Seit zwanzig Jahren performt sie praktisch ununterbrochen. Regina José Galindos Kunst ist nichts für schwache Nerven, denn die guatemaltekische Künstlerin und Dichterin setzt ihre Ideen mit extremsten Mitteln um. International bekannt wurde sie 2003. In einer aufsehenerregenden Performance tauchte sie ihre Füße in Menschenblut und schritt damit durch Guatemala City – als politischer Protest. Wir haben sie im in Guatemala erreicht.
Eine Szenerie, die an Stephen King’s Gruselklassiker „Carrie“ erinnert: Bei der Performance „La Sangre del Cerdo“, die 2017 in Chicago stattgefunden hat, stand Galindo bewegungslos unter einem Eimer Schweineblut. Daran zu ziehen und ihn über sie zu kippen, überließ sie dem Publikum. VALIE EXPORT lässt grüßen.
Lara Ritter: Bei der Performance „La Sangre del Cerdo“ bist Du nackt unter einem Eimer Blut gestanden, an dem ein Seil befestigt war. Wie lange hat es gedauert, bis jemand daran gezogen hat?
Regina José Galindo: Das Publikum hat sich Zeit gelassen. Der Raum, in dem die Performance stattgefunden hat, war klein. Ich schätze, die Zuschauerinnen haben gespürt, dass durch das Ziehen am Seil jede befleckt werden könnte. Und so war es dann auch, das Blut hat alle vollgespritzt.
Bei Deinen Performances gibst Du oft die Kontrolle an das Publikum ab. Wo in Deinem Alltag erlebst Du Kontrollverlust?
In einem korrupten Land wie Guatemala hat man jeden Tag das Gefühl, die Kontrolle über sein eigenes Leben zu verlieren.
„Meinen Körper zu benutzen ist meine Art, mir selbst die Hände schmutzig zu machen.“
„No perdemos nada con nacer“, übersetzt: „Wir verlieren nichts, wenn wir geboren werden“, heißt die Performance, bei der die Künstlerin in einem Plastiksack auf einer mexikanischen Müllhalde lag. Eine Erklärung zu dieser Performance gab sie nicht ab, sondern räumte den Zuschauerinnen ein, dieser eine eigene Bedeutung zuzumessen.
Welches ist Dein liebstes Publikum?
Bei meinen Performances möchte ich, dass die Öffentlichkeit, wann immer es möglich ist, aktiv teilnehmen kann. Einige Ideen erfordern natürlich keine Beteiligung der Öffentlichkeit, aber wenn sie es tut, bevorzuge ich aktives, denkendes, bewusstes Publikum.
„Ich habe VALIE EXPORT und andere Wiener Künstlerinnen schon sehr früh getroffen.“
Die junge Regina und die junge VALIE EXPORT: Beide gehören zu den international erfolgreichsten Künstlerinnen ihrer Heimatländer. 2005 wurde Galindo bei der Biennale in Venedig der Goldene Löwe als beste junge Künstlerin verliehen, unter anderem für die Arbeit „Himenoplastia“, bei der sie mittels einer Operation ihr Jungfernhäutchen wiederherstellen ließ.
In Deiner Kunst setzt Du oft Deinen Körper ein: Du bist ausgepeitscht worden, hast Dich geritzt und Dir Valium gespritzt. Was geben Dir Deine Performances zurück?
Ich habe in zwanzig Jahren mehr als hundert Projekte durchgeführt, und mein Körper war nicht immer, aber oft Gegenstand meiner Aktionen. Ich benutze meinen Körper nicht zum Selbstzweck oder aus Gründen der Effekthascherei, sondern lasse diese „Drecksarbeit“ nur zu, wenn es die Idee auch wirklich erfordert. Meinen Körper zu benutzen ist meine Art zu zeigen, dass ich mir nicht zu schade bin, für eine wichtige Ausage, die ich treffen will, mir durchaus auch selbst die „Hände schmutzig zu machen“. Was mir meine Arbeit zurückgibt? Ich kann von meiner künstlerischen Arbeit leben. Das allein ist schon großartig!
Finde ich auch! Bei Deiner ersten Performance warst Du 25 Jahre alt. Was hast Du davor gemacht?
Bevor ich Künstlerin geworden bin, war ich Dichterin.
„Auf der einen Seite die Eroberung, der Krieg, die von der Politik verbrannte Erde, die Ausbeutung derselben, die Erniedrigten. Auf der anderen Seite der Eroberer, derjenige, der befiehlt, der Mann der Alten Welt, derjenige, der seine Hand erhebt und das Gold behält.“ So beschreibt Regina José Galindo ihre Performance „Looting“, die sie 2010 in Deutschland zeigt und den Kolonialismus thematisiert.
Welche Deiner Performances hat Dich am meisten mitgenommen?
Für eine Performance habe ich ein Jahr lang mit einem Zahnarzt in Guatemala zusammengearbeitet, der meine acht Backenzähne durchbohrt hat, um darin dauerhafte Füllungen aus reinem guatemaltekischem Gold zu platzieren. Ein Jahr später bin ich dann nach Berlin gereist und habe im Rahmen einer Aufführung bei einem deutschen Zahnarzt die Goldfüllungen mit einem Bohrer aus meinen Zähnen entfernen lassen. Das Gold wurde im Haus der Kulturen der Welt ausgestellt. Ich bin mit leerem Mund nach Guatemala zurückgekehrt. Nach dieser Vorstellung musste ich mich einer weiteren Behandlung beim Zahnarzt unterziehen, um meine Backenzähne wieder aufzubauen. Das war sehr anstrengend.
Das ist wirklich sehr extrem! Kennst Du Wiener Künstlerinnen wie VALIE EXPORT?
Oh ja, natürlich. Ich habe VALIE EXPORT und andere Wiener Künstlerinnen schon sehr früh getroffen. Meine Arbeiten haben aber immer mehr auf lateinamerikanische Künstlerinnen, wie zum Beispiel Ana Mendieta, Bezug genommen.
Gewalt gegen Frauen ist ein zentrales Thema Deiner Kunst. Wie ist Dein Leben als Frau in Guatemala?
Ich wohne in einer kleinen Stadt abseits der stressigen Großstadt Guatemala City, in der Nähe von einem der zahlreichen Vulkane unseres Landes, umgeben von Grün. Mein Leben hier ist wunderschön, ich lebe in einem kleinen Paradies. Aber Guatemala ist ein sehr hartes Land. Durchschnittlich werden täglich vier Frauen als vermisst gemeldet – sowie fünfzehn und mehr Vergewaltigungen. Guatemala ist eines der gewalttätigsten Länder der Welt, in dem eine große soziale Ungleichheit herrscht, das Rechtssystem völlig versagt und die meisten Verbrechen schlicht unbestraft bleiben. In diesem Land zu leben, besonders wenn man wie ich eine Tochter hat, ist nicht einfach, zuweilen sogar sehr schwer, mit der Angst im Alltag umzugehen.
„Die Geschichte der Schwachen, der Gefallenen, der Vergessenen: Ihre Geschichte ist die Wahrheit.“
Mit der Arbeit „Presencia“ macht Regina José Galindo 2017 auf die Gewalt gegen Frauen in Guatemala aufmerksam, indem sie die Kleider von 13 ermordeten Frauen trägt. „Ich will nicht in ihren Schuhen stecken“, so die Künstlerin „sondern in ihren Kleidern.“
Was ist Wahrheit für Dich?
Die Geschichte der Schwachen, der Gefallenen, der Vergessenen: Ihre Geschichte ist die Wahrheit.
Für die Arbeit „Presencia“ hast Du an 13 Tagen die Kleider von 13 ermordeten Frauen für jeweils zwei Stunden getragen. In diesen zwei Stunden bist Du einfach still dagestanden. Wie haben die Leute reagiert?
Das war ein hartes Projekt und emotional sehr schwer. Jedes Kleid bedeutete eine andere Erfahrung für mich. Manche Familien der Ermordeten sind zur Vorstellung gekommen, das waren die schwierigsten Tage. Sie haben in mir ihr verlorenes Familienmitglied gesehen, mit mir gesprochen, mich umarmt und geküsst. Die Tochter einer ermordeten Frau, die Patricia geheißen hatte, kam während der Performance und sprach zu mir, als wäre ich ihre Mutter, und ich antworte, als wäre ich Patricia. Ich bat sie, die Trauer hinter sich zu lassen und ein glückliches Leben zu führen. Für dieses Projekt habe ich mit einer alten Frau vom Volk der Maya zusammengearbeitet, die jeden Tag ein rituelles Feuer entfachte. Diese Geste war von unschätzbarem Wert, denn sie gab mir die nötige Kraft.
Deine Performances in anderen Ländern greifen meist die dortige politische Lage auf. Du warst auch schon in Wien – hast Du Dich für diesen Besuch mit der österreichischen Politik beschäftigt?
Ja, in gewisser Weise war ich daran interessiert, in die Vergangenheit des Landes zu schauen. Ich versuche, bei meiner Arbeit Geschichte zu verstehen und sie „aufzuklären“, um eben auch die Gegenwart zu verstehen.
„Ich bin vor allem Mutter.“
Galindo hat unter anderem im Museum of Modern Art (MoMA) und im Guggenheim Museum in New York performt.
International berühmt geworden bist durch die Performance „¿Quién puede borrar las huellas?“, bei der Du barfuß vom Constitutional Court zum National Palace of Guatemala gegangen bist. Deine Füße hast Du dabei in Menschenblut eingetaucht, um gegen die Präsidentschaftskandidatur des Menschenrechtsverbrechers Efraín Ríos Montt zu protestieren. Was hast Du Dir von dieser Aktion erwartet?
Ich wollte die Straßen markieren, deren Präsident Montt werden wollte. Die Blutmale sollten ihn an all die Morde erinnern, die er begangen oder in Auftrag gegeben hatte. Ich wollte seine politische Karriere damit verhindern und auch meine Wut besänftigen.
Wenn Du morgens aufstehst, ab wann bist Du „Performerin“? Wer bist Du, wenn Du nicht performst?
Regina José Galindo, 1974 geboren, ist bildende Künstlerin und Dichterin, deren Hauptmedium die Performance ist. Während ihrer über zwanzigjährigen Tätigkeit als Künstlerin hat sie bereits an Biennalen in Athen, Ljubljana, Shanghai, Sydney, Moskau und Prag teilgenommen. Galindo lebt und arbeitet in Guatemala und nutzt diesen Kontext als Ausgangspunkt, um die Auswirkungen von sozialer Gewalt und Ungerechtigkeit im Zusammenhang mit geschlechterspezifischer und rassischer Diskriminierung zu erforschen und anzuklagen. Auf der 51. Biennale in Venedig (2005) erhielt Galindo den Goldenen Löwen als beste junge Künstlerin für ihre Arbeiten „¿Quién puede borrar las huellas?“ und „Himenoplastia“. Beide Arbeiten kritisieren guatemaltekische Gewalt und fordern die Wiederherstellung des Gedächtnisses und der Menschlichkeit der Opfer.