Der Aberglaubenforscher

666? 13? 19 Fragen!

Spukende Zufallsgeneratoren, hellseherische Hunde und fliegende Ufos: Der Wiener Sozialpsychologe Andreas Hergovich beschäftigt sich in seiner Forschung mit paranormalen Phänomenen aller Art. Wir sprechen darüber, wieso Wunder vielleicht doch existieren. 

Text: Lara Ritter

Augenpaar Mariazell, Zinnguss, Mariazell, 2000 erworben, Sammlung Mader

„Himmler soll mit Rutengängern und Pendlern versucht haben, U-Boote zu orten.“

Lara Ritter: Ihr Sternzeichen ist Zwilling. Dem Horoskop nach sind Sie daher neugierig, kommunikativ und anpassungsfähig, aber auch ruhelos und launisch. Trifft das auf Sie zu?

Andreas Hergovich: Teils (lacht). Von Sternzeichen und Horoskopen halte ich wenig. Für mich ist das Hokuspokus, ich glaube nicht an das durch die Gestirne beeinflusste Schicksal des Menschen. Aber wenn es den Leuten Spaß macht, daran zu glauben, wieso nicht. 

Gab es trotzdem Situationen, in denen Sie dachten: „Da geht es nicht mit rechten Dingen zu!“?

Ich war zwölf und mein Bruder zehn, wir hatten die Augen schon geschlossen und waren gerade am Einschlafen. Auf einmal schien zwei Sekunden lang ein gleißendes Licht durch das Hoffenster, so hell, dass wir die Augen nicht öffnen konnten. Wir können uns bis heute nicht erklären, wo das herkam. 

Mit Aberglauben bezeichnen wir oft, was wir für irrational halten. Ist der Glaube an den durchwegs rationalen Menschen nicht veraltet?

Ich glaube, Menschen sind in dem Sinne vernünftig, als dass jeder das Beste aus seinen Möglichkeiten macht. Es ist auch die Frage, was Irrationalität überhaupt bedeutet. Da gibt es ein passendes Zitat des Mathematikers Blaise Pascal: „Das Herz hat seine Gründe, die der Verstand nicht kennt.“ Gefühle, die ja für viele als irrational gelten, sind im Leben nicht unbedingt die schlechtesten Ratgeber. 

„Die Zufallsgeneratoren drehten durch.“

Es gibt in Polen einen Aberglauben, der besagt, dass man sich noch einmal hinsetzen solle, bevor eine Reise beginne. Das hat die positive Wirkung, dass man sich an Dinge erinnert, die man sonst möglicherweise vergessen hätte. Aberglauben kann also auch sehr rational sein!

Die rationale Komponente beim Aberglauben ist immer, dass er die Gefühlsebene verändert und einem Sicherheit gibt, in diesem Fall die Sicherheit, eine Reise antreten zu können. Es ist vernünftiger, dieses abergläubische Ritual zu praktizieren und wohlgemut zu verreisen, als es nicht zu tun und die ganze Zeit Angst vor einem Flugzeugabsturz zu haben. 

Es gibt viele alltägliche Handlungen, von denen wir gar nicht wissen, dass sie abergläubisch sind. Mit Gläsern stieß man ursprünglich an, um mit dem Geräusch Dämonen zu vertreiben.

Anstoßen ist mittlerweile ein Kulturgut. Dass es einmal ein Aberglauben war, ist in Vergessenheit geraten. Andere Formen des Aberglaubens sind offensichtlicher. Dass die Zahl Dreizehn Unglück bringen soll, führt in manchen Ländern dazu, dass es keine Hotelzimmer mit der Nummer gibt. In China gilt die Zahl Drei als Unglückszahl, deswegen gibt es dort in den Aufzügen oft keinen dritten Stock. 

Aberglauben ist ein eher negativ konnotierter Begriff, der in der Vergangenheit unter anderem von Kolonisten benutzt wurde, um die religiösen Vorstellungen der indigenen Bevölkerungen als naiv oder kindlich abzuwerten. Ist der Begriff Aberglauben nicht problematisch, weil er impliziert, dass es so etwas wie einen richtigen und einen falschen Glauben gibt?

Sicher, der Begriff hat durchaus eine bevormundende Komponente. Was als Aberglauben betrachtet wird, hat sich im Verlauf der Geschichte stark gewandelt. Zu Zeiten des Universalgelehrten Leibniz im 17. Jahrhundert war es üblich, astrologische Kalender an den Universitäten zu erstellen, und sogar Gelehrte wie Kepler waren astrologiegläubig. Ich finde, die Gegenüberstellung von Wissen und Glauben ist generell problematisch, weil ja auch die Wissenschaft auf einem Vertrauensvorschuss basiert. Wenn ich zum Beispiel Fachartikel lese, kann ich nie alles, was darin steht, persönlich überprüfen. Wir sind in unserem Leben darauf angewiesen, Glauben zu schenken und anderen zu vertrauen. 

„Es ist allemal ein Rätsel, dass wir existieren.“

Worin besteht für Sie der Unterschied zwischen Religion und Aberglauben?

Auch Religionen haben abergläubische Komponenten. Ein Beispiel dafür wäre etwa, wenn man zum heiligen Antonius betet, weil man etwas verloren hat. Aber prinzipell ist der Glaube an ein höheres Wesen nicht so leicht widerlegbar wie der Aberglauben, weil die Forschung keine Beweise dafür erbringen kann, dass es keinen Gott gibt, aber schon dafür, dass die Wahrscheinlichkeit, etwas zu finden, nicht durch Gebete zum heiligen Antonius gesteigert wird. Viele setzen Aberglauben und Religion gleich und betrachten Religion als naiv. Ich sehe das anders, denn es ist allemal ein Rätsel, dass wir existieren,  es also überhaupt etwas gibt und nicht vielmehr nichts. 

Entsteht heute noch neuer Aberglauben?

Der Aberglauben verändert sich permanent. Als nach dem zweiten Weltkrieg der Flugverkehr aufkam, glaubten plötzlich viele an Ufos. Das hielt sich bis in die 70er-Jahre, heute ist das völlig verebbt. Vor allem junge Menschen sind anfällig für solche Inhalte. Wenn man daran glaubt, dass Youtube-Videos versteckte Botschaften enthalten, ist das auch ein Aberglauben.

Wann geht Aberglauben zu weit?

Wenn obskuren medizinischen Praktiken oder Heilern Glauben geschenkt wird und vermeintlich lebensrettende „Medikamente" verabreicht werden. Meine Familie besaß einmal ein Meerschweinchen, das starb, weil der Tierarzt ihm homöopathische Präparate verschrieb, als es krank war. Ein anderer Arzt sagte dann, Cortison hätte geholfen. Solche Fälle gibt es in viel tragischerer Weise auch beim Menschen. Problematisch wird es auch, wenn Aberglauben wahnhaft wird. Es gibt Personen, die jeden Schritt nach dem Horoskop berechnen, und Leute, die ihre paranoiden Ideen mit Aberglauben koppeln und dann glauben, dass andere Menschen durch Wände schauen können. Das kann in Fällen wie diesen ein Symptom dafür sein, dass man psychotherapeutische Unterstützung braucht, weil man mit dem Leben nicht zurechtkommt. 

„Keine Hotelzimmer mit der Nummer dreizehn.“

Haben Sie das Gefühl, dass der Aberglauben zunimmt?

Aberglauben hat schon immer existiert, es liegt in der Natur des Menschen, sich in ausweglosen Situationen an einen Strohhalm zu klammern. Durch Medien wie das Internet gibt es aber ganz neue Möglichkeiten, damit Geld zu machen. Es findet wie überall eine gewisse Kommerzialisierung statt und fragwürdige Produkte werden verkauft, die negative Strahlen abhalten, auf Basis der Quantenheilung funktionieren oder Spuk verhindern sollen. 

Wie politisch ist Aberglauben?

Es gibt auf jeden Fall eine politische Dimension, denn totalitäre Systeme sind immer bestrebt, abergläubische Strömungen zu unterdrücken. Zu Zeiten des Kommunismus war der Aberglauben in der Bevölkerung sehr gering, gegen Ende hin explodierte er und es traten plötzlich wahnsinnig viele Astrologen und Wunderheiler auf, zu denen die Leute in Scharen pilgerten. Beim Zusammenbruch des dritten Reichs versuchten führende Vertreter des Nationalsozialismus mittels abergläubischer Handlungen, alles für den Endsieg zu mobilisieren. Heinrich Himmler soll mit Rutengängern und Pendlern versucht haben, U-Boote zu orten. Wenn ein System vor dem Zusammenbruch steht, das auf einer Ideologie basiert, die stark an eine Religion erinnert, flüchten sich die Menschen in andere Glaubensinhalte. In Deutschland wurde nach dem Krieg der Konsum zu einer Art Ersatzreligion und das Wirtschaftswunder entstand. Im Osten war das nicht so leicht möglich. 

„Ob es eine Art Welt-Geist gibt?“

Ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf paranormalen Phänomenen. Existieren diese?

Das ist eine alte Streitfrage in der Fachwissenschaft. Es wird zum Beispiel diskutiert, ob Hunde ahnen können, dass ihre Besitzer nach Hause kommen, oder ob man spürt, wenn man angestarrt wird. Es gibt auch ein Global-Consciousness-Project, bei dem untersucht wird, ob es eine Art „Welt-Geist“ gibt. Dafür wurden weltweit Zufallsgeneratoren aufgestellt, die sowohl Einsen als auch Nullen generieren. Die Wissenschaftler, die hinter dem Projekt stehen, behaupten, dass diese Generatoren bei Ereignissen, die in die Weltgeschichte eingingen, durchdrehten. Beim Anschlag vom 11. September 2001 oder beim Tod von Lady Diana hätten diese viel mehr Einsen als sonst angezeigt. Dieser Zusammenhang, meinen sie, belege die Messbarkeit von einer Art globalem Bewusstsein. 

Was ist Ihre Meinung dazu?

Dass paranormale Phänomene aus wissenschaftlicher Sicht nicht existieren, aus der Ich-Perspektive aber schon. Diese subjektive Sicht kann einem niemand nehmen. Wenn ich im Lotto gewinne, würde man aus wissenschaftlicher Perspektive sagen, dass es nichts Besonderes ist, wenn von so vielen Lotto spielenden Personen eine den Jackpot erhält. Für mich wäre das aber allemal ein Wunder, auch wenn es mathematisch gesehen keine Wunder gibt. Es gibt kein Ereignis, das außerhalb des Zufalls liegt, selbst der unwahrscheinlichste Vorfall hat eine gewisse Rechenwahrscheinlichkeit. 

Wissenschaftlich könnte man vermutlich alle Emotionen des Menschen wegerklären …

… man könnte auch sagen: „Du glaubst, du bist verliebt, aber in Wirklichkeit ist der einzige Zweck deiner Emotionen, dass du deine Gene weitergibst.“ Aber das ist sinnlos, denn manche Ereignisse und Gefühle sind für uns einfach bedeutsam. Ich frage meine Studierenden immer, ob sie schon einmal übernatürliche Erlebnisse hatten, und bekomme oft von gewissen Vorahnungen erzählt, die sich im Nachhinein bestätigten, etwa von schlechten Gefühlen, auf die dann ein Todesfall in der Familie folgte. Es hat keinen Sinn, dann zu sagen: „Du vergisst, wie oft du dieses Gefühl schon hattest, ohne dass es sich bestätigt hat.“ 

„Mathematisch gesehen gibt es keine Wunder und keine Bedeutsamkeit, in unserem Erleben aber doch.“

Sie forschen auch zu Zauberkunst. Sind Sie schon mal einer Hexe begegnet?

Das nicht, aber es kam einmal ein Student zu mir, der meinte, dass er merke, was im Nebenzimmer passiere, wenn er eingeraucht sei (lacht). 

Was fasziniert Sie an der Zauberkunst?

Die Verblüffung. Ich war jahrelang Mitglied in einem Zauberklub und hegte stets die kleine Hoffnung, einmal ein Wunder zu erleben. Letztendlich gibt es aber immer eine Erklärung, die Verblüffung ist weg und man ist enttäuscht. Deswegen sollten Zaubertricks auch nicht verraten werden. Früher war die Zauberkunst eine Art Geheimwissen, zu dem man erst Zugang erlangen musste. Heute kann leider alles schnell gegoogelt werden. 

Wird unsere Welt entzaubert?

Ja, die Welt verliert ihren Zauber, das hat auch schon der bekannte Soziologe Max Weber gesagt. Wir versuchen, alles zu kontrollieren, das rechnerische Denken durchzieht die Welt, und selbst von einer Landschaft verzaubert zu werden, ist heute schwer möglich, weil immer irgendwo ein Flugzeug über einen drüberbraust, jemand einem etwas verkaufen will oder man Gebühren zahlen muss. Alles wird ökonomischen Zwängen unterworfen, auch die Zauberkunst ist kommerzialisiert worden. 

Kann Zauber antikapitalistischer Widerstand sein?

Was vielleicht antikapitalistische Züge haben könnte, ist das Staunen im Alltag. Gewisse Dinge entziehen sich dann doch der Ökonomisierung und Verwertbarkeit. 

Vielen Dank für das Gespräch!

Andreas Hergovich (*1965) lehrt Sozialpsychologie an der Universität Wien. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Anomalistische Psychologie (Determinanten des Glaubens an paranormale Phänomene) und die Philosophie der Psychologie. 2018 veröffentlichte er das Buch Allgemeine Psychologie: Wahrnehmung und Emotion und 2021 Allgemeine Psychologie: Denken und Lernen im Facultas Verlag.

Der Elmayer

Text: A. Mayer-Salvi mit V. Häberle, E. Schreiber und A. Svestka

Im Laufe unseres Lebens nehmen wir im Schnitt über 80.000 Mahlzeiten zu uns und verbringen immerhin insgesamt sechs Jahre nur mit Essen. Sobald wir uns zu Tisch begeben, gehorchen wir – bewusst oder unbewusst – unzähligen Verhaltensvorschriften. Wir haben uns mit dem österreichischen Papst des guten Benehmens, Thomas Schäfer-Elmayer, getroffen und ihn zu einem ihm exotisch unbekannten Ort gelockt: Hermann’s Würstelstand 1070.

Der Bischof

Text: Lara Ritter

Das Absurde ist Beni Bischofs (*1976) kreatives Prinzip. Der Schweizer Künstler kreiert mit seinen Arbeiten einen skurrilen Kosmos aus popkulturellen Versatzstücken. Als Inspiration dient ihm dabei die Banalität und das Drama des Alltags, das vermeintlich Große wird klein und das Kleine ganz groß. Er hat keine Lust auf ein Interview, also schreiben wir uns. Eine E-Mail-Korrespondenz zwischen Österreich und der Schweiz.

Die Beichte

M. Fantoni, K. Rothbauer (Text & Foto), P. Schrattenecker (Foto)
Beichtstuhl

Die Wahrheit ist: Ich habe gelogen. Damals im Beichtzimmer mit sieben Jahren. Allein in einem Raum mit einem autoritären Mann – wer wäre da nicht nervös geworden und hätte die Wahrheit verdreht? Was bedeutet Beichten in der katholischen Kirche heute? Wieso muss man jemanden seine Schuld gestehen, um vom Bösen erlöst zu werden? Wir fragen einen „Vertreter Gottes“, den katholischen Pater Florian.