David Österle ist Frontmann der erfolgreichen Indie-Pop-Formation Hearts Hearts. Wir sprachen mit dem Sänger über die Suche nach dem eigenen Sound, die Schwierigkeit der Textproduktion, die Diskrepanz von MAINSTREAM SALES und KÜNSTLERISCHE UNABHÄNGIGKEIT.
„Bei uns macht wirklich jeder alles.“ Im Kollektiv zu arbeiten ist für Hearts Hearts essenziell.
Shilla Strelka: Wir haben beschlossen, uns nur zu zweit zu treffen, um über Euch vier von Hearts Hearts und Euren neuen Release zu sprechen. Ist es symptomatisch, dass eine Band auf ihren Sänger reduziert wird?
David Österle: Das ist im Pop- und Rockbusiness Usus, man sucht nach dem einem Band-Protagonisten. Grundsätzlich sind wir aber immer als das wahrgenommen worden, was wir sind: ein Kollektiv.
Seid Ihr alle zu gleichen Teilen am musikalischen Entstehungsprozess beteiligt?
Ja, absolut. Es ist nicht so, dass einer die Nummer schreibt, der andere Schlagzeug spielt und der Dritte dann Bass. Bei uns macht wirklich jeder alles. Das schätze ich sehr. Das macht das Arbeiten auch so kreativ.
Begonnen habt Ihr aber eigentlich zu zweit – Du und Daniel Hämmerle – als Singer-Songwriter-Projekt.
Ich würde nicht sagen, dass das damals die Band Hearts Hearts war. Ich habe Daniel auf der Uni kennengelernt. Wir haben beide Geschichte studiert und dann begonnen, gemeinsam Musik zu machen. Aber wir waren weit davon entfernt, ein Album aufzunehmen oder einen Live-Auftritt zu organisieren. Erst als Johannes (Mandorfer) und Peter Paul (Aufreiter) dazugekommen sind, hat das neue Perspektiven eröffnet. Peter Paul hat schon als Produzent gearbeitet, und bald wurde klar, dass ein Album erscheinen soll. Das hat also eine ganz andere Dynamik angenommen und war dann auch der Moment der Bandgründung.
Wie entstehen Eure Nummern?
Um an neuen Nummern zu arbeiten, fahren wir häufig für ein oder zwei Wochen weg. Dieses Mal waren wir in Scheibbs in einem Proberaum. Dort ist eine Vielzahl der Songs, die auf dem Album „Goods/Gods“ sind, entstanden. Ich denke ganz gerne zurück an diese Sessions – an das befreite gemeinsame Spielen und an den Moment, in dem man spürt, dass man sich findet. Was den vielgestaltigen und langwierigen Entstehungsprozess eines Songs anbelangt – ist das für mich der verrückteste Moment. Vielleicht hört es sich esoterisch an, aber die ersten Aufnahmen haben meistens eine unglaubliche Energie.
Ich nehme an, Ihr improvisiert viel in dieser ersten Phase.
Wir singen häufig Melodien und probieren sie aus, an den Lyrics arbeiten wir erst viel später. Wenn wir gemeinsam spielen, benutze ich die Stimme als Instrument. Da ist der Text nicht wichtig. Häufig bleibt ein schönes Wort hängen, und ich versuche, das zu respektieren und später darauf aufzubauen.
Die vier Musiker wollen nicht nur als Melancholiker wahrgenommen werden, die über existenzielle Probleme sinnieren.
Ihr wart mit Eurem Debütalbum „Young“ sehr erfolgreich und sogar für den Amadeus Award nominiert. Wie geht man mit dem Druck um, wenn ein erstes Album so erfolgreich ist? Ist es schwierig, sich den kreativen Freiraum zu erhalten?
Beim ersten Album war uns wichtig, einen Release zu haben, der eine klare Sprache besitzt. Beim zweiten Album gab es den Wunsch, etwas anderes zu machen und in manchen Dingen zugänglicher zu sein. Es sind Lieder entstanden, die etwas direkter und offensiver wirken in ihrer Aussage. Nummern wie „Phantom/Island“, „Sugar/Money“ oder „Goods/Gods“ entfalten eine Unmittelbarkeit, die es auf „Young“ noch nicht gegeben hat.
Ich fühle mich von Euren hymnischen Melodien in einen emotionalen Kosmos gezogen, gegen den ich mich nicht wehren kann. Für mich ist das nicht Unmittelbarkeit, sondern Überproduktion, wenn ich schon nach dem ersten Mal hören mitsummen kann.
Mit zugänglich meine ich nicht, dass wir Mainstream-Popmusik machen wollten. Davon sind wir noch ein Stückchen weit entfernt. Wir schreiben gerne schöne Melodien. Das verschafft uns Befriedigung. Ich verstehe unter Unmittelbarkeit, dass die Leute viel schneller einen Zugang zum Song finden, ohne eine Nummer zigmal hören zu müssen, um alle Nuancen des Liedes zu begreifen. Für uns war es wichtig, dass die Leute tanzen und mitsingen können, aber dass es doch einen Kunstwerk-Charakter hat.
„Wir schreiben gerne schöne Melodien.“
Mit ihrem Debütalbum „Young“ wurde die Band sogar für den Amadeus Award nominiert. Ihr neues Album „Goods/Gods“ erscheint demnächst.
Woran machst Du fest, dass Ihr nicht Pop und Mainstream seid?
Wir hatten auch eine Nummer auf der Liste möglicher Albumtracks, die wirklich „straight in your Face“ war, eine richtige Popnummer. Relativ spät haben wir aber gespürt, dass die doch nicht mehr in unsere Musikwelt integrierbar ist. Viele Lieder haben schon etwas Grundverschrobenes. Wir haben bei jeder Nummer darauf geachtet, Momente zu haben, die Spannung erzeugen. Wir wollten nicht, dass eine Nummer schnell abgehört ist. Gerade die Beatstruktur verwehrt sich oft einer absoluten Zugänglichkeit. Vielleicht ist es Pop. Letztlich ist es egal. Ich glaube auch, dass das Wort Pop mehr auf die Vermarktungsstrategien abzielt, als dass es ästhetische Ausdrucksweisen benennt.
Ihr habt auch auf dem Eurosonic Festival gespielt. Das ist als Branchenfestival eine Plattform, die neue Talente aus Europa aufspüren möchte, diese aber auch auf deren Vermarktbarkeit hin testet. Wie hat es sich angefühlt, da zu spielen?
Kein Mensch sagt nein, wenn man dorthin eingeladen wird. Aber es ist allen klar, dass man von Bookern, Managern und Festivalpromotern auf Vermarktbarkeit abgeklopft wird. Da wird einem recht schnell bewusst, dass Musik zur Ware geworden ist. Man bekommt das Gefühl, dass es wenig um die Lieder selbst geht. Die eine redet über die Kleidung, die andere sagt, du bewegst dich zu viel. Musik ist eine Kulturindustrie geworden, und die Showcase Festivals sind ein Zeugnis davon. Ich stehe dem auch sehr kritisch gegenüber, weiß aber, dass es eine riesige Chance für eine Band ist, sich dort zu präsentieren. Man macht viele Kompromisse, gerade wenn es um Vermarktungsstrukturen geht und man sich dann vielleicht doch als Mainstream Act positionieren muss.
„Meine Stimme klingt etwas schnippischer und weniger dramatisch.“
„Die eine redet über die Kleidung, die andere sagt, du bewegst dich zu viel. Musik ist eine Kulturindustrie geworden.“
Welche Kompromisse musstest Ihr in Eurer musikalischen Karriere schon eingehen?
Man denkt viel darüber nach, wie man ankommen möchte. Man überlegt, was Erfolg heißt und wie man dazu kommt. Man macht sich über Social Media Gedanken – Dinge, von denen ich mir vor drei Jahren nicht vorgestellt hätte, dass mich das im Bandkontext irgendwann interessiert.
Wenn ich mich frage, was mir Musik bedeutet, sehe ich mich, als ich vor ein paar Jahren noch vor der Badewanne gesessen und Gitarrenstücke geschrieben habe, die zwar furchtbar schlecht waren, mir aber irrsinnig viel bedeuteten – die ganz losgelöst von irgendwelchen Vermarktungszwecken, von einer instrumentellen Vernunft waren. Jetzt ist der organisatorische Ballast dazugekommen. Aber ich will das nicht nur negativ sehen – das gehört dazu und macht die Musikindustrie zu einem gewissen Teil auch aus.
Ist es eigentlich eine Notwendigkeit, dass man sich als Sänger eine Figur erschafft, sobald man erfolgreicher ist und auf die große Bühne tritt?
Ich habe ab und zu das Problem, dass ich die Bühne betrete und mich nicht total verabschieden kann von dem David, der vorher noch seinen Job gemacht hat. Ich wäre ganz froh, wenn ich das ein bisschen mehr loswerden und auf der Bühne eine klare Figur darstellen könnte, die nichts mit diesem Alltag zu tun hat.
Das ist komisch. Lange Zeit habe ich gedacht, dass ich so natürlich rüberkommen möchte, wie es nur geht, aber mir wird mehr und mehr bewusst, dass es vielleicht auch ganz hilfreich wäre, wenn ich mich für die Bühne gänzlich von meinem Alltag abkoppeln könnte. Wenn ich rausgehen würde und noch skurriler, ekstatischer oder ausgelassener wäre.
„Ich bin auf keinen Fall der Boyband-Typ.“
„Die Bewegungen kommen aus mir heraus. Da ist nichts Geplantes dabei. Ich habe noch nie tanzend vor dem Spiegel gestanden.“
Wie lange hast Du gebraucht, um Dich auf der Bühne wohlzufühlen? Wie hast Du zu Deinen Gesten gefunden?
Ich tanze einfach sehr gerne. Das hab ich immer schon gemacht. Schon als Kind. Es macht mir Spaß, in der Bühnen-Performance der Extrovertierte zu sein, auch etwas skurril rüberzukommen. Ich bin ganz gerne diese Figur. Ich bin auf keinen Fall der Boyband-Typ. Die Bewegungen kommen aus mir heraus. Da ist nichts Geplantes dabei. Ich habe noch nie tanzend vor dem Spiegel gestanden. Das Schwierige ist, gleichzeitig zu singen, weil ich beim Tanzen schnell außer Atem komme.
Arbeitest Du viel an deiner Stimme? Ich finde es erstaunlich, dass Du auch live jeden Ton triffst.
Ich singe schon zu Hause, aber es ist kein kontrolliertes Arbeiten an der Stimme, sondern ein sehr befreites Ding. Ich hatte für kurze Zeit mal Stimmtraining, habe aber schnell das Gefühl bekommen, dass mir das nicht so viel bringt. Auch weil ich geglaubt habe zu spüren, dass ich gesanglich in eine Richtung getrimmt werde. Ich mag es ganz gern, dass ich meine Stimme recht unkontrolliert nutze. Das hat eine gewisse Energie.
Dein Gesang ist sehr exzentrisch. Wie lange hast Du gebraucht, deinen Sound zu finden?
Ich habe mir ganz konkret die Frage gestellt, wie ich singen möchte. Irgendwann habe ich den Falsett-Gesang für mich entdeckt, der natürlich immer etwas Exklusiveres hat. Diese Stimmlage liegt mir einfach mehr. Oft, wenn ich in tieferen Registern singe, habe ich das Gefühl, dass ich nicht dieselbe Emotion transportieren kann.
„Songs schreiben, die uns vom Klischee befreien, vier melancholische Typen zu sein.“
Kolleginnen vergleichen Euch gerne mit Bands wie Radiohead oder Alt-J. Es muss doch wahnsinnig nerven, ständig mit den gleichen Acts verglichen zu werden. Möchte man da nicht noch dringender nach der eigenen Stimme suchen, um sich abgrenzen?
Ja, das ist ein Punkt! Es hat mich ab einem gewissen Zeitpunkt genervt, dass immer wieder der Name Thom Yorke gefallen ist. Man stellt sich natürlich sehr bald die Frage nach der eigenen musikalischen Identität. Ich denke, wir haben unsere eigene Sprache gefunden. Was meine Stimme anbelangt, hat da auch eine Entwicklung stattgefunden. Auf dem neuen Album klingt sie etwas schnippischer und weniger dramatisch.
Wobei die große Melancholie und große Sehnsucht immer noch da sind. Die kriegt ihr nicht weg.
Das muss irgendwie in uns drinstecken. Das kann nicht von ungefähr kommen. Und doch sind wir gleichzeitig auch ganz anders. Wir wollten jedenfalls auf dem neuen Album eine einladendere Stimmung schaffen und wollten Songs schreiben, die uns von diesem Klischee befreien, vier melancholische Typen zu sein, die über existenzielle Probleme nachdenken.
Gibt es Solo-Projekt-Ambitionen?
Die Band ist über die Jahre extrem zusammengewachsen. Abgesehen davon, dass wir sehr enge Freunde geworden sind, ist es schon so, dass ich im Produktionsprozess ganz in der Gruppe aufgehe. In den letzten zwei Jahren habe ich gespürt, dass ich in dieser Band meine Rolle gefunden habe und deshalb auch die Ambition, die kurz mal da war, wieder aufgegeben habe – für den Moment zumindest.