Die Theremin-Spielerin

Science Fiction, zwei Antennen und Elektromagnetismus

Die Österreicherin Dorit Chrysler gilt als eine der virtuosesten Thereminspielerinnen weltweit. Lars van Trier verwendete ihre Kompositionen, sie spielte mit Stars wie Marilyn Manson oder Tocotronic. Durch den Hype um die analogen Synthesizer wird sie derzeit öfter gebucht als ihr lieb ist. Die Musikerin zieht es nach 30 Jahren gerade fort aus der stressigen Metropole New York – auf der Suche nach der verlorenen Zeit in Europa.

Text: Petra Zechmeister

"Durch den neuen Hype um die analogen Synthesizer gibt es einen regelrechten Thereminboom."

Petra Zechmeister: Hallo Dorit. Ich bin wirklich überrascht, Dich per Skype in Österreich zu erreichen. Das letzte Mal haben wir uns in der East Village in New York getroffen. Verbringst Du jetzt wieder mehr Zeit in Europa und Österreich?

Dorit Chrysler: Ich habe fast 30 Jahre in New York verbracht und wirklich eine Pause gebraucht. Ich bin einmal im Monat dort und habe auch nach wie vor meine Wohnung in New York, aber ich denke, ich brauche mehr Distanz. Ich möchte nicht einer dieser Haudegen werden, die die Avenue A runter trotten. Lieber hier in Europa die Ärmel aufkrempeln.

Auch ich breche gerade nach 15 Jahren New York meine Zelte in Brooklyn ab. Gibt es eine Kehrtwende, wird aus dem "Go West“ tendenziell ein „Go East“? Was war Dein Impuls nach so vielen Jahren der Abstinenz nach Europa zu ziehen?

Für mich waren es grundlegende philosophische Beweggründe. Es ist gut, mehr Zeit zur Reflexion zu haben, die Spannungspunkte des Europa für sich aufzuarbeiten und die alte europäische Kultur in die Gegenwart zu transformieren. In New York ist man die ganze Zeit immer so überstimuliert. Es ist erfrischend, mal runterzukommen. Ich bin auf der Suche nach ein bisschen mehr Zeit.

Du fliegst das Jahr über mit Deinem Theremin extensiv rund um den Erdball. Macht es für Dich einen Unterschied nach solchen anstrengenden Reisen zurück nach New York oder Österreich zu kommen?

Ja, selbstverständlich. Ich war im vergangenen Jahr in China, Japan, in Brasilien und in Russland. In New York tauchst Du dann wieder unmittelbar in diese kollektive Energie ein. Hier in meiner Wohnung in Graz, die mir immer Basis in Österreich war, kann ich mich fokussieren und auf meine Arbeit konzentrieren.

„Basis in Österreich"

Dass Dir das gut gelingt, ist an den Deinen zahlreichen neuen Projekten zu sehen.

In den vergangenen drei Jahren hat sich bei mir extrem viel getan. Ich habe die erste Theremin Schule für Kinder und Erwachsene, die KidCoolThereminSchool, gegründet und ein Curriculum für verschiedenen Altersstufen entwickelt. Wir haben von der New York Theremin Society aus, die ich mitbegründet habe, begonnen zu unterrichten. International hat das Angebot aber noch gefehlt, da sind die Anfragen für die Schule regelrecht explodiert. Eigentlich mehr als mir recht ist. Durch den neuen Hype um die analogen Synthesizer gibt es einen regelrechten Thereminboom. Beim Popfest in Wien 2015 waren alle meine Workshops ausgebucht und vor kurzem im Helmhaus Zürich hatte ich 40 Thereminstudentinnen, davon 30 Kinder. Der Workshop war völlig ausgebucht, und wir mussten zusätzliche dranhängen.

"Nur einige Musikerinnen auf der Welt können auf dem Theremin absolut in tune spielen!"

Hat die Firma Moog Music und ihr Gründer Bob Moog, der in den 50er Jahren begann, Theremine zu bauen, einen Anteil an diesem Höhenflug?

Ja, die haben 2014 ein neues Instrument rausgebracht, das Theremini. Eine erschwingliche, kleine Version, von dem das Magazin Wired schreibt, sie sähe aus wie ein Raumschiff und klänge auch so. Presets, Skalen und Tonleitern können mit einem Pitch-Control kontrolliert werden, womit sich für Erwachsene und Kinder ein viel schnelleres und gutes Hörergebnis erzielen lässt.

Was waren Deine musikalische Highlights in der letzten Zeit?

Eins der Highlights bereits Anfang des Jahres war die Videoproduktion beim Teilchenbeschleuniger in CERN, der Europäische Organisation für Kernforschung in Genf. Ich durfte dort ein Video vor dem Synchrocyclotron aufnehmen. Sie haben dort ein Programm entwickelt, um ATLAS-Daten in Töne zu verwandeln, und so aus den Kollisionen Kompositionen anzufertigen. Für mich war das eine unglaubliche Inspiration, mit diesen Daten zu komponieren.

„Schnelleres und gutes Hörergebnis"

Das klingt toll, wo kann man das Video anschauen?

Das Video, das ich dort gedreht habe, ist gerade von Moog „approved“ worden, und wird in Kürze auf der CERN Website erscheinen. Es gibt leider noch keinen offiziellen Link dazu.

"Ich war viel in Paris, um nach den Anschlägen Solidarität und Präsenz zu zeigen."

Du wurdest von früher Kindheit an musikalisch klassisch ausgebildet. Im Alter von sieben Jahren hattest Du bereits Dein Debüt als Sängerin an der Oper, mit dreizehn Jahren Deine eigene Rockband. Mit achtzehn Jahren warst Du schon mit Deinem Musikdiplom beschäftigt. Welchen Einfluss hatte dies alles auf Dein Thereminspiel, das Du im Jahr 2000 entdeckt und begonnen hast?

Das Instrument ist äußerst schwer zu beherrschen, und es braucht Jahre, um es zu erlernen. Nur einige Musikerinnen auf der Welt können absolut "in tune" spielen. Aber das Theremin hat manchmal Schwierigkeiten, in der Musikwelt ernst genommen zu werden. Für mich war das Theremin wegen seiner historische Position innerhalb der klassischen Musikgeschichte interessant. Am Anfang wurde es nämlich in klassischen Kompositionen angewandt. Zusätzlich bot es mir aber auch dieses unerforschte Neuland, als ich die strengen Kompositionsregeln fallen ließ, um in Bands und Musikprojekten in New York damit zu experimentieren. Ich fand meinen eigenen persönlichen Stil. Es war ein Finden, Gehen, Erforschen und Hören, wo ich dabei lande. Es gab keine Vorbilder oder Verweise, wie es „richtig“ klingen soll, das war das Befreiende am Thereminspielen für mich.

Du bist in Europa permanent unterwegs. Was nimmst Du mit?

Seitdem ich in Europa bin, war ich viel in Paris, auch um mit den Leuten nach den Anschlägen Solidarität und Präsenz zu zeigen. In Berlin habe ich im Februar bei einem Flüchtlingsprojekt, einer Tanzproduktion von Sasha Waltz mitgemacht. Mir ist es wichtig, auch hier als Künstlerin meinen Teil beizutragen, soweit das möglich ist.

„Finden, Gehen, Erforschen und Hören"

Gibt es einen Ort oder Gig in Wien, wo Du besonders gern gespielt hast?

Oh ja, ich erinnere mich an ein Konzert auf dem Dach der Hauptbibliothek am Gürtel. Es war sehr windig, und der Wind trat ins elektrische Feld ein und hat an der Performance teilgenommen. Das hat wirklich Spaß gemacht. Und ich habe im Glas Kubus von VALIE EXPORT (U-Bahn Josefstädter Straße, Anm. d. Red.) gespielt, wo ich die Grundidee und das Konzept des Ganzen mochte. Das Spielen dort war eine fantastische Gelegenheit.

Sieht und hört man Dich auch bald in Österreich? 

Ich arbeite gerade an der Musik für ein österreichisch-deutsches Fernsehprojekt, mehr darf ich im Moment leider noch nicht dazu sagen. Meine Teilnahme am Steirischen Herbst ist aber jetzt offiziell. Ich werde Musik für die Eröffnungsproduktion von Philippe Quesne „welcome to caveland" beisteuern und den Music Act der Eröffnungsfeier kuratieren, beziehungsweise selbst bespielen, in Kollaboration mit der französischen Band „Infecticide". Am 11. Mai habe ich übrigens als eine der letzten Künstlerinnen ein Konzert im Essl Museum gespielt.

Ich danke herzlich für dieses Gespräch!

Dorit Chryslers Soloarbeit kann der dunklen elektronischen Pop- und Filmmusik zugeordnet werden. Lars van Trier hat ihre Kompositionen verwendet; sie hat u.a. mit Elliot Sharp, Cluster, Chicks on Speed, Faust, Marilyn Manson, Tocotronic, Judah Bauer (Cat Power), Matt Johnson (The The), Gordon Raphael (The Strokes) und Lee Hazlewood zusammengearbeitet. Ihre Platte Avalanche wurde von Anders Trentemoeller produziert und auf seinem Label InMyRoom veröffentlicht. 2013 komponierte sie die Sound Installation des Dänischen Pavillons für die Biennale Venedig. 2015 erhielt Dorit Chrysler vom New Yorker MoMA einen Auftrag für zwei Filmsoundtracks, die dort zur Aufführung kamen. Sie ist Mitbegründerin der New York Theremin Society.

Live on NPR Houston.

Das skug

Text: Lena Stefflitsch

Was wäre die Wiener Musikszene ohne das skug? Seit über 27 Jahren beweist das Musikjournal sein Auge für alles, was sich abseits des Mainstreams abspielt. SubKultureller UnterGrund - der Name ist hier Programm. Mit dem aktuellen Online Relaunch meldet sich das Kultblatt zurück, ohne dabei an gewohnt kritischer Attitüde einzubüßen. In einem Gespräch erzählt Herausgeber Alfred Pranzl, was war und was in Zukunft kommt.

Der Rätselmacher

Text: Antje Mayer-Salvi, Artwork: Bela Borsodi

Bela Borsodi ist gebürtiger Wiener und lebt nun seit bald 30 Jahren in New York. Dort arbeitet er als freischaffender Künstler und Fotograf für Labels wie Frédéric Malle, Bulgari, H&M und Magazine wie Numéro Homme, GQ und das SZ-Magazin.  Internationale Bekanntheit erlangte er durch seine fotografischen Stillleben. Sie sind provokant, hintergründig und humorvoll. Uns hat er seine rätselhaft schöne Serie Unicorn zur Verfügung gestellt. Erraten Sie den dargestellten Begriff? 

Der Sven Regener

Text: Antje Mayer-Salvi, Fotos: Charlotte Goltermann, Maša Stanić

Der Musiker und Schriftsteller Sven Regener dichtet die schönsten Lieder für seine Band Element of Crime und schreibt Bestseller wie Herr Lehmann, die die tragische Komik oder die komische Tragik unseres Lebens beschreiben. Kürzlich brachte die Band ihr neues Album Morgens um vier heraus. Wir trafen Regener in Wien – zum Frühstück um zehn.