Der Valentinitsch

Sneaker, Skischuhe & Smartwatches

Tino Valentinitsch verdiente sich seine Sporen als erfolgreicher Designer für adidas, Versace und Helmut Lang, bevor er mit seinem Partner Michael Bauchowitz das bekannte Industrie- und Produktdesign-Studio Valentinitsch Design seines Vaters in Wien übernahm. Eines der ersten Designobjekte, das er als kleiner Bub entwarf, war wie viele seiner späteren Objekte so bestechend einfach wie ausgefeilt: eine Futterklappe für seinen Dackel.

Text: Antje Mayer-Salvi

„Alles richtig gemacht!“

Antje Mayer-Salvi: Ihnen wurde das Designen im wahrsten Sinne des Wortes in die Wiege gelegt!?

Tino Valentinitsch: Das kann man so sagen! Unser Büro „Valentinitsch Design“ gründete mein Vater Dietmar im Jahr 1982. Es war eines der ersten Studios für Industrie- und Produktdesign in Wien, sehr spezialisiert und klassisch. Davor war er Kreativdirektor bei Dachstein, wo er 1970 den ersten Kunststoff-Skischuh der Welt erfand – damals eine Revolution. Der berühmte „MAM Beruhigungssauger“ und „Battenfeld“, die erste vollständig eingehauste Spritzgussmaschine der Welt, oder die Niederflurstraßenbahnen der U6 in Wien sind ebenfalls vom ihm. Ich bin mit meinem Partner Michael Bauchowitz heute vielfältiger aufgestellt: Wir bedienen Lifestylekunden, designen auch Grafik und Interieurs und beschäftigen uns mit Branding.

Können Sie sich noch an Ihr erstes selbst designtes Objekt erinnern?

Das war eine Klappe auf unserem Esstisch, wo man die Speisereste reinschmeißen konnte, die direkt in einem darunter stehenden Napf für unseren Dackel fielen. Was auch schon früh für meinen Sinn für funktionale Lösungen sprach, war eine Art Kopfspange für meine Mutter, in die sie eine Zigarette stecken konnte. So war ihr möglich zu rauchen und trotzdem beide Hände frei zu haben.

„Eine extrem simple Lösung finden“

Aschenbecher zu designen, finden Sie bis heute spannend, Sie haben ja einige entworfen?!

Die Designaufgabe ist bei Aschenbechern ja sehr überschaubar. Mein Ehrgeiz besteht darin, eine extrem simple Lösung zu finden und dabei etwas Schönes zu schaffen. Für Koziol habe ich den „Smok“ designt: ein runder Topf aus Melaminharz mit einem schrägen Edelstahltrichter mit Loch, in das genau eine Zigarette passt, ein „Low-Tech-Drehascher“ sozusagen. Probieren Sie es aus! In den Topf passt wiederum genau die Stummelmenge einer Zigarettenschachtel. Das ist eines meiner Lieblingsprodukte, das viel über meine Arbeitsweise aussagt.

Seit neuestem sind Sie mit Ihrem Kollegen Alexander Wiederin, Gründer des Büro New York, unter die Uhrendesigner gegangen: Die AL-Time, eine qualitative Aluminium-Quarz-Uhr für knapp 200 Euro, bisher in zwanzig verschiedenen Designs – die neue Swatch, nur besser?

Eher eine Antwort auf die Smartwatch, eine klassische, sehr leichte, „dumme Watch“ sozusagen! Alex und ich können stundenlang über das Aussehen eines Zeigers diskutieren, wir sammeln beide leidenschaftlich Uhren. Wir hatten im Vorfeld gemeinsam Zeitmesser für Givenchy designt und dabei viel Know-how gesammelt, bis wir uns entschlossen, doch mal was Eigenes auf die Beine zu stellen. Wir wenden Techniken an, die man im Uhrenhandwerk bisher nicht kannte.

„Wenn ich Kommerz mache, dann wenigstens schönen Kommerz.“

Sie haben für das Design der AL-Time sogar ein Patent angemeldet?

Ja, weil wir für die AL-Time weniger Schritte als bei herkömmlichen Uhren für das Zusammenbauen benötigen. Solche technischen Aufgaben reizen mich als Designer sehr. Den Marketingaufwand haben wir beide allerdings etwas unterschätzt, aber es läuft.

Was haben Sie von Ihrem Vater über das Designen gelernt?

In den 70er-Jahren befand sich das Büro meines Vaters noch in unserer Altbauwohnung im 3. Wiener Gemeindebezirk. Ich habe schon als kleiner Bub beim Modellbauen mitgeholfen, ständig gezeichnet und gebastelt. Das war toll. Von meinen Eltern habe ich meine Leidenschaft für Kunst, Design und Mode geerbt. Meine Mutter bemalte übrigens Emaille in einem kleinen Geschäft auf der Kärntner Straße, das sie von einer alten Dame übernommen hatte. Von ihr kommt wohl meine Affinität zum Handwerk, das ich gerne mit industriell Hergestelltem kombiniere. Bei uns zuhause hingen überall Kunstwerke an den Wänden und es war alles durchdesignt.

Wien in den 70er-Jahren war grau und trist und in gutbürgerlichen Familien war alles mit diesen schrecklichen, braunen Tapeten ausstaffiert ...

Genau, aber wir hatten ein Vorzimmer, das war blau gestrichen mit einem riesigen Regenbogen darüber, von der Decke hingen Wolken und ein Papagei, und darunter stand der Gufram Kaktus-Kleiderständer (Anm.:  Guido Drocco & Franco Mello, 1968). Meine Schulkollegen sind schier ausgerastet, weil das so cool war. Ich wurde in meiner Kindheit und Jugend auf unzählige Vernissagen mitgeschleppt. 1971 gründete Peter Noever mit seiner Frau Katharina die „Sektion N“, den ersten Concept Design Store Wiens, den übrigens Hans Hollein designt hatte. Das war der Dunstkreis, in dem ich aufgewachsen bin.

„Man ist als Designer seiner Zeit leider oft voraus.“

Was nahmen Sie für Ihre spätere, erfolgreiche Designkarriere damals mit?

Dass man ein Produkt immer hinterfragen sollte. Braucht es das hundertste Re-Design eines Lounge Chairs? Gäbe es nicht einen größeren Bedarf nach einem Schmusesofa? Mich interessiert aber auch immer dieser Moment, der auf eine Meta-Geschichte hinweist. Ich spiele gerne mit Humor. Wenn der allerdings den funktionalen Aspekt dominiert, wird es albern. Als Designer ist man wie ein Psychologe, der das Gegenüber, in meinem Fall eine Marke oder ein Produkt, analysiert und eine Diagnose stellt. Sogenannten Zielgruppen hinterher zu designen ist riskant. Das finde ich respektlos, da das die Gefahr in sich birgt, immer nur das Bekannte zu bedienen, nichts Neues zu erfinden und nicht auf die sich ändernden Bedürfnisse der Kunden einzugehen.

Sie sind offensichtlich ein sehr guter Psychologe. Sie waren einige Jahre lang Schuhdesigner für adidas und für Parfumflakons bei Versace und maßgeblich an einigen derer Bestseller beteiligt. Auch Helmut Lang holte Sie in sein Team nach New York.

Ich habe anfänglich bei adidas in der Prestigeabteilung für „Running shoes“ gearbeitet, das war der Anfang dieses riesigen Sneaker-Hypes. Einige meiner Entwürfe sind heute noch im Sortiment. Ich durfte gleich am Anfang einen „Barbecue Schuh“ designen, das war damals der Arbeitstitel, also einen Treter mit einem sportlichen und wertigen Look, aber zu einem Preis um die 50 Dollar ...

... also einen Sneaker, den eher der Daddy mit Wampe beim Grillen trägt als ein Fußballstar bei der Champions League ...

Das würde ich jetzt nicht so formulieren, aber das trifft es wohl. Jedenfalls wurde das Modell millionenfach verkauft, es gibt eben mehr Familienväter als Fußballstars (lacht). Ich habe mal einen Punk in der Wiener Innenstadt gesehen, der völlig betrunken sich und seine Turnschuhe anpinkelte, es waren meine adidas Vanings. Alles richtig gemacht, dachte ich mir, ein Schuh für alle Gesellschaftsschichten und Lebenslagen! Ich habe noch gut 200 Paar Sneaker in Kisten verpackt in meinem Wiener Büro herumstehen.

„Ich spiele gerne mit Humor.“

Vielleicht werden die mal richtig viel Wert! Später durften Sie aufgrund Ihres Erfolgs in enger Zusammenarbeit mit dem japanischen Designer Yohji Yamamoto die Sportswear Brand adidas Y-3 „from scratch“ mit aufbauen?

Dieser leise, intellektuelle Japaner war absolut diametral zu der bunten, lauten Donatella Versace, aber ich konnte mit beiden gut und sie beide mit mir. Yamamoto war 2001 einer der Ersten, der auf dem Laufsteg seine Models mit Sneaker auftreten ließ. Eine Revolution für damalige Zeiten! Die adidas Y-3 habe ich mit ihm gemeinsam designen dürfen. Einige meiner Flakons, etwa der für den Versace-Duft „Crystal Noir“, sind seit 20 Jahren im Handel. Das ist für mich auch nachhaltiges Design, wenn etwas Bestand hat. Bei Helmut Lang durfte ich leider nur zwei Accessoires-Kollektionen mitgestalten. Ich verließ nach einem Jahr mit ihm das Unternehmen. Prada, damals schon Eigentümer, pfuschte ihm zu sehr ins Handwerk. 

Steht man bei solchen großen Marken als Designer nicht unglaublich unter Druck?

Ich beschäftige mich wie gesagt seit meiner Jugend viel mit Architektur, Mode und Kunst. So erkenne und begreife ich Tendenzen. Ich recherchiere viel. Man wird als Designer gut gebrieft, die Marketingabteilungen überlassen heutzutage selten etwas dem Zufall und orientieren sich an anderen erfolgreichen Mitbewerbern. Die erfolgreichen Tom Ford-Düfte für Gucci waren bei Versace eine Benchmark. Oft ist man als Designer aber seiner Zeit leider auch voraus. Wir hatten für Y-3 diese Wedges, Turnschuhe mit Keilabsatz für Damen, entwickelt. Die Marketingabteilungen schossen sie ab. Zwei Jahre später wurde Isabel Marant damit extrem erfolgreich und ihre Modelle wurden millionenfach kopiert. Da haben einige richtig gut Geld verdient!

„Nachhaltiges Design ist auch, wenn etwas Bestand hat.“

Ging in Ihrer Karriere mal was richtig schief?

Es ist schon zermürbend zuweilen, wenn du als Designer eine Entwürfe abgibst und am Ende erkennst du dein eigenes Produkt kaum mehr.  Ich habe Mitte der Neunziger für die deutsche Marke Koziol, für die ich bis heute viel produziere, mal eine Brotdose kreiert. Damals war so ein comicartiges Design à la Alessi en vogue, was mir als passionierter Comiczeichner sehr in die Hände spielte. Sie sah aus wie diese abstrahierten Cartoon-Brote mit drei Querrillen, die als Griff dienen sollten. Ziemlich trickreich, da die richtige Tiefe und die passenden Winkel zu finden, damit man mit den Fingern nicht abrutscht. Am Ende bauten die doch tatsächlich eine Art Steg in die mittlere Vertiefung. Aus meiner Sicht war die ganze Idee damit dahin. Fanden die Kunden nicht: Das Ding ist bis heute das erfolgreichste Produkt, das ich für Koziol entworfen habe.

Hat Sie als Designer dieser knallharte Kommerz im Lifestyle-Business nicht auch manchmal zum Nachdenken gebracht?

Absolut! Ich dachte mir immer, wenn ich schon Kommerz mache, dann wenigstens schönen Kommerz, der so gut designt und qualitativ produziert ist, dass er lange „modern“ bleibt und man ihn nicht wegwerfen will. Ist mir ja auch hie und da gelungen (lacht). Natürlich achte ich als Designer auch genau darauf, wie und wo etwas produziert wird. Ich bin davon überzeugt: Als Produktdesigner, in welchem Bereich auch immer, kann man die Welt ein klein wenig besser machen.

Was wollten Sie schon immer designen, haben Sie aber noch nicht?

Wenn ich so darüber nachdenke: ein Schmusesofa!

Ich danke für das Gespräch!

2011 übernahm Tino Valentinitsch (*1972) das elterliche Produkt- und Industriedesign-Studio Valentinitsch Design in Wien, das er mit seinem Partner Michael Bauchowitz führt. Seit 2004 lebt er in New York, im Laufe der Jahre reiste er nach Japan, New York, China und Italien, um mit Personen wie Yohji Yamamoto, Helmut Lang und Donatella Versace zusammenzuarbeiten. An der Universität Essen studierte Valentinisch Maschinenbau und Industriedesign. Neben seiner Tätigkeit als Designer hält er Vorträge und Workshops in Schulen, Museen und verschiedenen Unternehmen.

Der Lichtmaler

Text: Antje Mayer-Salvi, Porträts: Anja Kundrat

Christian Ploderer in der Post am Rochus

Der Wiener Christian Ploderer ist einer der gefragtesten Lichtdesigner in Österreich, der wie mit einem Malkasten die verschiedensten Lichtstimmungen zaubern kann. Wir sprechen mit ihm über die Kunst der guten Beleuchtung, Lichtverschmutzung und die Poesie des frühen Morgens.

Der Explosive

Text: Antje Mayer-Salvi, Fotos: Miro Kuzmanovic

Der Schweizer Roman Signer (*1938) ist einer der bedeutendsten europäischen Künstler der Gegenwart. Seine Werke sind prozessuale Skulpturen von bizarrer Ästhetik, Poesie und Humor, Ergebnis penibelster Planung und unberechenbaren Zufalls. Signer und seine Frau Aleksandra empfingen uns in ihrem Atelier in St. Gallen. Wir sprachen über die Kindheit, Scham, Freude und seine Lust an der Pyrothechnik.

Der Perückenmacher

Text: Sophie Starkl, Fotos: Manon Nitsche & Sophie Starkl

Perückenpuppe mit Lippenstift

„Ob als Ausdruck Ihrer Persönlichkeit oder aus medizinischen Gründen: Ihr Zweithaar von Karglmayer besticht durch absolut natürliches Aussehen und ist aufgrund der hohen Qualität vom eigenen Haar nicht mehr zu unterscheiden“, so steht es auf der Website des traditionellen Perückenmacher-Unternehmens Karglmayer, das Filialen in Wien und Graz unterhält. Wir haben mit dem Mitinhaber, Friseur und Perückenmacher Martin Kuklovszky über eine alte Handwerkskunst gesprochen, die es seit der Antike gibt.