Die OFF-Fotografen

Von der Dunkelkammer ans Tageslicht

Die österreichischen Fotografen Paul Pibernig und Sebastian Gansrigler finden sich gegenseitig schon länger gut. Gemeinsam veranstalten sie das Fotografie-Festival OFF GRID, das von 8. bis 12. September an ausgewählten Ausstellungsorten in ganz Wien stattfindet und die Arbeiten 18 junger Fotokünstlerinnen zeigt. Wir haben mit den Kuratoren über das Revival der Dunkelkammer, den Schrecken schlechter Selfies und die ewige Frage nach dem einen guten Foto gesprochen.

Text: Stefanie Schermann; Fotos: Anja Kundrat

„Starker künstlerischer Ansatz.“

Stefanie Schermann: Schon mal ein Shooting versemmelt?

Paul Pibernig: Ja! Ich sollte mal ein Kunstwerk abfotografieren. Dass das Bild verkehrt herum an der Wand hing, bemerkte ich leider zu spät. Erst im Nachhinein fiel mir das auf, ich bin dann eiligst zurück, um mein Malheur zu beheben.

Zeigt Ihr mir Euer letztes Selfie?

PP: Ich habe keines am Handy.

Sebastian Gansrigler: Ich auch nicht. Das letzte Foto, das fast wie ein Selfie wirkt, hat meine Freundin 2018 von mir geschossen, bevor sie mir die Haare kurz geschnitten hat – also ich mit langer Mähne vor zwei Jahren, aber es war kein Selfie, sorry!

Lackmustest bestanden! Euer Festival heißt OFF GRID, dort stellen Fotografinnen aus der Off-Szene aus. Wann ist man „off“ oder „off the Grid“? Was ja so viel heißt wie „unter dem Radar“.

SG: Damit sind Künstlerinnen gemeint, die noch nicht im Mainstream angekommen sind. Die in kleinen, unbekannteren Galerien ausstellen, von keiner großen Fotoagentur vertreten werden und noch keine große Reichweite haben. Wir wären gerne internationaler, aber das ist, wenn überhaupt, erst im Budget fürs kommende Jahr drin.

PP: Wichtig ist, dass diese Fotografinnen einen starken künstlerischen Ansatz haben, und dass es sich nicht um kommerzielle Arbeiten handelt. Wir haben bewusst sehr unterschiedliche Arbeiten und Stile ausgewählt, um die Vielfalt der Off-Szene abzubilden.

„Ich finde alle Trends nervig.“

Gibt es einen aktuellen Trend in der Fotografie, der Euch nervt?

SG: Ich finde alle Trends nervig (lacht). Auf Social Media ist etwas oft nur eine Woche lang trendy. Die Frage ist, was ist überhaupt ein Trend? Es gibt Trends, die sich über hundert Jahre halten, andere nur zwei Monate lang.

PP: Ich finde es aus Prinzip dumm, einen Trend mitzumachen. Interessanter finde ich derzeit allerdings diese Renderings, also computergenerierte Fotografie. Multimediale Bilder, bei denen man nicht mehr sicher sagen kann, wo das Foto anfängt oder aufhört – die Mediengrenzen verschwimmen. Das finden wir beide spannend.

Eine oft gestellte Frage, aber da wir es schon ansprechen: analog oder digital?

SG: Beides hat seine Vorteile. Beruflich sind wir alle dazu gezwungen, digital zu arbeiten – aus Kosten- und Zeitgründen. Für freie Projekte und hobbymäßig ist aber analoge Fotografie interessanter, weil sie sich langlebiger anfühlt und nicht so schnell verschwindet wie eine Website. Ein analoges Magazin kann alle Sinne bespielen: Man kann es berühren, riechen, etwas damit machen. Digitales kann man nur sehen.

„Alle sind scharf drauf, in der Dunkelkammer zu arbeiten.“

Arbeitet Ihr auch in der Dunkelkammer? Lernt man heute als Fotografin noch die Fotoentwicklung?

PP: ... lernt man wieder. Vor Kurzem hat Friedl Kubelka in einem Interview mit dem „STANDARD“ gesagt, dass die Jungen alle scharf drauf sind, in der Dunkelkammer zu arbeiten.

Und, seid Ihr tatsächlich scharf drauf?

PP: Ja, schon immer! Ich entwickle sehr gerne selbst, vor allem schwarz-weiß. Teilweise arbeite ich für Aufträge auch analog, zum Beispiel für die Diagonale. Das muss dann schnell gehen – aber das kann es auch: Du gibst den Film im Fotostudio ab und hast die Fotos gleich am nächsten Tag.

Analoge Bilder auf Instagram posten – ist das ein Widerspruch?

PP: Ich poste eigentlich nur persönliche Arbeiten, die sind fast immer analog. Ich empfinde das nicht als paradox, weil das Analoge trotzdem durchscheint. Der Stil ist ersichtlich und präsent. Instagram ist aufgrund der geringen Auflösung natürlich trotzdem recht mühsam.

Wie geht es denn den Fotografinnen derzeit mit Corona?

PP: Manche können besser mit Corona umgehen als andere. Elodie Grethen, die auch bei uns ausstellt, ist jetzt für drei Monate nach Paris gegangen. Am Zaun des Wien Museums waren Porträts von ihr ausgestellt, sie ist also trotz Corona präsent. Mir ist auch aufgefallen, dass die Leute gerade vermehrt Kunstwerke kaufen. Vielleicht, weil sie jetzt Zeit haben, sich damit zu beschäftigen, oder sich denken: „Ich könnte zuhause noch was aufhängen.“

„Fehler können schön sein.“

Was ist Eure größte Angst beim Fotografieren?

SG: Horror ist immer, wenn technische Probleme auftreten. Fehler können aber auch schön sein, wenn Dinge auf dem Bild entstehen, die so nicht geplant waren. Ein Beispiel: Die Kamera ist nicht richtig verschlossen und irgendwo fällt Licht rein. Diese typischen Bildfehler haben etwas Besonderes – wenn trotzdem ein brauchbares Foto entsteht

Mit welchem Equipment arbeitet Ihr gerade am liebsten?

PP: Ich habe dieses Jahr eine alte Mittelformatkamera, die Pentax 67, wieder ausgepackt. Die ist wirklich schwer, ich muss mich jedes Mal überwinden, sie mitzunehmen, habe sie aber sehr lieb gewonnen. Die beherrscht einen richtig, wenn man sie dabei hat.

SG: Ich benutze gerade eine Mamiya 645, mit der mein Papa früher fotografiert hat, und die auch ich wahnsinnig gerne verwende. Ich wechsle aber eigentlich lieber ab und versuche, verschiedene Kameras und verschiedene Formate durchzuprobieren.

„Ein Foto kann so schlecht sein, dass es schon wieder cool ist.“

Was macht für Euch ein gutes Foto aus?

PP: Mich muss etwas besonders ansprechen. Das können ganz verschiedene Dinge sein: kleine Details im Bild, der Bildausschnitt, die Farbe. Letztere beeinflusst zum Beispiel sehr stark die Stimmung eines Fotos.

SG: Nichts ist gut oder schlecht, das ist subjektiv. In unserer Blase mit unseren Künstlerfreundinnen finden wir alles gut, weil es in eine ähnliche Richtung geht. Wenn wir uns davon weit entfernen, zum Beispiel auf einer Mainstream-Fotomesse, finden wir das wahrscheinlich eher schlecht.

PP: Oder man kann sich total davon inspirieren lassen ...

SG: Stimmt, es kann auch so schlecht sein, dass es eigentlich schon wieder cool ist. Es gibt „unabsichtlich trashig“ und „absichtlich trashig“.

Es werden Millionen Bilder täglich im Internet gepostet. Kann man als Fotografin überhaupt noch etwas fotografieren, das es in der Form noch nicht gibt?

PP: Als Organisatoren, die viel mit Fotografie zu tun haben, finden wir immer wieder etwas Interessantes und für uns Neues. Als Künstlerin steht man sowieso immer auf den Schultern von jemand anderem.

SG: Neue Werke sind immer eine Abwandlung von älteren. Als Festivalkuratoren suchen wir etwas, das nicht schon tausendmal durchgekaut wurde.

Könnt Ihr Euch noch an das erste Foto erinnern, das Ihr selbst fotografiert habt?

PP: Ich habe im Kindergarten mal meine Kameradinnen fotografiert, aber das war völliger Blödsinn. Da waren unten rechts die Köpfe, und links oben war der Apfelbaum.

SG: Das wäre ein interessantes Projekt: die ersten Bilder von berühmten Fotografinnen auszustellen.

Wenn Ihr schon keine Selfies habt: Von welcher berühmten Fotografin würdet Ihr gerne ein Porträt von Euch schießen lassen?

PP: Mir wäre es bei einem Porträt-Shooting, das ja was sehr Intimes ist, wichtig, dass mir die Fotografin sympathisch ist. Es sollte also eine Person sein, die ich ein bisschen kenne oder mit der ich im Laufe des Shootings eine gewisse Nähe aufbauen kann.

SG: Von keiner (lacht). Ich bleibe lieber hinter der Kamera.

Danke für das Gespräch!

Sebastian Gansrigler (* 1994) ist im Burgenland aufgewachsen und arbeitet als freier Fotograf und Webdesigner in Wien. Er hat Grafikdesign an der University of Arts in London studiert und ist diplomierter Berufsfotograf. Ihm ist die menschliche Perspektive beim Fotografieren wichtig und er findet, dass der Mensch hinter der Kamera auch mal im Vordergrund stehen darf. Deshalb gibt er halbjährlich das Fotografiemagazin Auslöser heraus, in dem es um Fotografinnen und ihre Geschichte(n) geht.
 

 
Paul Pibernig (* 1983) ist in der Weststeiermark groß geworden und arbeitet als Fotograf und Künstler in Wien. Er hat Theater-, Film- und Medienwissenschaften an der Universität Wien studiert. Er ist Teil der Künstlerkollektive You Have Your Family I HAVE MINE und ParisBerlin>fotogroup. Pibernig betreut auch das Projekt ONE THOUSAND AND MORE PICTURES (OTAMP), das eFotografinnen ermöglicht, hochwertige Prints ihrer Bilder anzubieten. 

Die Fotografin Rafaela Pröll

Text: Antje Mayer-Salvi

Rafaela Pröll gehört zu den bekanntesten Mode- und Porträtfotografinnen in Österreich. Wir trafen die gebürtige Bregenzerin zu einem Gespräch unter einem Waldviertler Apfelbaum. Während uns die reifen Früchte auf die Köpfe fielen, besprachen wir die Kunst des guten Porträts, warum man Licht hören kann und in welchen Momenten selbst ein Vollprofi wie sie ins Schwitzen kommt.

Das Softcover

Text: Elisa Promitzer

Ein Magazin über Pizza und nackte Männer, C/O Vienna Magazines und Books oder eine Zigarettenschachtel als Mini-Buch? All das und mehr findet man im SOFTCOVER dem ersten Wiener Spezialitätenladen für Foto- und Kunstbücher, Indie-Magazine und Zines. Fotograf und Grafikdesigner SEBASTIAN GANSRIGLER gründete im 6. Bezirk in Wien nicht nur ein Paradies für Print-Liebhaberinnen, sondern auch einen Ort für Workshops, Lesungen und Release-Partys. Wir sprachen inmitten von 500 Publikationen über die esoterische Buchhandlung seiner Mutter, den Geruch von Büchern, und warum PRINT NICHT TOT ist! Nerd-Alert! 

Porträt

Die Fotografinnen des Monats: Gorsad Kyiv

Text: Maja Goertz

Pink

Meerjungfrauen, rauchende Kinder, viel nackte Haut: Die Fotos des vor zwölf Jahren in Kiew gegründeten Fotografinnen-Trios Gorsad Kyiv mit Masha Romaniuk, Ulik Romaniuk und Vitya Vasyliev feiern die Freiheit, das Leben der Jugend und die Revolte. Wir haben Vitya in Wien getroffen, wohin er wegen des Krieges in seinem Heimatland Ukraine geflüchtet ist.