Die 3D Generalistin

Licht, Schatten und Rendern

Zu unserem Interview in der Halle im Wiener Museumsquartier kommt die junge österreichische Designerin Marlene Wolfmair (*1988) direkt aus der Traditionstischlerei 2M im 10. Bezirk, „deshalb bin ich auch noch so staubig“. Aber fangen wir von vorne an!

Text: Stephanie Rugel

„Ich mache schon auch kommerzielle Sachen, ich muss ja meinen Kühlschrank befüllen"

Stephanie Rugel: Du arbeitest mit dem Familienunternehmen, das 1930 gegründet wurde, an einem Projekt für das Format „Passionswege“ der Vienna Design Week zusammen. Lokale Traditionsbetriebe tun sich dabei mit Wiener Designerinnen und Designern zusammen. Die haben bestimmt nicht allzu oft Leute wie Dich zu Gast?

Marlene Wolfmair: Wir wurden von Lilli Hollein, Direktorin der Vienna Design Week, „kuratiert“. Wir trafen uns in Mailand, ich war dort im Zuge meines Fabrica-Stipendiums, ein Research-Programm der Benetton Gruppe, im Salone del Mobile. Wir haben gequatscht und irgendwann danach kam eine Email aus Wien mit der Anfrage, ob ich Interesse hätte, an einem Projekt mitzuarbeiten. Es gab damals noch kein Thema, aber es war klar, dass Künstler und Designer mit Handwerksbetrieben, von denen es in Wien ja unglaublich viele tolle gibt, zusammengebracht werden und ein möglichst innovatives Projekt schaffen sollen.

Was von den Handwerkerprofis gelernt?

Ich bin sehr froh, dass ich mit der Tischlerei 2M kooperiere, weil da die Expertise vorhanden ist. Das sind wirklich Profis, die wissen, was sie tun. Wir verstehen uns alle extrem gut und es macht total Spaß. Es ist zwar anstrengend, denn das ist Handwerk im wahrsten Sinne des Wortes. Wenn du das den ganzen Tag machst, spürst du das körperlich.

Passt das zu Deiner digitalen Arbeit?

Man lernt viel über Materialien und Oberflächen, das passt erstaunlicherweise gut zu der digitalen Arbeit, die ich mache. Man sollte wissen, das Wiener Familienunternehmen 2M von Walter und Michael Müllner, das eigentlich hochwertige Einrichtungen plant und baut, noch eine Spezialwerkstatt für Sandstrahltechnik betreibt, in der sie unterschiedlichste Materialien, etwa Glas, Kunststoff, Metall, Keramik oder Holz bearbeiten. Der Grossvater der beiden hat die Technik ursprünglich für die Bearbeitung von Gläser für Stilmöbel angewandt.

Und wie überträgt man das auf heute?

Wenn ich am Computer ein Objekt in 3D modelliere – zum Beispiel diesen Salzstreuer, der hier vor uns auf dem Tisch steht , dann ist der nicht perfekt. Er hat irgendwo einen Kratzer oder Sprung und genau deshalb wirkt er real. Und wenn ich sowas in 3D mache, schaue ich darauf, auch „Imperfektionen“ oder Fehler einzubauen, damit es realistischer wirkt.

Ich setze mich viel mit Renderings auseinander, Bilder, die so ausschauen, als ob sie Fotos wären. Das zu erreichen, ist sehr schwierig, aber es gibt ein paar Tricks, damit es echt aussieht. Man sollte die Oberflächen und Materialen wirklich verstehen, wozu ich gerade die Gelegenheit bekomme.

Erkläre doch bitte mal das Projekt!

Das Projekt für die Vienna Design Week heisst „Logs“. Das bedeutet im Englischen einerseits „Holzscheite“ oder „Holzkuben“ – und genau das ist es ja, angeordnete Holzkuben, die von einer Wanddekoration in ein Regal übergehen. Und „Log“ ist auch die Abkürzung für „Logarithmus“, der die Anordnung, die Tiefe und Höhe der Kuben festgelegt. Für dieses Projekt haben wir für die Kuben ausserdem Holz, in unserem Fall heimische Fichte, mit Sand bestrahlt. Die Geräte haben so eine Art Wasserschlauch, aus dem Sand mit sehr hohem Druck rauskommt. Man braucht dafür dringend Schutzkleidung. Wenn man wo hin strahlt, nimmt man Material heraus. Beim Holz gibt es „starke Jahresringe“ und „schwache Jahresringe“ – ob das die richtigen Fachbegriffe sind, bin ich mir nicht ganz sicher (lacht). Nur die „starken Jahresringe“ bleiben bei diesem Verfahren stehen und der Charakter des Holzes kommt stärker heraus.

„Wie bei einem Menschen, der Falten bekommt, zeigen sich die Fugen."

Was du da machst, ist das Kunst, Produktdesign, Mathematik oder alles zusammen?

Ich bezeichne mich als „3D Generalist & Designer with specialization in lighting, shading & rendering“. Wo die Grenze zu Kunst und Design ist, ist schwierig festzulegen, aber ich trenne schon Design und Kunst. Ich mache schon auch kommerzielle Sachen, ich muss ja meinen Kühlschrank befüllen. Design hat für einen wirtschaftlichen Anspruch, ist selten Non-Profit und hat grundsätzlich das Ziel, etwas zu verkaufen. Im Gegensatz dazu ist Kunst für mich nichts, was in erster Linie Profit im Sinn hat.

Design ist eine angewandte Form der Gestaltung, zweckgebunden.

Ja, angewandt, genau. Ich würde sagen, Design beantwortet Fragen und löst sie. Kunst stellt Fragen, vielleicht auch unangenehme, deswegen ist Kunst freier als Design. Es ist schwierig, meine Arbeit genau einzuordnen. Über dem Projekt für die Vienna Design Week 2015 steht „Design”, aber das Ziel ist nicht unbedingt, etwas Verkaufbares zu produzieren, sondern das Experiment. Aber bitte! Kaufen möglich! (lacht)

Analog und digital – wofür würdest Du dich entscheiden?

Oh, das ist schwierig. Es kommt wahrscheinlich darauf an, ob man selbst kreieren darf oder nur ausführt. Beim Handwerk kann natürlich viel mehr schief gehen, da gibt es keinen Rückwärts-Button. Das ist mir jetzt auch bei der Zusammenarbeit mit dem Handwerksbetrieb 2M bewusst geworden. Wenn ich da ein falsches Loch bohre, ist es vorbei. Beides ist sehr erfüllend, auf unterschiedliche Weise. Ich bin froh, dass ich gerade etwas Handwerkliches mache, weil ich viel zu oft am Computer sitze.

„Design hat das Ziel, das Leben zu erleichtern."

Wie bist du zu dem gekommen, was du momentan machst?

Nicht bewusst. Aber gerade gestern hat sich ein Praktikant in der Tischlerei beworben und ich hab das Bewerbungsgespräch ein bisschen mitbekommen und gehört, dass Herr Müllner zum Bewerber sagte: „Das find ich toll, dass du Lego baust.“ Und da hab ich mir gedacht, Lego war auch für mich als Kind ein großes Thema.

Irgendetwas an deinem Job, das nervt?

Was mich gerade beschäftigt ist, dass ich mich beim Kauf der Software entscheiden muss. Ich kann nicht alles kaufen, was ich gerne hätte, weil das viel zu teuer ist. Oft hatte ich das Glück, das dort, wo ich gearbeitet habe, die Geräte da waren, aber jetzt als Selbstständige muss ich Entscheidungen treffen und die hängen natürlich vom Geld ab. Ich hätte gerne mehr Budget, mehr Software, mehr Tools und damit auch mehr Möglichkeiten.

„Wer mit Lego baut, versteht Dreidimensionalität wahrscheinlich später mal besser."

Was fordert Dich?

Was mir dazu einfällt ist, dass bei den Aufnahmetests, zum Beispiel an der FH Joanneum in Graz oder an der HBLA für künstlerische Gestaltung in Linz, eine Anforderung für uns gleich war: der so genannte „Schlauchtest“. Bei dem wird dreidimensionales Verständnis geprüft. Ziel ist es, herausfinden, ob man den abgebildeten Schlauch von oben, unten oder einer der Seiten sieht. Das ist mir leicht gefallen! Sowas fordert mich heraus, aber taugt mir auch unglaublich.

Ich freue mich darauf, mit der sympathischen 3D-Generalistin auf ihr „Logs“-Projekt anzustoßen. Als passender Schlusspunkt unseres Interviews gesellt sich ein Augustin-Verkäufer zu uns, dem Marlene ein Heft abkauft. Er legt uns ans Herz, nicht mehr über die Arbeit zu sprechen, sondern ein wunderschönes Wochenende zu haben. Word!

Marlene Wolfmair:
Nach ihrem Studium an der HBLA für künstlerische Gestaltung Linz studierte die 3D-Generalistin mit Fokus auf Lichtsetzung, Texturing und Rendering Marlene Wolfmair (*1988 in Rohrbach, Oberösterreich) Informationsdesign an der FH Joanneum in Graz. Sie arbeitete bereits in der Postproduktion bei Golden Girls Filmproduction und als selbstständige Designerin in Wien und erhielt 2014 ein Stipendium bei Fabrica, dem Research-Center der Benetton Gruppe in Treviso, wo sie u.a. an Projekten für Airbnb, Daikin, Benetton und die Expo Mailand arbeitete. Ihre Arbeiten wurden beim Salone del Mobile in Mailand, der Internationale Design Saint-Etienne in Frankreich und im Museum of Future Government Services in Dubai ausgestellt.

Sandstrahlen bei 2M: Traditionelle Handarbeit verbindet sich in der 2M-Spezialwerkstätte für Sandstrahltechnik mit Hochtechnologie. Was seit Betriebsgründung durch den Großvater 1930 primär auf die Herstellung sandgestrahlter Gläser für Stilmöbel ausgerichtet war, ist nach der Eingliederung der Sandstrahlen-Sparte in den bestehenden Tischlereistandort 1992 zu einem gefragten Anbieter von Sandstrahlungen für Glas, Kunststoff, Metall, Keramik und Holz geworden. Das Spektrum raffinierter Modifikationen von Oberflächen schließt selbst aufwändige Lackierungen und Nanobeschichtungen von Glas mit ein und rundet das Sandstrahlen-Angebot ab.