Die brut-Intendantin

brut & Spiele

Eine tatkräftige Frau mit einem klingenden Namen: Kira Kirsch übernahm vor fünf Jahren die Leitung des brut Wien, eine Institution der freien Kulturszene und performativen Künste. Damals musste das Theater seine angestammte Spielstätte im Künstlerhaus am Karlsplatz wegen Renovierungsarbeiten verlassen, seitdem führt es ein nomadisches Dasein. Nicht eben gut für die Nerven, aber es gibt Licht am Ende des Tunnels – echt jetzt!

Text: Stefanie Schermann

Kira Kirsch Portrait

„Ich versuche, nicht in Panik zu verfallen.“

Stefanie Schermann: Wie geht es Ihnen und den Künstlerinnen mit dem abermaligen Lockdown?

Kira Kirsch: Viele unserer interdisziplinären Künstlerinnen wenden sich coronabedingt wieder den Kunstrichtungen zu, aus denen sie ursprünglich kommen. Der Künstler Jan Machachek hat etwa sein Bühnenprojekt „Ewige 80er“ ins Digitale umgewandelt. Dass er nicht nur live performen kann, sondern auch Videokünstler ist, kommt ihm zugute. Wer sich und seine Werke adaptieren kann, übersteht diese schwierige Zeit besser als andere.

Überlebt das brut trotz Pandemie?

Es muss. Ich versuche, nicht in Panik zu verfallen, sondern für jedes Projekt eine Lösung zu finden. Wir verlegen vieles ins Digitale, manches verschieben wir, anderes zeichnen wir auf und stellen es als Stream mit Live Talk zur Verfügung. Unsere performativen Formate bieten den Spielraum, einiges auszuprobieren. Die Theatergruppe Nesterval etwa führte ihr interaktives Theaterstück „Der Kreisky-Test“ im März 2020 als Zoom-Event auf, gewann dafür den diesjährigen NESTROY-Preis und generierte damit internationale Aufmerksamkeit. Auch mit einer so schlechten Ausgangslage kann man etwas tun.

Im brut gastieren seit jeher internationale Künstlerinnen, von denen viele aufgrund der aktuellen Beschränkungen nicht einreisen können. Immerhin eine Chance, der Wiener Künstlerinnenszene wieder mehr Öffentlichkeit zu geben?

Auf jeden Fall! Viele internationale Künstlerinnen sind aber ohnehin schon Teil der Wiener Szene. Ich schätze die verschiedenen biografischen Hintergründe unserer Künstlerinnen, dadurch ergeben sich so viele spannende Kollaborationen. Unsere geplanten Projekte – auch mit den Künstlerinnen, die nicht in Wien arbeiten und leben – werden nach wie vor stattfinden, nur eben überwiegend digital.

„Keinen fixen Standort zu haben kostet viel Kraft.“

Das Konzept, das Sie im Rahmen Ihrer Bewerbung für die Leitung des brut erstellen mussten, sah vor, Produktionen zu zeigen, die sich stark mit politischen Themen auseinandersetzen. Ist Ihnen das gelungen?

Wir positionieren uns relativ stark, viele unserer Produktionen haben einen explizit politischen Charakter, etwa die queere Revue „Sodom Vienna“, in der es um das rote Wien geht. Letztendlich bleibt es aber jeder Künstlerin selbst überlassen, wie explizit politisch die Kunst wird. Wie man mit Hierarchien im Ensemble umgeht, in der Kommunikation mit den Mitgliedern, mit welchen Communities man ein Stück besetzt, oder welche Zielgruppe man anspricht, ist dabei genauso relevant wie die Thematik. Ab Jänner 2021 gibt es unter dem Titel „The Art of Assembly“ eine neue Gesprächsreihe im brut, in der Kurator und Autor Florian Malzacher im Gespräch mit unterschiedlichen Persönlichkeiten aus Kunst, Politik und Gesellschaft die Spielräume von politischem Theater auslotet.

Welche Pläne hatten Sie damals außerdem für das brut?

Ich wollte – ironischerweise – den Theaterraum verlassen. Die erste Produktion unter meiner Leitung war das „Autoballett“ des Schweizer Theaterkollektivs mercimax, im Rahmen dessen das Publikum mit Autofahrerinnen aus dem ersten Bezirk chauffiert wurde. Es war bereits bezeichnend dafür, was das brut heute ausmacht, obwohl ich damals noch gar nicht wusste, dass das Künstlerhaus generalsaniert werden würde und wir ausziehen müssen.

Das war 2015, seitdem sind fünf Jahre vergangen, und das Künstlerhaus ist seit Kurzem wieder geöffnet. Warum ist das brut nicht wieder eingezogen oder hat sich dementsprechend nicht „einfach“ einen anderen permanenten Spielort gesucht?

Weil das gar nicht so einfach ist – es gibt nicht beliebig viele leerstehende Theaterspielstätten in Wien. Außerdem dachten wir damals, dass wir nach einem Jahr wieder zurückziehen können. Die Parameter des Umzugs haben sich doch permanent geändert. Anfangs war geplant, das brut nur temporär auszuquartieren – 2019 hat sich dann final herausgestellt, dass wir nicht ins Künstlerhaus zurück können. Die Sanierungskosten wären viel höher gewesen als ursprünglich angenommen, und die Stadt hielt es nicht für sinnvoll, fünf Millionen Euro in ein Mietobjekt zu investieren. Das war damals wirklich eine schwierige Zeit, da auch unser kleines studio brut in der Zieglergasse generalsaniert wurde, aber mittlerweile wieder bespielbar ist.

Aber auch das hat das brut überstanden.

Das liegt vor allem an unserer Fähigkeit, gut kollaborieren zu können, und an all jenen Institutionen, die uns freundlicherweise beherbergten. Außerdem hatten wir die Möglichkeit, Räume zu bespielen, die nicht für das Theater per se gemacht sind: Wir waren etwa im Nibelungenviertel im 15. Bezirk, im Jörgerbad im 17. Bezirk und Open Air in der Seestadt. Diese Erfahrung hat das Profil des brut verändert. Heute haben wir in fast jedem Wiener Bezirk und in über 90 verschiedenen Locations gespielt.

„Meine Liebe gehört der freien Szene.“

Ihre Beschreibung zeichnet ein sehr positives Bild des Spielens ohne fixen Standort – gab es denn tatsächlich keine Probleme?

Keinen fixen Standort zu haben kostet viel Kraft. Wir machen die gesamte Spielzeit über das, was man bei einem Festival höchstens für einige Wochen macht. Besonders problematisch war, dass wir keine neutralen Räume hatten: Normalerweise ist die Hauptspielstätte eines Theaters ein wertfreier Ort, eine Art Blackbox – so etwas hatten wir einfach nicht durchgehend zur Verfügung. Unsere Aufgabe war es daher, für jedes Projekt den richtigen Umsetzungsort zu finden. Es ist eine irre Investition, jede einzelne nicht traditionelle Spielstätte zu adaptierten und technisch aufzurüsten. Ich bin froh, dass wir mit der Zwischennutzung einer Halle in der Nordwestbahnstraße im kommenden Jahr endlich Sicherheit gewinnen.

Was passiert nach der Zwischennutzung?

2024 bezieht das brut eine feste Spielstätte in St. Marx. Das Objekt ist im Besitz der Stadt Wien und verfügt über deutlich mehr Platz als das Künstlerhaus. Es ist eine Verbesserung zu früher, denn das brut verfügt dann neben einem großen Theatersaal auch über mehrere Proberäume, eine eigene Gastronomie, Freiflächen und ausreichend Büroräumlichkeiten. 

Wird das brut dann seinen „nomadischen“ Charakter verlieren?

Nein, wir werden nicht exklusiv nur dort spielen. Wenn ein Stück in einem Schwimmbad spielt, wird es auch dort aufgeführt! Trotzdem ist es schön, mal nicht Gast zu sein, sondern auch wieder Gäste empfangen zu können.

Welche anderen Theater besuchen Sie selbst gerne, wenn Sie nicht gerade in der ersten Reihe im brut sitzen?

Ich bin nicht so der Musikverein-Typ, meine Liebe gehört der freien Szene. In Wien gehe ich am liebsten ins „Tanzquartier“, ins WUK, zu den „Wiener Festwochen“ oder ins Kino. Dafür schlägt mein Herz!

Vielen Dank für das Gespräch!

Das aktuelle Programm des brut Wien finden Sie hier!
Kira Kirsch (* 1972) hat schon während ihrer Schulzeit Theater gespielt und als Statistin im Saarbrücker Staatstheater gearbeitet. Seit 2015 ist die Intendantin des brut Wien, ein Koproduktionshaus für freie Tanz-, Theater- und Performance-Aufführungen. Kirsch studierte Theaterwissenschaften in Mainz, Paris, Glasgow und Berlin. Danach arbeitete sie unter anderem für das Haus der Architektur in Graz, das deutsche Festival Theater der Welt, das Landestheater Schwaben, den Saarländischen Rundfunk und den Berufsverband Bildender Künstler*innen Berlin. Von 2007 bis 2015 war sie leitende Dramaturgin des steirischen herbst.