Die Wiener Musikszene von den 90ern bis heute
Vor gut zwanzig Jahren veröffentlichte das Avantgarde-Label Mego seine ersten Alben von Wien aus. Unsere Autorin Shilla Strelka traf Peter Rehberg zum Gespräch und sprach mit ihm über dessen Anfänge als Musiker und Labelgründer.
Shilla Strelka: Du bist ursprünglich aus England, also frage ich mich, was für dich der Grund war, nach Wien zu kommen und auch da zu bleiben?
Peter Rehberg: Ich bin in der Umgebung von London aufgewachsen und knapp
außerhalb von London zur Schule gegangen. Dort war ich auf Gigs und
habe Musik gehört. Im Alter von 19 Jahren habe ich mir gedacht, dass ich
eigentlich gar nicht so gerne in England lebe.
"Mich hat immer schon eher die deutsche Musik interessiert – von Krautrock über Kraftwerk bis zu Industrial-Bands wie Einstürzende Neubauten."
Ich dachte auch immer, dass am europäischen Kontinent alles extravaganter und schöner ist und dass man dort die Nächte durchfeiert. Natürlich ist das alles nicht unbedingt wahr, aber so ist das Image. Also ich wollte nicht in England leben und meine Optionen waren ziemlich begrenzt. Ich beschloss dann, nach Wien zu gehen, weil meine Eltern oft in Österreich Urlaub gemacht haben. Dann bin ich einfach in Wien geblieben, obwohl ich dort noch nie gewesen war und niemanden wirklich gekannt hatte. Irgendwie bin ich in die lokale Szene hineingerutscht, um schließlich das zu tun, was ich jetzt mache. Und das ist im Wesentlichen Mego.
Wie war die Szene damals? Hast du leicht Musikerinnen und Musiker kennenlernen können?
Oh ja, man konnte sehr leicht in der Szene Fuß fassen, weil es eine relativ kleine Stadt ist. Ich ging in Lokale wie das Chelsea, die Blue Box, und nach ein paar Wochen habe ich schon im Chelsea aufgelegt. Sie hatten dort im Grunde keine DJs und so sagte ich, ich wäre gerne DJ bei ihnen, und sie sagten Ja. Leider entsprach aber mein Musikgeschmack nicht unbedingt dem, wonach sie gesucht hatten.
Was war dein damaliger Musikgeschmack?
Etwa in der Art, was ich auch heute mag. Noise-Sachen und Industrial, ein bisschen Electronic, die Noise-Ränder des amerikanischen Rocks, wie Sonic Youth oder Swans – eigentlich Sachen, die heute wahrscheinlich normal und relativ Mainstream sind, aber zu dieser Zeit war es nicht angesagt, diese Art von Musik zu mögen und schon gar nicht, sie öffentlich zu spielen. Also das im Chelsea ging nicht lange, aber in der Zwischenzeit hatte ich Leute kennengelernt, die etwas extremere Musik mochten, und machte weiter. Mit zwei von ihnen habe ich heute eine Band – Shampoo Boy, das sind Chra/Christina Nemec und Christian Schachinger.
Und wie lange hat es nach deiner Ankunft gedauert, bis du mit Ramon Bauer und Andi Pieper Mego gegründet hast?
Das ist alles in den späten 80er-Jahren passiert. Mego kam 1995, ein
paar Jahre nachdem das ganze Techno-Ding startete. In den frühen 90ern
habe ich Leute wie Ramon und Andi, die damals bei Mainframe waren,
kennengelernt.
"Das französische Wort mego (mégot) bedeutet Zigarettenstummel."
Ich hatte immer die Idee im Kopf, ein Label zu gründen, aber es ergab sich keine passende Gelegenheit. Oft habe ich mit Ramon darüber geredet, ein ausgefallenes Label zu machen, das anders als Mainframe war, denn das war mehr oder weniger straighter Techno. Und dann rief mich eines Tages Ramon an und fragte, ob ich nächste Woche nach Berlin kommen wolle, um gemeinsam Musik zu machen. Daraus wurden dann die „Fridge Trax“. Die Idee mit dem Label war noch immer in der Luft und 94/95 entstand schließlich Mego.
Wie seid ihr auf den Namen „Mego“ gekommen?
Eigentlich haben Andi, Ramon und Peter Meininger damit angefangen. Der Name hat tatsächlich keine Bedeutung, obwohl es danach viele Interpretationen gegeben hat. Angeblich ist es ein Hacker-Ausdruck für my-eyes-glaze-over (meine Augen werden glasig) und ich dachte, das passt ganz gut. Und das französische Wort mego (mégot) bedeutet Zigarettenstummel, das es vielleicht auch gut trifft. Also Mitte der 90er ging alles richtig los.
War denn Mego von Anfang an in der Wiener Szene verankert?
Ja, denn Ramon war Teil der Technoszene und ich habe in der Blue Box aufgelegt. Wir waren einfach sehr umtriebig. Ich hatte einen wöchentlichen Club namens Club Duchamp. Jeden Mittwochabend konnte man in die Blue Box kommen, wo ich mit meinem Synth auftrat und dazu andere DJs einlud. Danach gingen wir ins U4 zur Space Jungle/Techno-Night. Dort gab’s zwei Ebenen, den Mainfloor und den Chill-out-Ambient-Floor, wo ich manchmal aufgelegt habe. Ramon und Andi hatten dort ihr Studio hinter einer Wand, und sie meinten, was, wenn wir ein Loch bohren würden, sodass ich Platten auflege, während sie hinter der Wand spielen – all so verrücktes Zeug. Abgesehen vom U4 und der Blue Box gab’s das Public Netbase, das von Konrad Becker geführt wurde, und die Events in der Jadegasse – Michaela Schwendtners Wohnung.
Und jetzt, hast du noch Kontakt zur lokalen Szene hier? Oder was hat sich deiner Meinung nach vielleicht verändert? Hat es etwa ein größeres Zusammengehörigkeitsgefühl gegeben?
Ich weiß nicht, was sich verändert hat. Es ist schwer zu sagen, denn
heute bin ich ein Mittvierziger und damals war ich Mitte zwanzig, also
in einem Alter, in dem man mehr dazu tendiert auszugehen. Ein Event,
einen Club oder eine Bar zu besuchen, war mir viel wichtiger als heute.
Ich vermute aber, das ist immer noch so. Ob das eine Szene ist, kann ich nicht genau sagen. Denn jetzt wäre ich nicht dabei. Die übliche Entwicklung bei solchen Interessen ist doch so, dass du zuerst in deiner engeren Szene unterwegs bist und dann, je nachdem was man macht, wird dein Label oder deine Band ein bisschen größer oder etwas bekannter, auch außerhalb deiner Zirkel. Dann wirst du allmählich Teil eines globaleren Phänomens, zumindest bei uns war es so. Ich weiß nicht genau, was anders ist. Ich bin nur sicher, dass man heute anders mit Leuten kommuniziert.
"Jeder sagt auf Facebook, dass er oder sie irgendwo hingeht, ohne dann wirklich dort gewesen zu sein."
Aber eigentlich glaube ich, dass es dasselbe ist. In den letzten 20–30 Jahren, sogar, wenn man ein Plattenlabel oder einen Club betreibt, musstest du in allen Belangen die gleichen grundsätzlichen Dinge tun, aber heute eben mit anderen Mitteln. Du hast das Internet, aber was man erreichen will, ist gleich geblieben. Wenn man einen Club aufmacht, wirst du sicherstellen wollen, dass auch Leute hinkommen, dass du ein Publikum hast. Das ist genau das Gleiche wie früher. Mit einer Plattenfirma musst du das Geld auftreiben, um die Platte herauszubringen, und du musst die richtige Platte lancieren. Der einzige Unterschied ist, dass du vor zwanzig Jahren wahrscheinlich ein Fax an einen Vertrieb geschrieben hättest, um ihm mitzuteilen, dass du eine Platte verkaufen möchtest. Heute kündigst du es irgendwo an und es wird etwas einfacher.
Vielleicht könntest du uns ein bisschen über den Übergang von Mego zu Editions Mego erzählen. Was ist damals passiert?
Im Laufe der Nullerjahre gerieten wir irgendwie in Schwierigkeiten, weil sich das Geschäftsmodell im Wandel befand. Das Internet veränderte im großen Stil, wie Platten verkauft wurden. Auch der Markt reagierte sukzessive anders, und dein großes Office der alten Schule mit Leuten, die für dich arbeiten, funktionierte nicht mehr so richtig. Es gab ein paar Entscheidungen, die nicht die besten waren, und die Firma kam ins Straucheln. Ramon und Andi beschlossen dann, etwas anderes zu machen, was normal ist für Leute, die Mitte dreißig sind, etwas, das besser zu ihnen passte. Aber ich dachte, okay, das ist das, was ich tue, und konnte keinen Grund sehen, es nicht weiterzumachen, also machte ich weiter. Ich benannte die Marke um, behielt aber den Namen drin, um auf diese Art zu zeigen, dass es eine Fortführung gibt. Ich hab das Label dann tatsächlich alleine betrieben und arbeitete im Grunde von zuhause aus.
Wie bewältigst du das, auch zeitlich gesehen – das Label ganz alleine betreiben und weiterhin als Musiker auf Tour zu gehen?
Früher aufstehen! Aber im Ernst, ich mache nicht alles alleine. Ich stelle die Platten nicht her, das macht jemand in einer Fabrik, und die Promotion übernimmt wieder eine andere Firma. Aber ja, es ist durchaus herausfordernd, auch weil Editions Mego über die letzten 10 Jahre gewachsen ist – am Anfang waren wir ja nur fünf oder sechs CDs pro Jahr. Aber letztes Jahr oder vielleicht vor zwei Jahren war wahrscheinlich der Höhepunkt erreicht, als wir rund 75 Releases auf unterschiedlichen Formaten und mit den unterschiedlichen Sublabels herausbrachten. Das wird dann schon ein bisschen stressig. Meine Solokonzerte habe ich schon vor fünf Jahren aufgegeben, weil ich erkannt habe, dass ich eben nicht alles machen kann. Jetzt mache ich Theaterprojekte mit Giséle Vienne und spiele in Bands wie Shampoo Boy oder KTL.
Das Besondere bei Editions Mego ist, dass du – ohne den Ausdruck Sublabels benutzen zu wollen – eine Family of Labels betreibst. Kannst du uns etwas darüber erzählen?
Ja, das hat sich so ergeben, weil ich zu der Zeit immer mit
Leuten gearbeitet habe, die ich wirklich mag, also sowohl deren Musik
als auch alles drumherum. Diese Leute hatten ihre ganz eigenen
Vorstellungen von dem, was man veröffentlichen sollte, und manche sagten
dann: „Hey, warum machst du keine Platte von dieser Person?“ oder sie
empfahlen mir Dinge. Nach einer Weile dachte ich dann, okay, warum gründest du nicht einfach ein Label für mich?
"Ich bekomme fast stündlich eine Demo-Anfrage."
Ein Beispiel war John Elliott von der US-Band Emeralds. Ich fragte ihn, ein Label für mich zu führen, das ist jetzt Spectrum Spools. Dann fragte ich Stephen O’Malley, mit dem ich bei KTL arbeite, und er macht jetzt Ideologic Organ. Es breitet sich also aus, und es entsteht ein ungewöhnlicheres Spektrum innerhalb eines größeren Ganzen – so etwas mochte ich schon immer. Eines meiner Lieblingslabels meiner Jugend war Mute. Mute ist natürlich für seine Mainstream-Veröffentlichungen von Depeche Mode bekannt, aber sie haben auch einen experimentelleren, avantgarde-artigen Anteil in ihrem Portfolio und öffneten sich ganz schrägen Projekten. All diese Stränge treffen also in einem Büro zusammen; ich mag diese Idee, weil es immer noch ein unabhängiges Label ist, aber mit einer etwas eigenwilligen Unternehmensstruktur. Dann wiederum war ich in Verbindung mit François Bonnet, weil er als Kassel Jaeger für mich veröffentlichte, und ich fragte ihn geradeheraus, warum es eigentlich keine GRM-Aufnahmen auf Vinyl gäbe, worauf er antwortete: „Das wäre fantastisch, aber wir wissen nicht wie!“ Aber ich, sagte ich, und so starteten wir Recollection GRM, das erstaunlicherweise das erfolgreichste der Sublabels ist, was Verkaufszahlen betrifft.
Editions Mego versammelt sehr unterschiedliche Genres in seinem Back-Katalog.
Ja klar, das ist auch Teil des Konzepts. Ich mag keine Genres oder Kategorien von Musik. Ich höre ganz verschiedene Arten von Musik.
Also siehst du dich eher als Kurator?
Gewissermaßen. Das macht es auch immer ein bisschen schwer. Ich bekomme fast stündlich eine Demo-Anfrage, und man weiß nicht, was man diesen Leuten sagen soll. Denn es ist ja mein Job, die Dinge zu finden, ich mache das: recherchieren und entscheiden, wen ich kontaktiere.
In diesem Jubiläumsjahr gibt es unzählige Präsentationen auf der ganzen Welt. Wie fühlt sich das an – 20 Jahre Mego?
Es ist ziemlich merkwürdig und es scheint auch alles nicht so lange her zu sein. Ich denke immer noch, dass vor 20 Jahren wie letzte Woche war, alles bewegt sich derart schnell. Es ist verrückt – als ich als Bub in den 80er-Jahren Musik gehört habe, dachten wir, dass vor 20 Jahren eine wahnsinnig lange zurückliegende Zeit war. Und jetzt denk nur, dass ich in den späten 70er-Jahren angefangen habe Platten zu kaufen, also vor fast 40 Jahren. Wenn man von da an 40 Jahre zurückrechnet, war der Zweite Weltkrieg. Also es ist schon sonderbar, wie die Zeit sich selbst wahrnimmt.