Strenge Reisebestimmungen und dutzende Unsicherheiten: Selten war das Organisieren einer Kunstmesse so nervenaufreibend wie in diesem Jahr. PR-Berater Hans Krestel, der sonst bei der art berlin tätig ist, hat sich trotzdem nach Wien gewagt, um hier bei der viennacontemporary mitzuarbeiten. Bei einem Hangover-Frühstück in der legendär verrufenen Gräfin vom Naschmarkt verrät er uns, was dieses Jahr alles anders wird, wieso Wien in der Berliner Kunstszene als Upcoming Venue gehandelt wird und was sein Geheimtipp gegen Kater ist.
Ob Krestel schon einen Falco-Song auswendig kann? „Natürlich!“, sagt er. „Von ,Egoist‘ hatte ich lange Zeit einen Ohrwurm.“
Lara Ritter: Bist Du grantiger geworden, seit Du in Wien bist?
Hans Krestel: Nein, ich bin positiv gestimmt! Ich mag die Stadt.
Was gefällt Dir an Wien?
All die alten Schilder von Reinigungen und Läden, die in Pastelltönen gehalten sind. Das kennt man aus Berlin gar nicht, da sind diese einfachen Geschäfte mit hässlichen Plastikkästen beschildert, auf denen irgendein Schriftzug klebt. Hier sind die Beschilderungen romantisch und nostalgisch. Ich finde die Stadt extrem ästhetisch.
Die Pandemie hat viele Einschränkungen für Großveranstaltungen zur Folge: Dieses Jahr dürfen sich maximal 2.500 Menschen gleichzeitig in der Halle der viennacontemporary aufhalten, Masken sind Pflicht, viele Events fallen weg, und ein Team sorgt dafür, dass sich am Eingang keine Menschenmengen bilden. Was ist bei der contemporary sonst noch anders als die Jahre davor?
Es wird regionaler als sonst, vielen Galerien ist es aufgrund der Reisebestimmungen zu unsicher, nach Wien zu kommen. Von den 110 Galerien, die 2019 mitgemacht haben, nehmen dieses Jahr rund 65 teil, 35 davon kommen aus Wien. Galerien aus Ländern wie der Türkei, für die ein Einreiseverbot nach Österreich herrscht, können gar nicht teilnehmen.
Rentiert sich die Messe heuer wirtschaftlich überhaupt?
Das wird sich zeigen, aber wir wollen ein Zeichen setzen. Es werden weniger Besucherinnen anreisen, das haben wir von Anfang an gewusst. Wir wollten, dass die viennacontemporary trotzdem stattfindet – für die Wienerinnen und für den österreichischen Kunstmarkt.
„Das ist keine Angst, sondern eine neue Form der Realität.“
Wenige Stunden vor unserem Interview war Hans Krestel bereits bei der Gräfin am Naschmarkt auf ein Bier – das Motto „Hangover-Frühstück“ ist somit gelungen.
22 Wiener Galerien haben im Juli öffentlich Kritik an der viennacontemporary geübt, weil die Standkosten trotz Pandemie nicht geringer sind. Ist das angesichts der finanziellen Einbußen vieler Galerien gerechtfertigt?
Wir haben von Anfang an eine Reduktion angeboten, die war den Galerien aber nicht hoch genug. Daher haben wir die Kosten um die Hälfte reduziert. Viele Galerien hatten sich zu diesem Zeitpunkt schon dazu entschieden, nicht mitzumachen oder bei der Parallel auszustellen. Der Großteil macht aber mit.
Wirst Du bei der Parallel, die zeitgleich mit der contemporary von 22.9. bis 27.9. stattfindet, vorbeischauen?
Ich habe eine Einladung zur Eröffnung bekommen und da ich noch nie dort gewesen bin, will ich auf jeden Fall hinschauen. Man muss ja sehen, welche Unterschiede es gibt.
Hast Du Angst, dass die viennacontemporary plötzlich doch nicht stattfinden kann?
Das ist inzwischen keine Angst mehr, sondern eine neue Form der Realität. Wir sind darauf vorbereitet. Natürlich ist es schade, wenn sie nicht stattfindet und die ganze Arbeit umsonst war. Momentan fahren wir doppelgleisig und arbeiten an einer digitalen Erweiterung der Messe. Am 17. September gehen wir online.
Was hat das Online-Format zu bieten?
Die Ausstellungen der Galerien werden dort in digitaler Form zu sehen sein. Zusätzlich zeigen wir online günstige Newcomer-Kunst, indem wir einen Fokus auf junge Galerien und junge Sammlerinnen legen, die noch keine 10.000 Euro für Kunst ausgeben können, sondern maximal 2.500 Euro. Ebenfalls wird am 17. September ein mit der Messe verwobenes Magazin erscheinen, an dem viele internationale Journalistinnen mitarbeiten: „On Central East“ – darin werden redaktionelle Beiträge aus ganz Europa erscheinen.
Die Gräfin vom Naschmarkt ist so verrufen, dass sie schon wieder legendär ist. Das Gulasch, das Bier und den Kaffee haben wir uns jedenfalls was kosten lassen.
Im Moment hat Krestel vor, im Oktober wieder nach Berlin zurückzukehren. Das contemporary-Team wünscht sich jedenfalls, dass er noch länger in Wien bleibt.
Wird die Pandemie abseits von Sicherheitsregelungen eine thematische Rolle bei der viennacontemporary spielen?
Die Messe konzentriert sich weiterhin auf Mittel-, Südost- und Osteuropa – dieser konstante politische Fokus unterscheidet die contemporary auch von anderen Kunstmessen. Viele der südöstlichen Staaten driften gerade nach rechts ab, sind gegen Minderheiten, gegen Lesben- und Schwulenrechte und behindern Journalistinnen massiv in ihrer Arbeit. Gerade die Galerien, die aus diesen Ländern kommen, erwarte ich mit Spannung, da werden wohl auch politische Statements zu sehen sein.
Wie bist Du zu Deinem Job bei der viennacontemporary gekommen?
Johanna Chromik hat mich aus Berlin geholt, wir haben dort bei der Art Berlin zusammengearbeitet. Ich bin kurzfristig eingesprungen und bleibe voraussichtlich bis Mitte Oktober hier. Bisher war es eine ungewöhnliche Zeit, alles fußt auf vielen Ungewissheiten. Lange war nicht einmal sicher, ob die Messe von Seiten der Stadt überhaupt erlaubt wird. Es ist ein Ausnahmejahr, aber es ist aufregend – mir macht das Spaß.
Was vermisst Du an Berlin?
Die Clubs ... doch die haben ja im Moment alle zu, also vermisse ich gerade nicht viel. Klar, meine Freunde, aber die meisten kommen mich besuchen. Berlin kommt nach Wien.
In der Tat?
Es kommt mir oft so vor, als sei ich in Berlin, weil ich permanent zufällig auf Berlinerinnen stoße, die hier sind – es ist echt verrückt. Ich fühle mich wie in der RTL-Seifenoper GZSZ (Anm. d. Red.: Gute Zeiten, schlechte Zeiten). Viele Leute kommen nach hierher, weil der Kunstmarkt interessant wird. Wien wird ja auch als „Upcoming Venue“ gehandelt. Manche Galerien sind aus Berlin nach Wien gezogen, und ich kenne auch ein paar Journalistinnen, die schon eine Zeit lang hier wohnen.
„Ich glaube, hier würde ich sogar Hochzeit feiern.“
„Meine Freundin Laura Catania und ich haben eine Serie angefangen, für die uns Persönlichkeiten aus der Kunstszene Passfotos schicken. Die drucken wir auf T-Shirts, die wir wiederum an Freunde und das Netzwerk verteilen“, erzählt Hans Krestel. Auf seinem Shirt ist Julia Stoschek zu sehen, die ihre Videokunstsammlung in Berlin und Düsseldorf zeigt.
Was macht den Wiener Kunstmarkt so interessant?
Wahrscheinlich die Leute innerhalb der Kunstszene, die alle gut zusammenhalten. Es gibt auch nicht so eine riesige Auswahl wie in Berlin, wodurch man hier bessere Chancen hat, Fuß zu fassen. In Berlin ist die Konkurrenz viel größer.
Da wir hier ja bei einem Hangover-Frühstück sitzen: Wie machst Du die Nacht zum Tag, jetzt, da die Clubs geschlossen sind?
Bisher war ich oft auf dem Platz vor der Karlskirche, ich glaube, das ist mein Lieblingsort in Wien. Jedesmal wenn ich dort bin, bin ich ganz begeistert, es ist traumhaft – coronafreundlich ist es auch.
Dein Geheimtipp gegen Hangover?
Ich trinke Ayran mit Zitrone. In Berlin wohne ich in Kreuzberg in einer türkisch-arabischen Gegend, dort komme ich häufig in Kontakt mit türkischer Küche und habe dieses Kater-Getränk zufällig für mich entdeckt.
Hans Krestel hat an der Freien Universität Berlin den Master in Kulturmanagement abgeschlossen und acht Jahre lang durch die „Sammlung Boros“, eine Berliner Privatsammlung zeitgenössischer Kunst, geführt. Von 2016 bis 2020 hat er als Kommunikationsberater bei der Berliner Agentur BUREAU N gearbeitet, diesen Sommer ist er für seinen Job als PR-Berater der viennacontemporary nach Wien gezogen.