Die Neuerfinderin

Mode als Protest

Die Überzeugung steht vielen nicht auf der Stirn, sondern auf der Brust geschrieben. Das Statement Shirt hat die Straße erobert und ist längst nicht mehr nur Hippies und Punks vorbehalten. Ob solche Shirts wirklich etwas verändern können, haben wir die polnische Künstlerin Magda Buczek gefragt, deren Label Surplus Secondhandkleidung zum politischen Ausdrucksmittel macht. Im November ist sie bei der Vorarlberger Nachhaltigkeitsmesse Potentiale (08.–10.11.) zu Gast. Wir haben mit ihr bereits vor ihrem Österreich-Besuch gesprochen.

Text: Lara Ritter

„Kleidergrößen sind etwas wirklich Blödes.“

Lara Ritter: Wann warst Du das letzte Mal bei H&M?

Magda Buczek: Ich kann mich nicht erinnern, aber natürlich war ich schon dort. Meine ersten zehn Lebensjahre habe ich noch im Kommunismus erlebt, dieser plötzliche Überfluss an Produkten, Fashionmarken und Frauenmagazinen nach der Wende war auch für mich verlockend. Ich verurteile niemanden, die davon verführt wird. Es ist eine sehr gut konstruierte Fantasie. 

Vor zwei Jahren hast Du Dein eigenes Label SURPLUS gegründet und designst mit politischen Statements bedruckte Secondhandkleidung. Wie bist Du auf die Idee gekommen, eine Modemarke zu gründen?

Ich habe schon davor künstlerisch mit Texten gearbeitet und versucht, sie auf verschiedenen Wegen zu vermitteln. Ich habe sie zum Beispiel auf Bildschirmen eingeblendet oder Audioversionen daraus gemacht. Am Ende habe ich einfach Textfragmente auf die Kleidung gedruckt. Ich wollte mit den Dingen und Daten, die uns dauernd umgeben, arbeiten und die „Überproduktion“ von Kleidern und Texten kollidieren lassen, um etwas zu kreieren, ohne die Notwendigkeit der Produktion. 

„Ich bediene mich der Korrespondenz auf meinem iPhone.“

Shirts mit Sprüchen sind längst nicht mehr nur Aktivistinnen vorbehalten, sondern Massenware. Was macht Deine Shirts spezieller als andere Statement Shirts?

Die Kleider, die zu mir kommen, sind entweder gespendet oder ich finde sie auf eBay und Secondhandmärkten. Ich schneide alle Tags ab, die etwas über das vorherige Leben des Kleidungsstücks verraten, auch die Größen entferne ich. Kleidergrößen sind etwas wirklich Blödes. Die Körper der Menschen passen nur selten zu den gängigen Größentabellen, und es sollte die eigene Entscheidung sein, ob man kleine oder große Kleidung tragen möchte. Es ist außerdem ein guter Test: Suchst du Spuren einer Marke auf der Kleidung? Bist du nur begeistert, weil das Wort „Prada“ auf einem SURPLUS-Shirt steht? Oder magst du den Text, der oben steht, und es ist dir egal, ob es vorher High Fashion oder Street Fashion war? 

Wie entwickelst Du die Statements, die auf den Kleidern von SURPLUS zu sehen sind?

Sehr privat, lustig und spontan. Als Person, die wie ich in der Kreativbranche arbeitet, weißt Du wahrscheinlich, wie viele Texte produziert, aber nie veröffentlicht werden. Ich benutze nur Texte, die es schon gibt, produziere aber keine eigenen, beispielsweise bediene ich mich der Korrespondenz auf meinem iPhone.  

„Ich war mir anfangs nicht sicher, ob je eine Person diesen Text tragen würde.“

Die Shirts von SURPLUS tragen Sprüche wie „F is for fake“ oder „Cool Kids from fake Galleries“. Welcher Spruch stand auf Deinem ersten Statement Shirt?

Als junge Journalismusstudentin habe ich ein Zapatista-Shirt in einem Secondhandshop in Krakau gefunden, auf dem stand „Wir sind alle Marcos“. Es war das erste Statement Shirt, das ich je getragen habe. Das Statement „Cool Kids from fake Galleries“ stammt übrigens aus einer tatsächlichen Unterhaltung über die Kunstszene, die ich mit Künstlerinnen aus Mexico City geführt habe. 

Der Satz „Wir sind alle Marcos“ – was bedeutet der für Dich?

Ich hatte überhaupt nichts zu tun mit der politischen Situation der Zapatistas. Möglicherweise habe ich versucht, mich durch dieses exotische und radikale T-Shirt zu definieren. Vielleicht ist das der Grund, wieso Leute solche Shirts auswählen. Manchmal habe ich Texte auf SURPLUS-Shirts, die sehr kontrovers sind. Da gibt es ein T-Shirt mit dem Spruch „I fuck in broken English“. Ich war mir anfangs nicht sicher, ob je eine Person diesen Text tragen würde. Zu meiner Überraschung war es eines meiner populärsten Shirts.

Welches Deiner Kleidungsstücke würdest Du niemals ausmisten?

Das authentische Konzert-T-Shirt von „Blondie“. Es ist sehr alt und hat Löcher unter den Armen, ich musste den Ausschnitt schneiden, weil er so zerrissen war. Jedes Mal wenn ich ein Pop-up für SURPLUS vorbereite, frage ich mich: „Soll ich dieses T-Shirt fürs Drucken verwenden und einfach auf den Haufen Kleidung werfen?“ Bis jetzt, und ich habe schon einige Pop-ups für SURPLUS-Projekte gemacht, habe ich mich nicht dazu entschieden. Vielleicht bei der Potentiale in Feldkirch. 

„Wir leben ein bisschen in einer Blase, ich und meine Freunde.“

Auf einem Deiner SURPLUS-Shirts sind der Adler des polnischen Wappens und Polska aufgedruckt. Darunter steht „Mad Preachers from Midwest“. Was bedeutet dieses Statement?

Für jede Person kann es etwas anderes bedeuten. Mit einer Erklärung würde ich keinen Raum mehr für eigene Interpretationen lassen. Das Statement ist ebenfalls ein Fragment einer Unterhaltung. Ich habe entschieden, es auf das polnische Emblem zu drucken, weil ich immer Texte auswähle, die einen Kontrast zum Bild oder eine zusätzliche Bedeutung hinzufügen. 

Mit wem hast Du Dich damals unterhalten?

Mit jemandem, der wegen der politischen Situation in den Vereinigten Staaten und der Demagogie politischer Führer in der Welt besorgt war und Angst vor denjenigen hatte, die sich von Emotionen und nicht von kritischen Argumenten leiten lassen.

Dieses Wochenende hat die rechtskonservative Partei PiS (Recht und Gerechtigkeit) bei den polnischen Parlamentswahlen 45,8 Prozent der Stimmen erreicht. Die Partei übt Druck auf die Medien aus und hat eine stark kritisierte Justizreform umgesetzt. Fürchtest Du um die Demokratie in Polen?

Wir leben ein bisschen in einer Blase, ich und meine Freunde. Prekär oder nicht, wir sind immer noch privilegiert. Die polnische Situation ist sehr komplex und dramatisch, jede Person, die sich davon betroffen fühlt, sollte handeln. Wir können wahrscheinlich am meisten durch Bildung verändern und müssen uns auf die jüngere Generation konzentrieren. Außerdem sollten wir versuchen, einen Dialog mit dem Teil der Gesellschaft zu führen, der diese aktuelle politische Szene gewählt hat. Das Dümmste, was man jetzt tun könnte, wäre diese Teilung noch voranzutreiben. Denn wenn man „wir“ und „die“ differenziert, schwingt bei einer Seite immer das Gefühl mit, etwas Besseres zu sein. Dieses Gefühl ist, denke ich, auch der Grund für die Spaltung der polnischen Gesellschaft. 

„Mode ist dem Menschen ganz nah, direkt an der Haut.“

Zur Flower-Power-Zeit trugen Hippies ihre Überzeugung auf der Brust, in den 80ern entdeckte Katharine Hamnett das Potenzial des T-Shirts als Fläche für Provokationen. Hat das politische Shirt während seiner über 50-jährigen Geschichte etwas verändert?

Auf jeden Fall! Jeder Text, mit dem man sich identifiziert und den man trägt, kann politisch werden. Mode kann viel in der Gesellschaft verändern. Die sexuelle Revolution in den 60ern war stark damit verbunden, wie Menschen sich angezogen haben. Ich denke, dass Mode sehr schnell auf soziale Veränderungen reagiert, das kann man auf der Straße sehen. Sie ist daher für mich als Künstlerin so interessant. Die bildenden Künste werden oft als elitär angesehen, Mode ist hingegen dem Menschen ganz nah, direkt an der Haut.

„Das Leben ist zu kurz, um Geld für Kleidung zu verschwenden.“

Der französische Designer Philippe Starck sagt, dass die Mode in zehn Jahren tot sein wird. Die Menschen werden dann nur mehr Funktionskleidung tragen, was dann auch politische Shirts ausschließen würde. Was denkst Du werden die Menschen der Zukunft tragen?

Ich hoffe, dass wir aufhören, massenproduzierte Mode zu tragen. Unternehmen wie H&M, Zara und Mango verhalten sich sehr arrogant. Die Leute wissen nicht, wie diese Kleidung produziert wird. Wie viele Menschenrechtsverletzungen passieren, um diese Fünf-Euro-Shirts zu produzieren. Es gibt viele Wege, das aktuell gängige ökonomische System zu umgehen, man muss nur die Augen offen halten und kritisch sein. Das Leben ist zu kurz, um Geld für Kleidung zu verschwenden.  

„Kommerzielle Labels halten die Kundinnen zum Narren.“

Zahlreiche Fast-Fashion-Marken verkaufen Shirts mit feministischen Sprüchen. Gleichzeitig sind es meist solche Labels, die Frauen in Entwicklungsländern stark unterbezahlt in ihren Fabriken arbeiten lassen. Kann so ein Shirt noch immer als politisch gelten oder ist es das nur, wenn seine Entstehung mit der Aussage korrespondiert?

Das ist eine sehr gute Frage, die man auf vieles beziehen kann. Dieselbe Situation existiert, wenn wir ins Kino gehen, um einen guten Film von einem Regisseur zu sehen, der in den #metoo-Skandal involviert ist. Diesem Dilemma muss jede selbst gegenübertreten. Solche kommerziellen Labels halten die Kundinnen im Grunde zum Narren. Deswegen sind Veranstaltungen wie die Potentiale wichtig, denn sie kontrollieren, ob die vorgegebenen Werte der Labels, die auf die Messe eingeladen werden, auch mit ihrer Unternehmenspolitik übereinstimmen.

„Was geht Dir auf die Nerven?“ „Vieles!“

Was geht Dir auf die Nerven?  

Vieles! Die aktuelle politische Situation zum Beispiel. Meine Nerven sind gerade auch von meiner kleinen Tochter „belagert“. Als Mutter betrachte ich die Welt neu. Ich habe begonnen, mich ernsthaft darum zu kümmern, wie die Zukunft in dreißig Jahren aussehen wird. Als Mutter fühle ich mich verantwortlich. 

„Die Energie, die sich ansammelt, wenn man Textilien zusammennäht, kann wirklich mächtig sein.“

Am 8. November startet die Potentiale in Feldkirch. Hast Du einen Bezug zu Vorarlberg oder bist Du zum ersten Mal dort?

Ich werde zum ersten Mal dort sein, mein Wissen über Vorarlberg beschränkt sich auf Google-Bilder. Also weiß ich, dass dieser Ort herausragend schön ist. 

Wie hast Du Dich auf die Messe vorbereitet?

Im September hatte ich ein fünf Wochen langes Artist in Residence in Kopenhagen und habe drei Flaggen für die Potentiale genäht. Die größte ist 7,5 Meter lang. Würde man sie auf der Fassade eines Hauses anbringen, würde sie zwei bis drei Stockwerke bedecken. Die Flaggen bestehen aus Secondhandtextilien und Werbematerial. Manche Stoffe kommen direkt von Müllplätzen in Warschau und Kopenhagen, manche sind gespendet worden. Die Energie, die sich ansammelt, wenn man diese Textilien zusammennäht, kann wirklich mächtig sein.

Was wird auf den Flaggen zu sehen sein?

Die Flaggen erinnern ein bisschen an Frankenstein, weil sie aus verschiedenen Stoffstücken zusammengenäht sind. Ich habe entschieden, Text darauf zu drucken, der sich auf die Dauerhaftigkeit von Objekten bezieht. Es gibt eine Regel in der entwicklungsorientierten Psychologie: Sie besagt, dass man sich als Baby nicht darüber bewusst ist, dass Gegenstände auch dann existieren, wenn man sie nicht berührt oder sieht. Ich habe das Prinzip umgedreht und daraus den Satz „All objects continue to exist when out of our Hands“ entwickelt. Manchmal überleben Objekte uns. 

Vielen Dank für das Gespräch!

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Die Manteros

Text: Lena Stefflitsch

Die illegalen Straßenverkäufer werden in Spanien Manteros genannt. Eine Personenbezeichnung, die sich aus ihrer ständigen Begleiterin, einer Manta, ableitet, der weißen Decke, auf der sie ihre Waren ausbreiten und die sich in Sekundenschnelle in einen tragbaren Beutel umformen lässt. Als Top Manta bekannt findet der informelle Verkauf von Fake-Luxusartikeln auf öffentlichen Plätzen in vielen Teilen Spaniens statt. Anders als in Barcelona, wo die Manteros sogar eine Gewerkschaft und ein eigenes Modelabel gegründet haben, erschwert das hohe Polizeiaufgebot im Zentrum Madrids, sich den Lebensunterhalt zu verdienen. Wer sind die „schwarzen“ Männer mit den weißen Säcken? Uns haben die Manteros aus ihrem Alltag erzählt.

Die Lyrikerin

Text: Maja Goertz

Sirka Elspaß' Wimpern sind ungeschminkt, als wir sie zum Interview im Café Sperl treffen. Auch ungeföhnt? Seit ihrem 2022 erschienen Lyrikdebüt „ich föhne mir meine wimpern“ hat man unweigerlich solche Gedanken. Während die junge deutsche Autorin (*1995) und Wahlwienerin Melange trinkt, spricht sie mit uns über ihren Hass aufs Internet, das Schreiben unter Drogen und ihren erfolgreichen Instagram-Kanal-Slogan: „wer da nicht schmunzelt, ist selbst schuld.“

Sirka Elspaß