Die Taschendesignerin

Wir treffen Eva Buchleitner aka Eva Blut in ihrem neuen kleinen Shop in der Kühfußgasse in der Wiener Innenstadt – neben dem legendären Café Korb gelegen. Warum Taschen manchmal den Schoßhund ersetzen, Dauernd-Taschen-Tauscherinnen nicht ihre Kundinnen sind und das Handwerken ihr im wahrsten Sinne des Wortes „im Blut“ liegt.

Wir steigen über eine schmale, steile Treppe auf eine kleine Galerie über der Verkaufsfläche. Hier befindet sich Evas Schreibtisch, ein Stuhl und ein paar Kartons. Viel mehr hätte hier auch nicht Platz.

Stephanie Rugel: Dein neuer Shop ist sehr schön geworden! Wer zeichnet für das Design verantwortlich? Vor allem die raumgreifende Installation ist auffällig - ein gekrümmtes Gitterwerk aus hellem Holz, das sich ähnlich einer Gartenlaube über den Raum spannt.

Eva Blut: Ich habe die Wiener Architektin Claudia Cavallar damit beauftragt, den Laden zu gestalten. Sie hat ein gutes Gespür für Marken und Shops und kann Innenräume spannend inszenieren. Sie hat die richtige Gangart gewählt, dieses kleine Geschäftslokal leichtfüßig zu prägen, er wirkt trotz der Installation nicht überladen.

"Die Bedürfnisse meiner Kundinnen liegen zwischen Funktionalität und gutem Look."

Meine nächste Frage brennt mir schon seit langer Zeit unter den Nägeln: Hast Du Dein Taschenlabel „Eva Blut“ nach der Körperflüssigkeit Blut benannt oder ist das ein Wortspiel?

Ich hatte in den Neunziger Jahren mit dem Designen von Taschen begonnen. Damals waren Taschen so harte Dinger neben dem Körper, die ich eigentlich nicht tragen wollte. Ich fragte mich: Wie können diese Behältnisse anders sein, in welchem anderen Verhältnis zum Körper? Und da lag es nahe, auch etwas Körperliches in die Namensgebung mit einfließen zu lassen. Der Name sollte sich etwas sonderbar und einzigartig anhören. Ein Label, hinter dem man sich eine fiktive Person vorstellen kann, die auch ein sonderbarer Mensch sein könnte (lacht).

"Ich bin am Überlegen, ob ich nicht eine Reihe von Taschen mache, die ich zusammen mit bestimmten Personen entwickle."

Die Namensgebung Deiner Taschenkollektionen ist oft eine Art Formbeschreibung. Wie zum Beispiel „Cube“ – im Unterschied zu den Hermès Birkin oder Kelly Bags, die auf eine bestimmte Person bezogen sind. Könntest Du Dir sowas auch für Deine Kreationen vorstellen?

Gute Frage, denn ich bin momentan tatsächlich am Überlegen, ob ich nicht eine Reihe von Taschen mache, die ich zusammen mit bestimmten Personen entwickle. Ich denke hier an Freunde, die ich wegen ihres Stils und ihrer Lebensweise schätze. Aber ja, bei den Taschen „Twist“ oder „Cube“ ist tatsächlich eine Art der Raumbildung beschrieben, diese macht - würde ich sagen - das Besondere an meinen Taschen aus.

Ist Taschendesign Architektur im Kleinen?

Architektur ist so Vieles! Aber ja, das ist es - eine Art Raumbeschreibung. Auch das Verhältnis Körper und Objekt, Körper und Raum ist ein Thema.

Wie gehst Du beim Designen vor: Beginnst Du mit dem Inneren oder Äußeren einer Tasche?

Es geht eher darum, dass ich ein neues Raumbildungsprinzip suche. Nehmen wir mal die Tasche „Corolla“ her.

"Unterschiedliche Materialien nehmen viele assoziative Räume auf und verändern damit Stimmungen ..."

Eva beugt sich – gefährlich weit– über das Mäuerchen, das ihren erhöhten Arbeitsplatz hin zum „Hängelager“ begrenzt. Hier versteckt sich der Nachschub - Taschen in unterschiedlichsten Formen, Farben und Materialien. Und eben auch die „Corolla“. Sie ist dunkelgrün und aus Ziegenleder.

Die „Corolla“ könntest du zum Beispiel zu einem flachen Blatt auseinanderlegen. Die Form entsteht erst, indem man das Leder um eine Grundfläche herum hochschlägt. Und die Dinger hier, es sind die Außentaschen, sind eigentlich zuviel, aber wegnehmen ist auch nicht ideal, da sie die formgebenden Elemente sind. Gleichzeitig haben sie natürlich auch eine wichtige Funktion. Und so arbeite ich: Ich überlege mir, was sich aus den geometrischen und grafischen Grundformen machen lässt. Manchmal entsteht etwas ganz Unerwartetes, was man nicht mehr mit der Ursprungsform in Verbindung bringt und trotzdem ist sie noch vorhanden.

Dein Ansatz beim Kreieren der Taschen ist also ein mathematisch - geometrisches Prinzip?

Ja, aber ich gehe doch ganz anders vor: Die Sachen wachsen im Kopf, dann fange ich an, mit Papier zu experimentieren und hangle mich dabei geometrischer Grundprinzipien entlang. Es ist trotzdem nichts Überkonstruiertes. Ich denke, man könnte das sicher sehr leicht am Computer entwerfen, doch dann kommt man nicht auf die kleinen „Zwicke und Zwacke“, Tricks und Zufälle, die sich beim Experimentieren ergeben.

Das Entwerfen als spannender Experimentierprozess. Welche Rolle spielt das Material dabei?

Es ist eher untergeordnet, aber im Endeffekt funktioniert die Form nur, wenn sie vom Material gestützt wird. Das finde ich gut, denn es ist inzwischen meine Handschrift geworden: unterschiedliches Material nimmt viele assoziative Räume auf und verändert damit Stimmungen. Und es sind viele verschiedene Ästhetiken innerhalb dieser Formensprache möglich. Ich finde, das ist wie ein Gefäß geworden, in dem man unterschiedlich mixen kann. Und dann kommt ein „guter Cocktail“ dabei heraus.

"Meine Kundinnen schätzen auch, dass sie die Taschen zum Reparieren bringen können."

Was befindet sich denn in Deiner eigenen Handtasche?

Mein handschriftlicher Kalender, der auch mein Notizblöckchen ist, mein Telefon, mein Geld. Und oft noch ein Buch.

Was liest Du gerade?

„Der Meister und Margarita“ von Michail Bulgakow! Übrigens: Vor kurzem bin ich draufgekommen, dass ich nur eine kleine Tasche brauche. Wenn sie richtig gemacht ist, nimmt sie viel in sich auf, aber nicht so, dass ich mich überhebe. Wenn ich mehr brauche, benutze ich noch eine Zusatztasche. Ich halte es da persönlich eher modular. Wenn ich Laptop und Dokumente mitnehme, stecke ich die kleine Tasche in die große und habe in der kleinen immer das drin, was ich sowieso brauche, auch am Abend.

Du bist also der klassische Bag-in-Bag-Typ!

Ja!

Du als Fachfrau hast ja einen besonderen Blick für sowas: Beurteilst Du die Menschen nach der Tasche, die sie tragen?

Ja, es zeigt sich daran halt schon, ob jemand eher ein Ordnungstyp ist oder eine Tasche als rein funktionales Teil sieht, außerhalb seiner Gesamterscheinung. Manchmal ist es aber fast schon ein Liebesverhältnis oder die Tasche ersetzt das Haustier auf dem Schoß (lacht). Da gibt‘s schon ganz unterschiedliche Haltungen!

Hast Du eine eigene Typologie für Dich entwickelt? Welche Typen gibt es?

Am besten kenne ich natürlich meine Kundinnen, also die, die das auch interessiert, was ich hier mache. Meine Kundinnen wollen die Dinge easy haben. Die Funktion steht bei ihnen im Vordergrund, die Tasche muss mithalten können mit der Veränderung, die die Person selbst täglich durchlebt. In den verschiedensten Situationen, ob privat oder in der Arbeit. Das ist nicht die „Dauernd-Taschen-Tauscherin“, sondern sie hat gerne ihr „Haupt-Ding“. Jene, bei denen das Ästhetische über allen steht, würde ich eher nicht als meine Stammkundinnen bezeichnen. Und die, bei denen das Funktionale unwichtig ist, die eigentlich nur ein Sackerl wollen, sind auch nicht so meine Klientel. Die Bedürfnisse meiner Kundinnen liegen zwischen Funktionalität und gutem Look.

"Mir ist wichtig, dass meine Taschen nachhaltig funktionieren.“

Diese It-Bag-Geschichte, dass jede Saison eine andere Tasche, - DIE Tasche ist - , widerspricht Deinem Ansatz also völlig!?

Das ist doch nur ein Marketing-Spiel der großen Firmen. Da kann man natürlich mitmachen. Aber ich denke, eine selbstbewusste Frau weiß selbst, was sie braucht und was ihr gefällt, oder?

Du hast die großen Marken angesprochen. Dein Label Eva Blut besteht nun seit rund 20 Jahren und hat längst einen hohen Bekanntheitsgrad erreicht. Zudem bist Du seit Jahren mit Deinen Kollektionen auf der Messe in Paris. Wie siehst Du Deine Position zwischen den großen Modehäusern und High Street?

Da habe ich mir natürlich die unbequemste Position ausgesucht (lacht). Ich designe sozusagen für eine Mittelschicht leistbare, aber auch hochwertige, Taschen. Wenn die High-Street-Marken vermitteln, dass man eine Ledertasche für einen Bruchteil meiner Preise bekommen kann, dann verschiebt sich aber leider oft die Erwartungshaltung der Kundinnen. Dem gegenüber stehen dann die Big Brands, die stark auf „posh“ machen und so „precious Teile“ in die Welt setzen. Ich bin da irgendwo dazwischen, nicht betont glamourös, aber doch hochwertiger als H&M, Cos oder Zara.

Sind Deine Produkte auf eine längerfristige Verwendung angelegt?

Ja, ich habe das Bedürfnis - von der Formgebung bis zum Material und der Verarbeitung - etwas über die Taktung der Modebranche hinaus Gültiges zu schaffen, das sich nicht selbst ad absurdum führt, was ja eine immanente Facette der Modeindustrie ist. Deshalb gibt es die saisonal unabhängige „Future Classics“ - Linie. Weiters ist es mir wichtig, dass meine Taschen nachhaltig „funktionieren“. Meine Kundinnen leisten sich das Ding, kommen dann oft wieder, weil sie eine neue Form oder dasselbe in einer neuen Materialität ausprobieren wollen. Oder sie sind neugierig auf eine neue Funktionalität. Sie schätzen auch, dass sie die Taschen zum Reparieren bringen können.

"In Wien gibt es gute Fördermodule, was eine sehr fruchtbare Voraussetzung ist, um ein eigenes Label zu erhalten."

Wo werden die Taschen produziert?

In Ungarn und Tschechien. Auch deshalb, weil es in Österreich niemanden mehr gibt, der Serien machen kann - in der Qualität, die ich brauche.

Du hinterlässt bei mir den Eindruck einer ganz fleißigen „Hacklerin“. Hatte Deine Herkunft - Du bist in eine oberösterreichische Handwerksfamilie hineingeboren - einen Einfluss darauf?

Da liegst Du richtig! Wenn ich gewollt hätte, hätte ich mich in die Werkstatt zu den Schlosserkumpels begeben können. Aber ich mag das Material Eisen nicht so gerne, das ist mir irgendwie zu spitz, zu scharf und zu hart. Aber es war für mich von Anfang an klar, dass mein Tätigkeit mit der Herstellung von etwas verbunden sein sollte. Dieses „Produktiv-sein - wollen“ ist mir ein bissl in die Wiege gelegt worden. Es wurde mir aber freigestellt, in welcher Weise ich „produktiv“ sein will. Mein Vater hätte gerne gehabt, dass ich seine Schlosserei übernehme, aber das kam dann anders. Ich bin ja schon mit 14 Jahren von Zuhause ausgezogen, habe mich von allen familiären Zwängen recht bald freigespielt.

Wohin zog es Dich als 14-Jährige so früh?

Nach Hallein bei Salzburg, dort habe ich eine Modeschule absolviert. Das war eine super Grundausbildung, technisch echt top. Damals, in den Achtzigern, wurde dort auch noch Textilindustrie unterrichtet. Danach habe ich für Sportswear- und Trachtenfirmen Kollektionen mit entworfen - heute existieren viele dieser Firmen gar nicht mehr. Ich wollte dann eigentlich Kunst studieren, habe aber schnell gemerkt, dass es mich wieder zum Handwerklichen hinzieht, und so habe ich in der Modeschule Hetzendorf die Ledergalanterie - Ausbildung gemacht.

Ist Wien ein guter Ort für eine Taschendesignerin, für jemand, der kreativ produktiv sein will?

Durchaus! Ich schätze die Lebensqualität von Wien, und es gibt gute Fördermodule. Sehr fruchtbare Voraussetzungen, um ein eigenes Label zu erhalten. Ich bin eigentlich froh, nicht an einem Mode - Umschlagplatz wie Paris oder London zu leben, weil man im „Abseits Wien“ einfach ein bisschen freier ist. Zurücklehnen geht natürlich nicht, denn man muss ja in den großen Modemetropolen dann letztlich trotzdem mithalten. Ein gutes Netzwerk zu bilden, ist so immens wichtig. Das ist halt von Wien aus etwas aufwendiger.

Bist Du jemals an einem Punkt angelangt, an dem Du gedacht hast, ich hau den Hut drauf und mache was völlig anderes?

Es gab schwierige Phasen und Durchhänger, aber ich habe meine Labelarbeit nie grundsätzlich in Frage gestellt. Als meine zwei Kinder klein waren, hab ich Gasgeben und wieder Bremsen in einem stetigen Wechsel betrieben. Das war sehr anstrengend. Neben der Labelarbeit habe ich damals nämlich auch noch in Hetzendorf (Modeschule der Stadt Wien, Anmerkung d. Red.) unterrichtet. 2010 eröffnete ich zudem den ersten Shop ums Eck von hier. Ein Jahr zuvor traf ich aber die gute Entscheidung, nur noch Accessoires zu produzieren und keine Kleidung mehr zu designen, was ich ja vorher noch getan hatte. Mit diesen „Cuts“ hab ich nun meinen Fokus eingependelt. Jetzt mache ich exakt das, was ich wirklich machen will.

Wenn du Dir in diesem Moment eine Superheldenfähigkeit aussuchen könntest, welche wäre das?

Zeit aufblasen! (lacht) Ich hätte gerne mehr Zeit und dazu auch gleichbleibend hohe Energie zur Verfügung. Der Tag könnte manchmal echt länger sein!

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