Alexander Ehrmann ist in sechster Generation Apotheker. Die ersten Tinkturen und Tonika braute er bereits als Kind im elterlichen Keller. Wir sprachen mit ihm über traumfördernde Zahnpasta und seine persönlichen Dschungel-Camp Erfahrungen.
„Viele Duftstoffe besitzen sogar eine medizinische Wirkung."
Blick in die Apotheke
Seit 2006 betreibt Ehrmann die legendäre Saint Charles Apotheke in
Wien, die mit Restaurant, Natur-Kosmetik Ableger, Treatment-Bereich,
einer Filiale in Berlin und neuerdings auch online zu einem kleinen
Imperium angewachsen ist. Die Apotheke feiert heuer ihr 130-jähriges
Bestehen.
Werner Sturmberger, Anneliese Ringhofer: Deine Karriere hat im Keller Deiner Eltern begonnen...
Alexander Ehrmann: Ja, dort habe ich hauptsächlich Tonika gemischt. Das war furchtbar aufregend für mich. Da kam immer der Herr Fedrigotti in den Keller, ein Weinlieferant aus Italien, und hat Refosco gebracht. Das war der Wein, in dem Kräuter in Bottichen angesetzt werden. Mit riesigen Sieben hat man den Sud aufgewühlt. Das musste jeden Tag gemacht werden. Ich hab dabei natürlich immer zwangsläufig den Dampf eingeatmet, was meine große Liebe zu Wein erklärt und vielleicht auch meine damaligen Schulnoten (lacht).
Du bist aber trotzdem Apotheker und nicht Önologe geworden?
Aus irgendeinem Grund war klar, dass ich –wie alle anderen in der Familie – Apotheker werde. Meine Schwester, Sternzeichen Löwe, hat sich allerdings als Einzige geweigert und gesagt: „Ich sicher nicht.“ Sie war auch die Revoluzzerin von uns beiden und war damals bei der Besetzung der Hainburger Au mit dabei. Da war ich noch sehr klein, kann mich aber noch gut daran erinnern: Hingefahren ist sie extrem un-nachhaltig mit dem Citroën 2CV, einer der größten Dreckschleudern überhaupt. Kurz hatte ich allerdings mit dem Gedanken gespielt, Regie am Max-Reinhardt-Seminar zu studieren.
Woher kommt Deine Affinität zum Theater?
Ich fand Theater schon als Jugendlicher spannend. Eine Freundin meiner
Mutter ist Schauspielerin und hat meine Leidenschaft dahingehend
gefördert. Aber in unserer Apotheke ist ja auch „großes Theater“! Wir
sind keine 0815 – Apotheke, und es ist immer was los. Ich sorge
natürlich ziemlich oft selbst für die „Show“, weil es mir großen Spaß
macht, Ideen zu spinnen und Neues zu entwickeln.
Woran arbeitest Du im Moment?
Anfang des Jahres haben wir unseren Online-Shop gestartet, was ein
großes Stück Arbeit war. Dann haben wir etwas entwickelt, das wir
„Bio-Anti-Bio“ nennen. Das ist gerade in der Testphase. Ich weiß aber
noch nicht, ob das salonfähig werden wird. Es ist ein starkes – aber
natürliches – Antibiotikum: Zwiebel, Knoblauch, scharfe Chili-Schoten,
Ingwer und Kurkuma werden dafür ein paar Wochen lang in Essig angesetzt.
Der Sud hat ein gigantisches antibiotisches Potential.
Du arbeitest grad an einem neuen Parfum haben wir gehört?
Ja, gemeinsam mit meinem Künstler-Freund Paul Divjak
arbeite ich gerade an einer Duftserie. Sie trägt den Namen „Wiener und
Wienerin von Welten“. Es sind zwei Düfte in einem Holzdisplay, so wie
man das von Essig und Öl kennt, der eine Duft ist etwas citrus – lastig,
der andere gibt sich eher herber und schwerer.
„Wiener und Wienerin von Welten“, ein extravaganter Name für einen Duft! Was hat es damit auf sich?
Die Wiener von Welten waren eine jüdische Familie, die in der Shoa ausgelöscht wurde. Es gibt aber noch ein von ihnen erbautes gleichnamiges Palais im Ringstraßenstil am Schwarzenbergplatz. (Eine Besonderheit ist der davorliegende Stadtweingarten, der kleinste Wiens, Anm. der Red).
Wir fanden den Namen spannend. Gleichzeitig beschäftigt sich Paul mit
der Geschichte des Judentums in Wien und schreibt auch für ein jüdisches
Magazin. Der Name des Duftes soll auch eine Form der Erinnerung sein.
Mein Sohn spielt auch im jüdischen Fußballclub Maccabi und ist dort Torjäger. Das passt alles ganz gut zusammen.
„Zeit ist ein totaler Genussfaktor. Müßiggang! Nachdenken! Wie inspirierend!"
Neben der Apotheke gibt es ein Restaurant und ein Treatment-Bereich.
Du scheinst Düfte ziemlich faszinierend zu finden! Warum?
Ich bin zwar ein geborener Wiener, aber am Land, in Seekirchen am
Wallersee, aufgewachsen. Meine Mutter war dort eine absolute Exotin. In
einem Umkreis von 50 Kilometern war sie die Einzige mit einem
VOGUE-Abo. Das war sozusagen mein früher Zugang zur glamourösen Welt der
Mode und Kosmetik. Die hat mich fasziniert.
Später entdeckte ich, was Düfte alles „können“, abgesehen von ihrer
psychischen Komponente. Viele Duftstoffe besitzen sogar eine
medizinische Wirkung. Thymian ist zum Beispiel ein genialer
Bakterien-Killer. Man muss halt schauen, dass man die Zutaten in einer
entsprechenden Qualität bekommt. Bei biologischer Qualität kann man das
auch innerlich einnehmen. Dass wir auch viel damit arbeiten, ist auch
Teil des ganzheitlichen Ansatzes, den wir hier verfolgen.
Warum ist Dir der komplementär- oder alternativmedizinische Zugang so wichtig?
Natürlich führen wir auch klassische Antibiotika und Medikamente.
Logisch. Die Schulmedizin hat aber auch zu einer Verantwortungslosigkeit
geführt. Wenn dir was fehlt, dann nimmst du einfach eine Tablette. Die
Leute haben verlernt, zu analysieren, was ihrem Körper gut tut. Wenn man
sich Zeit nimmt, einmal am Tag ein bisschen Yoga betreibt, ist das
Labsal. Genauso, wenn man darauf achtet, Bio-Produkte zu verwenden. Der
Körper und die Haut erkennt Naturidentes. Produkte auf Erdölbasis werden
nicht so gut aufgenommen und wieder abgestoßen. Das sind eben
schlagenden Argumente!
Bist Du „bio-dogmatisch“?
Nein, ich sehe nur, dass es mir besser geht, wenn ich Bio esse. Ich hab
da immer wieder meine Aha-Erlebnisse. Ich war unlängst bei einem Treffen
der Demeter-Gesellschaft im nördlichen Waldviertel. Da treffen sich die
Bauern zweimal jährlich. Das war großartig. Ich hab da eine Stunde lang
Pferdescheiße rhythmisiert.
„Ein Forscher hat LSD erfunden, nicht um sich zu berauschen, sondern um es therapeutisch einzusetzen."
Pferdescheiße rhythmisieren? Was ist das denn das bitte!?
Man geht mit einer Schaufel im Kreis und hebt sie immer wieder hoch,
während man sich spannende Geschichten erzählt. Der Mist wird dann in
Kuhhörner gefüllt und die werden dann vergraben – insgesamt über 3.000.
Damit wird gedüngt. Nicht nur, dass das funktioniert, ist großartig,
sondern auch, was man mit diesen Menschen erlebt. Es wird wunderbar
aufgekocht und man unterhält sich. Das sind Leute, die fest am Boden
stehen und keine abgespacten Hippies sind. Mich beeindruckt, wie sie mit
sich, mit der Natur und dem was sie herstellen, achtsam umgehen.
Was bedeutet Genuss für Dich?
Wahnsinnig viel. Das liegt wohl in den Genen. Mein Vater war und ist ein
extremer Genussmensch. Meine Mutter hat sich nie so viel gegönnt,
vielleicht weil sie Steinbock ist. Zur Zeit beschäftigt mich die Frage,
was Genuss überhaupt ist? Für mich heißt das, dass meine Frau und ich
fast jeden Sonntag um zehn Uhr – egal ob es regnet oder kalt ist – am
Fußballplatz stehen und unseren Sohn anfeuern. Genuss ist, wenn ich mich
einmal in der Woche mit meiner Tarock-Runde treffe. Zeit ist auch ein
totaler Genussfaktor. Müßiggang! Nachdenken! Wie inspirierend! Genuss
ist auch, auf unserem Bauernhof in Prigglitz
(NÖ) Zeit zu verbringen, wo es keinen Handyempfang gibt, in der
Hängematte zu liegen, ein bisschen zu dösen und in den Himmel zu
schauen. Das ist für mich die produktivste Zeit!
Genießt Du es, mit Deiner Frau zusammen zu arbeiten?
Ganz besonders. Es ist ein großer Genuss für mich, mit meiner Frau Ruth
gemeinsam kreativ zu sein. Sie kümmert sich mit großer Intensität um die
Saint Charles Complementary,
unser Zentrum für Therapeutinnen, Ärztinnen und Yogalehrerinnen. Und
wie schön ist es, mit meiner Familie auf den Berg zu steigen, mit
unserem Sohn Schritt halten zu versuchen und dann zu erkennen, dass mir
das nicht gelingt, um dann, in aller Ruhe, Hand in Hand, den Gipfel
entspannt zu erreichen. Herrlich!
Bist Du mit der Natur sehr verbunden? Du fährst ja ziemlich oft auf Euren Bauernhof in Prigglitz…
Das ist ein 300 Jahre alter Bauernhof, den wir gemeinsam mit drei
anderen Familien übernommen haben. Den nutzen wir privat, aber auch in
Verbindung mit dem Verein Tralalobe,
der Caritas und der Diakonie. Wir bieten dort Sommercamps für
unbegleitete Jugendliche aus Krisengebieten an. Deren Lebensgeschichten
berühren mich sehr. In weiterer Folge versuchen wir, diesen Jugendlichen
Jobs zu vermitteln. Das ist eine Form von Integration, die sehr gut
funktioniert.
„Es ist faszinierend, was die Natur an Substanzen so vorgesehen hat."
Würdest du Dich als bodenständig oder eher spirituell beschreiben?
Ich bin bodenständig, aber eine gewisse Form von Spiritualität schließt
das ja nicht aus. Ich bin fasziniert, wozu wir Menschen fähig sind. Wie
viele ungenützte Kapazitäten und Energien der Mensch besitzt. Ich hab
mich in meiner Diplomarbeit mit Neurorezeptoren beschäftigt. Mit Fragen
wie, was passiert beim Laufen, bei Endorphin-Ausschüttung bis hin zur
Wirkung psychedelischer Drogen? Dass ein Forscher LSD erfunden hat,
nicht um sich zu berauschen, sondern um es therapeutisch einzusetzen,
finde ich wahnsinnig interessant. Bis es den Menschen halt zu wild wurde
und man gesagt hat, jetzt verbieten wir lieber gleich alles.
Du kennst Dich mit psychedelischen Substanzen erstaunlich gut aus?!
Ich bin ganz froh darüber, dass die meisten Leute nicht wissen, was bei
uns am Straßenrand alles so wächst (lacht). Es ist ziemlich
faszinierend, was die Natur an Substanzen so „vorgesehen“ hat. In
Brasilien nimmt man gern Ayahuasca.
Das ist ein halluzonigener Pflanzensud aus der Traumliane. Das ist
keine Partydroge, sondern Medizin, die nur im zeremoniellen Kontext von
den indigenen Ureinwohnerinnen konsumiert wird. Diese Traumliane
funktioniert nur, wenn man das Blatt dazu einnimmt. Aufgrund eines
körpereigenen Enzyms, würde der Wirkstoff bei uns sofort abgebaut
werden. Das Blatt enthält einen entsprechenden Hemmer. Wenn beides
kombiniert wird, stellt sich die psychedelische Wirkung ein.
Du weißt soviel darüber, weil Du mit der Kunstsammlerin Franscesca von Habsburg im brasilanischen Dschungl warst, richtig?
Ich war schon öfter im Kunstkontext als Apotheker tätig. Für die
Ausstellung „Leben“ von Carsten Höller in der TBA21 in Wien habe ich
sogar traumfördernde Zahnpasta gemischt. Das nächste war dann die Ausstellung „Aru Kuxipa – Sacred Secret“
des brasilanischen Künstlers Ernesto Neto ebendort (Juni bis Oktober
2015). Für diese Ausstellung hat er Schamanen des Huni Kuin – Stamm in Acre
an der Grenze zu Peru zusammengearbeitet und wollte ein paar von ihnen
nach Wien einladen. Um das abzuklären, sind Ernesto, die Kunstsammlerin
Francesca von Habsburg und die Kuratorin Daniela Zyman von Kunstraum
TB21 in Wien dorthin geflogen. Ernesto meint: „Nehmt den Apotheker doch
bitte auch mit!“ Gesagt, getan. Das war dann alles wahnsinnig schräg und
spannend! Ich war quasi der weiße, europäische Medizinmann dort. Ich
musste natürlich mit allen reden und hab viel über traditionelle
europäische Medizin erzählt.
Vom brasilianischen Urwald in den Wienerischen Großstadtdschungl: Magst Du Wien?
Es gibt viele Dinge, mit denen ich hier gar nicht einverstanden bin.
Dieses „schauma mal“, was heißt, es wird nie was, aber man versucht
halt, sich so durchzulavieren, mag ich nicht. Aber es gibt hier eine
Grundenergie, die viel möglich macht. Eine Kreativität, die sich eine
gewisse Gelassenheit bewahrt hat, die ganz viele Orte nicht mehr bieten.
Was ich an Wien super finde, sind die „anderen Seiten“ der Stadt, die
viele Bobo-Wiener gar nicht kennen, dieses „Wien der Wiener“. So Dinge
wie die Donau-Auen oder das Gänsehäufel. Die sind fantastisch und
einzigartig. Auch das ganze Heurigen-Ding hat schon was.
Zeigt Dein Sohn bereits Ambitionen, die Familientradition weiter zu führen?
Einmal im Jahr laden wir seine Klassenkameraden zu uns ein. Da zeigt er
dann schon ganz gern, wie man Tonika anrührt und ähnliche Sachen. Jetzt
spielt er auch Trompete. Für was er sich auch entscheidet, ich leg ihm
da keine Steine in den Weg. Im Moment ist er der fixen Meinung, dass er
Fußball-Profi wird.
Alexander Ehrmann im brasilianische Dschungl als "weißer Medizinmann".
Alexander Ehrmann
wurde 1967 in Wien geboren. Mit 3 Jahren Umzug nach Seekirchen am
Wallersee. Kaum des Gehens mächtig rührte er allabendlich Tonika, Salben
und allerhand absonderliche pharmazeutische Tinkturen. Während des
Studiums in Wien absolvierte er diverse Praktika in pharmazeutischen
Betrieben im In-und Ausland und diverse Lebenserhaltungsjobs
(Nachtportier, Chauffeur, Gastgewerbe). Nach erfolgreicher Beendigung
des Studiums führt Mag. pharm. Alexander Ehrmann als Apotheker in der
6-ten Generation die Tradition seiner Familie fort.