Die DJ, nicht DJANE

Die Techno Pionierin

Susanne Kirchmayr alias Electric Indigo ist eine der großen Techno Pionierinnen im deutschsprachigen Raum. Seit mehr als 25 Jahren steht sie hinter den Plattentellern von den USA bis Asien. Der Weg dahin war aber nicht ganz einfach. Im Gespräch erzählt sie uns, warum ihre Leidenschaft für Techno und elektronische Musik sie erst einmal zwei Jobs kostete, bevor sie zur Grundlage ihrer Karriere wurde, und warum sie kaum in Wien auflegt.

Text: Werner Sturmberger

„Für die meisten war Techno damals deutsche Faschistenmusik."

Werner Sturmberger: DJ oder DJANE?

Susanne Kirchmayr: Ich find DJANE ganz grauenhaft. Ich kann es den Leuten nicht austreiben, es hält sich hartnäckig. Es gibt tatsächlich die eine oder andere Kollegin, die das mit Absicht verwendet, weil sie in ihrer Berufsbezeichnung unbedingt eine weibliche Form erzwingen will, auch wenn es ein Akronym ist. Es ist eine grässliche Verballhornung und hat einfach diese Tarzan und Jane Konnotation.

Was war Dein erster Kontakt zu Musik?

Meine Eltern und meine Brüder - ich bin ja das jüngste von drei Kindern - haben alle Musik gehört und selbst gespielt. Ich habe auch selbst Klavier gelernt und bin mit klassischer Musik aufgewachsen. Zeitgenössische Sachen hab ich nur wenig und Undergroundsachen gar nicht gekannt und erst mit großer Verzögerung kennen gelernt. Ich hatte dafür viele musikbesessene Freunde. Man hat damals ja viel geshared und Zeugs auf Kassetten aufgenommen, was eigentlich total sweet ist.

Hast du auch selber Mixtapes gemacht?

Na, klar (lacht).

Gibt es eines, das Dir besonders in Erinnerung geblieben ist?

Ein Freund war mit Katharina Weingartner von der Ö3 Musicbox befreundet. Sie war bereits Mitte der 80er auf ihrem East-Cost-Hiphop-Trip. Über sie hab ich ein EPMD und JVC-Force Tape in die Hand gedrückt bekommen. Ich bekam leuchtende Augen und war begeistert.

Wie ging das mit dem Auflegen los?

Eine meiner Lieblingsbars Ende der 80er Jahre war das Trabant in der Schleifmühlgasse (Anm.: im vierten Bezirk). Dort haben die üblichen Verdächtigen des Wiener Nachtlebens ihre Lieblingsplatten gespielt. Da habe ich angeklopft und gefragt, ob ich das auch machen kann. Das hat dann auch sehr gut funktioniert. Ich hatte den gleichen Musikgeschmack wie das Publikum und war halt eine junge, hübsche Frau. Da waren alle ganz glücklich. Bis zu dem Zeitpunkt als ich Techno entdeckt habe (lacht).

Wie bist du auf Techno gekommen?

Ich hab mit Jazz und Funk Hiphop angefangen. Das war richtig groß damals in Wien. Im Black Market (Anm.: ehemaliger Kult-Plattenladen in der Gonzagagagasse im Ersten) hat mir DJ Gebel, der schon sehr früh House aufgelegt hat, eine Platte von DJ-Rush vorgespielt. Ich war vollkommen aus dem Häuschen, weil ich mir dachte: Wahnsinn, was ist das denn?!? Sowas hab ich noch nie gehört! Das war für mich der Einstieg zu Chicago und Detroit Techno und der Underground Resistance-Geschichte. Für mich war das die Essenz dessen, war mir vorher an Musik auch schon so gut gefallen hat. Die Bässe und die Beats, der Funk, die Gleichzeitigkeit von Körperlichem und mental Stimulierendem. Das konnten in Wien nicht viele Leute nachvollziehen. Für die meisten war Techno damals deutsche Faschistenmusik.

Techno hat also Deine frühe DJ-Karriere beendet?

Ja, ich habe relativ schnell meinen Job im Trabant verloren. Job zu sagen ist eigentlich eh ein Witz, denn das war derart schlecht bezahlt: Für den ganzen Abend gab es 200 Schilling (30 Euro) und zwei freie Drinks. Unglaublich knausrig. Ich bin an meinem regulären Tag vorgefahren und dann stand einfach ein anderer DJ schon da, ich wurde ohne weiteren Kommentar hinauskomplementiert.

„Ich wusste, Jeff Mills oder DJ Rok bekommen 1.000 Mark Gage am Abend. Das wollte ich auch."

Wie hast Du Dich damals über Wasser gehalten. DJ und freie Journalistin sind ja nicht primär als Jobs bekannt, mit denen man reich wird?

Meine Eltern sind bei einem Autounfall verstorben, bevor ich Matura gemacht habe. Ich habe ziemlich lange von einer ziemlich hohen Waisenpension gelebt. Als ich 26 wurde, war der Hahn zugedreht. Ab da lebte ich von meiner Kreditkarte. Damals gab es nicht viele Lebensmittelgeschäfte, wo man mit Karte zahlen konnte. Weil ich andauernd pleite war, bin ich dann zum Meinl am Graben gegangen, um einzukaufen (lacht). Ich habe auf Pump gelebt und dann habe auch noch den MG verkauft.

Du hattest einen MG?!?

Ich hatte eine MG und einen Jaguar, ja. Von den Versicherungsleistungen hatte ich auch Oldtimer gekauft, die ich einem nach dem anderen wieder abstoßen musste.

Wie ging es nach dem Trabant weiter?

Das fiel damit zusammen, dass ich auch in der Musicbox im Ö3, für die ich auch eine Zeit lang Reportagen gemacht habe, aufgrund meiner geänderten Musikvorlieben geschasst wurde. Werner Geier hat mich voll supportet, obwohl er Techno eigentlich nicht mochte. Die anderen fanden es alle unerträglich. Fritz Ostermayer (Anm.: ebensfalls damals bei der Musicbox) hat mir im Jahr 1991 erklärt, Techno ist längst vorrüber, und das hätte er schon längst abgehandelt. Irgendwie war alles weg. Ich hab daraufhin die deutsche Technoszene kennen gelernt und schnell gemerkt, dort sind ganz andere Sachen möglich. In München hatte ich meine ersten Gigs als Techno DJ.

Dann bist du in Berlin gelandet?

Ich hatte sozusagen eine Erleuchtung. Ich wusste ab da, was ich machen will, nämlich dasselbe, was die Djs, die ich gesehen, und die ich bewundert hatte, wie Jeff Mills oder DJ Rok. Ich wusste, man bekommt 1.000 Mark Gage am Abend. Das wollte ich auch. Ich hab einen Kredit aufgenommen und denen auf der Bank gesagt, ich geh jetzt nach Berlin und werde Techno-DJ. Das haben die geglaubt. Und das hat relativ bald funktioniert.

„DJing ist auch eine Glücksfrage und nicht nur Technik."

Warum bist du wieder weg aus Berlin?

Eigentlich aus persönlichen Gründen. Ich bin überstürzt aus Wien weg. Da waren ein paar unerledigte Geschichten. Ich hatte in Berlin auch nie eine gemütliche Bleibe. Ich hab immer in Untermiete gewohnt. Zuletzt in einer irrsinnigen coolen Fabriketage auf über 100m², wo blöderweise im Winter der Schnee drinnen gelegen ist. Ich hab dann im Hardwax am Schreibtisch übernachtet (lacht). Ich hatte eine Campingliege als Bett und eine Kochplatte, die am Boden stand. Es ist eigentlich ein Wunder, dass ich sogar eine Dusche hatte. Es war alles ein bisschen rough. Der eigentliche Anlass war aber, dass ich raus musste.

Bist du eigentlich Wienerin?

Ich bin quasi Wienerin. Bin in Wien geboren und hab in Wien Matura gemacht, aber dazwischen bin ich 17 Jahre lang in Oberösterreich aufgewachsen. Ich bin sehr viel herumgekommen, aber meine Basis ist und bleibt Wien. Ich habe meine Wohnung im dritten Bezirk nie aufgegeben.

Du bist in Wels aufgewachsen?

In einer Stadt, in der ich tatsächlich seit 1984 nicht mehr gewesen bin. Aber wie ich aufgewachsen bin, war schon schön und sehr speziell. Das Firmengelände war wir ein autonomes, kleines Königreich. Es gab eine eigene Freiwillige Feuerwehr, die Mühle, die Nudelfabrik, eine Druckerei, eine eigene Landwirtschaft und eine Maurerei. Es gab eine riesige Garage mit Autos aus allen Jahrzehnten. Eigene Werkstätten. Ich konnte da überall reinschauen, einen Feuerwehrschlauch halten, auf Zementbergen herumturnen, die Finger in die giftige Druckerfarbe stecken, die man dann nicht mehr runtergebracht hat. Auf dem Firmengelände gab es Felder, einen Teich, auf dem man im Winter Schlittschuhlaufen konnte, Bäume zum Klettern und Äpfel stehlen. Für mich als Kind ein Paradies. Bizarr, aber toll.

„Diese Dichte verschrobener Existenzen in Wien finde ich ganz großartig."

Ist es schwieriger geworden, im Musikbusiness finanziell durchzukommen?

Mir fällt tatsächlich auf, dass seit 2009 diese Bankenkrise gegriffen hat. Ich kann das zwar nie an einem Faktor festmachen, ob das an mir liegt, meiner Booking Agentur oder an der Wirtschaftslage. Aber generell ist auffällig, dass der Mittelstand schrumpft. Es gibt ein paar Superverdienerinnen, deren Superverdienste immer obszöner werden und eine große Masse an prekär arbeitenden Locals. Ich habe großes Glück, weil ich auch noch in einem anderen Feld Fuß fassen konnte. In diesem an der Avantgarde und neuen Musik anschrammenden Ding. Das hat sich in den letzten Jahren ganz gut entwickelt und hat die Entgänge im DJ-Business ganz gut auffangen können.

Wie oft legst Du noch auf?

So viermal im Monat. Aber ich spiele so selten in Wien. Hier bekomme ich einmal im Jahr eine Anfrage. Meistens für viel zu wenig Geld. Ich finde die Angebote, die mir hier gemacht werden, manchmal fast beleidigend. Ich werde halt als Local gehandelt, weil ich für Wiener Booker scheinbar nicht gut oder bekannt genug bin. Ich hab in Wien schon fast das Gefühl, dass die Leute verärgert sind, dass ich noch immer existiere. (lacht) Aber zum Glück gibt es andere Aufträge und ich lege viel in Berlin auf.

Was macht für Dich ein gutes Set aus?

Die hohe Kunst beim DJing ist es, komplizierte Sachen so zu verbinden, dass das alles musikalisch Sinn ergibt. Ein Set ist dann gut, wenn ich es schaffe, Stücke, die vielleicht etwas sperrig sind, so einzubauen, dass die anderen Leute nachvollziehen können, warum ich das super finde. Das ist auch eine Glücksfrage und nicht nur Technik. Da muss die Stimmung passen, da muss die Anlage gut sein, die Räumlichkeiten, der Vibe muss richtig sein. Und ich muss auch fit und in einer guten Stimmung sein, damit das klappt.
Es gibt aber auch so Abende, an denen die Leute bei den Nummern, die ich am tollsten finde, gehen. Das ist entsetzlich. Das ist natürlich nicht nur für mich entsetzlich, sondern auch für die Leute, dessen bin ich mir bewusst. Manchmal passt es halt nicht. Ist Pech. Passiert aber eher selten.

Wo liegen für Dich die Unterschiede von Wien zu Berlin?

Im Gegensatz zu Berlin ist in Wien alles mehr durchmischt. In Berlin existieren die Szenen mehr in Reinkulturen: Hipster, Raver, früher die typischen Neukölln Assis, Pensionistinnen. Es gibt so Ecken am Prenzlauer Berg, da sind dann alle Mütter 35 und alle Kinder drei Jahre alt und andere Menschen gibt es dort eigentlich nicht. Wenn ich zufälligerweise dort bin, dann gibt es mich halt noch dort. Ich bekomme dann komische Zustände, ich finde, alles was so homogen ist, schwierig. Wien ist nicht so ghetto-mäßig.

Was magst du an Wien besonders?

Es gibt ja immer noch so obskure Lokale, wo man ziemlich freakige Leute trifft. Nicht so szenemäßig freakig, sondern eher so verschrobene Existenzen. Diese relativ hohe Dichte in Wien finde ich ganz großartig.

Gibt es Orte, die du ganz besonders magst?

Wien hat für mich etwas Familiäres und Intimes, Kleines und Relaxtes. Ich mag den ersten Bezirk abgesehen von der Kärntner Straße sehr gern. Im Sommer – und ich finde das ja unglaublich luxuriös – radle ich oft irgendwann am Vormittag durch den Prater an der Donau entlang zum Kraftwerk Freudenau und springe ein Stück weiter ins Wasser. Ich liebe diesen Weg an der Donau entlang zwischen Containerterminal und Kraftwerk, das hat so etwas Weites und Großes. So wie ich Teile des 21. Bezirks großartig finde, die so etwas wie die Antithese zum ersten Bezirk sind. Ich mag überhaupt diese Arbeiterbezirke und Gemeindebauten. Ich finde das ungeheuerlich, dass dort so viele Blauwählerinnen sitzen. Die ganze Gegen um das Arbeiterstrandbad ist wie ein Paradies. Überhaupt die Donauinsel. Die ist so genial.

Susanne Kirchmayr wurde 1965 in Wien geboren. Ihre Jugend verbrachte sie in Wels. Sie wuchs in einer Musik-begeisterten Familie auf und lernte selbst Klavier. Pop- und Undergroundmusik entdeckte sie erst später über ihren Freundeskreis. Kurz nachdem sie Techno entdeckte, übersiedelte sie zuerst nach München und 1993 nach Berlin, um dort ihre Karriere zu starten. Dort arbeitet sie im legendären Plattenladen Hardwax und machte sie als DJ einen Namen. Nach drei Jahren kehrte sie wieder nach Wien zurück. 1998 gründete sie das Künstler*innen-Netzwerk „female pressure“, das mittlerweile mehr als 1700 DJs, VJs, Promoter- und Veranstalterinnen in 65 Ländern umfasst. Seit einigen Jahren ist sie vermehrt im Bereich der Avant-Garde und Neuen Musik tätig.

www.indigo-inc.at

Das skug

Text: Lena Stefflitsch

Was wäre die Wiener Musikszene ohne das skug? Seit über 27 Jahren beweist das Musikjournal sein Auge für alles, was sich abseits des Mainstreams abspielt. SubKultureller UnterGrund - der Name ist hier Programm. Mit dem aktuellen Online Relaunch meldet sich das Kultblatt zurück, ohne dabei an gewohnt kritischer Attitüde einzubüßen. In einem Gespräch erzählt Herausgeber Alfred Pranzl, was war und was in Zukunft kommt.