Designer des Monats: Daniel Liktor von neubau eyewear
Trendforschung in Wiener Beisln
Wie designt man eine Brille, die in möglichst viele Gesichter passt? Indem man „in die Gesichter schaut“, so die Devise von Daniel Liktor, gebürtiger Stuttgarter und Global Brand Director des österreichischen Labels neubau eyewear, das seine nachhaltigen Brillen in Österreich designt und herstellt.
Intelligenzprothese, Nasenfahrrad oder Nasenquetscher – zum Glück gehören die peinlichen Bezeichnungen für Brillen der Vergangenheit an.
Lena Stefflitsch: Wie viele Sonnenbrillen besitzt Du?
Daniel Liktor: Um die 50 Modelle.
Das ist ja gar nichts! Elton John soll über 200.000 Brillengestelle besitzen. Wann ist für Dich eine Brille hässlich?
Ich würde mich eher ohne Brille durch die Gegend tasten, als mit einem hässlichen Ding auf der Nase rumzulaufen. Ich bin da zugegeben schon eitel. Man blickt immer zuerst ins Gesicht, und seit ich diesen Job bei neubau eyewear mache, analysiere ich natürlich noch genauer. Eine Brille kann extrem verunstalten und viel zum Positiven verändern, weil sie derart zentral im Gesicht sitzt.
Die Brille ist also ein optisches Hilfsmittel und gleichzeitig ein Imagetool?
Die Brille hat sich in den letzten fünf bis zehn Jahren vom medizinischen Behelf zum Lifestyle-Accessoire entwickelt. Davor war sie eher eine Notwendigkeit. Man wollte wieder besser sehen – da wurde nicht groß herum überlegt, ob die Brille zum Outfit passt, oder welche Form gerade modern ist, auch die Marke war völlig nebensächlich.
„Die Brille hat sich zum Lifestyle-Accessoire entwickelt.“
In Linz beginnt’s: neubau eyewear ist die junge Linie des seit 1964 tätigen österreichischen Brillenherstellers Silhouette. Von der Produktidee bis zur Herstellung der Brillen – eine Phase von etwa 18 Monaten –, alles findet im Headquarter in Linz statt, von wo aus die Brillen weltweit in 30 Märkten vertrieben werden.
Das Brillen-Design ist dennoch in den vergangenen hundert Jahren immer wieder Moden und Trendwellen unterlegen. Man denke an die legendären getönten Siebziger-Jahre-Modelle!
Natürlich, es wurde schon immer designt – schön designt. Es gab durchaus auch „lifestylige“ optische Brillen. Aber das war kein Massenphänomen wie heute, wo gewisse Marken, vor allem bei Sonnenbrillen, für viele ein Statussymbol sind. Viele besitzen – wie auch ich – mehrere Modelle, so wie eben viele Kundinnen etwa mehrere Nike Sneakers ihr Eigen nennen. Als Sehhilfe könnte man sich ja auch Kontaktlinsen einsetzen oder lasern lassen.
In Deutschland werden jährlich immerhin zwischen 50.000 und 90.000 Augen gelasert, sodass diese permanent gut sehen können. Eure Modelle tragen alle Vornamen, wären Namen wie Heinz-Christian oder Karl-Heinz auch denkbar?
Eine Heinz haben wir sogar! Das sind alles Namen von den 1.500 Mitarbeiterinnen, die für unser Mutterunternehmen Silhouette arbeiten. Wir haben eine lange Liste, aus der wir mögliche Namen vorschlagen, dann wird basisdemokratisch entschieden, wie die Brille heißen soll.
„Langweilige eckige Brillen sind nach wie vor die Bestseller.“
Daniel Liktor ist für den globalen Aufbau der Marke zuständig und kümmert sich nach eigener Aussage um „alles“: Er navigiert zwischen wirtschaftlichem Teil und Produktentwicklung, zwischen Design und Vermarktung, und er sorgt dafür, dass alles zum urbanen Image von neubau eyewear passt.
Was sind zurzeit Brillen-No-Gos?
Aktuell ist alles sehr filigran, sehr schmal – die typischen Drahtbrillen sind gefragt, die seit zwei Jahren überall zu sehen sind. Was gar nicht geht, sind große und vor allem schwere Brillen. Mein persönliches No-Go sind langweilige schmale und eckige Gestelle, wobei die in Zentraleuropa nach wie vor Bestseller sind!
Wie designt man eine Brille, damit sie in möglichst viele Gesichter passt?
Die Panto-Form, also die klassisch abgerundete Brille, die gerade wieder sehr populär ist, ist die Königsdisziplin. Durch ihre ovale Eiform ist sie besonders schwierig zu designen. Man kann bei den Radien sehr viel falsch machen, sodass sie dann völlig vertrottelt aussieht. Bei allen Formen gelten jedoch ein paar Grundregeln: Zieht man beispielsweise die oberen äußeren Ecken zu weit nach unten, wirkt die Trägerin traurig. Es sind Nuancen, die den Unterschied machen. Da geht es um die richtigen Proportionen, die Radien, die Abstände und Winkel im Verhältnis zu Nase, Ohren oder Mund. Es ist aber zugegebenermaßen nicht immer alles geplant bei uns, wir bei neubau eyewear arbeiten auch viel mit „Trial and Error“, testen Prototypen und machen zahlreiche Pass- und Größentests. Sitzt die Brille zu hoch? Hängt sie an der Seite?
„Du musst nicht jeden Mist mitmachen.“
„International wird unser Name meist mit Bauhaus assoziiert“, so der Global Brand Director Daniel Liktor. Längst überfällig war also die Sonderedition „Walter & Wassily“, die zum „100 Jahre Bauhaus“-Jubiläum herausgebracht und 2019 mit dem Red Dot Award für Produktdesign ausgezeichnet wurde.
Wie antizipiert Ihr bei neubau eyewear Trends?
Es ist nicht einfach, aber wir haben gewisse Inputs – zum Beispiel durch die Reports und Trendvorhersagen der Plattform Worth Global Style Network. Du brauchst aber als Designer vor allem selbst ein gutes Gespür für Trends und solltest dir ansehen, was da draußen in den Subkulturen und Beisln passiert. Du musst aber auch nicht jeden Mist mitmachen. Man kann sich auch mal rausnehmen, Geschichten suchen und davon inspiriert eine Serie herausbringen, sowie unsere „100 Jahre Bauhaus“-Serie Walter & Wassily, die mit aktuellen Trends nichts am Hut hat. Wobei wir durchaus nach Metatrends suchen, die wir als Brillendesignerinnen einbringen können. Ein Riesenthema ist die Nachhaltigkeit – rein zufällig unser Markenkern.
In der Produktion setzt Ihr auf Kunststoff aus der Rizinuspflanze.
Das Plastik, das wir verwenden, hat im Gegensatz zu gängigem Kunststoff einen geringeren Erdölanteil. Statt zu 100 Prozent bestehen unsere Rahmen nur zu 35 Prozent aus Erdöl, der Rest aus nachwachsenden Rohstoffen. Aus dem Öl der Rizinuspflanze, die sonst in der Kosmetik oder als Abführmittel verwendet wird, kann man ein Material herstellen, das vergleichbare Eigenschaften hat wie der Standardkunststoff für Brillen – der flexibel ist und resistent gegen Chemikalien.
„Im Endeffekt haben wir die Marke neubau eyewear für uns selbst kreiert.“
Erst in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts kam dem britischen Optiker Edward Scarlett die Idee, Bügel an Augengläser anzubringen. Da sich das neue Design nicht gleich durchsetzte, wurden weiterhin Monokel, Zwicker und Stielbrillen, auch Lorgnette genannt, benutzt.
Kommen wir zur Inspiration, die Ihr nach eigener Aussage „aus der urbanen Kultur des Neubau-Viertels in Wien schöpft“. Was bedeutet diese gut klingende Floskel in der Praxis?
Der Name „neubau“ kam daher, dass wir uns angesehen haben, für welche Zielgruppe wir gerne arbeiten wollen. Das sind eben Städterinnen, wie sie im 7. Bezirk wohnen, mit einem gewissen intellektuellen Niveau, einem Anspruch an Produkte, an Ästhetik, die eher im individuellen Premiumsegment zu Hause sind und ein reges Interesse an Kunst, Kultur und Design haben. Zu diesen Menschen zähle ich mich selbst. Im Endeffekt haben wir die Marke neubau eyewear für uns selbst kreiert. Wir machen Dinge, die wir selbst gut finden.
Ist der Bezirk Neubau überhaupt noch Treffpunkt von Kreativen? Haben sich die – wie aus den unbezahlbaren Hipster-Zentren Williamsburg in New York und Shoreditch in London – nicht schon längst in andere Ecken der Stadt verabschiedet? Die voranschreitende Gentrifizierung führt zu Mietpreiserhöhung und mündet in der Verdrängung von Einkommensschwächeren an die Peripherie der Stadt – wie siehst Du das?
Ich sehe das genauso problematisch! Auf meinem Weg zu unserem Treffen habe ich gesehen, dass ums Eck ein fürchterlicher Wohnklotz gebaut wird, eine „Luxuskaserne“, sogar mit einem Turm. Da sieht man deutlich: Es entsteht eine Verdrängung! Der Siebte ist sicherlich kein Hipster-, sondern eher ein Bobo-Stadtteil. Du musst hier inzwischen ein größeres Portemonnaie besitzen. Dennoch hielten sich gewisse Institutionen in diesem Viertel über Jahrzehnte hinweg und werden sich weiterhin halten: das Café Europa oder das Gasthaus Wratschko. Das sind keine Bobo-Institutionen, sondern eher studentische, bodenständige Lokale, die seit Ewigkeiten funktionieren.
Wenn man die Neubaugasse abgeht, kommt man an gefühlt zehn Brillenshops vorbei. Bei manchen kann man sich fixfertige Gestelle mit optischen Gläsern innerhalb weniger Stunden mitnehmen. Wie geht Ihr mit dieser enormen Konkurrenz um?
Viele der Stores platzieren sich als Marke direkt bei der Kundin, wir sind hingegen eine von vielen Brands, die es bei der Optikerin in ganz Österreich zu erstehen gibt. Anders als im Bereich „Fashion“ hat in der Brillen-Branche das Thema „Marke“ bisher eine nicht so große Rolle gespielt, wird aber immer wichtiger. Das ist gut für uns. Trotz allem werden optische Brillen eher über „gefällt mir, passt in mein Gesicht“ verkauft als über die Brand – viele Leute wissen gar nicht, welche Marke sie auf der Nase tragen. Daran müssen wir arbeiten. Bei Sonnenbrillen verhält sich das wie gesagt schon längst anders, man denke nur an die erfolgreiche Marke Ray-Ban.
Vielleicht heißt ja die nächste Brille Daniel! Danke für das Gespräch.
neubau eyewear ist das junge Label des österreichischen Brillenherstellers Silhouette, der seit 1964 in Linz Brillen produziert und sie heute in über 30 Märkten weltweit mit Fokus auf Europa und Nordamerika vertreibt. Daniel Liktor ist als Global Brand Director nach eigener Aussage für „alles“ zuständig. Als Gesamtverantwortlicher für die Marke navigiert er zwischen Produktentwicklung, Design, Kommunikation und Platzierung der Brillen am internationalen Markt. Bevor er in die Branche wechselte, arbeitete er unter anderem als Produktmanager und im globalen Vertrieb für Red Bull sowie für Daimler im Bereich Bike & smart.