Die Strickexpertin

Experimentelles Strickdesign

Veronika Persché produziert in ihrer Strickwerkstatt im 17. Bezirk Textilien für heimische und internationale Kunden. Sie ist eine Koryphäe auf ihrem Gebiet, sammelt Strickmaschinen wie andere Knöpfe und lässt sich für ein Musterdesign „auf keinen Fall von der Natur“ inspirieren. Dass sie von den Haaren bis zu den Schuhen seit ihren Jugendjahren in Grün gekleidet ist, das ist eine andere Geschichte ...

„Nichts ist unstrickbar!"

Lisa Peres: Alles, was mit Stricken zu tun hat, ist ja geradezu eine Leidenschaft von Dir. Woher rührt das? Warst Du in Deiner Kindheit zu wenig warm angezogen?

Veronika Persché: Im Gegenteil, meine Mutter hat immer viel gestrickt. Sie war sozusagen eine verkappte Handarbeitslehrerin, aber nicht so streng wie die meisten (lacht). Sie hat meinen Geschwistern und mir einen sehr entspannten Zugang zum Stricken mit auf den Weg gegeben. Sie hatte dieses Handwerk sogar als eine künstlerische Ausdrucksform verstanden. Diesen Zugang habe ich mir beibehalten!

Wie lautet Deine offizielle Berufsbezeichnung? Strickexpertin? Strickerin?

Das ist nicht so leicht zu beantworten. Ich bin gelernte Textildesignerin und ausgebildete Gold- und Perlenstickergesellin. Ich produziere Strickstoffe in Meterware, gestrickte Prototypen und Spezialanfertigungen. Ich hatte lange gebraucht, bis ich das, was ich mache als Kunst bezeichnen konnte. Ich bin eine Melange aus Designerin, Handwerkerin und Künstlerin. Technik spielt bei mir eine sehr große Rolle, die Strickmaschinen müssen ja gewartet, geführt und technisch beherrscht werden. Am ehesten ist das, was ich mache, wohl mit Computerkunst vergleichbar.

Du strickst sogar Trickfilme!

Könnte man so sagen. Für die in London lebende Österreicherin Kris Hofmann, die handwerklich wunderschöne Analog-Stop Motion-Filme produziert, sollte ich ein Haus in einer Animation zum Thema Wärmeisolation einstricken. Das war eine echte Herausforderung! Da musste bei einem Modell von gerade einmal 50 x 60 Zentimeter alles millimetergenau passen.

Musstest Du Aufträge schon mal ablehnen, weil es technisch gar nicht möglich war, sie auszuführen?

Nein, nichts ist unstrickbar! Allerdings gibt es Dinge, die mit meiner Ausstattung nicht funktionieren. Von der Technik her sind die gestrickten Bilder meine Spezialität. Dass ich jedes beliebige Bild, Foto oder jeden Text in Strick umsetzen kann.

Wie arbeitest Du, wenn Du entwirfst, an was orientierst Du Dich? Von welchen Formen lässt Du Dich inspirieren?

An Pflanzen und Natur weniger (wir beide lachen, vielleicht deswegen, weil ihr „Grünsein“ zu der gegenteiligen Annahme verlocken könnte). Es gibt bei der Arbeit an den Strickmaschinen oft so monotone Momente, da kommen mir oft die Einfälle, einfach aus der Beobachtung von der Maschine und den Maschen heraus. Oder ich schaue mir auf der Strasse an, was die Leute anziehen, wie sie dreinschauen, was für Fassaden die Häuser haben. Solche Dinge!

Ich habe gehört, Du strickst sogar für die Salzburger Festspiele und berühmte Künstler?

Ja, für Salzburg stricke ich gerade Meterware für die Kostüme der Westside Story, ich produziere aber auch oft für das Theater an der Wien. Wenn ein Stück zum Beispiel in den 40er Jahren spielt und die Hauptdarstellerin einen stilechten Pullover tragen soll, dann kann ich den liefern. Mein prominentester Kunde war sicher der österreichische Künstler Erwin Wurm. Der hat sich ja immer wieder mit Pullovern aus Strick beschäftigt und mit seiner Fähigkeit der Dehn- und Formbarkeit. Für ihn habe ich einige Auftragsarbeiten gemacht. Sehr lustig waren auch die Pullover für die übergroßen erdäpfelartigen Knollen. Für die Malerin Mischa Reska setze ich ihre Gemälde 1:1 in Strickbilder um. Aus ihren Sumoringer-Motiven stricke ich Schals.

„Hätte ich alles Geld der Welt, würde ich mir eine Industriemaschine kaufen!"

Du strickst ja nicht nur, Du sammelst praktisch auch Strickmaschinen! Ein sehr ausgefallenes „Hobby“ ...

(Veronika Persché  fängt mit leuchtenden Augen zum Schwärmen an)... Meine erste Strickmaschine war eine KR850 von der Firma Brother, die ist schon elektronisch gesteuert. In den 60er bis 90er Jahren waren solche Geräte als Haushaltsmaschine für ganz kleine Betriebe oder für die handwerklich begabte Hausfrau gedacht. Dann habe ich einen Grobstricker, auch von der Firma Brother. Sie funktioniert völlig mechanisch und ganz altmodisch noch mit Lochkarte. Die Maschine ist „back to the roots“, und ich muss folierte Lochkarten stanzen, mit so einem Zwickerl. Die dritte, eine CK35, – wieder von der Firma Brother – ist eine semi-industrielle Maschine, das heisst, die ist elektronisch und hat den Motor fix angebaut. Mit der habe ich dann aber erst einmal am meisten gekämpft, Krisen und Horrorszenarien erlebt. Ich habe sie verflucht, obwohl sie das gar nicht verdient hat.

Ich sehe, Du hast ein geradezu liebevolles Verhältnis zu Deinen Maschinen, gibt es auch einen Liebling?

Ja, mein Liebling ist die Passap E8000. Echtes Schweizer Handwerk. Die ist so präzise und ausgefuchst! Da lockert und wackelt nichts, und da greift alles so schön ineinander - wie ein Schweizer Uhrwerk. Sie ist sehr elegant und alles ist platzsparend gelöst. Die habe ich mir aus Portugal geholt. Der Besitzer wollte sie loswerden, weil er den Platz brauchte. Da bin ich damals selbst hingeflogen, habe sie vor Ort mit einem Freund eigenhändig auseinandergebaut, verpackt und auf die Reise nach Wien geschickt.

Wenn Du alles Geld der Welt hättest, welche Maschine würdest Du Dir dann kaufen?

Natürlich eine Industriemaschine! Weltweit gibt es noch zwei große Hersteller. Das ist die Firma Stoll in Deutschland und die Firma Shima Seiki in Japan. Das sind die Strickmaschinen, die in den Kleiderfabriken stehen. Die neusten Modelle, die können alle Stückerln spielen. Da kannst du zum Beispiel einen Pullover programmieren und der kommt fix und fertig raus. Nahtlos quasi. Der wird komplett rund gestrickt. Mit der könnte man ganze Skulpturen stricken!

Sind Deine Strickmaschinen die Chefs oder bist Du es? Kannst Du Deine Apparate alle selbst reparieren?

Ich mache das ja schon seit 15 Jahren. Die Programmierung war schon immer das Leichtere, da war ich immer der Chef. Aber was die Mechanik betrifft, da habe ich anfänglich sehr gekämpft. Da hat die Maschine eher mich beherrscht, und ich bin oft daran verzweifelt, was alles nicht funktioniert. Mittlerweile ist es schon Routine. Das merke ich auch in den Kursen, die ich gebe. Wir haben uns zusammengerauft, die Maschinen und ich, dass da praktisch keine Pannen mehr passieren, oder selten.

"Komischerweise stricke ich für mich selbst nie was. Ist das psychosomatisch?"

Ist es als Einzelunternehmerin ein Problem qualitative Wolle und Garn einzukaufen?

Das ist ein wichtiges Thema. Die Textilindustrie ist aus Europa abgewandert. Man kriegt die Sachen hier gar nicht so leicht. Die Garnhersteller wollen nur die großen Fabriken mit großen Mengen ab 20 bis 30 Kilogramm beliefern – pro Qualität und Farbe. Ich verstricke im Jahr insgesamt gerade einmal 100 Kilogramm. Es gibt aber einen Händler in Bad Fischau, von dem beziehe ich meine Garne. Manchmal darf man –wenn man sich als Designerin deklariert und Glück hat – bei großen Firmen, auch kleinere Mengen bestellen. Fairtrade ist für meine Kunden und mich übrigens auch ein wichtiges Thema.

Designerinnen stehen bei Dir sicher auch oft vor der Tür?

Mit der österreichischen Modedesignerin Ute Ploier habe ich vor einigen Jahren viel zusammen gemacht, auch mit Mischa Woeste aus Berlin (Label Smeilinener) und mit Miki Martinek, die ist Interior Designerin. Für die produziere ich immer wieder Stoffe für Polstermöbel, Decken und Kissen. Durch sie bin ich auch bei der Vienna Design Week vertreten gewesen. Mein Lieblingskunde ist momentan Mads Dinesen. Ein entzückender Däne mit einem Modelabel in Berlin. Für ihn habe ich gerade für die brandaktuelle Winterkollektion Vision 4.2 einen Schal designt und früher auch schon ziemlich sophisticated Pullover.

Trägst Du privat viel Strick?

Ja, ich mag nämlich keine Blusen, daher trage ich mehr Maschenware. Komischerweise stricke ich für mich selbst nie was. Vielleicht ist das psychosomatisch? Vielleicht, weil ich das nicht bezahlt bekomme (lacht), da kann ich dann keine Honorarnote schreiben. Ich bin aber sowieso nicht sehr mode-affin. Mich interessiert auch eher am Rande, ob ein Textil auf einem Körper so oder so fällt.  Damit will ich mich gar nicht beschäftigen.

Bist Du geschäftstüchtig?

Ja, ich denke schon. Ich verkaufe mich nicht unter meinem Wert! Das ist in der Textilbranche schon oft üblich. Ich mache auch nur Sachen, die bezahlt sind. Was bei Aufträgen für Kunstaktionen manchmal auch schwierig ist. Ich bin der Meinung, dass Künstlerinnen für ihre Ausstellungen und Performances anständig bezahlt werden müssen.

Glaubst Du das Handwerk Stricken könnte aussterben?

Es könnte in Europa aussterben, in Amerika ist es ja quasi schon nicht mehr existent. Die richtig großen Strickereien sitzen in Asien. In Österreich gibt es noch einige kleine Betriebe, die mehr überleben, als leben. Wenn da die Alten dann in Pension gehen und es nicht an die nächste Generation weitergegeben, kommt nichts nach. Andererseits bekommt das Handwerk durch diese Öko- und Fairtradewelle gerade wieder vermehrt Aufmerksamkeit. Ich kann mir auch vorstellen oder hoffe das mehr, dass die Produktion wieder aus Asien zurückkommt. Irgendwann müssten doch die Transportkosten wirklich abgerechnet werden und irgendwann wird der Ölpreis so hoch sein, da muss irgendwas passieren.

Gibt es einen zweiten Beruf, den Du Dir vorstellen könntest, zu machen?

Ich würde gerne noch viele Handwerke lernen. Zum Beispiel Fliesenlegerin (grosses Lachen). Das macht Spaß, das Fliesenlegen! Sachen auf den Boden picken und Musterungen machen, urcool. Ich habe ja in meiner Wohnung auch viel selbst verfliesst. Wahrscheinlich habe ich das als Kind zu wenig gemacht. Ich hatte ja nie Bauklötze oder Lego, deswegen machen mir diese konstruktiven Sachen heute vielleicht so Freude!

Deine Strickwerkstatt ist im 17. Bezirk. Kannst Du uns was Cooles in der Gegend empfehlen?

Der Yppenplatz ist hier um die Ecke, den man nicht mehr empfehlen muss, weil der schon so boboisiert ist. Das Grätzl ist aber sehr okay. Hier in der Steinergasse gibt es im Gebäude 12 Ateliers mit Künstlerinnen, Designerinnen und Architektinnen. Absolut empfehlen kann ich den „Bio-Fisch“, hier bei uns im Hof. Die machen dort nicht nur einen sehr netten Heurigen, sondern züchten biologische Karpfen, Forellen und Saiblinge, der wird ab Hof frisch geschlagen und filetiert.

Vielen Dank für das Gespräch!

Die gebürtige Wienerin Veronika Persché (*1976) entwirft und produziert in ihrer Wiener Strickwerkstatt Stoffe für heimische und internationale Kreative. Die Kundinnen der Strickexpertin kommen aus den Bereichen Mode, Interior Design, Kostümbildnerei, angewandter und bildender Kunst. Seit 2001 entwickelt die Textilkünstlerin gestrickte Unikate und Kleinserien, die bei nationalen und internationalen Ausstellungen gezeigt werden. Veronika Persché ist ausgebildete Gold- und Perlenstickergesellin und diplomierte Textildesignerin. Seit 2004 hält sie regelmäßig Vorträge und Seminare für das Handwerk des Maschinstrickens, u. a. an der Haute École d‘Art et de Design Genf, der Kunstuniversität Linz, Akademie der Bildenden Künste Wien und dem Textilen Zentrum Haslach. Sie ist Mitglied bei ETN – European Textile Network.