deine ersten Berührungspunkte mit Mode und Kunst in Deiner Kindheit und Jugend?

In Wien die Ausstellung „Roben und Rüstungen“ in der Hofburg (1991) hat mein kleines Kinderherz höherschlagen lassen. Mittelalterliche Rüstungen aus Gold und Silber fanden sich neben architektonischen Roben vom italienischen Couturier Roberto Capucci wieder. Da hat es bei mir „Klick“ gemacht. Ich war sechs oder acht Jahre alt.

Andere Kinder verziehen das Gesicht, wenn sie ins Museum oder in die Oper müssen …

… ich war wohl ein geborener Opern-Nerd. Ich habe meine Zeit am liebsten in Theatern oder Opernhäusern verbracht. Das Kostüm hat hierbei auch eine prägende Rolle gespielt. Ich habe früh verstanden, dass Gewand deine Körpersprache und deinen Charakter sowohl formen als auch beeinträchtigen kann. Alles, was Farbe und einen gewissen Glanz hatte, hat mich fasziniert.  

Kannst Du Dich an Dein erstes selbstdesigntes Kleidungsstück erinnern?

Das war ein Faschingskostüm in der Volksschule. Ich habe Filz und andere Fetzen zusammengesammelt und daraus ein Marienkäferkostüm gebastelt. Ich war der coolste Marienkäfer in der Klasse. 

Was inspiriert Dich?

Das Leben und die Menschen. Klingt banal, ist aber so. Die kreative Lawine kann in den absurdesten Momenten losgetreten werden. 

„Mich faszinieren alte Damen.“

In Deinen Kampagnen modeln Frauen jenseits ihrer Siebziger neben jungen Müttern und Kindern. Mit welchem Frauenbild bist Du aufgewachsen?

Mit dem meiner Mutter, einer total starken Frau mit Stil und Geschmack. Je älter ich werde, desto mehr faszinieren mich alte Damen. Was zieht eine 80-jährige Frau an? Wie geht sie mit ihren Kleidern um? Der gute Mantel aus den 70er-Jahren wird im Winter immer noch aus dem Schrank geholt. Früher gab es noch ein anderes Verständnis für Kleidung. 

Was war Dein größter Fashion-Fauxpas?

Weiße Jeans und ganz enge Rippshirts – typisch Teenager. Als ich meine Haare mit zwölf Jahren grellorange gefärbt habe, war ich der erste Schüler im konservativen Schottengymnasium in Wien mit gefärbten Haaren. Ich wurde sogar zum Direktor gerufen. Heute bin ich darauf ziemlich stolz. Solche Geschichten gehören zum Großwerden dazu und formen deinen Charakter. Solange du darüber lachen kannst, hast du alles richtig gemacht.

Danke für das Interview!

www.arthurarbesser.com

Die Ausstellung „Look“ in der Heidi Horten Collection ist noch bis 16. April 2023 zu sehen. Alle Informationen und ein digitales Programmheft finden Sie hier.

Arthur Arbesser ist 1983 in Wien geboren und designt für sein eigenes Modelabel in Mailand. Nach seinem Modedesignstudium am Central Saint Martins College of Art and Design in London hat er für Giorgio Armani gearbeitet. Sieben Jahre später hat er sein eigenes Label ArthurArbesser gegründet und präsentierte 2013 seine erste Kollektion auf der Mailänder Modewoche. Von 2017 bis 2019 war er auch Kreativchef der italienischen Traditionsmarke Fay. Neben der Mode designt er Kostüme für das Theater und die Oper, unter anderem Ballettkostüme für das Neujahrskonzert 2019 und 2022 in Wien. Seinen Debut-Auftritt als Co-Kurator hatte er bei der Ausstellung Look in der Heidi Horten Collection gefeiert. 

(dp)