Er gehört zu Wien wie das „Meidlinger L“ und Ex-Bürgermeister Michael Häupl, den er wie kein Zweiter imitieren kann. Der Wiener Kultfriseur Erich Joham ist nun in Pension und nicht weniger schillernd. Er scharte Ende der 80er-Jahre in seinem Salon im ersten Wiener Gemeindebezirk eine wilde Bande von Außenseiterinnen und Größen der österreichischen Kulturszene um sich, von Arnulf Rainer, André Heller bis zur LiteraturnobelpreisträgerinElfriede Jelinek, die sich bei einer Kardinalschnitte eine Dauerwelle legen ließ. Mit uns hat er über seinen Freund Falco, Politikerinnen-Frisuren und sein Geheimrezept für Networking getratscht.
Das Fotoshooting fand in der prunkvollen Lobby und Bar des Hotels Intercontinental im dritten Wiener Bezirk statt. Wir danken!
Bernardo Vortisch: Du hast 2008 gesagt, Du hättest kein E-Mail, aber Kunden. Besitzt Du mittlerweile eine E-Mail-Adresse?
Erich Joham: Ja, aber ich schaue nicht rein.
Kann man von der Frisur auf die Persönlichkeit schließen?
Ja, sicher, Haare reden zu Dir. Als ich bei Medienkünstler und -theoretiker Peter Weibel in der Meisterklasse auf der Angewandten in Wien eine Woche lang „Kunst am Kopf“ gelehrt habe, probierte ich alles Mögliche aus. Meine Frage war nicht, was ich von den Haaren will, sondern was die Haare von mir wollen. Der Maler Arnulf Rainer macht das auch so mit seinen Bildern, das macht sie so teuer. Es geht darum, was das Bild von ihm will, nicht umgekehrt. Wenn er es weiß, übermalt er es.
Was haben Peter Weibels Haare zu Dir gesprochen?
Nix. Er hat den Schwanz eingezogen: „Bitte nicht meine Haare!“
„Bei der kommt’s auf die Frisur auch nicht mehr an.“
Fotografiert wurde Joham von der jungen ukrainischen – und in Wien lebenden – Fotografin Xenia Snapiro, die erstmals für das C/O Vienna Magazine fotografierte.
Wir haben gerade darüber gesprochen, ob man von den Haaren einer Person auf ihre Persönlichkeit schließen kann. Ich habe Dir zur Auflockerung ein paar Fotos von Politikerinnen mitgebracht, damit Du Dein fachmännisches Urteil zu ihren Frisuren abgeben kannst. Unsere erste Kandidatin ist Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger ...
... bei der kommt’s auf die Frisur auch nicht mehr an! Schauen mir gefärbt aus. Wen hast Du noch?
... unseren neuen Bildungsminister Martin Polaschek ...
... ja, der ist supercool! Der hat vor 20 Jahren schon wilde Haare gehabt, die er sich hinten auch noch blond gefärbt hat. Früher ist er immer mit einem Anzug herumgelaufen und hat trotzdem wie ein Punk ausgesehen.
Was sagst Du eigentlich zur gegenwärtigen Politik in Österreich?
Da kennt sich mittlerweile nicht mal mehr der Van der Bellen aus! Unsere Merkel war sozusagen der Bruno Kreisky. Der war übrigens auch der Erste, der in Österreich Künstlerfeste veranstalten ließ. Ich bin ihm am Opernball mal begegnet. Ich trug eine Brille in Form einer Schere von einem berühmten Designer auf der Nase. Kreisky zu mir: „Die gefällt mir, Sie tragen ja ihre Zunft auf der Nase! Aber darf ich Sie darauf hinweisen, das ist keine Friseur-, sondern eine Schneiderschere!“ Das war mir peinlich.
Wer war alles in Deinem Salon? Für Künstlerinnen wie Arnulf Rainer, Franz West und Padhi Frieberger war die Ecke neben Deiner Eingangstür ja zu einer Art Stammtisch geworden.
Da wären wir übermorgen noch nicht fertig, wenn ich die alle aufzählen sollte. Ich war quasi der Mittelpunkt, um den sich die Leute geschart haben. Es war ein gesellschaftliches Zusammenkommen in meinem Salon. Das war zu der Zeit damals ungewöhnlich, da man eigentlich gegen den Friseur und die Frisur war, zu bürgerlich.
„Ich war quasi der Mittelpunkt, um den sich die Leute geschart haben.“
Da kann ich Dir sagen: Ich war der Lustigste. Die Kunden haben mich immer auch ein bisschen irritiert. Die Dümmsten haben mich dann gefragt, ob Hans Krankl auch zu mir gekommen sei. Nein, der ging natürlich zu einem Fußballer-Friseur, warum sollte der zu mir kommen? Nur berühmt zu sein, reichte nicht.
Nicht selten mutierte ein Haarschnitt bei Dir zum Happening und konnte mehrere Stunden dauern, was eine gewisse Gelassenheit aller Beteiligter erforderte. Wie ging es bei Dir damals im Salon zu?
Im Salon war es so, dass wir einfach oft nicht gewusst haben, wer heute kommt und was passiert. Meine Frau war da auch sehr arm dran und war irritiert, weil Leute aufgetaucht sind und irgendwelche Performances bei uns im Salon veranstaltet haben. Das hat sich zuweilen komplett verselbstständigt und es ging immer drunter und drüber, fast wie bei den Marx Brothers. Nur haben mir meine zwei Brüder gefehlt.
Hast Du Kreative unterstützt?
Es hieß: „Geh zum Erich, der macht was für Dich, der hilft Dir!“ Das habe ich auch getan, viele Künstlerinnen und Künstler sind mir bis heute dafür dankbar. Das war mein buddhistisches Prinzip, was in so einer Wettbewerbsgesellschaft selten ist.
Konntest Du bei dem ganzen Wirbel überhaupt noch arbeiten?
Was mich eher genervt hat, war, wenn „Weltdirektoren“, Vertreter von Wella zum Beispiel, zu mir gekommen sind, um zu sehen, mit welchen Produkten ich arbeite und wie viele Angestellte ich habe. Die haben meinen Salon gar nicht verstanden. Die Lage, das Niveau des Salons, gute Produkte, geschultes Personal und eine gut geführte Kassa sind wichtig. Sonst braucht man eigentlich nichts. Dass ich mich so aufgeführt habe, wie ich wollte, rührt daher, dass ich mir gedacht habe: Der Erlebniswert ist bei mir so viel höher. Ich verbringe ja doch die meiste Zeit am Arbeitsplatz, warum soll ich mir den vertun? Heute sollen Friseure nur über neue Haarfarben und Produkte reden, bei mir hat man eher die Angst gehabt, dass wieder was Schräges passiert. „Man muss beim Erich aufpassen“, das hat der Falco schon gesagt.
Die Fotografin Xenia Snapiro hat Dich in der legendären Bar des Hotels Intercontinental für uns porträtiert, wo Du zuweilen mit Deinem Stammkunden Falco einen Drink genommen hast. Hast Du eigentlich noch eine Locke von ihm?
Habe ich irgendwo noch, von damals, als er dunkle Haare hatte. Die einzelnen grauen Haare habe ich ihm immer ausgerissen. Würde er noch leben, würde er sie wahrscheinlich färben. Nick Cave und Bryan Ferry färben sie ja auch.
„Gibt es in Deinem Leben etwas, das Du bereut hast?“ – „Ja, dass ich Friseur geworden bin!“
Nicht alle Berühmtheiten erhielten eine Frisur von Joham: „Einmal wollte die Mutter von der Paris Hilton, dass ich zu ihr ins Hotel komme und ihr die Haare für den Opernball mache. Wenn sie was will, soll sie zu mir kommen“, so Joham in einem Interview mit dem Kurier.
Wann war das letzte Mal, dass Du Falco gesehen hast?
Bei mir im Salon, drei Monate, bevor er wieder in die Dominikanische Republik zurückgeflogen ist. Ich habe nie das Gefühl gehabt, dass er sich für immer verabschiedet. Er hat einfach nur den Bus bei dem Autounfall nicht gesehen. Österreich hat ihn angeschissen, da hat er sich gedacht: „Jetzt scheiß ich Österreich auch an." Die Journalisten haben ihn wirklich vertrieben, obwohl sie gewusst haben, dass er so viel fürs Land getan hatte und gerne Wiener und Österreicher war. Ich habe dem Mailath-Pokorny (Anm.: ehem. Wiener Kulturstadtrat) damals gefragt, warum er auf diesem zweiten Hain am Zentralfriedhof liegt. Den muss man ja umlegen. Warum liegt der nicht neben dem Deix? Warum liegt er neben dem Ferry Dusika (Anm.: Radrennsportler, 1984 verstorben), dem gesündesten Toten?
Als wir gemeinsam für einen Dreh für C/O Vienna Interviews TV in der Albertina waren, hast Du mir ein Franz-West-Bild gezeigt, das früher in Deinem Vorraum hing. Bist Du oft mit Kunst bezahlt worden?
Ich habe nie die Zeit gehabt, etwas anzusparen, ich bin ja nicht Dagobert Duck. Es ist aber dann schon eine Ansammlung mit Werken namhafter Künstler entstanden. Franz West hat bei mir oft mit Kunst gezahlt und gesagt: „Freu Dich, früher oder später kriegst Du was dafür.“ Er hat recht gehabt, ich habe später wirklich mal Geld gebraucht und habe das von Dir genannte Bild verkauft. Heute wäre das Bild allerdings das 20- bis 30-Fache wert, da beiße ich mir schon in den Arsch.
„Ich habe starke Anziehungskräfte für die Außenseiter und die Verrückten.“
Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek war eine Deiner Kundinnen. Wie war es mit ihr und ihren Haaren?
Sie war wirklich sehr nett. Sie ist über die Empfehlung einer Freundin zu mir gekommen und wir haben uns sogar ein bisschen angefreundet. Bei meinem Abgang hat sie über eine befreundete Journalistin nachfragen lassen, obwohl sie schon seit zehn Jahren aufgehört hatte, zu mir – oder überhaupt unter die Leute – zu gehen: „Ist der Erich noch ein Außenseiter?“ Auch haarmäßig hat sie das gemeint. Da hat die Journalistin geantwortet: „Ja, sicher.“ „Na, das ist gut“, antwortete sie.
Gibt es eine Kundin von Dir, die Du für ein verkanntes Genie hältst?
Ja, einen Dichter, den Thomas Frechberger. Auch ein Zeichner und Maler, von dem habe ich Bilder und Manuskripte, der hat aber leider ein Alkoholproblem. Der Nino aus Wien kennt ihn auch und hat ihm ein Lied gewidmet. Ich war mit dem Thomas, da war er nüchtern, bei Nino im Konzerthaus und er hat auf der Bühne gesagt, wir sollten aufstehen: „Da ist der berühmte Dichter, der Thomas Frechberger, und der andere war der Friseur vom Falco!“ Es gab noch ein paar, aber viele sind alkoholkrank gestorben: der Philosoph und Dichter Reinhard Priessnitz, Herrmann Schürrer und Otto Kobalek, der Bruder von Franz West.
Was Du fast so gut wie Haareschneiden kannst, ist das Netzwerken. Was ist Dein Geheimrezept?
Das frage ich mich auch. Die meisten haben gesagt, ich war grandios, weil ich daraus nie etwas gemacht habe. Ich habe es mir nie zunutze gemacht, dass ich Leute kenne. Oft haben mich ein paar gefragt, ob ich nicht den oder den anderen kenne, und ob ich ihnen nicht eine Bitte oder ein Begleitschreiben geben könne. Ich habe immer gesagt, dass ich das gern weitergebe, aber ich habe ihnen keine Rutsche gelegt, weil ich es ja selber nicht genutzt habe und nicht nutzen wollte.
Wurden Dir viele Geheimnisse erzählt?
Ich kann Dinge schon gut für mich behalten, aber so viele Geheimnisse hat man mir gar nicht preisgegeben. Wenn Kunden allerdings echt ein Problem haben, sollten sie wirklich lieber zum Psychiater oder zum Psychologen gehen.
Um seine Verdienste für die Stadt Wien erhielt Joham 2013 im Wiener Rathaus das Silberne Verdienstzeichen verliehen, das er auch bei unserem Shooting am Revers trug.
Gibt es in Deinem Leben etwas, das Du bereut hast?
Ja, dass ich Friseur geworden bin (lacht). Schrecklich, da habe ich mir die Füße abgestanden. Was mich wundert, ist, dass ich das im wahrsten Sinne des Wortes durchgestanden habe.
Du bist in in der niederösterreichischen Gemeinde Hadersdorf am Kamp geboren, aber in Meidling aufgewachsen. Wie war Deine Jugend?
Na, herrlich. Das war wie am Land, ziemlich am Stadtrand, St. Meidling an der Wien. Für meinen Vater war wichtig, dass die Straßenbahnlinie 62 dort gefahren ist, die ging nämlich bis zur Oper ins Stadtzentrum.
Ich war wirklich frei. Ich bin praktisch in einer Fabrik aufgewachsen. Das war ein Furnier-Dampfholz-Sägewerk, wo mein Vater Portier und meine Mutter Köchin war, wo ich immer wieder vorbeigeschaut habe. Nach der Schule musste ich, weil mein Vater streng war, die Aufgaben machen, danach war ich mit meinen Freunden strawanzen. Wir haben uns selbst aus dem Ganzen rausgerissen, wir sind da nicht verebbt oder versunken.
Wie bist Du zum Friseurberuf gekommen?
Meine Mutter war Kundin bei einem namhaften Friseur auf der Meidlinger Hauptstraße, und da hat sich mein Vater gedacht, ich könnte, bevor ich Kabarettist oder ähnliches werde, vielleicht Friseur werden. Aber das in der Stadt im ersten Bezirk und nicht bei einem Vorstadtfigaro. Seit meinem 14. Lebensjahr habe ich dann den ersten Bezirk sozusagen nicht mehr verlassen, gelernt habe ich bei Adolf Ossig am Stephansplatz, dann war ich lange bei dem Szenefriseur Werner Berndorfer. 1988 habe ich dann meinen eigenen Salon in der Griechengasse 7 beim Schwedenplatz eröffnet.
Joham empfing sämtliche Namen und Adabeis der Wiener Kunst- und Kulturszene in seinem Salon. Hier zu sehen (von oben links nach unten rechts): Erich Joham mit Falco, Hermann Nitsch, Wolfgang Ambros und Josef Hader.
Du hast Anfang 2019 Deinen Salon übergeben. Wie geht es Dir in der Pension?
Mir fällt das gar nicht auf, dass ich nicht mehr arbeite. Der Fixpunkt war der Salon, der geht mir allen Ernstes nicht ab. Ich bin froh, dass ich einen Nachfolger gefunden habe und der Salon noch existiert, weil da drinnen noch das Gedächtnis sitzt. Es zieht mich nicht mehr so stark hin. Ich spüre aber immer noch, wo ich auch bin und was ich auch mache, besitze ich starke Anziehungskräfte für die Außenseiter und die Verrückten. Die treffe ich auch noch an verschiedenen Schauplätzen und in irgendwelchen Lokalen in Wien.
Und der Weisheit letzter Schluss?
Ich habe gar nicht gewusst, was für einen bunten Planeten wir haben. Man wird in diese Welt hineingestoßen und denkt sich: „Was sind das alles für Menschen hier?" Da geht’s drunter und drüber. Junge, Alte, Verrückte, Noble, Reiche, Arme, Arbeitslose, Unterstandslose, die habe ich alle lange studiert und im Schlepptau gehabt. Zeitweilig habe ich das Gefühl gehabt, dass das entweder ein Kindergschnas, ein Filmcasting oder ein Männerheim ist, da war oft eine Stimmung wie in der Meldemannstraße. Der Wolf Wondratschek hat ein Buch über mich geschrieben, „Mozarts Friseur“, weil er gesagt hat: „Hättest Du in der Zeit vom Mozart gelebt, wäre er sicher Dein Kunde gewesen.“
Erich Joham wurde 1949 in Hadersdorf am Kamp geboren und wuchs in Wien Meidling auf. Seine Friseurlehre begann er mit 14 Jahren bei Adolf Ossig am Stephansplatz. In den 1980er-Jahren schnitt er unter anderem beim bekannten Szenefriseur Werner Berndorfer, bevor er sich mit seinem Salon Er-Ich in der Griechengasse 7 selbstständig machte. Dort schnitt er Falco, Franz West und vielen anderen Größen die Haare, wenn er nicht gerade in Film- oder Theaterproduktionen sich selbst spielte oder mit seiner Entourage aus Kreativen und Verrückten die Stadt unsicher machte. Am 4. September 2013 wurde Erich Joham im Wiener Rathaus das Silberne Verdienstzeichen des Landes Wien überreicht. Im Jahr 2019 gab er den Salon ab und genießt seither seine – alles andere als ruhige – Pension.