Wolle & Wirbel
Sheila Hicks ist eine Pionierin der Textilkunst, der Malerei und Installationen mit Nadel und Faden. Das Museum für angewandte Kunst in Wien widmet der 84-Jährigen erstmals eine Personale. Marokkanische Gebetsteppiche, geflickte Socken, Wolle und Garn auf Leinwand, in welche Kokosfasern oder Maisblätter, Muscheln oder Zweige eingearbeitet wurden: Kunst zum Anfassen, die nicht berührt werden darf. Ein kritischer Rundgang.
„Je biegsamer, desto mehr fühle ich mich hingezogen.“
Betritt man die Ausstellung, so ist man zunächst überrascht von ihrer eher überschaubaren Größe: Eine Personale einer 84-jährigen Kunstschaffenden verspricht zumindest eine lange Reihe an Kunstobjekten, die gezeigt werden könnten. Zu sehen sind in der Halle des MAK allerdings nur ausgewählte Werke der Künstlerin, die zu längerer Beschäftigung aufrufen, um ihren Sinn zu verstehen.
Sheila Hicks selbst ließ sich bei Ausstellungsaufbau und -eröffnung entschuldigen: Die Künstlerin lebt zwar in Paris, auch Sitz ihres Ateliers, ist aber – ob ihres hohen Alters und der derzeitigen weltweiten Pandemie – zu Hause geblieben. „Unmöglich, nach Wien zu kommen“, so die Künstlerin zu uns. „Sie hat aber mit der Kuratorin Bärbel Vischer jede Nuance der Präsentation genau besprochen“, so MAK-Direktor Christoph Thun-Hohenstein im Gespräch mit der APA.
„Für mich sind Farben, Texturen und Formen untrennbar miteinander verbunden.“
Herzstück der Ausstellung ist eine zwei Jahre alte Arbeit Hicks’ mit dem Titel La Sentinelle de Safran (Der Wächter des Safran). Die aus gelben, orangenen und roten Wollbällen bestehende Installation wird von Fischernetzen in Form gehalten und beeindruckt vor allem durch den Platz, der ihr eingeräumt wird: Ein ganzer Ausstellungsraum ist ihr gemeinsam mit der hängenden Installation Apprentissages de la Victoire (Die Lehren des Sieges) und der an der Wand installierten Skulptur Constellation (Sternbild) gewidmet.
Sie habe keine Vorurteile gegenüber Materialien, sagt Hicks
in einem Interview mit dem Museum of Modern Art in New York. „Je biegsamer und
vielseitiger sie sind, desto mehr fühle ich mich zu ihnen hingezogen.“ Auch scheinbar unbedeutende Kleinigkeiten, wie etwa „ein Insekt, das über einen Tisch krabbelt und sich auf eine Blume setzt", könnten sie nachhaltig beeindrucken, erzählt Hicks. Ihre Installationen verhielten sich nicht immer genau richtig, sie blieben nicht immer in der selben Form – und genau das macht wohl auch ihren Reiz aus.
„Man rollt es zusammen und es reist mit einem.“
Die Namen ihrer Werkstücke spielen laut der Künstlerin eine zentrale Rolle, wenn man ihre Kunst verstehen wolle, so ist selbst der Titel der Ausstellung Garn, Bäume, Fluss durchaus buchstäblich zu verstehen: Materialien aus der Textilindustrie werden mit Objekten aus der Natur verwoben. Wolle bildet das Trägermedium für Kokosfasern, Maisblätter, Muscheln und Zweige.
„Für mich sind Farben, Texturen und Formen untrennbar verbunden“, so Hicks. Ihre Konzepte entstünden in einem Schwung, mit einer einzigen zündenden Idee, die es dann nur noch umzusetzen gilt. „Und dann rollt man es wieder zusammen, und es reist mit einem mit, von Mexiko nach New York. Und während es reist, reisen die Gedanken mit.“ Wer ihre Ausstellung im MAK besucht, sieht also Sheila Hicks’ Gedanken in Stoff-Form. Und das klingt dann doch um einiges spannender, als es auf den ersten Blick wirkt.