Die Designerinnen des Monats: Front Design

Trial and Error

Anna Lindgren und Sofia Lagerkvist lassen Käfer für sich arbeiten, Möbel explodieren und sich von Kuhfladen inspirieren. Das erfolgreiche schwedische Duo Front Design stellt die Designwelt nicht nur durch ihr – in dieser Branche noch immer als Exotikum geltendes – Frausein auf den Kopf. Wir haben die beiden langjährigen Freundinnen im Vitra Showroom in Wien getroffen und über die Kraft des Zufalls, Kitsch und die Flugbahn von Fliegen gesprochen.

Text: Viktoria Kirner

„Viele waren irritiert. Sie meinten, das sei das Lächerlichste, was sie je gesehen hätten.“

Viktoria Kirner: Ihr sammelt ab und an Kuhfladen von Weiden, studiert die Flugbahn von Fliegen oder lasst Gegenstände explodieren. Was ist das Ungewöhnlichste, das Ihr im Zuge eines Designprozesses jemals gemacht habt?

Anna Lindgren: Verrückte Sachen gab’s viele. Wir wollten zum Beispiel unbedingt mal das beste Seifenwasser der Welt herstellen, also wurde unser gesamtes Büro kurzerhand in ein Labor umfunktioniert. Alles war voller Seifenblasen – eine einzige riesige Blase quasi.

Sofia Lagerkvist.: Zu der Zeit experimentierten wir auch mit Elektronik, was gar nicht so ungefährlich war. Einfach Trial and Error! Man muss eben Verrücktes ausprobieren, um Neues zu schaffen. Da kann es schon mal passieren, dass man sich in Lehrbücher für chemische Formeln vertieft – oder man eben auf Weiden Kuhfladen sammelt.

Mit Eurer „Lifesize Animals“-Kollektion für Moooi ist es Euch gelungen, international erstmals viel Aufmerksamkeit zu erregen. Eure lebensgroße Pferdelampe schaffte es sogar auf das Cover des „TIME“-Magazins. War der große Erfolg eine Überraschung für Euch?

S. L.: Die Kollektion war medial ein Erfolg, aber nicht alle Leute mochten sie. Viele waren irritiert. Sie meinten, das sei das Lächerlichste, was sie je gesehen hätten. Ungewollt haben wir damit eine ziemliche Kontroverse ausgelöst.

A. L.: Es war damals alles sehr aufregend für uns. Diese Kollektion öffnete uns viele Türen. Für so eine große Firma wie Moooi zu arbeiten – das war schon ein super Deal. Die Pferdelampe war das Aushängeschild ihrer Kampagne, deswegen wurde sie so bekannt.

„Tierfiguren lösen bei vielen Menschen emotional etwas aus."

Tiere spielen in Euren Arbeiten häufig eine wichtige Rolle. Etwa als figurative Elemente, wie auch in Eurer aktuellen Kollektion „Resting Animals“ für Vitra. Sie werden aber auch oft zu Euren Komplizen, wenn Ihr beispielsweise Käfern, Fliegen oder Ratten einen Teil Eures Designprozesses überlasst. Woher kommt diese Faszination?

S. L.: Das „Resting Animals“-Projekt für Vitra ist das Ergebnis einer im Vorfeld durchgeführten Personenbefragung. Wie sich herausgestellt hat, lösen Tierfiguren, die gemeinhin als kitschig gelten, bei vielen Menschen emotional etwas aus. Mit keinem anderen Objekt fühlten sich die Befragten so sehr verbunden wie mit figurativen Tierobjekten.

Wenn wir Tiere in den Designprozess integrieren, indem wir etwa mit Oberflächen und Materialien arbeiten, die von Tieren erzeugt oder bearbeitet wurden, dann geht es uns mehr darum, unserem gesamten Schaffensprozess ein gewisses Zufallsmoment zu verleihen. Es gibt nämlich kaum etwas Schwierigeres, als bei dem Ergebnis eines Designproduktes von der Arbeit von Tieren abhängig zu sein.  

Klingt nach Überraschungen ...

A. L.: Ja, man wird immer wieder überrascht. Beispielsweise als wir damals mit Kuhfladen experimentiert haben: Wir hatten eine konkrete Vorstellung davon, wie das Material am Ende aussehen sollte. Leider hatten wir die Kuhfladen zur falschen Jahreszeit eingesammelt. Zu diesem Zeitpunkt wurden die Tiere nämlich anders gefüttert. Das Ganze sah am Ende daher auch komplett anders aus als geplant. Aber genau dieses Zufallsmoment interessiert uns im Designprozess. Um eben dieses zu erhalten, arbeiten wir auch mit anderen Methoden, wie beispielsweise mit Explosionen oder chemischen Stoffen, deren Reaktionen man nicht vorhersehen kann.

Was ist Euer persönliches Lieblingstier?

S. L.: Eines, das besonders gut arbeiten kann (lacht).

„Pack ein bisschen mehr Gold drauf!“

Ihr führt häufig Interviews, um mehr über die Objekte und Einrichtungsgegenstände in Wohnungen anderer Menschen zu erfahren. Was interessiert Euch dabei konkret?

A. L.: Wichtig ist uns, Personen nicht nach jenen Dingen zu fragen, die sie gerne besitzen würden, oder danach, was sie sich von Designobjekten erwarten, sondern nach Gegenständen, die sie bereits besitzen. Uns interessiert, was in ihrem Haushalt eine Bedeutung für sie hat und eine emotionale Bereicherung darstellt. Was denken Menschen über ein bestimmtes Ding? Warum behalten sie gewisse Gegenstände? Inwiefern verändern Objekte einen Haushalt? Sehr oft haben wir bemerkt, dass wir uns primär mit dem emotional verbunden fühlen, mit dem wir eine bestimmte Erinnerung verknüpfen.

Zu welchen Gegenständen in Eurem Zuhause habt Ihr eine emotionale Beziehung?

A. L.:  Zu einem Porzellan-Schmuckkästchen, das meiner Großmutter gehört hat. Ich erinnere mich noch ganz genau, dass ich mir als Kind gedacht habe: „Das ist der schönste Gegenstand auf der ganzen Welt. Warum können nicht alle Gegenstände so aussehen?“ Es ist superkitschig mit Gold, Engeln und Blumen verziert. Das habe ich bis heute. Mein Freund hasst es. 

S. L.: Das ist ja eine sehr interessante Sache: Obwohl sich im Laufe des Erwachsenwerdens der Geschmack verändert und man mehr und mehr Regeln ausgesetzt ist, was man schön finden darf und was nicht, irgendwo in dir drin wird es trotzdem immer einen Teil geben, der denkt: „Pack ein bisschen mehr Gold drauf!“

A. L.: ... und einen Teil in dir, der sogar ein riesiges Pferd mit einem Lampenschirm auf dem Kopf schön findet.

„Man hat uns oft sogar ,Spice Girls‘ genannt!“

Die Designbranche ist noch immer ein weitgehend männlich dominiertes Feld. In den Medien wird der Fakt, dass ihr Frauen seid, oft zuerst erwähnt. Häufig bezeichnet man Euch als „Frauenpower-Duo“ oder als „Girl Group“. Nervt Euch das?

A. L.: Als wir damals noch zu viert waren, hat man uns sogar oft die „Spice Girls“ genannt!

S. L.:  Die Tatsache als Frau erfolgreich zu sein, ist für viele immer noch nicht normal. Das wird in unserer männlich dominierten Welt somit stets hervorgehoben, egal in welcher Branche. Das kann aber auch empowernd wirken und andere Frauen dazu ermutigen, ein eigenes Business im Bereich „Design“ zu gründen.

Was sind Eurer Meinung nach die Gründe dafür, dass Frauen in der Designbranche noch immer unterrepräsentiert sind?

A. L.: Da spielen viele verschiedene Faktoren eine Rolle. Gerade der Designbereich fordert häufig sehr viel technisches Know-how. Ich denke, hier herrscht oft noch das stereotype Vorurteil, dass Frauen und Technik nicht kompatibel sind. Dann wären da noch die Unternehmen, die bestimmen, mit wem sie arbeiten wollen ...

S. L.: ... Stichwort „Networking“: Viele Firmen arbeiten seit Langem mit den gleichen Leuten, die eben eher Männer sind. Viele Firmen beteuern, dass es ihnen nicht um das Geschlecht, sondern um die Qualität gehe, geben Frauen aber kaum eine Chance zu zeigen, was sie können. Häufig denken Labels, mit zehn Prozent Frauenanteil ohnehin für ausreichend Diversität gesorgt haben. Langsam ändert sich aber das Bewusstsein in der Branche. Ich hoffe, dass immer mehr Frauen die Chancen bekommen, sich zu beweisen.

Musstet Ihr Euch anfänglich auch beweisen?

S. L.: Der Moment, ab dem wir als Designerinnen ernstgenommen wurden, war, als wir den Auftrag für einen stapelbaren Sessel erhalten hatten. Das war in dieser Firma damals die Königsdisziplin. Als Frau erhielt man früher für gewöhnlich nur Aufträge für Accessoires. Von dort aus musste man sich hocharbeiten. Erst wenn man oben war, durfte man einen stapelbaren Sessel designen. Oder eben wenn man ein Mann war (lacht).

„Als Frau erhielt man früher nur Aufträge für Accessoires.“

Ihr arbeitet seit mehr als 16 Jahren zusammen. Ihr teilt Euch ein Büro, verbringt viel Zeit miteinander. Gibt es Spleens der anderen, die nerven?

S. L.: Es nervt manchmal, dass wir uns so viel zu sagen haben (lacht)Wir teilen uns erst seit Kurzem wieder ein Büro, da ich vorher ein paar Jahre in London gelebt hatte. Das ist super, aber leider tratschen wir zu viel. 

A. L.: Ich glaube, wir sind mittlerweile schon zu lange miteinander verheiratet, da fallen einem die meisten Spleens gar nicht mehr so auf. Vermutlich haben wir beide aber mittlerweile gemeinsam Angewohnheiten, die andere nerven.

S. L.: So etwas wie im Gleichschritt gehen ...

A. L.: ... oder gegenseitig unsere Sätze zu beenden.

Wenn Ihr eine einzige Sache in der Designbranche verändern könntet, was wäre das?

S. L.: Unternehmen hauen jedes Jahr so eine Masse an Projekten raus. Ich würde mir manchmal mehr Tiefe und Langsamkeit wünschen und dass sich nicht alle so sehr diesem ständigen Wettbewerbsdruck beugen. Dann würden nämlich bestimmt interessantere Produkte mit längerer Lebensdauer entstehen.

Was war das bisher schönste Lob für Eure Arbeiten?

A. L.: Das kam von der Grand Lady of Swedish Design herself – Rebecka Tarschys. Sie sagte so etwas wie: „Wenn ich Euer Design bestaune, regt mich das dazu an, die Objekte in meinem Zuhause mit anderen Augen zu betrachten.“ Das ist ein fantastisches Kompliment! 

Wir danken für das Gespräch.

Designer des Monats: Daniel Liktor von neubau eyewear

Text: Lena Stefflitsch

Wie designt man eine Brille, die in möglichst viele Gesichter passt? Indem man „in die Gesichter schaut“, so die Devise von Daniel Liktor, gebürtiger Stuttgarter und Global Brand Director des österreichischen Labels neubau eyewear, das seine nachhaltigen Brillen in Österreich designt und herstellt.

Die Designer des Monats: Barber & Osgerby

Text: Lena Stefflitsch

Wie werden wir in einer technologisch geprägten Welt in Zukunft arbeiten? Was ist gutes Design? Warum landet man als Designer der olympischen Fackel nicht unbedingt auf dem Stockerl? Wir trafen den Stardesigner Edward Barber in Wien, der von Vitra eingeladen wurde, und bekamen eine Nachhilfestunde in britischer Hofetikette gratis dazu. 

Die Fotografen des Monats: Cortis & Sonderegger

Text: Viktoria Kirner

Das World Trade Center in Flammen, der Fußabdruck des ersten Menschen auf dem Mond oder das vom Himmel stürzende Luftschiff „Hindenburg“. Weltberühmte Bilder, die sich in unser kollektives Gedächtnis eingebrannt haben, rekonstruiert im Studio der bekannten Schweizer Fotografen Jojakim Cortis und Adrian Sonderegger. Mit ihren Miniatur-Dioramen fertigen die Fotokünstler täuschend echt aussehende Nachbildungen von Ikonen der Fotografiegeschichte an. Ein Gespräch über Illusion und Fake News.