Die Bipolar Feminin

Fragile Systeme

Bipolar Feminin hat 2023 ihr erstes Album Ein Fragiles System veröffentlicht und ist enorm erfolgreich damit. Die vierköpfige wütende Wiener Band mit Fronfrau Leni Ulrich (Vocals, Gitarre, Texte), ihrem Bruder Max Ulrich (Bass), Schlagzeuger Samuel Reisenbichler und Gitarrist Jakob Brejcha musiziert gegen das Patriarchat und nimmt sich kein Blatt vor den Mund. Wir sprechen mit den Geschwistern Leni und Max Ulrich über Zerrissenheit, Feminität und Wut. 

Text: Maja Goertz

Bipolar Feminin

„Postpunkiger Indie-Rock“

Maja Goertz: Als Ort für das Interview habt Ihr das Café Weidinger ausgesucht. Warum treffen wir uns hier?

Leni & Max Ulrich: Das hier ist unser Stammplatz für Interviews geworden. Von denen geben wir derzeit viele. 

Ich tue mich schwer, Eure Musik zu beschreiben! Tut das für mich bitte!

M.: Das Problem haben wir uns selbst eingebrockt (lacht). Wenn wir für Konzert-Ankündigungen nach dem Genre gefragt werden, kommt dann so was raus wie: postpunkiger Indie-Rock.

Euer neues Album heißt „Ein Fragiles System“. Ist das Patriarchat ein solches System, das fragil ist und zerschlagen werden sollte?

L.: Strukturen, in denen Menschen aufgrund ihres Geschlechts Nachteile haben, gehören zerstört!

M.: Wir hatten nie das Ziel, politische Musik zu machen. Aber aus unserem Selbstverständnis heraus ist es gar nicht anders möglich.

„Bushido ist bei uns nicht eingeladen.“

Als ich die Fragen für unser Interview vorbereitet habe, saßen im Café neben mir zwei junge Männer, die sich lauthals über ihr Sexleben unterhalten haben. Dabei habe ich Eure Liedzeilen „Mit euren Bärten seid ihr die Experten für alles“ aus dem Song „süß lächelnd“ gehört.

L.: Je reflektierter jemand ist, desto unsicherer wird er oft auch. Wenn dann da Typen sitzen, die einmal gescheit verhüten, also eigentlich das Mindestmaß tun, dann sind sie gleich die Heros, …

M.: … die das auch noch stolz hinausposaunen. Wie befremdlich!

Der deutsche Rapper Bushido ist als Musiker so ziemlich das Gegenteil von Euch. Wie würdet Ihr reagieren, wenn er backstage zu einem Konzert von Euch kommen wollen würde?

M.: Das wäre eine Provokation. Ich denke, ich würde ihm einen Song widmen. Wer derartige Texte wie Bushido macht und das mit der Kunstfreiheit rechtfertigt, muss mit Konsequenzen dafür rechnen.
 

L.: Gefallen würde mir das ned. 
 

M.: Bushido ist bei uns nicht eingeladen! 

Was nervt Euch?

L.: Wir irren uns alle einmal und reden Blödsinn. Aber mich nervt, wenn sich mein Gegenüber in allem absolut sicher ist und sich gar nicht hinterfragt. 
 

M.: Männliche Abgeklärtheit ...

„Meine Texte entstehen aus einer Zerrissenheit.“

... wie Mansplaining?

L.: Es regt mich richtig auf, wenn Männer mir Dinge erklären wollen – zum Beispiel wie ich meinen Verstärker richtig einstöpsle. 

M.: Mansplaining wird oft als wohlwollende Kritik verpackt. Ich bin nicht davon ausgenommen, klassisch männliche Verhaltensweisen zu reproduzieren. Aber ich werde, zum Beispiel von Leni, damit konfrontiert, wenn ich hineinrutsche. 

Was ist schlimmer: Mansplaining oder Manspreading?

L.: Beides ist rücksichtsloses, nerviges Verhalten. Manspreading ist so einfach zu ändern. Die Knie kann man doch auch einfach ein bisschen zusammenschieben! Wo ist das Problem?

Euer Name „Bipolar Feminin“ impliziert Zerrissenheit. Was führt zu diesem Gefühl?

L.: Zum Beispiel der Begriff „feminin“. Ich habe mich früher viel daran orientiert, was als feminin gilt, auch wenn das ganz furchtbar für mich war. Ich spüre zwar sanfte, liebe Teile in mir, finde es aber schwierig, wenn das gesellschaftlich das ganze Spektrum an Eigenschaften für eine Frau sein soll. 

„Jetzt habt Ihr Hater, Ihr habt es geschafft!“

Die ZEIT hat über Euch geschrieben: „ein bisschen zum Fürchten“. Stimmt das?

M.: Wenn man vor der Konfrontation Angst hat, ist es gut, wenn wir die Menschen dazu bringen, sich zu fürchten. 

Ihr wirkt sehr diskussionsfreudig. Gibt es auch Themen, die für Euch nicht verhandelbar sind?

M.:  Mit einem Nazi würde ich nichts Politisches diskutieren. 

L.: Da wäre ich nur pissed.

Eckt Ihr oft an?

L.: Letztens ist jemand zu mir gekommen und meinte: „Jetzt habt Ihr Hater, Ihr habt es geschafft!“

Leni, Du hast lange im Kindergarten gearbeitet. Wissen die Kinder von Deiner Musik?

L.: Ich habe mal meine E-Gitarre mitgenommen und den Kindern verschiedene Effekte gezeigt. Aber meine eigene Musik spiele ich dort nicht. Die Kinder sind ja auch nicht unsere Zielgruppe (lacht). Momentan arbeite ich aber Vollzeit für die Band. Mal schauen, wie lange das noch gut geht. Gerade ist so eine Übergangsphase. 

Eure Musik klingt zuweilen aggressiv. Sind wir alle wütend genug über die Zustände, in denen wir leben?

M.: In der Kunst kennt die Wut keine Grenzen. Aber nur Wut verändert nichts.

L.: Wenn ich Benachteiligung aufgrund meines Geschlechts, meiner Herkunft oder Prägung erlebe, ist das doch echt ein Grund, wütend zu sein!

„Ich bin mir selbst zu unsicher, um ein Vorbild zu sein.“

Wann wart Ihr das letzte Mal wütend?

M.: Das kann nicht so lange her sein (lacht).

L.: Gestern war ich richtig wütend. Wir sind über die Grenze zwischen Slowenien und Österreich gefahren und kontrolliert worden, weil Schlepper unterwegs waren. Wenn sich Menschen, die nach Hilfe suchen, verstecken müssen und damit eine Straftat begehen, macht mich das wütend. Und das Verhalten der Polizei auch!

Würdet Ihr Euch als Rampensäue bezeichnen?

L.: Konzerte zu spielen, ist befreiend, braucht aber auch viel Konzentration. Ich mag es schon gerne, im Mittelpunkt zu stehen und zu unterhalten. 

M.: Ich bin immer mega aufgeregt. Beim Konzert geht es wirklich um nichts anderes als das gemeinsame Spielen. Etwas im Moment entstehen zu lassen, genieße ich am meisten. Wir sind aber auch nicht die allerbesten Musikmachenden, sondern müssen schon üben, damit auf der Bühne alles gut klappt. 

Seid Ihr selbst Vorbilder?

M.: Ich nicht. Dafür bin ich mir selbst zu unsicher. 

L.: Wenn Leute bestärkend finden, was wir machen, ist das okay. Aber als lebende Person will ich kein Vorbild sein. Ich habe oft genug selbst keinen Plan. 

Wie steht Ihr zu dem Wort „Fett“?

L.: Die Aneignung des Wortes hilft, mich von der Verwendung des Wortes als Beleidigung abzugrenzen. Ich stehe damit auf der Bühne und es ist voll in Ordnung: Ich bin selbst dick, also habe ich einen Song darüber geschrieben. 

Von der Body-Positivity-Bewegung werden Songs wie „Fett“ durchaus als vorbildhaft wahrgenommen.

L.: Ja, das kommt schon daher, dass ich als dicke Person auf der Bühne stehe. Dadurch zum Vorbild zu werden, ist irgendwie schräg. Zu dem Song „Fett“ kam es so, dass der Vater einer befreundeten Person gesagt hat: „Eh klasse, dass sie Musik macht, aber schade, dass sie so dick ist.“ Dass mir das überhaupt erzählt wird, ist so verrückt. Es interessiert mich doch überhaupt nicht, was der Vater von irgendjemandem über meinen Körper denkt. Je mehr Kommentare und Beleidigungen kommen, desto schwerer ist es, ein eigenständiges Körperbewusstsein zu entwickeln. 

„Was braucht eine gute Party? Zufall!“

„Auf der Suche nach der Party / die es nicht gibt“ heißt es in Eurem Song „Matrose“. Was braucht eine gute Party?

M.: Den Zufall!

L.: Und tanzbereite Leute, die ich mag. 

M.: Nicht zu viel Raum, sonst bilden sich so viele Grüppchen. Und gute Getränke.

Was ist Euer Lieblings-Partygetränk?

M.: Da bin ich komplett anspruchslos. 

L.: Momentan mag ich gerne Rum-Mixgetränke. 

M.: Uähh (lacht). 

L.: Sonst ist Schnaps ein guter Start. 

M.: Oder Dosenbier. Und ein Knabbermix. 

Was macht Ihr heute noch?

M.: Neue T-Shirts kaufen gehen. Und um 17 Uhr haben wir Probe. 

L.: Ich dachte 16 Uhr? Leider haben wir immer noch keinen geteilten Kalender, den alle benutzen. 

Danke für das Gespräch!

Die Band Bipolar Feminin wurde 2019 gegründet. Frontfrau ist Leni Ulrich, Jakob Brejcha spielt die Gitarre, Samuel Reisenbichler das Schlagzeug, am Bass ist Max Ulrich. Ihr Debütalbum Ein Fragiles System erschien im Mai 2023. 

Leni Ulrich wurde 1996 geboren und wuchs in Ebensee im Salzkammergut auf. Die ausgebildete Pädagogin arbeitete im Kindergarten, bis die Band ihre volle Aufmerksamkeit forderte. Dort textet sie, singt und spielt Gitarre. 

Max Ulrich (zweiter von links) wurde 1994 geboren und wuchs in Ebensee im Salzkammergut auf. Er ist Lenis großer Bruder. Er studierte Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Universität Wien. Derzeit arbeitet er als Filmvorführer, in der Band spielt er Bass. 

Die Koi

Text: Lara Ritter

Die Sängerin Ankathie Koi

Einzigartige Outfits, ausgefallene Musikvideos und Songs im Stil der 80er: Sängerin Ankathie Koi zählt nicht umsonst zu den Paradiesvögeln der heimischen Musikszene. Wir haben mit ihr ein Gespräch über PORNOSSCHULTERPOLSTER und das STERBEN geführt. 

Die Donna Savage

Text: Julia Bauereiß, Fotos: Paul Dittmann

Zwischen Siebdrucken, Graffitisprühen und Skateboarding rappt sich die Wienerin Alice Mohrenschildt als Donna Savage an die Spitze des Female Deutschrap. Ihre Musik ist auf die Fresse – sie selbst mal knallhart und mal girly. Wir besuchen die Künstlerin zu Hause im dritten Bezirk und lernen sie durch ihre CD-Sammlung und ihre detailreich dekorierte Wohnung kennen. Am Küchentisch sprechen wir über Frauen im Rap und echte Hip-Hop-Momente.

Donna Savage mit Diable

Die Soap&Skin

Text: Eva Holzinger, Fotos: Xenia Snapiro, Styling: Sarah Zalud-Bzoch

Die Musikerin Anja Plaschg, bekannt als Soap & Skin

„When I was a child, I toyed with dirt. I killed the slugs, I bored with a bough in their spiracle.“ Die österreichische Ausnahmekünstlerin SOAP&SKIN singt von Tod und Schmerz, von Natur und Heilung. Sie durchbohrt uns mit ihrer Stimme und schnürt uns die Luft ab, nur um uns dann im Anschluss besser atmen zu lassen. Man liest den Songtext zu Spiracle anders, wenn man weiß, dass Anja Plaschg in einem steirischen 200-Einwohner-Dorf auf einer Schweinemast aufgewachsen ist. Ein Gespräch über tote Schweine, Würfelzucker-Hexen und sprechende Bäume.