Die Fotografin Rafaela Pröll

Alles im Flow

Rafaela Pröll gehört zu den bekanntesten Mode- und Porträtfotografinnen in Österreich. Wir trafen die gebürtige Bregenzerin zu einem Gespräch unter einem Waldviertler Apfelbaum. Während uns die reifen Früchte auf die Köpfe fielen, besprachen wir die Kunst des guten Porträts, warum man Licht hören kann und in welchen Momenten selbst ein Vollprofi wie sie ins Schwitzen kommt.

„Ich bin eine Kamera auf zwei Beinen.“

Antje Mayer-Salvi: Endlich haben wir mal Zeit zum Reden. Du hast für unsere Printedition, die im kommenden Frühjahr erscheint, kürzlich ein wunderschönes Editorial fotografiert. Ich spoiler nicht! Nur so viel: Es geht um Verschwendung von Liebe, Zeit, Energie, Material, im guten wie im schlechten Sinne. Was ist als für Dich als Fotografin Hingabe?

Rafaela Pröll: Es ist so einfach und trotzdem war es eine Sternstunde, als ich begriff: Meine Hingabe ist die Zeit, die ich als Fotografin der Schönheit widme, der Schönheit des anderen, des Lichts, der Bewegung und Linien. Jede, die vor meine Kamera tritt, schenkt in gewisser Weise ihre Lebenszeit, für etwas, das nicht dem reinen Überleben dient, aber dennoch existenziell ist: die Kunst. Die Menschen könnten in der Zwischenzeit Rasen mähen, Essen kochen, einfach nur existieren. Alles, was über die reine Erhaltung deiner Existenz hinausgeht, ist im Grunde ja schon Verschwendung. Als Fotografin, ist „Verausgabung“ alles, was du für ein Foto tust. Für ein gutes Foto!

Das Porträtieren ist Dein Steckenpferd. Erkennst Du durch das Gespräch, wer der andere Mensch ist, oder siehst Du es durch Deine Linse?

Ich bin eine Kamera auf zwei Beinen, selbst wenn ich sie nicht in meinen Händen halte, sehe ich permanent ein Licht, auch jetzt gerade prüfe ich das Licht in deinem Gesicht. Ich kann nicht anders!

„Dann sage ich: Jetzt bleib!“

Die fotografische Analyse beginnt, wenn Du der Person das erste Mal begegnest?

Nein, schon vorher. Ich porträtiere sie ja, lichte sie nicht einfach nur ab. Der feine Unterschied. Gerade wenn es Leute sind, die in der Öffentlichkeit stehen, lese ich mich intensiv ein. In letzter Zeit hatte ich sehr viele Schauspielerinnen und Schauspieler vor der Linse: Tobias Moretti, Maria Happel, Erni Mangold, Karl Markovics, Samuel Finzi und Caroline Peters. Ich sehe mir vorher auch ihre Stücke und Filme an, um sie schon zu spüren und nicht zuletzt, um ein Gesprächsthema am Set zu haben. Ich habe beizeiten eine ganz kleine einjährige Schauspielausbildung absolviert, daher lege ich wohl so ein Faible für den Beruf an den Tag. Sogar auf der Bühne bin ich schon gestanden, habe auch bei einem Turrini-Stück mitgespielt. Die Bretter, die die Welt bedeuten, sind aber nicht mein Terrain, doch als Fotografin hilft es enorm, dass ich es kenne.

Wie schaffst Du es, dass sich die Menschen vor der Kamera öffnen, ihr Inneres nach außen stülpen?

Mein Geheimrezept sind echtes Interesse und Zuhören. Kürzlich habe ich Susie Wolff porträtiert, britische Rennfahrerin und Ehefrau des Österreichers Toto Wolff, auch Rennfahrer und Motorsportchef bei Mercedes. Vor dem Fototermin hatte ich genau recherchiert. Als sie ins Studio kam, erwähnte ich, dass ihre Eltern eine Boutique besaßen. Sie schätzte das sehr: „Ah, you did your research.“

„Wir rauchten, redeten, fünf Fotos, fertig.“

Gibt es eine Fotosession, die Dir in Erinnerung geblieben ist?

Die mit dem österreichischen Schriftsteller Robert Menasse anlässlich der Verleihung des Deutschen Buchpreises! Er sollte auf das Cover der „STANDARD“-Magazinbeilage „RONDO“. Wir rauchten, redeten, fünf Fotos, fertig. Ich war vorbereitet, er professionell. Es war alles im Flow.

Gibst Du Anweisungen, was die Menschen vor der Kamera tun und wie sie sich bewegen sollen?

Ich lasse sie zuerst ein bisschen machen, ich gebe ihnen wirklich viel Raum, dann sehe ich was und sage: Jetzt bleib!

Du hast mir erzählt, dass Du nie bei einer Fotografin assistiert hast?

Nie! War ich zu stur, zu künstlerisch, zu eigen? Ich weiß es nicht. Ich habe als junge Fotografin mal den österreichischen Fotografen Guenter Parth wegen einer Assistenz angesprochen. Der fotografierte damals für die „Männer Vogue„, den „Wiener“, „i-D Magazine„ und „Elle Italia“, war fett im Geschäft, viele wollten zu ihm. Er meinte zu mir: „Rufst mich halt an.“ Ich hatte ihm meine Visitenkarte hingelegt und gekontert: „Nein, ruf Du mich an!“ Dass wir heute befreundet sind, ist eigentlich ein Wunder, so gespielt arrogant wie ich damals war (lacht).

„Ich besitze zuweilen eine sehr dünne Haut.“

Was bringt Dich beim Fotografieren aus der Balance?

Ich verliere den Boden unter den Füßen, wenn mich jemand zwingt, etwas so zu fotografieren, wie ich es nicht möchte. Und ich kann sehr grantig werden, wenn ich hungrig bin. Es ist auch nicht gut, wenn es so kalt ist, dass die Akkus auszufallen drohen. Das mit den Akkus ist mir noch nie passiert, meine sind eingepackt wie rohe Eier. Ich bin ein Kontrollfreak!

Gab es ein Shooting, das total in die Hose gegangen ist?

Ja, ein einziges Mal. Da habe ich eine CEO vor der Kamera gehabt. Sie war hochgradig nervös und dann bekam sie auch noch einen Allergieschock wegen des Make-ups. Sie war vom Dekolleté bis zur Stirn puterrot. Da habe ich mich schuldig gefühlt, denn ich war überzeugt, dass es nicht das Make-up war, sondern der Stress, den ich ihr nicht habe nehmen können.

Ist da Deine Achillesferse? Kann Dich das als erfahrene Fotografin tatsächlich noch aus der Fassung bringen?

Ich befürchte, ich besitze eine sehr dünne Haut. Meine große Gabe sind meine feinen Antennen, aber sie sind auch eine große Falle. Beides kommt leider nicht selten Hand in Hand.

Warum ist Deine Sensitivität eine Falle?

Ich nehme am Set oft Dinge wahr, die mich irritieren. Das betrifft meistens nicht mal die Protagonistinnen vor meiner Kamera, sondern die anderen Personen, die sich am Set herumtreiben. Und wenn die dann ein bisschen querschießen, dann reagiere ich oft ruppig, weil ich in Gedanken schon das Foto mache. Das ist aber oft einfach Verzweiflung, dass ich den Menschen neben mir auch noch einen schönen Tag machen möchte, obwohl die jetzt vielleicht nicht zum Hauptakt der Inszenierung gehören. Dann vergesse ich manchmal, dass es eigentlich ums gute Bild geht. Ich vergegenwärtige mir dann immer einen Spruch von Helmut Newton, sinngemäß: „Gefühl? Ich weiß gar nicht was das ist!“

Kannst Du Dich an Deine ersten Fotos und Porträts erinnern?

Ich bin in Vorarlberg aufgewachsen und hatte schöne Cousinen. Die inszenierte und fotografierte ich schon damals so oft ich konnte. Es gibt Bilder, auf denen sie das alte Brautkleid meiner Mutter aus den Sechzigern tragen. Als ich im Lockdown mein Archiv durchforstet habe, fand ich auch alte Aufnahmen von Schuhen. Als diese Bilder entstanden sind, war ich 14 Jahre alt! Der Leidenschaft für Mode fröne ich – auch privat – bis heute (lacht). Fotografie und Inszenierung war offensichtlich schon als Teenager eine große Leidenschaft von mir.

„Ein Foto ist ein Foto, das sind Fotografien und keine Daten!“

Warst Du im Besitz einer guten Kamera?

Meine Mutter war Hausfrau, mein Vater war Psychotherapeut und Lehrer. Die hatten mit Fotografie und meiner Idee von Kunst nicht viel am Hut. Anfang der Achtzigerjahre schenkten mir meine Eltern eine schlichte Disc-Kamera. Die Filme bestanden aus einer kreisrunden Scheibe mit einer Kunststoffnabe, eingelegt in einen lichtdichten Umschlag aus Pappe mit einem Belichtungsfenster. Die Negative waren so groß wie ein Daumennagel. Der Abbildungsmaßstab war unerträglich schlecht. Technisches Know-how war nicht von Nöten. Kamera auf, Platte rein, Kamera zu, easy. Die Dinger haben sich allerdings auf dem Markt nicht durchgesetzt.

Wann wurde es professionell?

Von professionell war ich noch weit entfernt! Einen Schritt weiter kam ich mit 17 Jahren mit meiner ersten Pentax, eine Spiegelreflexkamera. Ein Traktor! Die war eckig, die hatte ein Wechselobjektiv. Es gab eine Anzeige für „zu hell“ und eine für „zu dunkel“. Das war’s. Autofokus? No!

Wie bist Du der Enge von Vorarlberg entkommen?

Meine Eltern waren sehr karitativ und sozial eingestellt. Mein Weg als Sozialarbeiterin oder Kindergärtnerin war praktisch vorgezeichnet. Was anderes war unvorstellbar für mich. Es gab wenige Prüfungen, die ich in meinem Leben nicht geschafft habe, eine davon ist die zur Aufnahme in die Kindergärtnerinnen-Schule. Was für ein Glück! Stattdessen bewarb ich mich an der Graphischen in Wien. Den Tag, an dem ich erfuhr, dass ich es geschafft hatte, werde ich nie vergessen. Ich war auf einem „The Cure“-Konzert in Innsbruck und heulte von der ersten bis letzten Nummer durch. So glücklich war ich! Ab da änderte sich alles.

„Ich bin nächtelang rauchend und radiohörend in der Dunkelkammer gestanden.“

Gibt es noch Herausforderungen für Dich als Fotografin?

Durchaus! Als ich kürzlich meine alte Hasselblad auspackte, fühlte ich mich ziemlich herausgefordert. Die Handgriffe konnte ich früher im Schlaf. Beim Einlegen des Films kam ich tatsächlich ins Nachdenken, obwohl ich zwanzig Jahre lang mit dem guten Ding gearbeitet hatte.

Ist alles gut gegangen?

Gott sei Dank! Die Fotos sind top geworden. Ich fand nämlich noch alte Hasselblad-Polaroid-Filme in meiner Tasche, die heute nicht mehr produziert werden. Das waren sozusagen die letzten fünf Polaroids meiner Karriere. Die wurden im österreichischen Magazin „Diva“ veröffentlicht. Ich bin der Redaktion sehr dankbar dafür, weil ein Polaroid nie perfekt planbar ist. Das wird nie ein sleekes Bild. Du ziehst die Entwicklerfolie ab und weißt nie, wie es wird. Das Polaroid muss dann am richtigen Ort liegen, nicht zu dunkel und nicht zu hell. Das ist ein chemischer Prozess, der mit der Umwelt interagiert. Das erste Polaroid ist wahrscheinlich oben gelegen und hatte deshalb Fehler, es wurde aber trotzdem gedruckt.

Heute fotografierst Du vor allem digital?

Muss ich! Es ist sonst für die Kundinnen kaum finanziell darstellbar. Die Filme und die Entwicklung kosten das Doppelte im Vergleich zu früher. Aber ich habe wieder Blut geleckt. Die analoge Fotografie hat schon etwas Nachhaltiges, nicht zuletzt, weil sie schwer reproduzierbar ist und sie nicht jede Fotografin wirklich gut beherrscht. Ich bin früher nächtelang rauchend und radiohörend in der Dunkelkammer gestanden. Das war Meditation für mich. Ich sage bis heute nie: „Ich schicke euch die Daten“, sondern „Ich schicke euch die Fotos“. Ein Foto ist ein Foto, das ist Fotografie und sind doch keine Daten!

„Ich höre das Licht.“

Retuschierst Du viel?

Der analoge Film verzeiht viel, das digitale hochauflösende Foto leider nicht. Ohne geht es heutzutage kaum. In der analogen Fotografie wurde übrigens auch immer retuschiert. Ich ändere so wenig wie möglich.

Gibt es in Österreich eine Kultur der Fotografie?

Auf alle Fälle. Aus Österreich kommen namhafte Fotografinnen, die für große internationale Kampagnen und Magazine gebucht werden und künstlerisch auf höchstem Niveau arbeiten. Aber wir Fotografinnen erleben immer wieder Kundinnen, die mit einem Instagram-Foto kommen und sagen: „So hätten wir das gerne“ oder die meinen, sie könnten es auch selbst hausintern fotografieren. Klar, sollen sie, wenn sie meinen. Viele gute Fotos auf Instagram entstehen meistens zufällig, aber Qualität geplant und wiederholt zu generieren ist eine Herausforderung. Der Starfotograf Juergen Teller macht ganze Fotostrecken mit seinem Smartphone. Glaub mir, da geschieht nichts zufällig, alles ist von A bis Z inszeniert!

Hast Du es als Frau schwer im Business?

Ich kämpfe als Frau genauso hart wie meine männlichen Kollegen. Ein ganz großer Teil meines Lebens ist und war immer die Fotografie. Aber wenn du zusätzlich noch Kinder großziehen willst, ist es einfach wahnsinnig schwer, alles unter einen Hut zu bringen. Ich bin glücklich kinderlos, bei mir ging es sich gut aus.

„Ich habe gelernt, das Bild nicht zu fotografieren, sondern es zu berechnen.“

Früher war die Fotografie auch ein extrem technischer Job!

Auf der Graphischen habe ich gelernt, das Bild nicht zu fotografieren, sondern es zu berechnen. Ein Assistent, der heute 22 Jahre alt ist, weiß nicht mal mehr, was ein Belichtungsmesser ist. Wenn du heute am Set die Belichtung misst, ist das „just for the Show“.  Ich höre ja das Licht! Mein Assistent lacht immer über mich, wenn ich behaupte, der Blitz sei zu stark, das hätte ich gehört. Aber er ist auch erstaunt, dass es immer stimmt.

Was tust Du, wenn Du nicht hinter der Kamera stehst?

Mit den Füßen auf dem Tisch frühstücken, reiten, Yoga, Modemagazine durchblättern, Vintage shoppen, guten Wein trinken, Ausstellungen oder ins Kino gehen. Ich tausche mich auch gern mit anderen Kreativen aus.

Was bringt Dich zum Schweigen?

Das Meer, wenn die Sonne darin versinkt und es sich von Blau zu Schwarz färbt, der Nachthimmel sich mit seinen Sternen zum Greifen nahe über das Firmament wölbt. Diese Schönheit verschlägt – sogar mir (lacht) – die Sprache!

Gibt es eine Person, die Du unbedingt noch mal fotografieren möchtest?

Die britische Schauspielerin Charlotte Rampling, ihr unglaubliche Eleganz und Kraft üben auf mich eine magnetische Anziehung aus. Sie hat sicher auch einen ziemlich guten Humor.

Würdest Du einer österreichische Fotografin oder einem Fotografen erlauben, Dich zu fotografieren?

Ja, the one and only: Guenter Parth (lacht).

Lass mich raten: Er soll sich bei Dir melden?!

Korrekt.

Danke für das Gespräch!

Rafaela Pröll arbeitet seit über 20 Jahren als freischaffende Fotografin. Ihre Fotografien wurden unter anderem von Vogue Germany, ELLE, RONDO, C/O Vienna, DIVA und FACES publiziert. Supermodels wie Missy Rayder und Magdalena Frackowiak shooten gerne mit ihr. Verschiedene Ausstellungsorte zeigten ihre Arbeiten, darunter das MAK. Sie wurde in den 70ern in Vorarlberg geboren und lebt aktuell in Wien.

rafaelaproell.com

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