"Die meisten ausgesetzten Räder sind Mountainbikes!"
Seit 2016 produziert Reanimated Bikes das Modell NEUBAU in Kleinserie (Bild links mit Adi Hirzer), ein maßgeschneidertes zum Stadtrad umgebautes, einst entsorgtes Mountainbike. Die Fotos für das Interview sind für C/O Vienna von der Fotografin Marianne Hofbauer geschossen worden.
Antje Mayer-Salvi: Die MA48 für Abfallentsorgung und Straßenreinigung entsorgt in Wien pro Jahr tausende Fahrradleichen. Was für eine Materialverschwendung! Ihr rettet sie und haucht ihnen neues Leben ein?
Adi Hirzer: Wir suchen uns die besten Fahrräder raus! Da sind teilweise Topgeräte dabei. Wir wundern uns auch manchmal, wie Menschen mit solchen materiell wertvollen Dingen nur so umgehen können. Sie wissen wohl nicht, dass man sie auch reparieren kann. Uns interessiert aber nicht so sehr das Zubehör, das montieren wir für gewöhnlich neu auf, sondern vor allem die Fahrradrahmen. Die meisten ausgesetzten Räder sind übrigens Mountainbikes.
Mountainbikes in der Stadt? Ich dachte, die urbane Wienerin steht auf diese schicken Flitzer mit schmalen Rahmen und dünnen Reifen ohne Gepäckträger!
Ja, Rennräder sind sehr nachgefragt aber das Ausgangsmaterial ist nicht
leicht zu finden. Wir bieten eine spannende Mischung. Wir bauen
Mountainbikes so um, dass sie als stabiles multifunktionales Stadtrad
funktionieren. In den ersten fünf Jahren haben wir für jede Kundin im
Prinzip eine Maßanfertigung „geschneidert“. Die Leute durften sich die
Komponenten selbst aus dem Lager aussuchen. Solche Sonderbestellungen
sind bei uns natürlich immer noch möglich, haben aber ihren Preis. Wir
gehen jederzeit gerne auf Spezialwünsche wie einen zusätzlichen
Kindersitz oder Gepäckträger ein. Mit der Zeit haben wir jedoch
festgestellt, dass eigentlich viele das gleiche wollen. So haben wir
eine Art maßgeschneiderte Serienproduktion begonnen und das Modell
„NEUBAU“ kreiert.
Warum „NEUBAU“, es ist ja eher eine Revitalisierung?
Dieses Modell wird aus einigen recycelten und vielen neuen Teilen von Grund neu aufgebaut. Außerdem ist unsere Werkstätte in der Westbahnstraße im Bezirk Neubau, also passt der Name doch super. Die Basis für dieses Rad bildet ein Mountainbike-Rahmen. Damit allein ist der NEUBAU für die Stadt ja eigentlich schon überqualifiziert und besser als viele Stadträder (lacht), aber die Sitzposition passt nicht beim Mountainbike. Unser Chefkonstrukteur Richard Zirkl hat viel herumprobiert, denn in der Stadt will man ja aufrecht fahren, nicht in gebückter Haltung wie im Gelände. Seine Lösung: ein größeres Vorderrad und dazu einen –selbst entwickelten– Gabelschaft Extender einbauen. Das hebt die Lenkstange, verschafft dir einen besseren Überblick im Straßenverkehr und entlastet außerdem die Schultern und die Handgelenke.
links: Shop-Managerin Barbara Hohlbrugger, rechts: „Chef de Bike“ und Co-Gründer Richard Zirkl
Was muss ich für so ein NEUBAU zahlen?
Wir können auf einen großen Pool von vorbereiteten Rahmen zurückgreifen und müssen sie nicht mehr einzeln raussuchen und können damit schlanker vorproduzieren. Die Standardversion startet bei 650 Euro, die lackierte, sandgestrahlte Topversion bekommst du schon für 850 Euro.
Ein ganz großes Thema sind ja Kinderräder: Kaum hat man eines gekauft, passt es schon nicht mehr!
Gerade sind wir dabei, das „NEUBAU S/M/L“ zu launchen, sozusagen ein mitwachsendes Modell für Zwölf- bis Achtzehnjährige. Viele Eltern können und wollen sich für ihren liebsten Kleinen nicht alle zwei Jahre ein gutes Rad leisten. Sie kaufen daher oft billige Räder vom Baumarkt, die halt schwer sind und schnell kaputt gehen. Jugendliche verlieren mit solchen Rädern oft die Freude am Radfahren und das gerade in einer Lebensphase, in der Bewegung äußerst wichtig ist.
"Wien ist einer der am besten erschlossenen Fahrradcities der Welt!"
links: Zweiter „Chef de Bike“ und Co-Gründer Peter Pluhar
Wie wächst das Fahrrad mit?
Du beginnst mit zwölf Jahren mit einem passenden kleinen Rahmen und tauscht ihn je nach Wachstum für einen größeren Rahmen um. Das erste Rad kostet wie ein normales NEUBAU-Modell, aber jeder Umbau dann viel weniger als ein Baumarkt-Rad. Das kommt über die Dauer der Jugend wesentlich günstiger, als alle paar Jahre ein neues Billigrad zu kaufen. Die Jugendlichen fahren mit einem „S/M/L NEUBAU“ein Topfahrrad vom Fachbetrieb. Für die Kids ist das natürlich auch lässig, weil sie nicht das Rad von den älteren Geschwistern heruntergereicht kriegen. Außerdem können sie bei der großen Auswahl an Rahmen und Farben ihren ganz persönlichen Stil entwickeln (lacht).
Wer kommt zu Euch?
Wir sind in der ersten Saison der Serienproduktion. Bisher waren es sechzig Räder pro Jahr, die über den Ladentisch gingen, dazu kamen der Reparaturbetrieb und der Verkauf von Accessoires. Jetzt vertreiben wir schon zwei bis vier Räder pro Woche. Unsere Kunden sind schon noch eher aus der Umgebung. Wir hoffen, dass wir jetzt endlich auch über die Grätzlgrenzen hinaus bekannter werden und von unserer Werkstatt alle leben können. Es ist schon noch zäh. Wir haben überhaupt erst eine gescheite Website seit Oktober 2015, drei Jahre nach der Gründung! Ein Webshop für den internationalen Vertrieb macht sicher auch Sinn, aber jetzt sollten wir erst einmal Wien erobern (lacht).
Wer steht hinter Reanimated Bikes?
Wir sind ein ziemlich durchmischter Haufen mit den verschiedensten Qualifikationen. Ich bin fürs Marketing zuständig, ausgebildeter Mobilitätsberater, war Creative Director, Tauchlehrer, sogar mal Hotelier. Richard Zirkl, unser „Chef de Bike“ und Co-Gründer ist gelernter Feinmechaniker, Veranstaltungs- und Fahrradtechniker, der zweite „Chef de Bike“ und Co-Gründer Peter Pluhar, hat eine Ausbildung als KFZ-Mechaniker und Sonderschullehrer. Unsere Shop-Managerin ist Barbara Hohlbrugger, Ergotherapeutin und Mechanikerin.
Wie lange baut Ihr an einem Fahrrad?
Wir brauchen durchschnittlich zwei Tage, wenn es keine großen Extrawünsche gibt.
Ist Wien eine fahrradfreundliche Stadt?
Ja, das kann man wohl sagen. Das war nicht immer so, aber Wien hat sich in den vergangenen Jahren total entwickelt. Ich würde behaupten, sie ist sogar einer der am besten erschlossenen Fahrradcities der Welt! Wien kann heute mit einem ganz anderen Angebot aufwarten also noch vor zehn Jahren. Die Stadt Wien tut auch so einiges um den Fahrradanteil zu heben. Zum Beispiel sponsert sie den gratis Download des Smartphone Navigations-Stadtpaketes von BikeCitizens. Einer der größten Hemmschwellen, um auf das Rad zu steigen, ist für viele Menschen aber immer noch das subjektive Gefühl der Unsicherheit im Straßenverkehr. Das sollte aber nicht davon abhalten, es wieder einmal zu probieren, denn mittlerweile ist Wien wirklich anders.