Die Extremkünstlerin

Blut und Spiele

Seit zwanzig Jahren performt sie praktisch ununterbrochen. Regina José Galindos Kunst ist nichts für schwache Nerven, denn die guatemaltekische Künstlerin und Dichterin setzt ihre Ideen mit extremsten Mitteln um. International bekannt wurde sie 2003. In einer aufsehenerregenden Performance tauchte sie ihre Füße in Menschenblut und schritt damit durch Guatemala City – als politischer Protest. Wir haben sie im in Guatemala erreicht. 

„Als Guatemaltekin weißt du, dass du über viele Dinge keine Kontrolle hast.“

Lara Ritter: Bei der Performance „La Sangre del Cerdo“ bist Du nackt unter einem Eimer Blut gestanden, an dem ein Seil befestigt war. Wie lange hat es gedauert, bis jemand daran gezogen hat?

Regina José Galindo: Das Publikum hat sich Zeit gelassen. Der Raum, in dem die Performance stattgefunden hat, war klein. Ich schätze, die Zuschauerinnen haben gespürt, dass durch das Ziehen am Seil jede befleckt werden könnte. Und so war es dann auch, das Blut hat alle vollgespritzt.

Bei Deinen Performances gibst Du oft die Kontrolle an das Publikum ab. Wo in Deinem Alltag erlebst Du Kontrollverlust?

In einem korrupten Land wie Guatemala hat man jeden Tag das Gefühl, die Kontrolle über sein eigenes Leben zu verlieren. 

„Meinen Körper zu benutzen ist meine Art, mir selbst die Hände schmutzig zu machen.“

Welches ist Dein liebstes Publikum?

Bei meinen Performances möchte ich, dass die Öffentlichkeit, wann immer es möglich ist, aktiv teilnehmen kann. Einige Ideen erfordern natürlich keine Beteiligung der Öffentlichkeit, aber wenn sie es tut, bevorzuge ich aktives, denkendes, bewusstes Publikum. 

„Ich habe VALIE EXPORT und andere Wiener Künstlerinnen schon sehr früh getroffen.“

In Deiner Kunst setzt Du oft Deinen Körper ein: Du bist ausgepeitscht worden, hast Dich geritzt und Dir Valium gespritzt. Was geben Dir Deine Performances zurück?

Ich habe in zwanzig Jahren mehr als hundert Projekte durchgeführt, und mein Körper war nicht immer, aber oft Gegenstand meiner Aktionen. Ich benutze meinen Körper nicht zum Selbstzweck oder aus Gründen der Effekthascherei, sondern lasse diese „Drecksarbeit“ nur zu, wenn es die Idee auch wirklich erfordert. Meinen Körper zu benutzen ist meine Art zu zeigen, dass ich mir nicht zu schade bin, für eine wichtige Ausage, die ich treffen will, mir durchaus auch selbst die „Hände schmutzig zu machen“. Was mir meine Arbeit zurückgibt? Ich kann von meiner künstlerischen Arbeit leben. Das allein ist schon großartig!

Finde ich auch! Bei Deiner ersten Performance warst Du 25 Jahre alt. Was hast Du davor gemacht?

Bevor ich Künstlerin geworden bin, war ich Dichterin.

Welche Deiner Performances hat Dich am meisten mitgenommen?

Für eine Performance habe ich ein Jahr lang mit einem Zahnarzt in Guatemala zusammengearbeitet, der meine acht Backenzähne durchbohrt hat, um darin dauerhafte Füllungen aus reinem guatemaltekischem Gold zu platzieren. Ein Jahr später bin ich dann nach Berlin gereist und habe im Rahmen einer Aufführung bei einem deutschen Zahnarzt die Goldfüllungen mit einem Bohrer aus meinen Zähnen entfernen lassen. Das Gold wurde im Haus der Kulturen der Welt ausgestellt. Ich bin mit leerem Mund nach Guatemala zurückgekehrt. Nach dieser Vorstellung musste ich mich einer weiteren Behandlung beim Zahnarzt unterziehen, um meine Backenzähne wieder aufzubauen. Das war sehr anstrengend.

Das ist wirklich sehr extrem! Kennst Du Wiener Künstlerinnen wie VALIE EXPORT?

Oh ja, natürlich. Ich habe VALIE EXPORT und andere Wiener Künstlerinnen schon sehr früh getroffen. Meine Arbeiten haben aber immer mehr auf lateinamerikanische Künstlerinnen, wie zum Beispiel Ana Mendieta, Bezug genommen.

Gewalt gegen Frauen ist ein zentrales Thema Deiner Kunst. Wie ist Dein Leben als Frau in Guatemala?

Ich wohne in einer kleinen Stadt abseits der stressigen Großstadt Guatemala City, in der Nähe von einem der zahlreichen Vulkane unseres Landes, umgeben von Grün. Mein Leben hier ist wunderschön, ich lebe in einem kleinen Paradies. Aber Guatemala ist ein sehr hartes Land. Durchschnittlich werden täglich vier Frauen als vermisst gemeldet – sowie fünfzehn und mehr Vergewaltigungen. Guatemala ist eines der gewalttätigsten Länder der Welt, in dem eine große soziale Ungleichheit herrscht, das Rechtssystem völlig versagt und die meisten Verbrechen schlicht unbestraft bleiben. In diesem Land zu leben, besonders wenn man wie ich eine Tochter hat, ist nicht einfach, zuweilen sogar sehr schwer, mit der Angst im Alltag umzugehen. 

„Die Geschichte der Schwachen, der Gefallenen, der Vergessenen: Ihre Geschichte ist die Wahrheit.“

Was ist Wahrheit für Dich?

Die Geschichte der Schwachen, der Gefallenen, der Vergessenen: Ihre Geschichte ist die Wahrheit.

Für die Arbeit „Presencia“ hast Du an 13 Tagen die Kleider von 13 ermordeten Frauen für jeweils zwei Stunden getragen. In diesen zwei Stunden bist Du einfach still dagestanden. Wie haben die Leute reagiert?

Das war ein hartes Projekt und emotional sehr schwer. Jedes Kleid bedeutete eine andere Erfahrung für mich. Manche Familien der Ermordeten sind zur Vorstellung gekommen, das waren die schwierigsten Tage. Sie haben in mir ihr verlorenes Familienmitglied gesehen, mit mir gesprochen, mich umarmt und geküsst. Die Tochter einer ermordeten Frau, die Patricia geheißen hatte, kam während der Performance und sprach zu mir, als wäre ich ihre Mutter, und ich antworte, als wäre ich Patricia. Ich bat sie, die Trauer hinter sich zu lassen und ein glückliches Leben zu führen. Für dieses Projekt habe ich mit einer alten Frau vom Volk der Maya zusammengearbeitet, die jeden Tag ein rituelles Feuer entfachte. Diese Geste war von unschätzbarem Wert, denn sie gab mir die nötige Kraft.

Deine Performances in anderen Ländern greifen meist die dortige politische Lage auf. Du warst auch schon in Wien – hast Du Dich für diesen Besuch mit der österreichischen Politik beschäftigt?

Ja, in gewisser Weise war ich daran interessiert, in die Vergangenheit des Landes zu schauen. Ich versuche, bei meiner Arbeit Geschichte zu verstehen und sie „aufzuklären“, um eben auch die Gegenwart zu verstehen.

„Ich bin vor allem Mutter.“

International berühmt geworden bist durch die Performance „¿Quién puede borrar las huellas?“, bei der Du barfuß vom Constitutional Court zum National Palace of Guatemala gegangen bist. Deine Füße hast Du dabei in Menschenblut eingetaucht, um gegen die Präsidentschaftskandidatur des Menschenrechtsverbrechers Efraín Ríos Montt zu protestieren. Was hast Du Dir von dieser Aktion erwartet?

Ich wollte die Straßen markieren, deren Präsident Montt werden wollte. Die Blutmale sollten ihn an all die Morde erinnern, die er begangen oder in Auftrag gegeben hatte. Ich wollte seine politische Karriere damit verhindern und auch meine Wut besänftigen.

Wenn Du morgens aufstehst, ab wann bist Du „Performerin“? Wer bist Du, wenn Du nicht performst?

Ich bin vor allem Mutter (lacht).

Danke für das Interview!

Regina José Galindo, 1974 geboren,  ist bildende Künstlerin und Dichterin, deren Hauptmedium die Performance ist. Während ihrer über zwanzigjährigen Tätigkeit als Künstlerin hat sie bereits an Biennalen in Athen, Ljubljana, Shanghai, Sydney, Moskau und Prag teilgenommen. Galindo lebt und arbeitet in Guatemala und nutzt diesen Kontext als Ausgangspunkt, um die Auswirkungen von sozialer Gewalt und Ungerechtigkeit im Zusammenhang mit geschlechterspezifischer und rassischer Diskriminierung zu erforschen und anzuklagen. Auf der 51. Biennale in Venedig (2005) erhielt Galindo den Goldenen Löwen als beste junge Künstlerin für ihre Arbeiten „¿Quién puede borrar las huellas?“ und „Himenoplastia“. Beide Arbeiten kritisieren guatemaltekische Gewalt und fordern die Wiederherstellung des Gedächtnisses und der Menschlichkeit der Opfer. 

Die Muskelfrau

Text: Lara Ritter, Fotos: Rafaela Pröll

Fitnesstrainerin Lara Tasharofi war nach eigener Aussage einst „die unsportlichste Person im Fitnessstudio“. Heute gehört die 31-jährige Wienerin zu den muskulösesten Frauen und den besten Bodybuilderinnen Österreichs. Mit ihrem extremen Körper stößt sie nicht immer nur auf Bewunderung. Wir sprachen mit ihr über Weiblichkeit, Anabolika und die existenzielle Frage, ob sie sich noch am Hinterkopf kratzen kann.

Die Lauschende

Text: Lara Ritter

Liebeslieder, Elfen und die EU: Unsere zwölf Stunden lange Zugfahrt nach Brüssel hat sich gelohnt! Dort haben wir die Performance Again the Sunset der jungen isländischen Künstlerin Inga Huld Hàkonardòttir miterlebt, in der es um Intimität, Liebe und die Wiederholung des ewig Gleichen geht. Am 7. März wird sie mit dem zauberhaften Stück das Festival imagetanz eröffnen, das heuer zum 31. Mal von brut Wien veranstaltet wird (bis 28. März). Wir trafen sie in ihrer Wohnung zum Interview und sprachen über ihre bekannte Großmutter, den isländischen Hang zur Mystik und die Reaktionen ihres Publikums.

Die Performerin Inga Huld Hàkonardòttir

Der Wrestler

Text: R. Radl & M. Nitsche Fotos: M. Nitsche & Lena Bischoffshausen

Wrestler

Wir betreten den stickigen und fensterlosen Trainingskeller der Wrestling School Austria im 2. Wiener Bezirk. Auf uns wartet – tätowiert, muskulös und freundlich – Gerhard H. aka Humungus. Er ist Profi-Wrestler und Showkämpfer. Sein Name kommt vom Mungo. Das ist dieses Tier, das wie eine Ratte aussieht und Kobras frisst. Das obligatorische Händeschütteln lehnt er ab, mit der Begründung, dass er das nie mache.