Der Perückenmacher

Haare müssen sitzen

„Ob als Ausdruck Ihrer Persönlichkeit oder aus medizinischen Gründen: Ihr Zweithaar von Karglmayer besticht durch absolut natürliches Aussehen und ist aufgrund der hohen Qualität vom eigenen Haar nicht mehr zu unterscheiden“, so steht es auf der Website des traditionellen Perückenmacher-Unternehmens Karglmayer, das Filialen in Wien und Graz unterhält. Wir haben mit dem Mitinhaber, Friseur und Perückenmacher Martin Kuklovszky über eine alte Handwerkskunst gesprochen, die es seit der Antike gibt.

Text: Sophie Starkl, Fotos: Manon Nitsche & Sophie Starkl

Perückenpuppe mit Lippenstift

„Pro Perücke werden 80.000–100.000 Haare verknüpft.“

Sophie Starkl: Tragen Sie selbst manchmal eine Perücke?

Martin Kuklovszky: Nein, ich habe einen sehr großen Kopf – Größe 63, um genau zu sein – und viele eigene Haare dazu. Da ist es schwer, eine passende Perücke zu finden (lacht).

Erzählen Sie mir kurz etwas über die Geschichte Ihres Unternehmens, wie hat alles angefangen?

Die Firma wurde von Herrn Karglmayer in den 70er-Jahren gegründet. Er hat zu Beginn seiner Friseurkarriere bei der „Weltmeisterschaft der Haare“ teilgenommen. Die Disziplin war „Toupets zuschneiden“. Für sein top gestyltes Toupet wurde er von allen bewundert und bejubelt. Daraus entstand dann seine Faszination für Perücken und Toupets. 1986 habe ich bei Herrn Karglmayer als Lehrling begonnen und ihm 15 Jahre später, zusammen mit einem Kollegen, das Unternehmen abgekauft.

War es schon immer Ihr Traum, Perückenmacher zu werden?

Na, grundsätzlich wollte ich zuerst Maskenbildner werden, deshalb hatte ich mir den Lehrlingsjob hier im Geschäft gesucht. Es war früher immer Voraussetzung für Maskenbildner, eine Friseurlehre abzuschließen. Und dann dachte ich mir, ich nehme das mit den Perücken gleich dazu. Das war eigentlich ein reiner Zufall, und da das Handwerk so breit gefächert ist und mir dazu noch so gut gefallen hat, habe ich entschlossen: Hier bleibe ich!

„Tüll, Monofilamente, verschiedenste Untergrund-Materialien und Haare.“

Wie viele Perückenmacherinnen gibt es in Österreich noch?

Gute Frage! Man muss da ein bisschen unterscheiden. Es gibt die Maskenbildner in den Theatern, die tatsächlich noch dasitzen und knüpfen. In der Oper oder im Burgtheater werden Perücken durchaus noch mit der Hand gemacht. Und es gibt uns Friseure, die Perücken zwar nicht mehr selbst knüpfen, aber sie trotzdem noch an unsere Kundinnen anpassen und sie zuschneiden.

Können Sie Perücken selbst knüpfen?

Ja, klar. Jetzt knüpfe ich zwar nicht mehr, aber vor ein paar Jahren war alles noch per Hand zu machen. Der Beruf heißt ja „Friseur und Perückenmacher“. Im Grunde genommen hatte jeder in der Berufsschule eine Perücke zu machen, und im Geschäft sowieso.

Wie aufwändig ist es, eine Perücke herzustellen?

Schon sehr. Es kommt natürlich immer darauf an, wie schön, genau und wie natürlich man sie machen will. Man kann Perücken so knüpfen, dass pro Knoten ein Haar genommen wird, und man merke an, dass pro Perücke 80.000–100.000 Haare verknüpft werden. Das ist schon ein ganz schöner Aufwand.

„Die teuerste Perücke lag bei 12.000 Euro."

Vom Auftrag bis zum Verkauf, wie lange dauert es, bis eine Perücke fertiggestellt ist?

Grundsätzlich beginnt man mit der Beratung. Was will die Kundin? Was sind ihre Bedürfnisse? Fertige Perücken werden aufgesetzt, angepasst und verkauft, egal, ob das Kunsthaar- oder Echthaar-Perücken sind. Da gibt’s eine Art Anprobe-Standardprogramm und das geht relativ rasch. Bei Maßperücken muss zuerst ein Abdruck vom Kopf genommen werden. Dann finden einige Besprechungen statt, in denen wichtige Aspekte wie Farbe und Länge der Perücke geklärt werden. Dann muss geknüpft werden, eventuell eingefärbt und so fort. Dieser Prozess kann schon zwei bis drei Monate dauern

Welche Werkzeuge und welche Materialien braucht man dafür?

Die Grundmaterialien sind Tüll, Monofilamente, verschiedenste Untergrund-Materialien und dann natürlich Haare. Da gibt es die verschiedensten Haararten: Es gibt Kunsthaar, Echthaar und Mischungen davon. Bei Echthaar unterscheidet man wiederum zwischen europäischem, asiatischem und veredeltem indischen Haar.

Veredeltes Haar – was bedeutet das?

Beim indischen Haar wird zum Beispiel durch einen leichten chemischen Prozess ein Anteil der Schuppenschicht des Haares abgezogen, damit es insgesamt dünner wird und dem europäischen Haar näher kommt. Durch diesen Prozess verfilzen die Haare weniger.

„Mit Perücke schwimmen gehen, ist kein Problem.“

Was macht eine besonders gute Perücke aus?

Dass sie der Trägerin passt und sie glücklich macht! Dabei ist es nicht relevant, welchen Untergrund die Perücke hat, oder ob sie aus Kunst- oder Echthaar besteht. Auch der Preis spielt da keine große Rolle. Wenn es die teuerste Echthaar-Perücke ist, aber die Kundin damit nicht zurechtkommt, bringt das ja auch nichts.

Wie viel kostet eine qualitative Perücke? Was war die teuerste Perücke, die Sie jemals verkauft haben?

Gute Kunsthaar-Perücken kosten so zwischen 400 und 800 Euro. Echthaar-Perücken so ab 1.000 Euro aufwärts. Da kommt es dann immer auf die Haarlänge der Perücke an, diese ist immer für den Preis entscheidend. Die teuerste Perücke, die ich jemals verkauft habe, lag bei circa 12.000 Euro.

Was muss man beim Tragen einer Perücke beachten? Kann man ohne Weiteres Sport damit machen, baden gehen oder eine Mütze tragen?

Grundsätzlich fällt mir nichts ein, was unmöglich ist, es kommt immer auf die Machart der Perücke an, und ob die Kundin noch eigene Haare hat oder nicht. Wenn noch welche vorhanden sind, kann ich die Perücke nicht so gut befestigen wie bei jemandem ohne Haare. Ich kann ja nichts auf Haare kleben. Man könnte es, aber es wäre relativ schmerzhaft, sie wieder herunterzulösen. Mit Perücken kann man alles Mögliche tun: schwimmen gehen, duschen, auch das Tragen der verschiedensten Kopfbedeckungen funktioniert!

Welche verschiedenen Wünsche müssen Sie erfüllen?

Kompletter Haarausfall, Wunsch nach anderen oder längeren Haaren, partieller Haarausfall, Theater, Film, Oper, Bälle, Hochzeiten oder Fasching! Von Anfang bis Ende, alles. Wir machen ja auch nicht nur Perücken, wir sind auch ein normaler Friseurbetrieb. Zudem bieten wir auch Haarverlängerungen, Haarverdichtungen und kleine Haarteilchen an, wenn zum Beispiel nur stellenweise Haare fehlen. Wir erfüllen quasi jeden Wunsch!

„Es gibt auch Brusthaar- und Schamhaartoupets.“

Sind Sie schon einmal an einer Aufgabe gescheitert?

An den Wünschen der Kundinnen scheitert man manchmal. Gewisse Dinge sind leider unmöglich. 

Es gibt viele Kundinnen, die zu uns kommen und eine Perücke haben wollen, welche ident mit ihrem eigenen Haar ist. Das geht einfach nicht. Man kann sie so ähnlich wie möglich machen, aber dass man sie genauso wie das Echthaar macht, wird nie funktionieren.


Wie viele Perücken haben Sie im Geschäft und im Lager lagernd?

Schwer zu sagen, ich glaube um die 3.000 Stück.

Gibt es auch Körperhaarperücken?

Ja, natürlich, Brusthaar- und Schamhaartoupets. Die werden wie Kopfhaar-Perücken einfach aufgeklebt.

Können Sie uns ein wenig darüber erzählen, warum Menschen bei Ihnen Perücken kaufen?

Der Großteil der Kundinnen kauft Perücken aus medizinischen Gründen. Sie haben ihre Haare meist aufgrund einer Chemotherapie oder einer Form von Alopezie – Haarausfall – verloren und möchten sich daher eine Perücke zulegen.

„Den Menschen ihr Selbstbewusstsein wieder zurückzugeben.“

Man hört sicher die eine oder andere berührende Geschichte. Hat Sie schon einmal eine zu Tränen gerührt?

Da gibt’s einige! (schweigt) Beispielsweise Verbrennungen: Kinder, die auf den Herd gegriffen und sich das heiße Wasser im Topf über den Kopf geleert haben. Es gibt so viele Geschichten, da weiß ich gar nicht, wo ich anfangen oder aufhören soll. Wir hatten ein Kind, welches in eine Art Walzmaschine gekommen ist und halb skalpiert wurde. Oder da war eine Frau, welche plötzlich von ihrem geliebten Rottweiler angegriffen wurde. Er hat sie am Kopf erwischt und ihr Dreiviertel der Haare abgebissen. All diese Geschichten und viele mehr habe ich schon gehört.

Belastet Sie das?

Na ja, eine Zeitlang schon, aber irgendwann stumpft man ab (schweigt). Nein, das stimmt nicht. Eigentlich sehe ich das so: Wir helfen den Menschen. Das, was passiert ist, ist schon passiert, das können wir jetzt nicht mehr ändern. An uns liegt es, den Menschen ihr Selbstbewusstsein wieder zurückzugeben.


Vielen Dank für das Gespräch!

Martin Kuklovszky ist gelernter Friseur und Perückenmacher und seit dem Jahr 2000 Teilbesitzer der „Karglmayer GmbH – Friseur, Perücken, Toupets“, die seit über 50 Jahren Filialen im 1. Bezirk in Wien (Bauernmarkt) und in Graz unterhält.
Dieser Beitrag entstand im Rahmen einer Kooperation von C/O Vienna Magazine mit der Meisterschule der Graphischen Wien und wird außerdem in der C/O Vienna Printausgabe Nr. 6 im Juni 2023 erscheinen.