Der Wirt vom Rüdigerhof

Knödel mit Ei auf Augenhöhe

Jugendstilfassade, Ahorngarten und hundert Jahre altes Inventar: Willkommen im Rüdigerhof, eines der wenig verbliebenen originalen Wiener Kaffeehäuser. Ort des Verweilens, des Abschweifens und des Müßiggangs. Ort der guten Gäste und der guten Laune, des Wiener Schmähs und des großen Mundwerks. Insbesondere für Letzteres ist hier der Betreiber Mentor Halper zuständig.

Text: Viktoria Kirner

„Ich kann dir sagen, was es hier nicht braucht: WLAN.“

Die ersten lauen Sommerabende stehen vor der Tür, und Wien kann endlich wieder seinen Feierabend-Spritzer in Eurem Gastgarten trinken. Freust Du Dich?

Und wie! Das ist gerade meine Lieblingszeit im Rüdigerhof. Beim ersten Spritzer in der Sonne sind alle Menschen super drauf. Und abgesehen davon: Die Leere im Lokal der letzten Wochen war echt brutal, richtig unheimlich. 

Ich habe Dich noch nie nicht arbeiten sehen – immer g’schaftig, zehn Biere in jeder Hand und selten um einen Schmäh verlegen. Wie viele Stunden verbringst Du pro Woche im Rüdigerhof?

Normalerweise arbeite ich von Montag bis Samstag: Kellnern, Einkäufe, Bestellungen und Buchhaltung. Ich komme vermutlich auf siebzig Stunden pro Woche. Es ist gut, dass wir jetzt wieder aufsperren, ich wusste zuhause schon gar nicht mehr, wohin mit mir und der ganzen Zeit. 

„Es ist extrem schwer, im Rüdigerhof einen unguten Menschen zu treffen.“

Was liebst Du am meisten an Deiner Arbeit hier?

Den Kontakt zu anderen Menschen und das, was ich von ihnen lerne. Von komischen Leuten, guten Leuten, sympathischen und unsympathischen. Obwohl es extrem schwer ist, im Rüdigerhof einen unguten Menschen zu treffen. Ich weiß nicht, woran das liegt. Andere Gäste kannst du mit unseren nicht vergleichen. Unsere Gäste sind relaxt, nicht arrogant und immer auf Augenhöhe mit uns. Leute, die einen als Kellner wie den letzten Dreck behandeln, gibt es hier nicht.

Was braucht ein gutes Kaffeehaus?

Ich kann dir sagen, was es nicht braucht: WLAN. Und es darf keine Website haben. Das ist gut für den Ruf.

Auch gut für Eure Street-Credibility war sicherlich die große „A letzte Tschick“-Party am Abend vor dem Rauchverbot. Social Media war voll mit Bildern aus dem Rüdigerhof. Wie viel hast Du an dem Abend geraucht?

So, wie es mir am nächsten Tag gegangen ist – mindestens drei Schachteln. Dieser Abend war eine Zitterpartie für mich. Ich habe das Event extra erst zwei Tage davor angekündigt, damit es nicht zu voll wird. Eigentlich sollten nur Stammgäste kommen.

Halb Wien war da.

Ja, hunderte Leute. Passiert ist aber zum Glück nichts, alle haben sich super benommen. So, wie ich das von meinen Gästen kenne.

„Ich bin jeden Tag gut aufgelegt, ob mit oder ohne Alkohol.“

Der Rüdigerhof ist in einem denkmalgeschützten Jugendstilgebäude direkt an der Wienzeile angesiedelt. Es gibt ihn seit fast 120 Jahren und er hat eine bewegte Vergangenheit. Seit wann sind die Halpers Teil seiner Geschichte?

Seit 1958. Mein Großvater, Ricardo Halper, hat sich als Gastarbeiter in Südamerika bis zum Hoteldirektor hochgearbeitet. Als er aus Brasilien zurückkam, eröffnete er den Rüdigerhof und gab mir somit die Chance meines Lebens. 

Deine Mama, Renate Halper, kannte fast ganz Wien. Und ganz Wien kannte sie. Sie starb vor zwei Jahren, nachdem sie über zwanzig Jahre lang im Rüdigerhof ihr Regiment geführt hatte …

Dass sie so jung, mit nur 61 Jahren, gestorben ist, war ein Schock, damit hatten wir nicht gerechnet. Sie war zwar krank, aber niemand wollte glauben, dass es jetzt aus ist. Sie hat bis zum letztmöglichen Zeitpunkt gearbeitet. Ihr war extrem wichtig, dass das Lokal bestehen bleibt und ich es weiterführe. 

Wolltest Du das?

Ich mache meinen Job wirklich gerne. Ich bin jeden Tag gut aufgelegt, ob mit oder ohne Alkohol. Renate hat mich als Kind adoptiert, fast mein ganzes Leben habe ich im Rüdigerhof verbracht. Sie wusste, dass ich das nötige Herzblut dafür mitbringe.

Renate war gut mit Josef Hader befreundet. Er ist einer Eurer wohl bekanntesten Stammgäste. Welche Promis gehen noch bei Euch aus und ein?

Der Josef war sogar beim Begräbnis von meiner Mama. Der ist ein Goldstück, ein seltener Mensch. Dass man nach so viel Erfolg noch so normal ist – bewundernswert. Zum Stammpublikum zählen sonst vor allem Autoren, Künstler oder Kabarettisten, wie etwa Stermann und Grissemann, Gery Seidl oder Andreas Vitasek.

„Meine Mama würde jetzt sagen: ,Mentor, halt die Pappn, red ned so deppat!‘“

Und prominente Frauen?

Gibt’s die?

Wegen Antworten wie diesen bist Du in Deinem Lokal schon öfters „angeeckt“. Klar, man braucht für diesen Job einen gewissen Wirtshaus-Schmäh. Manche Deiner Witze sind aber sexistisch.

NEIN! Das stimmt nicht! Ich mache nur Spaß!

Ich habe da schon manchmal Sachen aus Deinem Mund gehört …

... wir zwei hatten ja auch mal einen Disput. Aber ich habe mich entschuldigt! Und jedes Mal, wenn Du danach ins Lokal gekommen bist, hat schon ein Averna Sour auf Deinem Tisch gewartet! 

Was würde Deine Mama zu solchen Schmähs sagen?

Sie würde sicher sagen: „Mentor, halt die Pappn, red ned so deppat!“

Mal im Ernst: Die meisten Deiner Gäste sind jung, Künstlerinnen, Musikerinnen, Studentinnen. Sie sind in einer anderen Zeit, an einem anderen Ort als Du, nämlich nicht im Wirtshaus, aufgewachsen und sensibel bei dem Thema Sexismus. Finden die das wirklich lustig?

Meistens nicht, da hast Du recht. Aber ich bin ein guter Kerl. Ich habe zu allen Frauen in meinem Team und zu allen weiblichen Gästen ein super Verhältnis. Ich hatte noch nie mit einer Dame eine Diskussion oder dergleichen, außer mit Dir vielleicht. Manchmal rutscht mir halt ein blöder Wirtshauswitz raus. Ich bin froh, wenn mich jemand darauf hinweist.

„Plötzlich bin ich über den Pinguin gestolpert.“

Was ist die skurrilste Geschichte in sechzig Jahren Rüdigerhof?

Meine Mama hätte jetzt sicher verrücktere Geschichten zu erzählen. Ich habe sie leider zu selten danach gefragt. Aber Du kennst bestimmt die Geschichte mit dem Pinguin, oder?

Eine Pinguinstatue wurde aus Eurem Garten gestohlen ...

Mein Großvater hat 1958 im Garten zwei Steinpinguine „eingepflanzt“. Fast sechzig Jahre sind sie dort friedlich gestanden, bis irgendein Idiot den Babypinguin, Pingi, ausgerissen und mitgenommen hat. Das war sicher eine b’soffene G’schicht. Meine Mama war todtraurig. Er kam aber zwei Jahre später wieder zurück.

Eines Morgens war der Pinguin einfach wieder da?

Ich kann mich noch ganz genau erinnern. Es war ein Donnerstagabend, ich hatte einen, naja, leichten „Spitz“. Draußen hat es furchtbar geschüttet, ich hatte gerade das Lokal zugesperrt und wollte schnell zur U-Bahn laufen. Plötzlich bin ich über den Pinguin gestolpert. Im ersten Moment dachte ich: „Scheiße, jetzt haben sie den anderen auch noch rausgerissen.“ Aber dann habe ich gesehen, dass es Pingi ist. Ich bin zurück ins Lokal, habe mir noch ein Bier aufgemacht und meine Mutter angerufen. Sie konnte vor Freude die ganze Nacht nicht schlafen, ist direkt in der Früh gekommen und hat den Pinguin in ihre Arme geschlossen. 

Welche Eigenschaften muss man als guter Kaffeehaus-Betreiber aufweisen? Starke Nerven?

Man sollte alle respektieren, die reinkommen, egal, ob das der Josef Hader ist oder der ärmste Sandler – entschuldige den Ausdruck. Man muss ein Gefühl für seine Umgebung haben und seine Mitarbeiterinnen wertschätzen. Wenn es Beschwerden gibt, halte ich fast ausnahmslos zu meinem Personal. Ich gebe meinen Mitarbeiterinnen extrem viel Freiheit, dadurch fühlen sie sich wohl, arbeiten gerne und sind zu den Gästen dementsprechend nett. Wenn man gut behandelt wird, macht man seinen Job gut.

„In 99 Prozent der Fälle ist ein unfreundlicher Kellner das Produkt eines schlechten Chefs.“

Grantige Kellner haben schlechte Chefs?

In 99 Prozent der Fälle ist ein unfreundlicher Kellner das Produkt eines schlechten Chefs. Ich möchte, dass meine Mitarbeiterinnen glücklich sind. Das sage ich jetzt nicht, um als guter Samariter dazustehen – es geht ja auch um meinen Arbeitsalltag: Ich möchte gerne in einem glücklichen Umfeld arbeiten, alles andere deprimiert mich. Das ist übrigens auch der Grund, warum ich sonntags nicht mehr arbeite …

Weil am Sonntag das Umfeld im Kaffeehaus deprimierend ist?

Irgendwie schon. Am Sonntag sind die meisten Menschen, die in den Rüdigerhof kommen, verkatert und irgendwie melancholisch. Mit denen kann man dann nicht Schmäh führen. Das hat mich irgendwann dermaßen deprimiert, dass ich beschlossen habe, am Sonntag nicht mehr zu arbeiten.

Was hasst Du an Deinem Beruf?

Dass ich täglich mit Alkohol konfrontiert bin. Ich hasse zwar nicht den Alkohol, aber den Kater am nächsten Tag.

„Am Sonntag sind die meisten Menschen, die in den Rüdigerhof kommen, verkatert. Das deprimiert mich.“

Was ist ein No-Go im Kaffeehaus?

Letztens ist einer reingekommen, hat sein McDonald’s-Sackerl ausgepackt und gegessen. Das ist ein No-Go!

Deine Reaktion?

Ich habe sofort umgedreht und einen anderen Kellner zum Tisch geschickt. Sicherheitshalber. Ich bin zwar friedliebend, aber da wäre mir fast der Kragen geplatzt. 

Gab es schon mal Stunk im Lokal?

Nur einmal vor zehn Jahren, als jemand meine Mutter angegriffen hat, weil sie ihn rausschmeißen wollte. Den habe ich geschultert und vor dem Lokal der Polizei übergeben. Ansonsten ist hier aber alles friedlich. Wenn ein Gast es darauf anlegt, gehe ich meistens kurz weg und warte, bis es sich abkühlt – beiderseits. Es kann ja jemand mal einen schlechten Moment haben. Das ist schon okay.

„Es kann ja jemand mal einen schlechten Moment haben. Das ist schon okay.“

Früher ist man fünf Stunden bei einer Melange im Kaffeehaus gesessen, erlaubst Du das?

Tagsüber machen das extrem viele Studentinnen so bei mir. Das erlaube ich gerne, schließlich haben nicht alle so viel Geld. Erst letztens hat ein Student explizit gefragt, ob es stört, wenn er nur einen Kaffee trinkt und hier lernt, er wolle die Atmosphäre genießen. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass er gerne noch ein Schnitzel und drei Frucaden bestellt hätte, aber das geht halt nicht immer. Sehr gerne darf er das – mit wirklich sehr viel „sehr“! Und wenn er beim nächsten Mal gar kein Geld hat, dann lade ich ihn auf die Melange ein. 

Weil Du an Karma glaubst?

Ich glaube, dass er sich, wenn er irgendwann einmal Geld hat, an uns erinnern wird.

Wie war Kaffeehaus früher, wie ist es heute?

Wir haben heute jüngeres Publikum als vor zehn Jahren. Das finde ich sehr schön. Vor allem wird der Beruf für meine Kinder attraktiver, wenn sie sehen, dass so viele coole Leute hier ihre Zeit verbringen.

„Fast der Kragen geplatzt"

Wie verschwendest Du Deine Zeit?

Weißt Du, wie oft ich überlegt habe, ähnlich wie meine Gäste, meine Freizeit in einem Kaffeehaus außerhalb des Rüdigerhofes zu verbringen … 

Du arbeitest siebzig Stunden pro Woche in einem Kaffeehaus und würdest an Deinem einzigen freien Tag gerne in einem anderen Kaffeehaus sitzen?

Ja, einfach zwei Stunden pro Woche irgendwo auf einem Stammplatz mit einem Bier. Bis jetzt habe ich aber noch kein Lokal gefunden, in dem ich mich ähnlich wohl fühle wie im Rüdigerhof.

Außerdem wäre das dann ein Sonntag …

... stimmt, zu deprimierend.

Danke für das Gespräch!