Der Spoerri

Zu Tisch bitte

Der 91-jährige Schweizer Künstler Daniel Spoerri schrieb sich mit seinen berühmten Fallenbildern, Momentaufnahmen des Alltäglichen und des Konsums, in die Kunstgeschichte ein. Ein launiges Gespräch über seine Wahlheimat Wien und seine Faszination für Sparschäler.


Text: Antje Mayer-Salvi mit Karin Weinhandl

„Glauben Sie mir kein Wort!“

Karin Weinhandl: Darf man von Ihnen behaupten, dass Sie mit über 90 Jahren weise sind?

Daniel Spoerri: Das ist eine Frage, die mir noch nie gestellt wurde (lacht). Niemand würde doch von sich selbst behaupten, er sei weise, auch wenn er weise wäre.

Haben Sie für junge Menschen einen Ratschlag?

Glauben Sie mir lieber kein Wort! Oder machen Sie weiter, so wie Sie sind, und ich mache weiter, wie ich bin.

Sie sind Schweizer mit rumänischer Herkunft. In den 1980er Jahren haben Sie schon einmal in Wien gelebt, als Sie an der Angewandten unterrichtet haben. Wie kommt es, dass Sie nach lebenslangem Nomadentum wieder die Donaumetropole als Wohnort gewählt haben?

Ich fühle mich wohl in Wien. Die Stadt erinnert mich sehr an Rumänien, wo ich aufgewachsen bin. Weil ich immer wieder woanders gelebt habe, etwa in New York, San Francisco und Paris, bin ich mehrsprachig, die einzige Sprache, die ich vergessen habe, ist Rumänisch. Dabei ist das auch meine Muttersprache. Zuhause benutzten wir sie kaum, meine Mutter, eine Schweizerin, kommunizierte mit uns auf Deutsch. Wir lachten sie oft aus, weil sie so schlecht Rumänisch sprach. Wir beherrschten es besser als sie, weil wir es auf der Straße gelernt hatten.

„Passt auf, jetzt fange ich an zu tanzen.“

Vor sechzig Jahren fingen Sie an, Ihre berühmten Fallenbilder zu produzieren, Momentaufnahmen von Objektsituationen, die Sie genau so, wie Sie sie vorfinden, auf einer Unterlage befestigen und dann um 90 Grad gedreht an die Wand hängen und somit zum Kunstwerk ernennen. Später kamen die Wortfallen und die Zimmerfallen dazu, bei denen Sie ganze Einrichtungssituationen einfangen. Was geht Ihnen momentan in Ihre Falle?

Das Teehäferl und das Smartphone hier vor uns gehen mir zum Beispiel gerade in die Falle. Ich nehme es exakt so auf, wie es hier vorzufinden ist. Früher war ich sehr konsequent. Wenn jemand zu mir gesagt hätte: „Nein, dies und das darfst du nicht für dein Fallenbild benutzen“, hätte ich entgegnet: „Danke, dann will ich alles auf dem Tisch nicht in die Falle gehen lassen.“ Mit der Zeit wurde ich da aber immer freier, schlussendlich ganz frei und machte das, was mir passte.

Hat das mit Jagdinstinkt zu tun oder sind Sie eher ein Sammler?

Ein Sammler! Ich sammle aktuell vor allem Dinge, und daraus ergeben sich Bilder. Das sind nicht nur Kunstwerke aus vorgefunden Objekten und Situationen, sondern auch bewusst aus gesammelten Objekten. Ich bin jetzt nicht mehr so konsequent wie früher, es ist jetzt eher eine Mischung aus Falle und Sammeln.

Sie haben nach Ihrer klassischen Tanzausbildung in Zürich und Paris unter anderem als Tänzer am Stadttheater Bern gearbeitet ...

... ich war immer Künstler, ich wollte mich ausdrücken, ich musste mich ausdrücken, und als Tänzer war ich eigentlich viel glücklicher. Früher, in diesen Kellern, wo ich tanzte, wusste ich, wenn ich jetzt anfange, wie verrückt alleine zu tanzen, dann bleiben die Leute stehen und schauen mir zu. Manchmal habe ich sogar provoziert und gerufen: „Passt auf, jetzt fange ich an zu tanzen“. Dann begann ich und die Leute standen still und schauten mir zu.

„Andere haben Performances veranstaltet, ich habe Restaurants gegründet.“

Machen Sie Ihre Fallenbilder auch glücklich?

Die Fallenbilder zu produzieren ist langwierig und mühsam. Du musst jedes Objekt nehmen, saubermachen und ankleben. Man kann ja auf einem unsauberen Tisch nichts gut befestigen. Man sollte das sehr sorgfältig machen, sich vorher genau merken, wo alles gestanden hat. Die Leute meinen, man nimmt es und tut ein bisschen Spucke drunter und dann ist es gut. Es ist viel aufwendiger als man denkt, weniger spontan als das Tanzen!

Sie sollten eigentlich Fotograf werden, haben sogar eine Lehre begonnen, diese aber bald wieder beendet. In der Fotografie geht es ja auch darum, vorgefundene Situationen festzuhalten. Sind Sie so zu den Fallenbildern gekommen?

Ich war mir nie bewusst, dass das, was ich mit dem Fallenbild gemacht habe, sozusagen eine dreidimensionale Fotografie ist. Ja, man könnte es so bezeichnen: als eine Fotografie einer Situation! So wie sie ist, knipse ich sie fest.

Wir waren alle in den vergangenen Lockdowns viel mehr zuhause, beschäftigten uns mehr mit dem Essen, dem Kochen und mit Lebensmitteln. Das dürfte Ihnen doch gefallen, zumal Sie ja eine eigene Kunstrichtung dazu erfunden haben ...

… aber nicht die Cook Art, sondern die Eat Art. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass ich sie erfunden hatte (lacht). Erstens spricht sich Eat Art einfacher als Cook Art – und Kochen, das hat man ja immer schon als eine Kunst betrachtet. Beim Essen hingegen hatte man damals weniger an Kunst als an Anstandsregeln gedacht. Es lag mir sozusagen im wahrsten Sinne des Wortes „auf der Zunge“ und damit war es dann in der Welt.

„Weil ich es sage, ist es Kunst.“

Sie haben ja auch Restaurants gegründet?!

Das war meine Form von Happenings. Andere haben große Performances veranstaltet und ich habe eben Restaurants gegründet, manche nur interimistisch, manche für länger. Wenn jemand zu mir ins Restaurant kommt, der braucht gar nicht zu wissen, dass es eigentlich für mich ein fortlaufendes Happening ist, dass das meine künstlerische Ausdrucksweise ist. Die Gäste finden diese Art von Kunst schon interessant, oder sagen wir besser, es stört sie nicht, das Essen ist ihnen im Grunde viel wichtiger.

Unser Umgang mit der Nahrung, den Tieren, mit der Natur, warum kann das entscheidend für unsere Zukunft sein?

Das war schon immer entscheidend! Die ganze Entwicklung des Menschen besteht zum großen Teil darin, was er isst, was er pflanzt, wie er kocht, ob er das Feuer hat, alles roh essen muss oder es heiß zubereiten kann. Heute kocht man ja gar nicht mehr, man drückt nur auf Knöpfe. Früher musste man immer erst das Feuer erzeugen und es unterhalten, es war ein intensiveres und aufwändigeres Kochen. 


„Es gibt krumme, es gibt quere, es gibt gerade, es gibt alles Mögliche!“

Sie haben sich immer wieder mit dem Begriff des Objekts beschäftigt. Was ist so ein Ding?

Ein Readymade ist ein einziges Objekt. Das stelle ich auf einen Sockel, das ist Kunst. Weil ich es sage, ist es Kunst. In meinem Fall war es, glaube ich, zum ersten Mal, dass nicht nur ein Ding, sondern eine ganze Situation als Kunst angesehen wurde, wo eine Relation besteht zwischen den Objekten. Das war noch literarischer, man konnte die Geschichte der Dinge ablesen und ihre Beziehung zueinander. 


Wie sind Sie darauf gekommen, ausgerechnet Sparschäler als Komponenten einer ihrer Arbeiten mit dem Titel „Collection de Herdöpfelschälerli“ zu wählen. Sie haben damals eine Assemblage von hunderten dieser Geräte auf einer Holztafel montiert.

Der Herdöpfelschäler ist ein Objekt, das kaum jemand beachtet. Aber es gibt unendlich viele unterschiedliche Formen. Es fasziniert mich, dass der Mensch ein Produkt ununterbrochen neu erfindet. Ein Sparschäler ist ein Messer mit einem Schlitz drin. Das ist ein für alle Mal richtig, gut gelungen und fertig. Man muss das nicht mehr neu erfinden. Aber nein! Man erfindet es immer wieder. Es gibt krumme, es gibt quere, es gibt gerade, es gibt alles Mögliche. Das finde ich einfach faszinierend. Es gibt nicht eine Birne, sondern es gibt tausende Arten und Formen von Birnen und Äpfeln, wie es eben auch unendlich viele verschiedene Menschen gibt. Wir sind im Grunde auch nur ein Produkt der Natur, die immer alles ständig variiert und neu erfindet. Jetzt habe ich am Schluss, glaube ich, hundert verschiedene Sparschäler gehabt.

Gehen Sie immer noch auf Flohmärkte?

Jeden Tag, wenn es geht! Ich muss ja immer neues Material finden.

Daniel Spoerri wurde 1930 als Daniel Isaak Feinstein in Galaţi, Rumänien geboren. Er 
lebt in Wien, ist Mitbegründer des Nouveau Réalisme und Begründer der Eat Art. 
Seine Werke, die der Objektkunst zuzurechnen sind, waren und sind in vielen internationalen Ausstellungen und Kunstsammlungen vertreten. Er unterrichtete unter anderem an der Fachhochschule Köln, hatte eine Professur an der Kunstakademie München, war Gastdozent an der Sommerakademie Salzburg sowie an der Hochschule für Angewandte Kunst in Wien. In Hadersdorf am Kamp in Niederösterreich werden im Ausstellungshaus Spoerri Ab Art seit 2009 Wechselausstellungen präsentiert. Von 24.3. bis 27.6.2021 zeigt das Kunstforum Bank Austria in Wien eine umfassende Retrospektive.
Dieser Beitrag entstand im Rahmen einer Kooperation mit der Meisterschule der Graphischen Wien. Dieser Artikel erscheint außerdem in der C/O Vienna Magazine Sonderausgabe THE CONSUMER ISSUEHier bestellen!

Der Wurmfarmer

Text: Antje Mayer-Salvi mit Stella Wendtlandt

Der junge Kärntner Bauer Andreas Koitz betreibt keine Landwirtschaft mit Feldern und Kühen, sondern züchtet Würmer. Wir besuchen ihn auf seinem Bergbauernhof und fragen nach, wie man Insekten erntet und aus ihnen eine gute Mehlwurmspeise bäckt.

Der Māori

Text: David Meran

George Nuku ist Vertreter zweier Welten, seine Mutter ist Māori, sein Vater deutscher Schotte. Für das Weltmuseum in Wien baut der neuseeländische Künstler derzeit einen versunkenen Unterwassertempel, in dem mutierte Rochen, Haie, Hochseefische und Quallen aus Plastikmüll, Acrylglas und Polystyrol schwimmen. Ein Gespräch mit einem Menschen, der eine ganz andere Sicht auf die Welt hat.