Der Schnelle

Unbedingte Zugewandtheit

Schauspieler, Musiker, Bühnenautor, Regisseur, Komponist – das ist NILS STRUNK (32) alles gleichzeitig. Aber er ist eben SCHNELL. Auch beim Sprechen. Seine lustvoll schräge Neuinszenierung der ZAUBERFLÖTE ist ab Juni auf der großen Bühne im Burgtheater zu sehen, wo er auch Ensemblemitglied ist. In eineinhalb Stunden Gespräch ist Nils Strunk sehr persönlich geworden. Wie er sagt: Er kann nichts für sich behalten. 

Text: Maja Goertz, Fotos: Rafaela Pröll

Nils Strunk

„Motiviert, erschüttert und dankbar“


Nils Strunk nimmt das Aufnahmegerät in die Hand und spricht hinein: „Läuft die Aufnahme? Wir befinden uns im Café Zartl – mein Lieblingskaffeehaus in Wien. Hier saßen schon Robert Musil und Friedensreich Hundertwasser. Gehts los?“

Maja Goertz: Starten wir! Du schreibst Theaterstücke, bist Schauspieler, Musiker und Regisseur. Das ist ziemlich viel auf einmal!

Ich finde meine Ruhe darin, viel zu machen. Wenn Menschen finden, dass ich zu schnell rede, dann sage ich immer: „Du hörst zu langsam zu!“ (lacht)

Was treibt Dich an?

Alle Bälle hoch zu pfeffern lohnt sich. Ich muss immer schlucken, wenn Leute sagen, ich hätte ja echt viel Glück gehabt. Es ist so viel Arbeit und braucht die ständige Bereitschaft, Opfer zu bringen.

Wie fühlt es sich an, das Burgtheater zu betreten und zu wissen: Dieses Haus ist mein Arbeitsplatz. Es hat eine lange ruhmreiche Geschichte, die in vergangener Zeit Kratzer abbekommen hat – durch diverse Skandale, nicht zuletzt durch den Umgang mit dem Fall des Burgschauspielers Florian Teichtmeister.

Einen Kratzer haben in diesem Fall viele abbekommen, vielleicht sogar die ganze Stadt. Man hat sich dann sehr aufs Burgtheater fokussiert, weil es medienwirksamer war. Florian Teichtmeister war ein enger Kollege und das war natürlich für viele von uns ein absoluter Schock. Vieles bleibt noch zu klären. Ich finde, unser Haus hat da in weiten Teilen gut agiert. Jedenfalls besser als so manche Teile der Öffentlichkeit. Und ja, das Burgtheater hat eine ruhmreiche Geschichte. Jedes Mal, wenn ich an diesem Bau am Ring ankomme, erschüttert mich, wie groß er ist. Es wäre gelogen, zu sagen, dass es ein Theater wie jedes andere sei. Das ist es nicht. Teil davon zu sein, motiviert mich, ich bin dankbar dafür, dass ich an diesem Haus arbeiten kann. Stefan Zweig hat den schönen Begriff „Theatromanie“ geprägt – die spürt man in Wien. Ich liebe das Publikum hier, auch wenn es streng ist! Das verstehe ich aber auch, denn ich beobachte immer wieder, dass Menschen das Gefühl bekommen, „zu blöd“ fürs Theater zu sein. 

„Viel zugemutet, aber wenig zugetraut“

Was versaut ein Theaterstück?

Oh, vieles. Der größte Fehler ist, glaube ich, wenn man genau festschreiben will, was die Leute verstehen sollen. Wichtig ist doch nur, dass es lebendig ist. Theater soll heute so viel sein: mutig, innovativ, divers, international, aber gleichzeitig sollen natürlich alle perfektes Hochdeutsch sprechen. Es ist unmöglich, es allen Recht zu machen. Aber ich verstehe auch, dass viele Leute nicht gerne ins Theater gehen. Den Zuschauern wird oft viel zugemutet, aber selten genug zugetraut. Man braucht dem Publikum nicht erklären, was es denken soll. Das tut es von allein.

Wie gelingt es, das nicht zu tun?

Das ist jetzt der Moment, wo ich sagen müsste, ich will „Geschichten erzählen“. Das ist leider inflationär und zu einer Phrase verkommen. Mir ist es wichtiger geworden, so etwas wie „Situativität“ zu erzeugen und dem Publikum die Möglichkeit zu geben, der Momenthaftigkeit beizuwohnen und eine Situation mitzuerleben, ohne ein Teil von ihr sein zu müssen. Wenn sich aus vielen Situationen dann eine Geschichte ergibt – schön! 

„Toll, dass es wieder Tabus gibt!“

Du kommst aus der deutschen Szene, in der Theater, das unterhält, oft als oberflächlich abgetan wird. Darf Theater auch einfach Mal Spaß machen?

Unbedingt! Wir sind alle gemeinsam erschlagen von den Realitäten dieser Welt, unsere Handys spucken alle zwei Sekunden aus, wo gerade wieder ein Waldbrand ausgebrochen ist oder Bomben fallen. Deswegen werden Konzert- und Theaterräume, in denen man seine mobilen Geräte ausschalten muss, so wertvoll. Irgendwann sind es vielleicht die letzten Stunden neben dem Schlaf, in dem wir nicht online sind. Wir sind an Schnelligkeit und gute Pointen gewöhnt. Buntes Treiben, Witz, Überforderung – um da mitzuhalten oder dagegen zu gehen, wird szenisches Handwerk wieder wichtiger. Auch, weil viel Theater so verkopft ist. 

Heißt das, dass Theater ablenken soll?

Nur Schwank zu erzählen, wäre schrecklich. Aber die Resonanz, wenn es uns gelingt, das Publikum ein paar Stunden mitzunehmen, ist toll. Sie vergessen die Welt draußen dabei nicht, aber vielleicht können sie dann anders über sie nachdenken. Wir als Theatermacher müssen niemanden belehren, nach dem Motto: „Versteht Ihr eigentlich, was alles abgeht?“ Das tun die meisten ohnehin. Und ja: Natürlich geht es auch darum, Karten zu verkaufen. Ein Theater könnte zu einem Drittel Labor sein, zu einem Drittel provokant und „In your Face!“ und zu einem Drittel  Unterhaltung. Wenn im Theater Goethe gespielt wird, gilt das als elitär. Na und? Es ist Teil der Vielfalt.

Die Kunst darf alles, gilt als unantastbares Gesetz. Gibt es etwas, was trotzdem nicht auf die Bühne gehört?

Ich habe keinen Rassismus und kaum Sexismus in meinem Leben erfahren. Für mich ist es leicht, zu sagen: „Ich finde, man sollte auf der Bühne alles dürfen.“ Anfang der Nullerjahre war im Theater alles erlaubt, alles egal, alles ironisch. Unserer Generation wurde viel Raum freigespielt. Aber wenn es nichts mehr gibt, was man nicht darf, ist das schwer. Dass es wieder Tabus gibt, finde ich toll! 

„Betreutes Denken“

Wofür brauchen wir Tabus?

Um damit jonglieren zu können. Tabus sind gesellschaftliche Pfeiler, die anzeigen, was wir uns voneinander gefallen lassen wollen und was nicht. Gleichzeitig muss man in der Kunst auf Konfrontation mit ihnen gehen können, alles andere wäre entmündigend. Einen Bösewicht nicht mehr zu spielen, weil er ja so böse ist, halte ich für absurd. Das Gleiche gilt leider auch für Rollenbilder. Gerade die alten Theaterstoffe zeigen uns, wie viel an alten Rollenbildern noch heute real ist und wie wenig sich geändert hat, ergo noch ändern muss. Auch das erkennen viele Zuschauer glaube ich selbst.

Gehört Politik ins Theater?

In dem Moment, in dem sich Menschen in einem Raum versammeln und einer Sache zusehen, ist das Politik. Die Frage ist, wie viel Tagespolitik man verhandeln muss. Oft nimmt mir das als Zuschauer den Erkenntnismoment. Dann ist es nur noch „betreutes Denken“. Was viel mehr ins Theater gehört ist das Thema Klassismus. Denn es betrifft wirklich alle. Ich beobachte, dass die Jugendsparten der Theater und die Theaterpädagoginnen in dem Bereich zur Zeit die beste Arbeit leisten – und das nicht nur auf der Bühne.

„Skepsis tötet in der Kunst.“

Wenn Du mit Regisseurinnen oder Kolleginnen uneinig bist, was ist dann Deine Taktik?

In meinem Vertrag steht, dass ich weisungsgebunden bin. Wenn ich etwas nicht gut finde, macht es mir Spaß, mich einzumischen. Zweifel sind wunderbar. Skepsis hingegen tötet. 

Hast Du im Theater Narrenfreiheit?

Nirgendwo ist festgehalten, dass mir auf der Bühne alles erlaubt ist. Aber de facto ist es trotzdem so. Auch wenn mir ein Regisseur sagt, dass ich stillstehen solle, kann ich mich während der Vorstellung bewegen und niemand würde sie abbrechen.

Du führst selbst Regie, Deine Inszenierung der „Zauberflöte“ hatte im April Premiere am Burgtheater, „Mephisto“ im Mai am Badischen Staatstheater in Karlsruhe. Wie ist es, auf der anderen Seite zu stehen?

Toll. Und lehrreich. Wir Schauspieler sind schon ein gnadenloses Volk. Andere Menschen, Technikerinnen, Regie, Bühnenbildnerinnen – müssen einen Raum generieren, damit man als Schauspieler arbeiten kann. Das bedeutet viel Arbeit, die man als Spieler oft nicht sieht und auch nicht sehen soll. Das ist ja wichtig, um sich auf den eigenen Job konzentrieren zu können. Aber die Klischees von Allüren stimmen eigentlich alle.

Hast Du selbst Allüren?

Mittlerweile schon. Wenn ich auf der Probe bin, will ich als Schauspieler, dass mir zugesehen wird und alle vorbereitet sind. Ich benötige volle Aufmerksamkeit, um arbeiten zu können – schauen alle auf ihre Laptops und Handys, dann möchte ich gehen. Auf der Schauspielschule bin ich sehr regelbewusst erzogen worden.

„Nerv nicht so!“

Was bringt Dich dazu, immer aufs Neue so viel fürs Theater zu geben?

Das ist der Punkt in unserem Gespräch, an dem ich einen Kloß im Hals bekomme. Ich war ein hibbeliges, unausgelastetes und verwirrtes Kind. ADHS, wenn man es klinisch benennen möchte. Theater und Musik waren die einzigen Dinge, die mir geholfen haben, weil meine Energie dort dankbar angenommen wurde. Bis dahin wurde mir gesagt: „Nerv nicht so! Sei mal leise!“ In der Schauspielschule wurde mir dann das Gegenteil signalisiert. „Sie sind zu langweilig, machen Sie mal mehr.“

Musst Du als Schauspieler laut sein?

Schauspieler, die behaupten, nicht gerne im Mittelpunkt zu stehen, finde ich albern. Einer der Gründe, warum ich meinen Job mache, ist, weil ich die Aufmerksamkeit liebe. Meine Energie, die sonst in alle Richtungen sprudelt, wird auf der Bühne gebündelt, weil mir bei jedem Schritt den ich mache, tausende Menschen zusehen. Ich habe das Publikum „an den Gedärmen“, wie man so schön sagt. Das ist das größte Geschenk für mich.

Gibt es Dinge, die Dir auf der Bühne noch unangenehm sind?

Schwerer als Nacktheit oder Knutschen finde ich das emotionale Loslassen. Manche Schauspielerinnen reiben sich auf der Bühne großartig auf. Ich beneide das, aber ich bin da vermutlich ein anderer Typ Schauspieler. 

Was für ein Schauspieler bist Du denn?

Meine Stärke ist Schnelligkeit. Auch manchmal meine Schwäche. Ich will in Zukunft noch mehr nach der Tiefe suchen.

Was berührt Dich?

Grundsätzlich? Unbedingte Zugewandtheit und gemeinschaftliche Reaktionen. In einem diktatorischen Regime, wo alle gleichzeitig klatschen und brüllen, würde ich bestimmt ständig heulen vor Berührung. Aber da ist ja Schauer dabei.

„Was kannst Du nicht? Noten lesen!“

Jeder glaubt, die Zauberflöte zu kennen, mit dem Libretto setzen sich allerdings nur wenige auseinander. Was reizt Dich an diesem alten Stoff?

Genau das, die Zauberflöte ist in ihrer genuinen Form so gut, dass es kaum Adaptionen braucht. Also nimmt man es natürlich mit einem Tabu auf, was die meisten nicht wahrnehmen. Wenn man auf der Bühne „Ficken“ sagt, weiß jeder: Das ist ein Tabu. Das ist platt. Aber dem Tabu, in der Oper die Noten nicht anzufassen, stand ich schon immer mit dem Revolver in der Hand gegenüber.

Die Zauberflöte ist direkt ein großer Erfolg geworden und zieht bald vom Kasino auf die Burgtheater-Bühne. Was macht die Zauberflöte zu so einem beliebten Stück?

Ich glaube in erster Linie natürlich unser Ensemble und die Band. Die sind schon wirklich alle richtig toll. Aber auch die Frechheit, diesen heiligen Stoff so ins Moderne zu reißen. Und vor allem, dass wir immer liebevoll bleiben. Wir versuchen ja nicht, irgendjemandem betont an den Karren zu pissen, sondern eher tiefe Sehnsüchte zu wecken. Oder sogar zu befriedigen. Sogar die Kennerinnen und Hardliner gehen ja bei uns strahlend raus. Als hätten sie das insgeheim immer gewollt: Mozart mit Autotune. Das ist schon faszinierend. 

Bist Du einer, der aneckt?

Vielleicht intern, ja. Mein Theater gefällt dem imaginären, also dem theaterinternen Markt nicht. Zu der Zauberflöte, die nach Minuten ausverkauft war, sagte ein Dramaturg nur: „Glückwunsch. Schöner Publikumserfolg“. Da schwingt so dieser elitäre Glaubenssatz mit, dass es keine wirkliche Kunst sein kann, wenn es einem breiten Publikum gefällt. Das fand ich zum Kotzen. Aber ich reg mich da auch viel zu oft drüber auf, anstatt es abtropfen zu lassen. Das kann ich leider nicht. Kunst braucht Publikum. Und auch solches, dem sie gefällt, sonst ist irgendwann Schluss mit Subventionen.

Du kannst Gitarre, Mundharmonika, Ukulele, Percussions und Schlagzeug spielen. Was kannst Du nicht?

Noten lesen. Ich werde weder Schubert noch Chopin vom Blatt spielen können. Was ich davon adaptieren kann, sind einprägsame Melodien und Stellen, die mir im Gedächtnis bleiben. So war es auch bei der Zauberflöte. Ich spiele nur aus dem Kopf.

„Er kann nichts für sich behalten.“

Was macht Dir Angst?

Ich bin schon sehr abhängig davon, gefallen zu wollen. Am liebsten würde ich von allen gemocht werden. Das löst Versagensängste aus. In diesem Moment denke ich zum Beispiel: „Du nervst Maja gerade. Du bist zu eitel.“ Ein Teil meines Gehirns muss mir während unseres Gesprächs die ganze Zeit sagen: „Du bist gerade im Interview, Du sollst viel reden, das ist die Aufgabe. Beruhige Dich.“ Es fällt mir schwer, Dinge im Raum nicht anzusprechen. Ich muss alles benennen, was ich wahrnehme.

Das ist befreiend!

Ja, es kann die Scham wegnehmen. 

Ist es gut, auch mal was für sich zu behalten?

Wenn ich mich von außen und innen beschreiben sollte, dann wäre das eigentlich eine gute Formulierung: „Er kann nichts für sich behalten.“ Mit der positiven und der negativen Seite. Aber ich will es ja auch gar nicht anders, ich möchte ja alles geben.

Gibts noch was zu sagen?

Ich glaube nicht. Ich bin an den Kern der Dinge gekommen, die ich so denke. Und merke, dass ich dabei mal wieder Federn gelassen habe. Tja. Nichts ist umsonst.

Danke für Deine Offenheit!

Nils Strunk wurde 1990 in  Lübeck geboren und studierte von 2011 bis 2015 an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch. Es folgten Engagements an der Schaubühne am Lehniner Platz, dem Deutschen Theater Berlin und der Staatsoper Unter den Linden, am Düsseldorfer Schauspielhaus, am Schauspiel Hannover und an der Berliner Volksbühne. Festes Ensemblemitglied war er am Staatstheater Wiesbaden, Residenztheater in München und seit 2021 am Burgtheater. 2020/21 gab er am Staatstheater Karlsruhe mit „Mozart und Salieri“ sein Regiedebüt. Nils Strunk ist Gründungsmitglied des Neuen Künstlertheaters, einer Gruppe junger Theaterkünstlerinnen, oder wie er selbst sagt: „ein Bündel voller Potential“. Er lebt in Wien und Berlin.


(dp)


Die Lyrikerin

Text: Maja Goertz

Sirka Elspaß

Sirka Elspaß' Wimpern sind ungeschminkt, als wir sie zum Interview im Café Sperl treffen. Auch ungeföhnt? Seit ihrem 2022 erschienen Lyrikdebüt „ich föhne mir meine wimpern“ hat man unweigerlich solche Gedanken. Während die junge deutsche Autorin (*1995) und Wahlwienerin Melange trinkt, spricht sie mit uns über ihren Hass aufs Internet, das Schreiben unter Drogen und ihren erfolgreichen Instagram-Kanal-Slogan: „wer da nicht schmunzelt, ist selbst schuld.“