Der Parallel Direktor

Alternative Kunstmesse in Wien

Schwarze Augenringe, die Zigarette in der einen, das Handy in der anderen Hand. Stefan Bidner, künstlerischer Leiter und Mitbegründer der Parallel Vienna, begrüßt mich am Haupttor der leerstehenden Alten Post im ersten Bezirk von Wien. Am Abend wird die Schau eröffnet. Es ist noch verdammt viel zu tun.

Text: Antje Mayer-Salvi

Antje Mayer-Salvi: Das alte Postgebäude ist eine wunderbare Kulisse und riesengroß – als wären die Beamten gerade erst ausgezogen! Ich habe gehört, die Parallel Vienna ist so erfolgreich, dass Ihr sie bereits verkaufen konntet?

Stefan Bidner (lacht): Das dürfte ein Gerücht sein. Wahr ist, dass ich mit Kaveh Ahi und Daniel Haider (Co-Founder & Managing Partner der Parallel Vienna, Anm. d. Red) heuer eine Firma gegründet habe. Wir haben vor drei Jahren ganz klein angefangen. Es gab einfach ein Defizit an Plattformen für jüngere Künstlerinnen und Künstler in der Stadt, dem wir was Unabhängiges entgegensetzen wollten. Das lag damals in der Luft! Die Akademie und Angewandte produzieren am laufenden Band neue Talente, aber es gibt kaum Orte in Wien, sie auch zu zeigen.

Geht was weiter bei der Parallel?

Definitiv. Das alte Postgebäude umfasst 20.000m2, wir bespielen diesmal 7.000m2 (!) auf drei Ebenen. Richtig groß. Zwanzig Galerien machen mit. Was mich freut, auch etablierte wie Krinzinger Projekte, Gabriele Senn, Christine König, Emanuel Layr. Die können bei uns ihre jüngeren Positionen zeigen. Dazu kommen knapp vierzig Offspaces, außerdem Kuratoren- und Künstlerstatements. Über 400 Künstlerinnen und Künstler und fünfzehn internationale Kuratorinnen und Kuratoren sind mit von der Partie. Unser Schwerpunkt ist schon Österreich und Wien, aber nicht nur.

"Die Parallel Vienna ist irgendwas zwischen Festival und Museumsshow. Das ist der Trend."

In den nächsten Wochen finden sage und schreibe drei Kunstmessen in Wien, die viennacontemporary (24.-27. September), die Parallel Vienna (23.-27. September) und die Viennafair (8.-11. Oktober) statt. Im November findet noch die Vienna Art Week statt und im März die art austria im Leopold Museum. Da muss ein Nest mit Kunstsammlern existieren, von dem ich noch nichts weiss!

Leider nicht, aber aushalten kann Wien offenbar viele solcher Kunstevents. Wir müssen schauen, wer sich hält. Wir sehen uns nicht als Konkurrenz zur Veranstaltungen wie der viennacontemporary, eher als Ergänzung. Der Titel „Parallel“ ist sozusagen Programm. Wir arbeiten mit der viennacontemporary aber nicht direkt zusammen, wir kooperieren nur; heuer bei der Closing Party im Volksgarten Club am 26. September 2015.

Noch ein Gerücht: Auf der Parallel Vienna wird mittlerweile mehr als auf den anderen Kunstmessen verkauft?

Unsere Besucherzahlen sind sehr gut. Die Parallel ist halt charmant. Aber vom Budget und von der Grösse des Teams nicht mit den anderen vergleichbar. Bei uns wird gut verkauft? Davon hat mir ja niemand was erzählt (lacht)! Der Kunsthandel hält sich da traditionell bedeckt.

Schön wäre es, aber das ist sicher nicht der Fall. Wir sind schon noch eher eine Informations- als eine Verkaufsplattform. Dringend benötigt, denn in Wien gibt es im Grunde kaum junge Galerien. Die meisten etablierten Wiener Galeristinnen und Galeristen habe ihre Fünfzig schon längst überschritten. Vielleicht liegt es auch daran, dass das Modell der Galerie überhaupt längst überholt ist.

Wie wird die Galerie der Zukunft aussehen?

Das konservative Galeriesystem ist ein Auslaufmodell. Es wird in Zukunft sicher mehr so Pop-up-Geschichten geben wie wir sie machen, inklusive dem Do-it-yourself -und Coworking-Ding. Für die Qualität sorge ich als künstlerische Leiter mit meiner guten Vernetzung und meinen guten Kontakten zu den Künstlern. Ohne das geht es schon auch nicht. Die Galeristen unterstützen uns auch sehr mit ihrem Know-how. Lieber Qualität statt Quantität. Die Parallel Vienna ist so eine Art kuratorische Großausstellung, irgendwas zwischen Festival und Museumsshow. Das ist der Trend.

"Auch die Einsteiger zwischen Dreissig und Vierzig, die schon ein bisschen verdient haben, können sich bei uns was leisten."

Wie groß ist denn Eurer harte Kern?

Gerade einmal sieben Leute.

Kompliment. Das ist effektiv. Wer zahlt das Ganze?

Jeder schaut, dass er seinen Beitrag selbst finanziert und aufstellt. Die Offspaces und Galerien zahlen einen symbolischen Betrag, die Künstler dürfen natürlich umsonst mitmachen. Das deckt aber bei weitem nicht unsere Kosten. Der Rest kommt von Sponsoren, ist aber ausbaufähig. Es geht halt irgendwie auch nur mit einer gewissen Solidarität.

Ein bezaubernder Ort die Alte Post. Stefan Bidner führt mich durch endlosen Gänge, ein Raum reiht sich an den anderen, Hallen, Laubengänge, die alten Türschilder hängen noch, in manchen Zimmern ist der Boden aufgerissen. Wir setzen uns in einen kleinen leeren Raum und rauchen eine Zigarette. Das Interview muss schnell gehen, Stefans Handy brummt und vibriert ohne Unterlass in seiner Tasche.

Wie soll es mit der Parallel weitergehen?

Ich sehe das als Start-up Unternehmen, wir sind ambitioniert, uns zu etablieren. Wir sind parasitär. Das ist der Reiz. Wir können die Parallel auch in anderen Städten machen, natürlich nicht in dem Umfang. Könnte mir durchaus auch eine Art Parallel Basel vorstellen. Man checkt sich irgendeine leerstehende Immobilie...

Spielt das aktuelle Flüchtlingsdrama eine Rolle bei der Parallel Vienna?

Zigtausende strömen durch unser Land, und das lässt uns alle nicht kalt. Wir erleben gerade einen historischen Moment, da kommt einem so ein Kunstevent irgendwie banal vor. Was kann man für einen Beitrag leisten? Wir machen eine Charity Auktion am letzten Tag der Parallel (Sonntag, den 27. September 2015, von 15-16 Uhr). Die Hälfte der Einnahmen werden an ein Flüchtlingsprojekt gespendet. Das ist ein kleiner Beitrag. Einige Künstlerinnen und Künstler werden sicher was zum Thema.

Ihr habt auch eine VIP - Zone. Diese Oldschool-Strukturen sind wohl offensichtlich selbst bei einem alternativen Event wie der Parallel Vienna nicht vermeidbar!

Wir wollen halt auch einen Service bieten. Wir nehmen das nicht so bierernst. Sagen wir so, es ist ein Ort „für die dunklen Geschäfte“ (lacht). Viele Künstler sagen, dass sie sich für Sammler und Verkaufen nicht interessieren würden. Aber letztlich müssen sie ja alle von was leben, oder?

Ist die Wiener Kunstszene wirklich interessant?

Es hat sich einiges getan. Durch die Social Media ist alles furchtbar schnell geworden. Früher musste der Künstler alle Kunstvereine und Galerien abklappern. Jetzt kann man innerhalb eines Jahres seinen Weg machen. Bekannteste Beispiele aus Wien sind die Künstler Alexander Ruthner und Chris Rosa. Richtige Personen zur richtigen Zeit. Die haben das aber nicht über Wien, sondern über London und Los Angeles geschafft. Das ist doch grossartig.

Ist Wien in Sachen Kunst gut?

Es ist schon alles sehr behäbig. Wir sind ein Land mit acht Millionen Einwohnern und kein Vielvölkerstaat mehr, der solche großen Museenstrukturen rechtfertigen würde. Das ist ja vorheriges Jahrhundert! Die Häuser sind zu groß, zu teuer, zu aufgeblasen. Die Direktoren haben nicht wirklich neue Ideen und verdienen dabei Vorstandsgehälter. Da muss eine große Reform her!

Sammler kommen auf der Parallel vorbei?

Wir haben eine sehr gute Reputation und ja, sie kommen, weil man viel Neues entdecken kann. Es ist eine nette Mischung zwischen „etabliert“ und „neu“, was wir bieten. Auch die Einsteiger der Generation zwischen Dreissig und Vierzig, die schon ein bisschen verdient haben, können sich bei uns was leisten. Kommt alle! Zahlreich und neugierig!

Die Gelatins

Text: Antje Mayer-Salvi

Die vierköpfige Künstlergruppe Gelatin ist einer der wenigen internationalen Superstars der österreichischen Kunstszene. Tabuisiertem wie Nacktheit, menschlichen Exkrementen und Genitalien stellen sie sich mit geradezu kindlicher Neugier. Mit ihren sinnlichen, humorvollen, spektakulär poetischen Installationen und Performances loten sie nicht nur ihre eigenen Grenzen aus, sondern auch die des – fröhlich enthemmten bis verärgert verstörten – Publikums. 

Der Kunst-Profi

Text: Lara Ritter, Fotos: Anja Kundrat

Strenge Reisebestimmungen und dutzende Unsicherheiten: Selten war das Organisieren einer Kunstmesse so nervenaufreibend wie in diesem Jahr. PR-Berater Hans Krestel, der sonst bei der art berlin tätig ist, hat sich trotzdem nach Wien gewagt, um hier bei der viennacontemporary mitzuarbeiten. Bei einem Hangover-Frühstück in der legendär verrufenen Gräfin vom Naschmarkt verrät er uns, was dieses Jahr alles anders wird, wieso Wien in der Berliner Kunstszene als Upcoming Venue gehandelt wird und was sein Geheimtipp gegen Kater ist.