Die in New York lebende Digitalkünstlerin und studierte Umweltingenieurin Tega Brain kreiert die lustigsten Dinge: einen Smell-Dating-Service, Anleitungen, wie man seine Fitnessdaten fälscht (Handy auf die Schaukel legen), und sie hat auch sonst geniale Ideen für den digitalen Alltag.
Geruch ist eine unterschätzte Sinneserfahrung, findet Tega Brain. Dabei spekulieren Geruchsforscherinnen sogar, ob die hohen Scheidungsraten unserer Zeit mit unserer mangelnder olfaktorischer Intelligenz und dem übermäßigen Gebrauch von Deo zusammenhängen könnten.
Maja Goertz: Du hast die App „Smell-Dating“ entwickelt. Kann man damit tatsächlich über den Körpergeruch jemanden daten?
Tega Brain: Das ist eines meiner Lieblingsprojekte! 2016 war ich total besessen davon, Wege zu suchen, wie man die Welt auf nicht-visuelle Art interpretieren kann. Daraus entstand ein Dating-Portal, das nur auf Gerüchen basiert – im Unterschied zu allen möglichen Apps, bei denen man nur durch Fotos swipt. Wenn man sich bei unserem Service anmeldet, bekommt man ein T-Shirt zugeschickt, was man drei Tage lang tragen soll, ohne dabei Deo zu benutzen (lacht).
Die verschwitzten T-Shirts werden dann zurückgeschickt?
Ja, wenn wir sie zurückbekommen haben, schneiden wir die Oberteile in Streifen und schicken sie an zehn Menschen. Mehr als diese Probe erhalten sie nicht, auch keine Informationen über Alter oder Geschlecht. Sie können einfach nur riechen. Wenn man dann mit jemandem in Kontakt treten möchte, weil einem der Geruch gut gefallen hat, erhält man von uns die E-Mail-Adresse der Person.
Müffeln diese Shirts nicht, wenn man sie drei Tage in Folge trägt?
Ich war selbst Testperson und erhielt tatsächlich ein paar Teile, deren Geruch ich nicht mochte. Man erfährt durch diese olfaktorische Kommunikation erstaunlich viel über das Leben einer Person, zum Beispiel, ob sie Raucher ist oder wie sie sich ernährt.
Haben sich durch „Smell-Dating“ Paare gefunden?
In New York und in Shanghai war unser Service sehr beliebt. Vor ein paar Jahren hat mich ein Paar kontaktiert, dass sich über „Smell-Dating“ kennengelernt hat. Für ihre Hochzeit haben sie sich einen Segensspruch von mir gewünscht.
„Petrichor“ setzt sich aus dem altgriechischen πέτρα pétrā für „Fels“ und ἰχώρ īchṓr „Blut der Götter“ zusammen. 1964 prägten die australischen Forscher Isabel J. Bear und Richard G. Thomas den Begriff als Beschreibung des Geruchs von Regen, der auf trockene Erde fällt.
Wie ist denn Dein letztes Date entstanden?
Tatsächlich hat „Smell-Dating“mich auch mit meinem jetzigen Partner zusammengebracht. Wir kannten uns schon vorher, aber das war dann den Auslöser für unsere Beziehung.
Was ist Dein Lieblingsgeruch?
Gute Frage! Wahrscheinlich„Petrichor“, dieser Begriff ist die Beschreibung des Geruchs von Regen, der auf trockene Erde fällt. Ein Wort für diesen Duft zu haben, ist ungewöhnlich. In der englischen Sprache haben wir nur sehr wenige Wörter zur Beschreibung von Gerüchen. Viele Geruchsforscherinnen stellen die Theorie auf, dass alles Olfaktorische deshalb den Ruf hat, subjektiv zu sein, weil die Sinneswahrnehmung so schwer zu beschreiben ist.
Ursprünglich hast Du Umwelttechnik studiert. Was hat den Ausschlag gegeben, Künstlerin zu werden?
Ich habe mehrere Jahre lang als Umweltingenieurin in der Privatwirtschaft gearbeitet. Ich war oft an Projekten in den Bereichen Stadtplanung und Wasser beteiligt, die zwar nachhaltig aussahen, es aber in Wirklichkeit nicht waren. So habe ich zum Beispiel die Regenwassersysteme für neue Wohnsiedlungen entworfen, die aus riesigen Villen bestanden und kaum öffentliche Verkehrsmittel oder Energieeffizienz aufwiesen. Ich hatte das Gefühl, kritische Fragen wären nicht erwünscht, etwa Fragen danach, wie eine ganzheitlichere Gestaltung der Welt aussehen könnte oder wie man Projekte alternativ umsetzen könnte.
Und das hat Dich zur Kunst geführt?
Ja, denn ökologische Probleme sind für mich gleichermaßen wirtschaftliche, soziale, technische und eben auch kulturelle Herausforderungen.
In „Coin-Operated Wetland“ (2021) filtert ein Feuchtbiotop auf natürliche Art und Weise das Waschwasser.
Die Technik und ihre Beziehung zur Umwelt ist immer wieder Thema Deiner Kunstwerke?
Ich stelle in meiner Arbeit auch immer Normen infrage. Ich frage mich etwa, was eigentlich ein „erfolgreiches“ Leben sein kann. In meiner Installation „Coin-Operated Wetland“ habe ich einen Waschsalon geschaffen, der auf einer wechselseitigen Beziehung zwischen Maschine und einem Feuchtbiotop mit Schilf und Wasserpflanzen basiert. In einem Kreislaufsystem fließt das Abwasser aus dem Gerät in das Biotop, das wie ein großer Filter wirkt, und wird dann zurückgepumpt. Dieses Kunstwerk thematisiert die Möglichkeit einer symbiotischen Maschine-Natur-Beziehung.
Funktionieren diese Waschmaschinen wirklich?
Die kann man benutzen! Jedes Mal, wenn die Installation ausgestellt wird, rufen mich die Museumskuratoren aufgeregt an: „Das Wasser sieht schmutzig aus!“ oder: „Es wachsen Pilze in dem Kunstwerk!“ An so etwas ist man im Kunstkontext nicht gewöhnt (lacht).
Kann man mit Coding Kunst gestalten?
Coding ist ein operatives Werkzeug, also würde ich behaupten: Ja, mit Coding kann man Kunst machen. Das seltsame Phänomen daran ist, dass Codes und künstliche Intelligenz die Welt nach bestimmten Vorstellungen gestalten können. Ein klassisches Beispiel dafür sind Prognosesysteme der Polizei. Wenn deren System sagt: „Achtung, in diesem Stadtviertel wird es zu dieser Tageszeit jede Menge kriminelle Handlungen geben“, dann schickt die Exekutive auch mehr Einsatzkräfte in dieses Gebiet. Je mehr Beamte anwesend sind, desto mehr Verhaftungen wird es geben. Die Vorhersage des simulierten Modells bestätigt sich selbst.
Selffulfilling Prophecy!
Ich als Künstlerin will diese Art der Datenverarbeitung hinterfragen. Von Anfang an wurde Programmieren nicht nur von den Ingenieurs- und Wissenschaftsdisziplinen dominiert, sondern von Künstlerinnen mitgestaltet.
Mit dem „Synthetic Messenger“ (2021) versucht ein Botnet, den Wert von Nachrichten und Berichten über den Klimawandel künstlich aufzublähen, indem es Anzeigen klickt. Tega Brain untersucht damit den Zusammenhang zwischen dem Klimawandel und Algorithmen.
Stichwort „Cybersecurity“, was sagst Du als Künstlerin und Expertin: Wie schützt man seine Daten am besten?
Für Cybersecurity nur auf individueller Ebene zu sorgen, ist nicht sehr effektiv. Wie beim Klimawandel müssen wir uns mit dieser Thematik kollektiv auseinandersetzen. Das Geschäftsmodell von Firmen wie Meta oder Google beruht darauf, Daten zu sammeln. Fiele dies weg, wäre es für diese Unternehmen nicht mehr möglich, Geld zu verdienen, denn sie könnten keine gezielte Werbung mehr schalten.
Dass große Firmen aufhören, Daten zu sammeln, ist aber unrealistisch?
Es gibt heute keine Möglichkeit, das Internet zu nutzen, ohne dass Daten über dich gesammelt werden. Man kann Ad-Blocker benutzen, das wäre nachhaltiger, da Werbung viel Rechenleistung benötigt, aber das war es.
Für das Projekt „The New Organ“ von 2018 hast Du gemeinsam mit dem US-amerikanischen Künstler Sam Levine „Creepy Internet-Ads“ gesammelt. Was macht eine Werbeanzeige „creepy“, also unheimlich?
Vor ein paar Jahren fingen alle an, die gleiche Geschichte zu erzählen: „Ich hatte eine Unterhaltung mit einer Freundin. Und am nächsten Tag habe ich Online-Werbung zu dem gleichen Thema in meinen Feed gespielt bekommen!“ Solche Erzählungen haben wir gesammelt, zum Beispiel von Menschen, die nicht geoutet waren, aber ganz viel Werbung zu queeren Themen bekommen haben. Die übliche Verschwörungstheorie dahinter ist noch immer, dass man abgehört werde.
Man wird also nicht abgehört?
Nein, die Datensysteme sind einfach sehr gut darin, vorauszusagen, was einen interessiert. Dafür schauen sie auf Korrelationen: Wie alt bist du? Wo gibst du dein Geld aus? Mit wem umgibst du dich? Aufgrund dieser Informationen können sie abschätzen, was deine Vorlieben als Verbraucher sind.
„Es macht mir Angst, welche Auswirkungen unsere Mediensysteme, die von KI und Algorithmen gesteuert werden, auf unsere Gesellschaft haben werden“, sagt Tega Brain.
Was findest Du selbst unheimlich?
Mich gruselt es, wie sehr soziale Medien zu Polarisierungen innerhalb der Gesellschaft führen. Während der Pandemie konnte man beobachten, wie Verschwörungstheorien, unter anderem gegen Impfstoffe, verbreitet wurden. Soziale Medien sind darauf optimiert, einen Zustand der Angst und Empörung zu erzeugen, damit man länger online bleibt. Es macht mir Angst, welche Auswirkungen unsere Mediensysteme, die von KI und Algorithmen gesteuert werden, auf unsere Gesellschaft haben werden.
Wäre die Welt ohne soziale Medien besser?
Von der Manifestierung von Schönheitsnormen bis zu Depressionen bei Teenagern bringen soziale Medien viel Schlechtes mit sich. Sie können aber auch zur Aufklärung beitragen, 20-Jährige sind heute viel weltgewandter, als ich es in dem Alter war. Sicher ist: Wir müssen unseren naiven Umgang mit den sozialen Medien verantwortlicher gestalten.
In den letzten Monaten ist viel darüber diskutiert worden, ob künstliche Intelligenzen Gefühle haben. Manche, allen voran der ehemalige Google-Entwickler Blake Lemoine, sind sogar so weit gegangen, ihnen Rechte zusprechen zu wollen. Findest Du das richtig?
Künstliche Intelligenz ist ein Werkzeug, wie sehr sie vermenschlicht wird, ist besorgniserregend. Das Aufregende an KI ist doch eigentlich, dass sie überhaupt nicht menschenähnlich ist. Die Antworten, die einem eine KI wie ChatGPT gibt, entstehen durch rechnerische Statistik, Korrelation und Wahrscheinlichkeiten – das alles funktioniert ganz anders als menschliche Denkprozesse.
In dem Kunstwerk „Deep Swamp“ (2018) verändern drei künstliche Software-Agenten mithilfe des Deep-Learning-Ansatzes stetig die Bedingungen eines Sumpfgebietes.
Was ist Intelligenz für Dich?
Wir müssen die menschzentrierte Denkweise, Intelligenz sei an den freien Willen gekoppelt, aufgeben. Es gibt viele verschiedene Formen von Intelligenz, auch Ökosysteme sind intelligent.
Ist Deine Kunst politisch?
Oh ja, absolut. Technologie ist Politik! Im Silicon Valley gibt es Menschen, die Entscheidungen treffen, die globale Auswirkungen haben und ganze Leben verändern. Alle diese Entscheidungen könnten auch anders getroffen werden, daran will ich mit meiner Kunst immer wieder erinnern.
Zum Beispiel, indem man die eigenen Fitnessdaten fälscht, wie Du es 2015 in einem Kunstwerk gemacht hast?
Irgendwie schon (lacht). Für die Arbeit „Unfit Bit“ habe ich mit dem New Yorker Datenjournalisten Surya Mattu zusammengearbeitet. Uns beiden ist 2015 aufgefallen, dass überall in der New Yorker U-Bahn Werbung von Krankenversicherungen aufgetaucht ist, die Rabatte angeboten haben, wenn man seine Fitnessdaten mit ihnen teilt. Das fanden wir problematisch. Was, wenn Menschen, deren Fitnessdaten nicht gut aussehen, in Zukunft irgendwann mal mehr für ihre Krankenversicherung zahlen müssen als andere?
Was ist schlecht daran, wenn Fitnessdaten verwertet werden?
Die Tracker machen Fehler, sie verstehen nicht alle unsere Bewegungen. Also müssen sie die Welt interpretieren. Wir haben Anleitungen veröffentlicht, wie man seine eigenen Fitnessdaten fälschen kann. Dafür haben wir zum Beispiel eine Schaukel gebaut, in die man sein Handy legen kann. Die Bewegungen werden von Handys oder anderen Trackern als Schritte gespeichert und bessern den Datensatz auf, selbst wenn man eigentlich nur am Schreibtisch sitzt. Das war sehr witzig. Ich mag es, schwierigen Themen mit Humor zu begegnen.
Angesichts der unglaublich vielen Projekte, die Du die vergangenen Jahre realisiert hast, darf man sagen, Du bist ein ziemlich produktiver Mensch?!
Ich befinde mich in einer intensiven Tretmühle, die von Deadlines bestimmt wird. Davon bin ich müde. In diesem Jahr will ich laufende Projekte beenden und nicht zu viel neue Arbeit annehmen. Ich möchte mir Ruhe zum Nachdenken gönnen und mir die Zeit nehmen, mit meinem Hund unterwegs zu sein und Eis essen zu gehen.
Tega Brain ist eine in Australien geborene Umweltingenieurin und Künstlerin. Ihre transmedialen Kunstwerke drehen sich um politische Fragen im Bereich Ökologie, Daten und Infrastruktur. Sie ist außerordentliche Professorin für Integriertes Design und Medien an der New York University und lebt in Brooklyn. 2023 erhielt Tega Brain den Creative Capital Award. Ihre Kunstwerke wurden zuletzt im Haus der Kulturen der Welt in Berlin, im Whitney Museum of American Art, auf der Vienna Biennale for Change und der Némo Biennale of Digital Arts ausgestellt. Gemeinsam mit Golan Levin veröffentlichte sie 2021 ihr erstes Buch Code as Creative Medium.