„Mir tun heute noch meine Unterarme vom vielen Signieren weh.“
Thomas Brezina mit unserer Autorin Eva Holzinger
Eva Holzinger: „Knickerbocker4immer – Alte Geister ruhen unsanft“, so heißt Ihr neues Buch, in dem Lilo, Poppi, Axel und Dominik Mitte dreißig sind und unter skurrilen Umständen wieder vereint werden – Stichwörter: Versuchskaninchen, Kriegswaffen. Warum der Entschluss, ein Buch für Erwachsene zu schreiben? Und wie erging es Ihnen mit diesem Wechsel?
Thomas Brezina: Seit Jahren wollte ich wissen, was aus den vier wird, wenn sie erwachsen sind. Es war an der Zeit, diese Frage endlich zu beantworten. Ich habe es ehrlich gesagt selbst nicht gewusst, ein großer Teil der Geschichte ist erst im Schreibprozess entstanden. Nach 70 Bänden einer Serie entwickelt sich natürlich ein gewisser Erzählduktus, aber wenn man plötzlich nicht mehr über Kinder, sondern über Erwachsene schreibt, verändert sich damit auch die Sprache.
Was macht Ihren Erzählduktus, Ihren Schreibstil aus?
Meine Erzählweise ist immer gleich: Ich stelle mir die Leute vor, denen ich die Story erzählen will, wie ein mittelalterlicher Geschichtenerzähler. Wenn ich dann in dieser Vorstellung das Gefühl habe, dass mein Publikum – ob Erwachsene oder Kinder – mir an den Lippen hängt, dann ist das genau der Moment, in dem meine Sprache entsteht.
Reichweite bedeutet auch Einfluss. Was können oder sollen Kinderbücher? Was wollen Sie erzählen, wozu wollen Sie bewegen?
Es ist ganz einfach: Ein Kinderbuch muss eine Geschichte erzählen, die Kinder berührt. Astrid Lindgren hat einmal gesagt: „Wenn sich Erwachsene über die Köpfe der Kinder hinweg zuzwinkern, dann ist das Betrug an Kindern.“ Warum glauben immer alle, dass Kinderbücher pädagogisch sein müssen? Ich habe den Anspruch, eine Geschichte zu erzählen, die Kinder begeistert und fasziniert, ihnen Spaß, Trost und Bestärkung gibt.
„Spaß, Trost und Bestärkung"
Nach 70 Bänden festigt sich nicht nur ein gewisser Erzählduktus, sondern auch die Art, Interviewfragen zu beantworten. Beendet er eine Antwort, folgt diesem Moment ein Blick, der sagt: „Erwarten Sie nicht mehr von mir, nächste Frage bitte!“
Augenhöhe statt Verniedlichung also. Bleiben wir bei der Bestärkung: Sie beschreiben immer wieder starke Mädchen. Sind Lilo und Poppi Feministinnen? Was kennzeichnet Ihre Figuren?
Als ich vor 28 Jahren Buchserie der Knickerbocker-Bande zu schreiben begonnen habe, wurde mir erklärt, dass sich ein Mädchen als Oberhaupt einer Bande nicht verkaufen wird und der Flop vorprogrammiert ist. Aber ich habe das gemacht, woran ich geglaubt habe. Ich beschreibe gerne starke Persönlichkeiten, die aber alle, und das ist ganz wichtig, ihre Schwächen haben. Perfekte Helden sind unendlich langweilig. Ich will die ganze Bandbreite zeigen. Starke Mädchen, die trotzdem Probleme eines durchschnittlichen Teenagers haben. Aber Labels wie „feministisch“ mag ich nicht, ich sehe keinen Sinn in diesen Begrifflichkeiten.
Wie geht man mit so einem großen Ansturm von Fans um? Ist das nicht manchmal unfassbar nervtötend?
Es ist für mich die höchste Auszeichnung, die ich für meine Arbeit bekommen kann. Und ich bin dankbar, dass ich den Leuten nicht egal bin. Aber ja, es ist anstrengend, und mir tun heute noch meine Unterarme vom vielen Signieren weh.
Wollen Sie nicht manchmal in Ruhe einen Kuchen im Kaffeehaus essen?
Nein, das konnte ich davor auch schon nicht, ich bin das also schon gewohnt. Wenn ich meine Ruhe haben will, gibt es zwei Möglichkeiten: zu Hause bleiben oder ab nach London.
„Mir tun heute noch meine Unterarme vom vielen Signieren weh."
Neben der „Knickerbocker-Bande“ ist Brezina für Bestseller wie „Tom Turbo“, „Sieben Pfoten für Penny“, „Ein Fall für dich“ oder das „Tiger-Team“ bekannt. Er ist aber nicht nur Autor, er ist Produzent, Moderator, ein Unternehmer, der vor allem in China gut ankommt. Auf die Frage nach dem Grund für den Erfolg in China, meint er, dass er dort vor 14 Jahren einfach den Nerv der Zeit getroffen habe: Die Kinder dort konnten sich emanzipieren, und freie Kinder wollten über freie Kinder lesen, während die Eltern den westlichen Einfluss mochten. In China verkaufte Brezina mehr Bücher als Harry-Potter-Schöpferin J. K. Rowling.
Sie haben jahrelang in einem Hotel gelebt. Wie ist das, kein Zuhause zu haben?
16 Jahre lang habe ich mich im Hotel voll und ganz auf das Schreiben konzentriert. Für die meisten Menschen bedeutet ein Aufenthalt im Hotel den Ausbruch raus aus dem Alltag, aber für mich war diese Zeit so strukturiert wie keine andere: Um sieben Uhr gab es Frühstück und Zeitungen, um neun Uhr fing ich zu schreiben an. Geregelter hätte der Tag nicht sein können, nichts konnte mich ablenken. Hier in Wien geht der Boiler oder sonst was kaputt – und damit auch meine Konzentration. Ganz ehrlich: Wenn ich schreibe, ist der Alltag ist für mich gar nicht so leicht zu bewältigen.
Wie viel Zeit verbringen Sie in Ihrer Wahlheimat London?
Ich habe ursprünglich zwei Drittel des Jahres in London verbracht und den Rest in Österreich, mittlerweile ist es umgekehrt. London ist für mich immer der Ort gewesen, der mich am meisten inspiriert. Es gibt einen großen Unterschied zwischen englischen und deutschsprachigen Erzählstilen: Eine englische Autorin erzählt in erster Linie eine Geschichte; dann erst fließt das ein, was er recherchiert hat oder worüber er berichten möchte. Sehr viele Autorinnen aus dem deutschen Sprachraum beschreiben vielmehr ein Problem und konstruieren dann eine Geschichte rundherum, womit wir wieder bei der Pädagogik wären. Das mache ich nicht.
„Ich habe Angst vor Geisterbahnen, da fürchte ich mich zu Tode!“
„Fear of missing out“ – kurz FOMO – ist nicht nur ein Jugendwort, sondern auch eine Angst, die Herr Brezina teilt.
Was ist wichtiger für die Bewältigung des Alltags: Intelligenz oder Humor?
Humor, weil er eine gewisse Intelligenz voraussetzt. Und Dummheit ist das, was ich an anderen Menschen am meisten verachte.
Noch einmal vor die Wahl gestellt: Angst oder Wut?
Wovor haben Sie Angst?
Vor vielen Dingen auf so vielen Ebenen, aber über manches möchte ich nicht sprechen.
Das ist der Moment, in dem Thomas Brezina tatsächlich überlegen muss. Er blickt nach oben, neigt den Kopf, zum ersten Mal entstehen ein paar Sekunden Stille, wenn man das Kindergeschrei im Hintergrund ausblenden kann. Viel Persönliches will er offensichtlich nicht von sich selbst preisgeben.
Wovor haben Sie Angst?
Angst habe ich zum Beispiel vor Geisterbahnen, da fürchte ich mich zu Tode. Wir hatten neulich Betriebsausflug im Prater, es war die Hölle. Früher hatte ich auch Angst vor Krankheit, das sehe ich heute aber anders. Ich versuche, so gesund wie möglich zu leben, mehr kann ich nicht tun. Am meisten fürchte ich mich aber davor, mir einmal eingestehen zu müssen: Das hätte ich tun sollen. Die Angst, etwas nicht getan oder verpasst zu haben.
Kämpfen Sie mit Selbstzweifeln? Stellt man sich nach über 550 Büchern noch die Frage: Ist das eigentlich gut, was ich da mache?
Schlimmer als je zuvor! Ich wünschte, ich hätte noch diese totale Unbefangenheit von früher. Als junger Autor ist man viel freier, man weiß nicht, was passieren oder wo es hingehen wird. Alles ist möglich.
Ihr Buch ist Ihrem Mann und seinem Motto „Just do it and believe“ gewidmet. In den weiteren Widmungen bedanken Sie sich bei der- oder demjenigen im Universum, die/der Ihnen die Möglichkeit gegeben hat, Geschichten zu erzählen. Wen oder was meinen Sie damit? Gott?
Spiritualität spielt in meinem Leben eine sehr große und wichtige Rolle. Die Richtung, der ich persönlich folge, ist eine buddhistische Richtung. Ich würde es aber nicht Buddhismus nennen. Nicht verwechseln: Das ist eine Philosophie, keine Religion. Dieser sehr bejahende, positive, lebensorientierte Zugang ist das, was mich interessiert. Ich glaube, dass wir von Energie umgeben sind. Diese Energie, ihre Auswirkung und der vorsichtige Umgang damit ist etwas, woran ich glaube.
Wie sind Sie dazu gekommen?
Ich habe viel darüber gelesen, vor allem aber mit Leuten gesprochen. Das ist das, was mir im Leben am meisten bei der Bewältigung des Alltags hilft: mit Menschen zu reden. Wenn ich wütend werde oder mich beruhigen muss – ich bin ja auch nur ein Mensch – versuche ich, einen Schritt zurück aus der Situation zu machen, stopp zu sagen, mich zu beruhigen.
„Spiritualität spielt in meinem Leben eine sehr große und wichtige Rolle.“
Mit Hundewelpen im Gepäck fliegen einem die Herzen auf Instagram wie von selbst zu.
Das ist ja bekanntlich etwas, was Kinder nicht können. Was haben Kinder, was Erwachsene nicht haben – aber haben sollten?
Spieltrieb, Neugier, Fantasie und Begeisterung für die kleinen Dinge. Es ist meine tiefe Überzeugung, dass jeder Erwachsene gut daran tut, in sich diese schönen Erinnerungen wachzurufen und darauf aufzubauen. Das heißt nicht, dass wir kindisch sein müssen oder wieder Kinder sein sollten, wir sind erwachsene Menschen. Aber die Erinnerung an das Schöne ist wichtig.
Sie haben Instagram auf eine neue und progressive Weise genutzt, aus der Story-Funktion machen Sie kleine Räsel und Kriminalfälle. Auch auf Facebook und YouTube gehen Sie mit Ihren Postings durch die Decke. Die Kombination Social Media und Kinder genießen aber viele mit Vorsicht: Sehen Sie auch Schattenseiten und wenn ja, wo?
Alles hat Schattenseiten. Ein buddhistischer Mönch hat gesagt: Das Messer in der Hand des Chirurgen heilt, das Messer in der Hand des Mörders tötet. Es ist aber in beiden Fällen ein Messer. Ich bin durchaus der Überzeugung, dass die Verwendung von Social Media ein gewisses Alter voraussetzt. Zehn oder elf Jahre alte Kinder sind einfach zu jung. Aber wenn sie es nutzen wollen, dann würde ich für Instagram plädieren, das ist die freundlichste Plattform und hat für mich etwas extrem Positives. Twitter finde ich nicht so lustig, dort mache ich kaum etwas. Aber was kann denn bei Instagram schon passieren? Ein blöder Kommentar? Wird gelöscht! Bei Facebook ist das natürlich komplexer, da kann man mit den Kommentaren und der Sharing-Funktion wesentlich mehr Unheil anrichten.
Aber ist Instagram nicht auch ein Bewertungssystem, das viel Druck auf junge Leute ausüben kann?
Ja, aber den Druck gibt es auch, wenn du auf die Straße hinausgehst. Den gibt es in jeder Clique, in jedem Schulhof. Mir fällt dazu immer eine persönliche Anekdote ein. Als mein erstes Buch veröffentlicht wurde, habe ich meine 92-jährige Tante besucht und gesagt: „Ich weiß nicht, ob irgendjemand diese Bücher lesen wird, jetzt gibt es doch das Fernsehen.“ Meine Tante hat schallend zu lachen begonnen: „Mir wurde damals gesagt: Mizzi, lies nicht so viel, davon verdirbt man sich nur die Augen!“ Verstehen Sie, was ich meine? Diese Angst schiebt sich doch nur weiter! Die Bewertungen auf Instagram? Man muss eben damit leben können, wie viele Likes man bekommt oder nicht. Und wenn jemand daraus sein Selbstbewusstsein bezieht, braucht dieser Mensch Unterstützung, Stichwort Medienerziehung. Ja, es muss thematisiert und besprochen werden. Aber: Ich glaube nicht, dass Erwachsene damit besser umgehen können als Jugendliche oder Kinder.
Fragen nach seinem Privatleben lässt Thomas Brezina bis zum Schluss größtenteils unbeantwortet – auf die Frage hin, ob er sich im Fall der Fälle für Kinder oder Hundebabys entscheiden würde, schlägt er nur die Hände über dem Kopf zusammen.
Spricht er aber über seine Fans, dann strahlen seine Augen: Er packt am Ende des Gesprächs sein iPhone X aus und zeigt uns noch einmal Fotos seiner letzten Lesung. Jetzt wirkt er authenthisch. Die große Freude über die Sympathie seiner Fans ist echt. Der Moment währt aber nicht lang, es müssen noch Portraitfotos gemacht werden. So schnell wie möglich, wir wollen nicht noch einmal die Stimmung ruinieren. Das Kameralächeln sitzt perfekt, die Verabschiedung verläuft freundlich distanziert und man merkt: Das war doch nur eines von sehr, sehr vielen Interviews …