Wie werden wir in einer technologisch geprägten Welt in Zukunft arbeiten? Was ist gutes Design? Warum landet man als Designer der olympischen Fackel nicht unbedingt auf dem Stockerl? Wir trafen den Stardesigner Edward Barber in Wien, der von Vitra eingeladen wurde, und bekamen eine Nachhilfestunde in britischer Hofetikette gratis dazu.
Prestigeprojekt: 2012 entwickeln und gestalten die beiden Designer Barber & Osgerby die olympische Fackel. Sogar die Queen war Feuer und Flamme.
Aus den zahlreichen Preisen und Ehrungen, die Ihr erhalten habt, sticht besonders der Ritterorden „Order of the British Empire“ hervor, welcher Verdienste von Bürgerinnen Großbritanniens in den Bereichen „Kunst, Wissenschaft und Gemeinwesen“ ehrt. Wurde Euch der Orden von der Queen persönlich überreicht?
Ja. Wir wurden zu der Zeremonie in den Buckingham Palace eingeladen, bei der außer uns noch sechzig weitere Personen aus allen möglichen Sparten der Orden verliehen wurde. Die Queen stand die gesamte Zeit auf einer Tribüne, einer nach dem anderen gingen wir hinauf, und sie steckte uns dieses Ding an. Dann kam es zu jenem Moment, in dem man eine Minute lang mit ihr spricht. Eine Minute kann ziemlich lang sein, wenn dir tausende Menschen dabei zuschauen.
Worüber spricht man mit der Queen?
Eben, worüber? Es war wirklich eigenartig, denn sie wusste über alle Anwesenden, und warum diese hier waren, genau Bescheid. Ich habe keine Ahnung, wie sie das anstellt, es scheint mir unmöglich, dass sie sich all diese Informationen zu über 60 Menschen merken kann. Sie hatte auch kein Mikrofon im Ohr, darauf habe ich sogar geachtet. Zu uns sagte sie: „Sie haben die olympische Fackel entworfen, ich erinnere mich an Sie!“ Wir hatten sie bereits zuvor in Windsor Castle getroffen, weil sie das Designteam der Fackel kennenlernen wollte. Ich habe die Queen also zweimal innerhalb von zwei Jahren getroffen.
Die olympische Fackel für die Spiele 2012 – war das der bisher stressigste Auftrag Eurer Laufbahn?
Definitiv. Bei anderen Projekten hast du zwar einzelne Tage, an denen du ziemlich gefordert bist, weil die Idee nicht kommen will, aber die olympische Fackel – das war echter Stress! Die Deadline war unverrückbar und der Druck durch die Medienpräsenz enorm. Am Tag der Veröffentlichung des Designs war die Fackel in allen Zeitungen rund um den Globus zu sehen. Und nicht jede ist nett. Wir waren schon darauf gefasst, dass wir härtere Kritik ernten würden, als wir es sonst von der recht freundlichen Designwelt gewohnt sind. An einem Punkt fürchteten wir sogar, dieser Auftrag könnte das Ende unseres Studios bedeuten. Wenn niemand das Design gut gefunden hätte, oder wenn die Flamme beim Staffellauf ständig ausgegangen wäre, hätte das unserem Ruf mehr geschadet als genutzt.
„Ich mag Technologie eigentlich nicht.“
Wie groß war die Aufregung, als die Trägerinnen der Fackel in das Olympiastadion eingelaufen sind?
Extrem. Sie hatten uns im Vorfeld gesagt, dass 3,2 Milliarden Menschen weltweit die Eröffnungszeremonie verfolgen. Wenn die Flamme in diesem Moment ausgegangen wäre ... das wäre richtig schlimm gewesen.
Das erzeugt ein klein wenig Druck, ja. Welche Rolle spielen ethische Gesichtspunkte in der Entscheidung, ob Ihr einen Auftrag annehmt oder ablehnt?
Wir lehnen viel ab, zum Beispiel hatten wir schon Anfragen von Diamantenfirmen. Manche meinen „diese oder jene Diamantenhändlerinnen gehen in Ordnung“, aber sobald man sich auf dieses Terrain begibt, kann man nie zu hundert Prozent wissen, wer ethisch korrekt agiert. Prinzipiell sehen wir uns natürlich an, wo produziert wird und welche Materialien verwendet werden. Die Firmen, für die wir arbeiten, vertreten starke ethische Positionen, was die Materialien anbelangt, könnten sich jedoch alle noch verbessern.
Die beiden Designer verbindet auch der gleiche Jahrgang: 1969. Immer wieder melden sie sich zu Wort, wenn es um die Rechte, Verantwortlichkeiten und Sorgen der Designbranche geht.
Wie ist Euer Zugang zu Design?
Manche Designstudios haben einen leicht wiedererkennbaren Stil, man kann sofort sagen, „das ist ein Soundso“. Unsere Möbel weisen keine für uns typischen Elemente auf, keine typischen Rundungen oder eine bestimmte Stichtechnik, die wir immer einsetzen. Ich denke, bei jedem Projekt muss am Anfang eine richtig gute Idee stehen. Es genügt nicht, einfach einen schönen Stuhl zu produzieren und dazu einen nett anzusehenden Tisch rauszubringen. Es sollte jedes Mal etwas Neues, ein neues Material oder – wenn möglich – sogar eine neue Typologie entwickelt werden. Das Aufregendste, was einem Designer passieren kann, ist, auf etwas gänzlich Neuartiges zu stoßen.
Ist es überhaupt möglich, etwas ganz Neues zu erschaffen?
Ich glaube nicht, denn man baut immer auf den Erkenntnissen anderer auf. Gelungenes Design ist, wenn man Ideen vereint, die unabhängig voneinander bestehen, und daraus ein gutes, neues Produkt kreiert. Unser Tip Ton, ein Schulstuhl, der wippt und in einem leichten Vorwärtswinkel steht, basiert auf der Ansicht, dass Kinder Bewegung brauchen, um zu lernen. Dieses Wissen kommt nicht von uns, sondern aus Forschungen, die in den 60er- und 70er-Jahren von Pädagoginnen durchgeführt wurden.
Dieser Stuhl ist mit Abstand unser beliebtestes Produkt, er wird massenhaft bestellt, nicht nur von Schulen, sondern vor allem von Universitäten und auch Büros. Manchmal verlieben sich die Leute in ein Ding, und du verstehst nicht ganz, warum. Letztendlich ist es „nur“ ein Stuhl aus Plastik. Wir haben sogar Fotos erhalten, auf denen sich Menschen gemeinsam mit ihrem Tip Ton ablichten, was bisher bei keinem einzigen anderen Produkt vorkam.
Bestseller ist immer noch der Tip-Ton-Stuhl. Warum? Man kann nach vorne kippen, wo der Stuhl um einige Grad geneigt stehen bleibt. Er soll Becken und Rückgrat aufrichten und verbessert die Durchblutung der Bauch- und Rückenmuskulatur.
Zuerst habt Ihr, Jay Osgerby und Du, Architektur am Royal College of Art in London studiert, wo Ihr Euch auch kennengelernt und angefreundet habt. Wie seid Ihr letztendlich zum Möbeldesign gekommen?
Wir haben auch als reines Architekturstudio begonnen und erst nach zwei Jahren, als wir das Mobiliar für einen unserer Architekturaufträge entwarfen – und ich das erste Mal überhaupt ein Möbelstück designte – wusste ich: Das ist es, was ich wirklich machen möchte. Mich reizt einfach die Arbeit an Details, an kleineren Dimensionen und die Haptik von Dingen, vielmehr als das Entwerfen von Gebäuden.
Was schätzt Du an Deinem Partner Jay Osgerby am meisten?
Zunächst ist es großartig, mit einem Freund zusammenzuarbeiten – und zwar einem echten Freund, nicht nur einem Arbeitskollegen. Jeder Mensch braucht andere, um Widerhall für die eigenen Ideen zu erhalten. Ich glaube, im Moment arbeiten wir besser denn je zusammen. Früher waren unsere Projekte vielleicht experimenteller oder künstlerischer, heute erscheint mir unsere Arbeit jedoch gesellschaftlich relevanter. Sogar mit unserem letzten Projekt „Soft Work“ gehen wir auf eine Veränderung in der Arbeitswelt ein und versuchen, die Probleme, die wir darin sehen, mit Design zu beantworten.
Inwiefern hat sich die Arbeitswelt verändert?
In den vergangenen acht bis zehn Jahren erlebten die USA und Europa einen gewaltigen Anstieg an Freelance-Arbeit. Dies hat zwei Gründe: Zum Ersten ermöglicht Technologie, dass Menschen leichter von überall aus arbeiten können und nicht zwangsläufig in einem Büro sitzen müssen. Zweitens haben durch die Krise 2008 sehr viele Menschen ihren Job verloren. Danach konnten oder wollten etliche Firmen keine Langzeitverträge mehr ausgeben oder große Büros mieten. Sie stellten eher Freelance-Verträge aus, sodass viele von zu Hause aus arbeiteten. Aber am Ende möchte niemand nur alleine in seinen vier Wänden tätig sein. Als soziale Wesen sind wir dazu veranlagt, täglich mit anderen in Kontakt zu treten.
Die prekären Verhältnisse der Freelancerinnen waren also Euer Ausgangspunkt für den Entwurf eines Sofas, auf dem man gemütlich arbeiten kann?
Die ursprüngliche Idee kam Jay und mir, als wir die Ace-Hotel-Lobby in London mit einer langen Tafel und Sofas für die Hotelgäste ausstatteten. Was dann passierte, war, dass sich ab acht Uhr Früh die Shoreditch-Bewohnerinnen mit ihren Laptops in der Lobby einquartierten, um dort zu arbeiten. Also saßen sie auf Sofas, die eigentlich nicht für längeres Arbeiten gedacht waren und nur einen kleinen Kaffeetisch oder eben gar keinen Tisch hatten. Wenn der Akku des Laptops ausgeht, muss man quer durch den Raum Kabel zu den Steckdosen legen. Wir dachten uns, das ist doch Irrsinn! Wieso entwerfen wir nicht etwas, das ergonomische Kriterien erfüllt, praktisch ist und gleichzeitig die Idee eines Sofas nicht gänzlich killt – denn Leute arbeiten ja gerne auf Sofas.
Was können Eure Sofas?
Ein Modularsystem – die Sofas können durch kleine Tische zum Arbeiten sowie Steckdosen und Ladestationen erweitert werden. Man kann die Sitzeinheiten auch leicht mit Trennwänden voneinander abgrenzen, um Privatsphäre zu schaffen. Als möglichen Kontext stelle ich mir Flughäfen, Coworking Spaces oder Lobbies von großen Firmen vor.
Liegt darin die Zukunft von Design, in der Verbundenheit mit Technologie?
Das hoffe ich nicht! Ich mag Technologie eigentlich nicht– zumindest mag ich nicht, was sie mit unserer Gesellschaft macht. Viele Kinder verbringen ihre Abende alleine am Smartphone spielend oder chattend in ihrem Zimmer. Wenn ich an meine Kindheit zurückdenke: Wir hatten eine geniale Zeit, weil wir ständig draußen unterwegs waren, uns irgendwelche Lager bauten und auch zu Hause kreativ waren. Heutzutage geht alles durch eine glatte Oberfläche. Natürlich kann Technologie großartig sein, wir haben Wege gefunden, sie zu unserem Nutzen einzusetzen. Es verhält sich doch wie mit allem – Alkohol zum Beispiel ist in kleinen Dosen wunderbar, aber fatal, wenn man ihn missbraucht. Generell blicke ich mit Sorge auf unsere Gesellschaft und darauf, wie stark sie von Technologie durchwachsen ist.
„Gutes Design sind Stühle, die hundert bis zweihundert Jahre halten.“
Man denke beispielsweise an Betten, die durch Aufzeichnungen die perfekte Schlafposition eruieren, oder Tische, die sich automatisch an die Höhe der Sitzenden anpassen. Braucht man das denn alles wirklich?
Das ist ein wichtiger Punkt, denn wir wollten ein Design erschaffen, das für sich alleine als ein tolles Möbelstück steht und durch Technologie erweitert werden kann. Technologie wirklich in die Sitzgarnitur zu integrieren – das wäre für uns schrecklich. Nein, nein … In zehn Jahren arbeiten wir wahrscheinlich nicht mal mehr auf Laptops, oder deren Akkus müssen vielleicht nur alle paar Monate geladen werden, was ein solches Sofa obsolet machen würde.
Sollte Design nicht nachhaltig sein?
Gutes Design sind beispielsweise Stühle, die hundert bis zweihundert Jahre halten. Ich meine nicht nur das Konzept, sondern die Möbel selbst, das ist im Prinzip auch nachhaltig. Wir versuchen ständig, mit Firmen zu arbeiten, die auf Qualität achten. In den vergangenen Jahren gehen wir beide viel bewusster mit den Themen „Nachhaltigkeit und Umweltfreundlichkeit“ um. Wir besuchen die Produktionsstätten und überprüfen, ob die Firmen, von denen wir früher einfach angenommen haben, dass sie fair und nachhaltig produzieren, das auch wirklich tun. Wir haben auch einen Stuhl aus recyceltem PET, das unendlich recyclebar ist, herausgebracht. Wenn ein neuer Kunststoff nun alle Tests besteht, werden wir bald sogar einen Stuhl aus biologisch abbaubarem Plastik produzieren können.
Die „Fridays for Future“-Bewegung ist an niemandem spurlos vorübergegangen, was hat sich für Dich persönlich verändert?
Es gibt kleine Dinge, die man einfach nicht mehr tut, so wie mit einer Plastikflasche herumzulaufen. Das macht man einfach nicht. Als Designer ist es jedoch etwas schwieriger, denn wir müssen beruflich bedingt sehr viel reisen. Es ist nicht so wie in früheren Zeiten, als Designerinnen mit lokalen Produktionsstätten zusammenarbeiten konnten. In Großbritannien beispielsweise gibt es heute keine verarbeitende Industrie, wir müssen uns also zwangsläufig bewegen.
Aber ich glaube, es wird Schritt für Schritt besser, letzte Woche habe ich den Zug nach Deutschland genommen, der gleich lange wie ein Flugzeug braucht. Das war großartig! Der einzige Nachteil ist, dass die Bahn viel teurer ist als das Fliegen, was schon ziemlich verrückt ist.
Edward Barber, geboren 1969 in Shrewsbury, und Jay Osgerby, geboren 1969 in Oxford, studierten gemeinsam Architektur und Innenarchitektur am Royal College of Art in London. 1996 gründeten sie ihr eigenes Architektur- und in weiterer Folge Designbüro Barber Osgerby. Neben dem Designstudio betreiben sie zwei weitere Unternehmen von ihrer Basis in Shoreditch aus – das Architekturbüro Universal Design Studio und MAP, ein Beratungsunternehmen für die Kreativbranche.