Florentina Leitner im Wonderland: Die junge, österreichische Modedesignerin jongliert mit ihrem Label mit Popzitaten, Humor und Klischees von Feminität, begeistert mit Wolken-Sonnenbrillen, aufgeblasenen Blumen und psychedelischen Mustern. Lady Gaga und Kylie Jenner tragen ihre irren Designs. Wir sprechen mit ihr über Mondlandungen, Kunst und den einen Moment, der alles änderte.
Text: Elisa Promitzer, Foto: B. Mallek, C. Croft, J. Burez, T. Callemin
Elisa Promitzer: Welches Kleidungsstück würdest Du selbst gerne abschaffen?
Florentina Leitner: Zu enge Hosen, die fast platzen, ein furchtbares Gefühl.
Trägst Du Deine eigenen Designs?
In meiner Freizeit trage ich gerne meine Outfits. Vor allem dann, wenn ich in Paris bin oder ausgehe, präsentiere ich meine Kreationen. In meinem Atelier greife ich am liebsten zu bequemen Pullovern, mit denen ich gut arbeiten kann. Heute trage ich ein Modell in Gelb mit österreichischen Stickereien.
Deine Kollektionen sind voller Farben, Blumen und crazy Formen. Was inspiriert Dich?
Jede Saison fasziniert mich etwas Neues. Meine Präferenz für Blumen hat viel mit meiner Kindheit in Mödling (bei Wien, Anm. d. Red.) und der dortigen Natur zu tun, wo ich mit meiner Schwester wortwörtlich zwischen bunten Blumenbeeten aufwuchs. Wie sehr mich die idyllische Landschaft meiner Heimat Österreich prägt, zeigt meine Kollektion Spring–Summer 2022 „Vacation on the Moon“, die vom Mondsee im Salzkammergut inspiriert wurde. Kollektionen sind oft ein Spiegel der Gesellschaft: 2022 sprach man in den Medien viel über Mondreisen und von SpaceX, die Raketen des Unternehmers und Gründers Elon Musk. Diese Themen vereinte ich in meinen metallischen Designs. Für meine Winterkollektion (FW23), die ich bei der Paris Fashion Week zeigte, war Jeanne d’Arc meine Muse. Elegante Stoffe ersetzen da mal den Overflow an Farben, den man von meinen Kollektionen kennt. Mein Stil entwickelt sich weiter: „Sophisticated“ und etwas mehr „Grown-Up“ ist mein neues Motto.
Meine Kreativität! Bei meinen Designs machen vor allem meine „Stuffed Flowers“ Spaß, die sich seit meiner Winterkollektion 2022 zu einem Wiedererkennungsmerkmal meiner Brand etabliert haben. Der österreichische Künstler Erwin Wurm inspirierte mich dazu, dass ich Modestücke wie Ballons aufblase. Sie werden von Hand genäht, mit Watte gefüllt und zusammengenäht – sie machen sich als witziges Detail auf der Handtasche, als Applikation auf Kleidern und als Accessoire hervorragend.
Hast Du Dich als Kind für Mode interessiert?
Ich stolzierte mit verrückten und extravaganten Kleidungsstücken in den Kindergarten. Mein Kleidungsstil schockierte meine Mutter. Oft trug ich nur ein Tanktop mit einer Puffer-Jacke drüber. Im Kindergarten schickte man mich sogar einmal wegen eines zu gewagten Outfits nach Hause (lacht). Der Kleiderschrank meiner älteren Schwester trug auch seinen Teil dazu bei, dass ich mich in Mode verliebte. In meiner Kindheit stöberte ich durch coole Designerteile und alte Schätze meiner Oma und Tante – eine Schatzsuche. Zu der Zeit wusste ich nicht viel über den Beruf der Modedesignerin.
Was war Dein erstes selbstdesigntes Kleidungsstück?
Mit 14 Jahren war ich in meinem ersten Jahr an der Modeschule Hetzendorf im 12. Wiener Gemeindebezirk. Zu Beginn durften wir alle vier Werkstätten – Leder, Strick, Kleidermachen, Druck – einmal ausprobieren. Mein erstes Design war eine Tasche, die ich in „Kleidermachen“ auch umgesetzt habe, sie war kein Meisterwerk, aber hat ihren Zweck erfüllt. Ich war allerdings keine große Freundin der Nähmaschine, weshalb ich mich im Anschluss für den Strickzweig an dieser Schule entschied.
Du hast an der Royal Academy of Fine Arts in Antwerpen Modedesign studiert. Was war das Wichtigste, das Du dort gelernt hast?
Selbstständigkeit! In Antwerpen ähnelt das Studium dem klassischen Schulsystem, wie wir es in Österreich kennen. Aber trotzdem lernte man, selbstständig zu arbeiten und eine Kollektion von Anfang bis Ende durchzuziehen. Woher bekommt man Schuhe? Wie mache ich ein Fotoshooting? Im Endeffekt erarbeitete ich mir meine eigenen Lösungswege – vor allem aber eher dank YouTube-Tutorials und Google-Recherchen (lacht).
Ein Jahr nach Deinem Abschluss hast Du Deine Brand lanciert. Was war der ausschlaggebende Moment?
Mit einer E-Mail begann alles. Nach meinem Abschluss arbeitete ich beim belgischen Modehaus Dries Van Noten, wo ich viel lernen durfte, aber es entsprach nicht meiner Traumvorstellung. Eines Tages fragte der angesagte Londoner Store Shyness per E-Mail meine Master-Kollektion an: Sie wollten sie kaufen und online vertreiben. Der Hype von meiner Master-Show war noch präsent, Artikel wurden geschrieben und Presseanfragen verschickt. Es fühlte sich wie der richtige Moment an, so kitschig das auch klingt. Eine E-Mail war der „Changing Moment“.
Gab es unerwartete Hürden?
Ich meldete meine Firma in drei Ländern an – das geht gar nicht so leicht: zuerst in England, dann wieder in Österreich und schließlich in Belgien. Ich wusste lange nicht, wo ich langfristig Fuß fassen möchte, und habe mich dann letztlich für Antwerpen entschieden. Als ich meine Marke dann Copywriten wollte, stellte sich noch heraus, dass mein Name schon vergeben war. In China hatte sich schon jemand mit einem Modelabel auf den Namen „Florentina Leitner“ registriert.
Das stimmte mich am Anfang ratlos. Man wird in der Uni nicht darauf vorbereitet, wie man seinen Namen von Leuten in China zurückkauft. In der Modewelt passiert das aber öfter, wie auch Freunden von mir. Deren Tipp für mich war direkt: „Get a good lawyer.“ Das habe ich auch getan und alles gesorted. Mittlerweile sind mir Wirtschaft und Zahlen nicht mehr fremd. Das ist ein großer und wichtiger Teil der Selbstständigkeit.
Produzierst Du alles in Deinem Atelier in Antwerpen?
Unsere Prototypen fertigen wir in meinem Atelier. Für die Retail-Kleider haben wir Produktionsstätten in Italien und Belgien, die unsere Prototypen vervielfachen – die haben bessere Maschinen und produzieren schneller.
Deine Designs sind keine klassische Alltagskleidung …
… ich würde nicht sagen, dass sie „keine klassische Alltagskleidung“ sind. Kombination lautet hier das Zauberwort: Ein T-Shirt mit coolem Print kann man mit einem schlichten Anzug jeden Tag tragen. Viele Designs von uns gehören auf den Red Carpet – sie werden auf dem Opernball und auf anderen Events ein- bis zweimal getragen. Als Firma dürfen meine Designs nicht nur cool aussehen, sondern müssen sich auch verkaufen.
„Lady Gaga und Kylie Jenner trugen meine Designs.“
Meine Kundinnen sind heterogen. Meine Designs tragen 20-jährige Studentinnen, aber auch Mitvierzigerinnen.Die einen kaufen meine Stücke für den Opernball, viele Celebritys für den Roten Teppich, andere begeistern sich für leicht kombinierbare Accessoires wie Schals und Strumpfhosen. Lady Gaga war die berühmteste Person, die meine Kleidung in der Öffentlichkeit trug. Kylie Jenner inszenierte meine Designs jedoch besser: Sie trug 2020 in der gesamten Kylie-Cosmetics-Kampagne einen Catsuit von Florentina Leitner im Houndstooth-Muster.
Deine eigenen Kreationen auf Plakatwänden!
Das war sehr cool. Aber ich freue mich über jeden, der meine Designs trägt – egal ob Oma, Mutter oder Celebrity.
Du wurdest von der Austrian Fashion Association gefördert. Was fehlt in Wien? Warum bist Du gegangen?
Ich liebe Wien: Im Winter am Christkindlmarkt die Weihnachtszeit genießen, im Sommer in der Donau schwimmen. Ich vermisse die Stadt fast täglich, aber es gibt dort keine Modeindustrie. Es arbeiten und leben dort viele Talente, wie Petar Petrov und Wendy Jim, und die Förderungen sind super, aber langfristig ist es schwierig, im Modebereich auch Fuß zu fassen.
Im Jahr 2023 hast Du, neben den Jung-Designerinnen Jennifer Milleder und Moulham Obid, die Solotänzerinnen für den Opernball ausgestattet. Wie kam es dazu?
Ich bin mit diesem Event groß geworden – früher verfolgte meine ganze Familie vor dem Fernseher den Opernball. Dieses Jahr sah man meine Designs und mich im Fernsehen! Wie cool. Die Tänzerinnen durften sich bestehende Kleider aus alten Kollektionen aussuchen und wir passten sie an. Für neue Designs fehlte die Zeit.
Die Eyewear-Marke Komono kooperierte in meinem Masterjahr mit uns Studierenden – das war der Beginn meiner Sonnenbrillen-Karriere (lacht). Die coolsten Ideen wurden umgesetzt und auf den Markt gebracht, darunter auch meine Spikey-Sonnenbrille, die von der amerikanischen Kunstsammlerin Peggy Guggenheim inspiriert wurde. Meine Sonnenbrillen im Wolken-Look werden per 3D-Druck in Antwerpen produziert – nachhaltig.
Was ist das bisher spannendste Material, mit dem Du gearbeitet hast?
Ich liebe die Kombination von Retro-Vintage-Materialen und modernen Innovationen: Wir arbeiten eben mit 3D-Druck und parallel mit einem altmodischen Mohair-Material, das man seit den 50er-Jahren für Teddybären verwendet. Ich liebe es. Wenn zwei unterschiedliche Welten aufeinandertreffen, entstehen gute Sachen. Ein anderes Mal konstruierten wir aus Plastiksackerl Blumen, aus Upcycling entstehen tolle Dinge.
Filme faszinieren mich. Mein Freund kommt aus der Filmbranche und wir konzipieren zusammen die Modefilme für meine Kollektionen. Für mich sind meine Designs nicht nur Kleidungsstücke, sie erzählen eine Geschichte. Ich versuche, mich viel mit der Natur zu beschäftigen und abzuschalten. In weniger stressigen Zeiten startete ich sogar mal den Versuch, mein Handy am Wochenende nicht zu benutzen. Mein Freund versteckt es dann manchmal. Wichtig ist, dass man die physische Welt nicht vergisst: Inspirationen findet man nicht nur am Handy, sondern in Galerien, im Museum oder einfach auf der Straße. Im September 2022 bin ich das erste Mal in Portugal gesurft – in Zukunft werde ich Handywellen öfter mal gegen Meereswellen tauschen.
Hast Du einen Lieblingsplatz in Österreich?
Das Rosarium im Doblhoffpark in Baden ist Österreichs größter Rosengarten. Unser Familiendackel braucht viel Auslauf und genießt die Natur dort sehr. Ein Ort meiner Kindheit und Jugend, der mir viel bedeutet.
Wie schaut Mode für Dich in 15 Jahren aus? Ein dystopischer oder utopischer Blick durch Deine Sonnenbrille, bitte!
Ich weiß es nicht. Wir sind momentan an einem schizophrenen Punkt, Menschen schielen in die Zukunft und sehnen sich gleichzeitig nostalgisch in die Vergangenheit.Es ist wichtig, dass wir in Zukunft weniger konsumieren, mehr lokal produzieren,mehr auf die Natur hören, weniger an unseren Laptops sitzen und am Handy hängen.
Die österreichische Jung-Designerin Florentina Leitner schloss 2020 ihr Modedesign-Studium an der renommierten Universität Royal Academy of Fine Arts in Antwerpen ab und arbeitete nach dem Studium für Dries Van Noten. Im gleichen Jahr lancierte sie ihr eigenes, gleichnamiges Label und zeigte ihre Kollektionen bei der Paris Fashion Week. (dp)