Der Exosoziologe

What if?

Was würde passieren, wenn die Menschheit morgen ein Signal aus den Tiefen des Alls empfinge? Der deutsche Wissenschaftler Andreas Anton sucht als einer der ersten Exosoziologen Antworten auf diese und weitere Fragen. Er erzählte uns, wie ein Kontakt mit Außerirdischen unser Weltbild auf den Kopf stellen könnte und warum seine Forschung gar nicht so sehr Science-Fiction ist, wie es zunächst klingt. Die Fotostrecke What If? des Berliner Künstlers Etienne Crovato stellt die Frage, auf welcher Art von Erde wir leben möchten – oder ob wir in andere Universen fliehen wollen?

Text: Katrin Brahner

Porträt  in futuristischem Design, umgeben von blauen Alien-artigen Formen und digitalen Grafiken. Eine Vision der Verbindung zwischen Menschheit und außerirdischem Leben. Fotografie von David Jäger.

„Ist da jemand?“

Katrin Brahner: Glauben Sie an Aliens?

Andreas Anton: Für mich ist das keine Glaubensfrage. Ich bin Wissenschaftler, da zählen Daten, Zahlen, Fakten. Und Tatsache ist: Bislang gibt es keine Beweise für Außerirdische – weder für intelligentes Leben noch für einfache biologische Systeme. Es gibt auch keine Beweise dafür, dass Außerirdische früher schon einmal auf der Erde waren. Ich bin mir jedoch sehr sicher, dass wir in den kommenden Jahrzehnten einen starken Hinweis oder gar einen definitiven Beweis für außerirdisches Leben finden werden.

Was macht Sie da so optimistisch?

Die wissenschaftlichen Möglichkeiten, nach außerirdischem Leben zu suchen, werden immer besser. Dabei wird die künstliche Intelligenz hilfreich sein. Bei der Spurensuche im Weltall fallen enorme Datenmengen an. KI kann diese auswerten und prüfen, ob sich darin Hinweise auf außerirdisches Leben finden lassen.

Als einer der ersten Exosoziologen weltweit erforschen Sie, welche Auswirkungen eine derartige Entdeckung auf die Menschheit haben könnte. Wie sind Sie zu dieser außergewöhnlichen Berufswahl gekommen?

Den Jobtitel „Exosoziologe“ gibt es gar nicht. Die Exosoziologie ist ein Teilbereich der Soziologie. Gemeinsam mit meinem Kollegen Michael Schetsche habe ich mir Gedanken darüber gemacht, was wir als Soziologen zur Diskussion rund um außerirdisches Leben beitragen können. 

„Wir werden außerirdisches Leben finden.“

Sicher nicht eine der Standardfragen, mit der sich Soziologinnen üblicherweise beschäftigen?

Michael Schetsche und ich sind beide Science-Fiction-Fans. Mich begleitet die Frage, ob da draußen noch jemand oder etwas ist, schon seit meiner Kindheit. Meine Großeltern mütterlicherseits haben sich intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt. In unserer Familie gab es viele Gespräche darüber, ob es außerirdisches Leben gibt. Als Jugendlicher habe ich mir ein Teleskop gekauft und mich mit Sternen, Planeten und Astronomie beschäftigt. 

Heute frage ich mich, welche Folgen ein Kontakt mit Aliens für die Menschen hätte. Dabei lehrt uns die Exosoziologie auch viel über uns selbst. Wie gehen wir mit Katastrophen und Krisen um? Wie reagieren wir auf das, was wir nicht kennen?

Bei aller Wissenschaftlichkeit: Die Exosoziologie bleibt ein Stück weit Science-Fiction. Werden Sie mit Ihrer Forschung ernst genommen?

Diese Frage bekomme ich sehr oft gestellt. Wir nutzen wissenschaftliche Methoden, unter anderem aus der Zukunfts- und Katastrophenforschung, beziehen kulturgeschichtliche Ereignisse mit ein und denken philosophische Grundlagen mit. Aktuell arbeite ich gemeinsam mit der University of Durham an einer mehrsprachigen Umfrage, um unsere Annahmen mit Daten zu untermauern. Die ersten Ansätze, eine Exosoziologie zu etablieren, gab es bereits vor Jahrzehnten, doch sie sind mehr oder minder in Vergessenheit geraten. Heute scheint der Zeitpunkt besser, um zu derartigen Fragen zu forschen. Unsere Szenarien werden jedenfalls wissenschaftlich diskutiert, stoßen größtenteils auf ernsthaftes Interesse und Faszination.

„Massenpanik, Hamsterkäufe, Börsencrashs“

Aber auch auf Kritik?

Manche sagen, dass es genug reale Probleme gebe, wie zum Beispiel Kriege oder den Klimawandel. Warum sich dann mit so einem hypothetischen Thema beschäftigen? Ich bin der Meinung: Es wäre ignorant, sich nicht damit auseinanderzusetzen, denn: Die möglichen Folgen eines Erstkontakts mit Außerirdischen könnten verheerend sein.

Wie könnte so ein Kontakt mit Aliens denn ablaufen?

Wir haben drei mögliche Szenarien entwickelt: Im Signalszenario empfängt die Menschheit eine Botschaft von Außerirdischen, die aus den Tiefen des Weltraums stammt. Das Artefaktszenario geht davon aus, dass wir in unserem Sonnensystem oder sogar auf der Erde Überbleibsel einer außerirdischen Expedition finden, zum Beispiel eine Raumsonde. 

Laut dem Begegnungsszenario erscheint im erdnahen Weltraum ein außerirdisches Flugobjekt. Durch seine Bewegungen und Flugmanöver ließe sich annehmen, dass es von Lebewesen oder einer künstlichen Intelligenz gesteuert wird. Alle drei Szenarien wären sensationell. Wir hätten die Gewissheit, dass intelligentes außerirdisches Leben existiert.

Was würde diese Gewissheit für unser Leben auf der Erde bedeuten?

Das Signalszenario dürfte relativ harmlos verlaufen. Wahrscheinlich käme das Signal von sehr weit her. Womöglich könnten wir es überhaupt nicht entschlüsseln und die Entfernung zu den Absendern wäre zu groß, als dass sie uns jemals besuchen könnten. Das öffentliche Interesse würde nach einer Weile abklingen. Beim Artefaktszenario könnte sich schon eher eine allgemeine Verunsicherung ausbreiten. Werden die Fremden eines Tages zurückkehren? Was wollten sie hier? Und was soll mit dem Artefakt passieren? Wer darf es bergen? Sollte man es untersuchen oder lieber unberührt lassen? Auf politischer Ebene könnten diese Fragen zu Konflikten führen. Für die Wissenschaft, gerade für die Raumfahrt, würde ein solcher Fund einen enormen Aufwind bedeuten. Das Begegnungsszenario hätte die stärksten Auswirkungen auf die Menschheit. Denn hier haben wir es mit einem direkten Kontakt zu tun, mit einer außerirdischen Raumsonde, die zu unserer Erde, unserem Zuhause, kommt. Das könnte bedrohlich wirken. Wie ein Einbrecher, der nachts im eigenen Schlafzimmer steht.

Müssten wir Angst vor Aliens haben?

Die Angst wäre zumindest nicht ganz unberechtigt. Ein Blick in die Geschichtsbücher zeigt: Kontakte zwischen verschiedenen Kulturen mit unterschiedlichen technologischen Entwicklungsniveaus hatten teils katastrophale Auswirkungen auf die weniger entwickelten Kulturen. Bei einer Begegnung mit einer außerirdischen Intelligenz hätten wir es höchstwahrscheinlich mit einer Technologie zu tun, die unserem Stand der Wissenschaft weit voraus ist. Unser gesamtes Weltbild würde ins Wanken geraten. Wir müssten uns mit dem Wissen auseinandersetzen, nicht  – wie bislang angenommen – die dominierende Spezies zu sein. Es könnte im schlimmsten Fall zu Massenpanik, Hamsterkäufen, Börsencrashs, politischer Instabilität, Kriegen und religiösen Glaubenskrisen kommen.

„Eher KI oder Maschine als biologisch“

Der Glaube an etwas Göttliches könnte auch kippen, wenn plötzlich Außerirdische auftauchten?

Schon heute gibt es Ufosekten. Es ist gut vorstellbar, dass neue religiöse Kulte entstehen würden, die die Außerirdischen als göttliche Erscheinung oder eine Art Messias deuten würden.

Würde das den Zusammenbruch der Weltreligionen bedeuten?

Davon gehe ich nicht aus. Sicher würde ein Besuch von Außerirdischen oder auch nur das Wissen um deren Existenz viele religiöse Menschen in ihrem Glauben erschüttern. Wir wären schließlich nicht mehr die Krone der Schöpfung. Aber die Geschichte beweist, dass Religionen Ereignisse und Entwicklungen gut integrieren können, ohne die eigenen Grundsätze infrage zu stellen. Innerhalb der Religionen gäbe es Diskussionen darüber, ob die Aliens nicht auch gläubige Wesen seien.

Wieso sollten uns Außerirdische überhaupt besuchen kommen wollen? Sind wir nicht viel zu unterentwickelt und unwichtig?

Was die Außerirdischen von der Erde wollen könnten und wie sie handeln würden, haben wir bei unseren Überlegungen außen vor gelassen. Die Außerirdischen bleiben eine unbekannte Größe, eine Leerstelle. Im Begegnungsszenario lassen wir das Raumschiff nicht landen, die Außerirdischen steigen nicht aus bzw. sprechen nicht mit uns. Wir haben uns auf die Annahme beschränkt, dass Außerirdische in irgendeiner Form einfach da sind. Und uns dann gefragt, wie die Menschheit reagieren würde, nicht, was die Fremden wohl tun würden.

Wieso? Wären solche Überlegungen nicht wichtig?

Es ist zu müßig, über Außerirdische zu spekulieren. Vielleicht haben sie wie wir einen Wissensdrang und fragen sich auch, ob da draußen noch jemand sei. Sie könnten aber auch aggressiv sein und uns vernichten wollen, oder vielleicht wären sie freundlich und wollten uns helfen. 

Außerirdische Zivilisationen könnten ganz anders aufgebaut sein als das, was wir unter einer Gesellschaft verstehen. Vielleicht wie eine Art Schwarmintelligenz, ähnlich wie Insektenvölker. Wir können es nicht wissen, es übersteigt unsere Vorstellungskraft.

„Mit mathematischen Codes verständigen“

Sie stellen sich Aliens also nicht als kleine grüne Männchen mit Antennen vor?

Schon ein Blick in die Tiefen unserer Ozeane zeigt, wie bizarr Leben aussehen kann. Wir dürfen nicht den Fehler machen, menschliche Eigenschaften in mögliche außerirdische Lebensformen hineinzuprojizieren. In unserem Begegnungsszenario ist es wahrscheinlicher, dass wir es mit einer Maschine, einer Art künstlicher Intelligenz zu tun hätten, als mit biologischen Wesen.

Wieso ist das naheliegend?

Die Abstände im Universum sind so gigantisch, dass es für biologische Wesen kaum möglich ist, diese zu überwinden, selbst mit hoch entwickelten Antrieben. Daher ist es wahrscheinlich, dass Außerirdische autonom operierende Maschinen entsenden. Diese könnten 20.000 Jahre im Weltall unterwegs gewesen sein, und die Zivilisation, die sie erschaffen hatte, ist vielleicht längst nicht mehr existent.

Wie könnten wir dann mit unserem galaktischen Besuch kommunizieren?

Wahrscheinlich könnten wir mit dem außerirdischen Besuch erst einmal überhaupt nichts anfangen. Stellen Sie sich vor, wir schicken ein Smartphone 500 Jahre in die Vergangenheit – selbst die klügsten Köpfe wären angesichts der Technologie ratlos. Ähnlich hilflos wären wir, wenn wir außerirdischer Technologie gegenüberstünden. Vielleicht klappt die Kommunikation aber auch gut. Die außerirdische Zivilisation, die die Maschine geschickt hat, könnte unsere Radiosignale empfangen und dabei unsere Sprache gelernt haben. Oder wir könnten uns mit mathematischen Codes verständigen.

Die erste Botschaft, die die Menschheit in Form von Radiosignalen verschickt hat, reist jetzt immerhin schon seit 50 Jahren durchs All. Halten Sie das angesichts Ihrer Forschung für leichtsinnig?

Ich sehe das sehr kritisch. Wir wissen nicht, wen wir da gegebenenfalls auf uns aufmerksam machen. Es könnten gefährliche Spezies oder ängstliche Wesen sein, die sich dann von uns bedroht fühlen. Was einzelne Forschungsgruppen da tun, betrifft potenziell die gesamte Menschheit. Außerdem gibt es keine Absprachen darüber, welche Botschaften ins All gesendet werden.

„Vielleicht wurden wir auch schon längst entdeckt.“

Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass das Begegnungsszenario eines Tages Wirklichkeit wird?

Theoretisch könnte es nie passieren – oder aber schon morgen. Das hängt auch davon ab, wie lange wir als Menschheit noch existieren. Vielleicht vernichten wir uns in absehbarer Zeit selbst, oder ein Asteroid zerstört die Erde. Womöglich gibt es uns aber noch Tausende von Jahren, dann steigt die Wahrscheinlichkeit, entdeckt zu werden. Oder wir wurden schon längst gefunden?

Und die Außerirdischen bleiben absichtlich bedeckt?

Das halte ich für möglich. Auch wir wissen um die Existenz von isoliert lebenden indigenen Völkern und lassen sie bewusst in Ruhe. Alles andere würde höchstwahrscheinlich das Ende ihrer Kultur bedeuten. Wenn das Begegnungsszenario eines Tages eintreten sollte, müssen wir vorbereitet sein. Es gibt bislang keinerlei internationale Richtlinien, die vorgeben, wie wir im Fall der Fälle handeln sollten. 

Was ist Ihr Ratschlag für den Ernstfall?

Maximale Offenheit bei der Kommunikation. Gegenüber der Bevölkerung sollte ganz klar gesagt werden, dass etwas Außerirdisches gefunden wurde. Dass man die Situation zwar keineswegs unter Kontrolle hat – das zu behaupten wäre lächerlich – aber, dass alles getan wird, damit die Lage nicht in irgendeiner Weise eskaliert. Ruhig bleiben, beobachten, keine aggressiven militärischen Maßnahmen einleiten. So könnten wir zumindest die Risiken verringern, die von uns als Menschen ausgehen. Panisches und aggressives Verhalten könnte zu einer Eskalation führen, und da wären wir die Unterlegenen – im schlimmsten Fall könnte das unsere Vernichtung zur Folge haben.

Wie sehr wünschen Sie sich trotzdem, einmal einem Alien zu begegnen?

Ich weiß nicht, ob ich mir wünschen soll, dass wir auf außerirdische Intelligenz treffen. Eher fiebere ich dem Moment entgegen, wenn wir einfaches außerirdisches Leben, zum Beispiel in Form von Mikroben, entdecken. Dann lasse ich die Sektkorken knallen. Das wäre die größte wissenschaftliche Entdeckung aller Zeiten. 

Andreas Anton, 41, hat Soziologie, Geschichtswissenschaft und Kognitionswissenschaft an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg studiert. Er untersucht Themen wie Verschwörungstheorien, Ufo-Sichtungen und ungewöhnliche menschliche Erfahrungen aus einer soziologischen Perspektive. Gemeinsam mit Michael Schetsche verfasste er mehrere Bücher zur Exosoziologie. 

(DP)

Der Aberglaubenforscher

Text: Lara Ritter

Augenpaar Mariazell, Zinnguss, Mariazell, 2000 erworben, Sammlung Mader

Spukende Zufallsgeneratoren, hellseherische Hunde und fliegende Ufos: Der Wiener Sozialpsychologe Andreas Hergovich beschäftigt sich in seiner Forschung mit paranormalen Phänomenen aller Art. Wir sprechen darüber, wieso Wunder vielleicht doch existieren. 

Die Soap&Skin

Text: Eva Holzinger, Fotos: Xenia Snapiro, Styling: Sarah Zalud-Bzoch

„When I was a child, I toyed with dirt. I killed the slugs, I bored with a bough in their spiracle.“ Die österreichische Ausnahmekünstlerin SOAP&SKIN singt von Tod und Schmerz, von Natur und Heilung. Sie durchbohrt uns mit ihrer Stimme und schnürt uns die Luft ab, nur um uns dann im Anschluss besser atmen zu lassen. Man liest den Songtext zu Spiracle anders, wenn man weiß, dass Anja Plaschg in einem steirischen 200-Einwohner-Dorf auf einer Schweinemast aufgewachsen ist. Ein Gespräch über tote Schweine, Würfelzucker-Hexen und sprechende Bäume.
 

Die Musikerin Anja Plaschg, bekannt als Soap & Skin

Der Heilwasser-Experte

Text: Viktoria Kirner, Artwork: Susanna Hofer

Wenn alles steht, dann reden wir über das, was fließt. Fast fünf Kilometer unter der Erde – da liegt, nein, da sprudelt es: reines, köstliches Heilwasser, dessen wertvolle Mineralien und Spurenelemente eine kurierende Wirkung auf unsere gemarterten Körper versprechen. Johann Goldbrunner hat seinen Namen zum Programm gemacht: In unendlichen Gesteinstiefen bohren er und sein Team nach Thermal- und Heilwasser. Wir haben mit ihm über Bäderkuren für Pferde und Heilwasser für Smartphones gesprochen – illustriert von Susanna Hofer.

Der Māori

Text: David Meran

George Nuku ist Vertreter zweier Welten, seine Mutter ist Māori, sein Vater deutscher Schotte. Für das Weltmuseum in Wien baut der neuseeländische Künstler derzeit einen versunkenen Unterwassertempel, in dem mutierte Rochen, Haie, Hochseefische und Quallen aus Plastikmüll, Acrylglas und Polystyrol schwimmen. Ein Gespräch mit einem Menschen, der eine ganz andere Sicht auf die Welt hat.