Die Floristin

Rosen, Veilchen & eine Prise Magie

Die Wiener Floristin Christine Fink ist eine Magierin ihrer Zunft. Wir sprachen mit ihr über die Kunst der Großzügigkeit und die Schönheit des Vergänglichen

Text: Antje Mayer-Salvi, Fotos: Guenter Parth

„Schönheit rettet die Welt.“ 

Antje Mayer-Salvi: Kennst Du Menschen, die keine Blumen mögen?

Christine Fink: Ja, es gibt tatsächlich Kundinnen und Kunden, die behaupten, dass sie Blumen im Garten bevorzugen. Ich finde jedoch, dass die Vergänglichkeit von Blumen eine unglaubliche Schönheit in sich birgt. Es gefällt mir, wenn sie verwelken und sterben. Für viele ist das nur traurig und hässlich. Die Pflanzen verlieren Blätter, Blütenstaub und beginnen zu schleimen. Ich finde das faszinierend. Sonnenblumen mag ich übrigens selbst auch nicht, auch keine orangen Rosen, die können sehr geschmacklos sein! 

Schnittblumen sind demnach nicht nachhaltig – also jedenfalls in der kapitalistischen Logik! Warum sind Blumen so schön? Nur um Insekten anzulocken? 

Weil das ihr Job ist! Ich bin der Überzeugung, sie sind über eine biologische Notwendigkeit hinaus einfach nur schön, denn Schönheit rettet die Welt. Im Lockdown haben sehr viele meiner Kunden sehr viel Geld für Schnittblumen ausgegeben, nur für sich allein zuhause. Blumen sind systemrelevant (lacht). 

Redest Du mit Deinen Blumen?  

Nein, aber sie amüsieren mich. Narzissen etwa sind witzige Geschöpfe. Viele haben so Köpfchen und Gesichter mit denen sie nicken. 

Eigentlich sind die Blumen ja schon tot, wenn sie bei Dir im Blumenladen stehen! Glaubst Du, Pflanzen können mit uns kommunizieren? Wäre es möglich, dass sie unsere Sprache als Schwingungen wahrnehmen?  

Ich habe ein lustiges Zitat eines italienischen Pflanzen-Wissenschaftler dazu gelesen: „Pflanzen sind extrem intelligent, viel intelligenter als Menschen und Tiere. Sie haben nur ein Problem: Sie können nicht wegrennen.“ Diese Aussage hat mich so amüsiert! Ich glaube nicht, dass sie so tot sind, wenn sie in der Vase stehen. Es passiert nach dem Abschneiden noch etwas mit ihnen. Viele Blumen blühen ja bei mir im Geschäft erst auf und verändern ihre Form und Farbe. Sie besitzen nicht nur eine visuelle Dimension, sondern auch eine zeitliche. Deswegen rühren sie mich. 

„Pflanzen sind extrem intelligent. Sie können nur nicht wegrennen.“ 

Ist es für Deine Pflanzen ein Problem, dass sie nicht wegrennen können?

Ich bin eine miese Pflanzenbetreuerin. Ich besitze seit über zwei Jahren eine Terrasse und mein Gärtnern ist natürlich sehr von meinem Floristenjob beeinflusst …

… in dem Dein Motto naturgemäß „Hauptsache, es sieht gut aus" lautet … 

Genau! Ich besitze Pflanzen, die werden ständig irgendwie von A nach B getragen und werden in viel zu kleine Töpfe hineingequetscht. Meine Pflanzen würden sich wahrscheinlich am liebsten vom siebten Stock stürzen, wenn sie könnten. 

Ist das Abschneiden von Blumen nicht ein brutaler Akt, der Dich schmerzt? 

Damit hatte ich nie ein Problem. Man muss schon zwischen der Gärtnerin und der Floristin unterscheiden. Die eine pflanzt das Ganze, die andere schneidet es ab. Ich kappe alles, auch wenn es noch so schön gewachsen ist. Ich kann Blumen auch ganz gut wegschmeißen. Dazu muss man als Floristin bei größeren Aufträgen eine gesunde Einstellung entwickeln. Da verarbeitest Du wirklich Massen. Das sind Materialschlachten für ein Event, für nur eine einzige Nacht. Das landet am nächsten Tag dann alles in der Tonne oder in der Mulde. Klar kannst du dir ein paar Sachen zurück in den Laden holen, aber du machst dir in Wirklichkeit nur Arbeit damit. Wenn ich nach der Party 50 schöne Orchideen entsorge, ist das für mich kein Problem. So ist das eben. 

„Ich liebe Veilchen.“ 

Würdest Du sagen, das ist die Essenz Deines Berufes: zu verschwenden? Dieser eine Abend, dieses eine Event gewinnt an Feierlichkeit durch Deine Blumen, die wiederum nur für diesen einen Augenblick schön sind und dann verwelken. Wir entziehen uns mit Blumen dem Effizienz-Diktat, sie sind eine Art Opfergabe … 

Absolut. Die große Kunst ist ja auch, diese Blumen beim Event am Punkt zu haben. Du kannst sie ja nur in einem bestimmten Zustand bestellen, sie haben ganz unterschiedliche Haltbarkeiten und Aufblühzeiten. Wir bauen hier in meiner Werkstatt ab und zu sogar Wärmezelte auf, damit sie aufgehen, weil sie zu knospig geliefert wurden. Man muss Blumen einfach an den Zenit ihrer Schönheit bringen. Das gilt es zu schaffen. Ab dann haben sie quasi ihren Dienst getan.  

Bist Du eine Zeremonienmeisterin des Unnötigen?

Nein, das würde ich nicht sagen. Unnötig finde ich Blumen überhaupt nicht. Ich stehe eher für eine Großzügigkeit. Ich liebe zum Beispiel Veilchen, die nur einen Tag halten. Ich kaufe sie trotzdem immer, immer, immer wieder, auch wenn ich weiß, dass diese drei Dutzend Bündchen in meinem Geschäft am nächsten Tag in der Tonne liegen. Ich fühle mich dieser Großzügigkeit geradezu verpflichtet, das ist mein Geheimrezept (lacht).  

Gibt es eine Geschichte zu Deiner tiefen Verbindung zu Veilchen? 

Ich verbinde sie mit meiner Kindheit am Land in Vorarlberg, als ich allein durch die Wälder gestreift bin. Ich fand sie immer irrsinnig schön und so zierlich mit diesem speziellen Violett – und sie duften so betörend.  

„Ein Veilchen auf der Wiese stand, gebückt in sich und unbekannt …“ Bei Goethe wird das Blümchen, weil es so unscheinbar ist, leider zertrampelt! Das Veilchen steht für Zuneigung und Liebesverlangen, aber auch für Bescheidenheit, Treue und Unschuld. 

Als junge Floristin war ich von diesem Mythos um das Veilchen natürlich angezogen. Dann verliebte ich mich in einen Mann (in den bekannten Architekten Gregor Eichinger, der auch später ihr Lokal Blumenkraft in der Schleifmühlgasse im 4. Wiener Bezirk gestaltete, Anm. d. Red.). Ich schickte ihm fast täglich – natürlich anonym – Veilchen-Sträußchen in sein Büro. Nach zwei Wochen gestand ich ihm endlich – mit der Unterstützung von genügend Alkohol, ich bin furchtbar schüchtern – dass ich das war.  

„Blumen, die nach Schokolade riechen.“ 

Der Zauber hat gewirkt! Ihr wart lange Jahre ein Paar! Wie romantisch. Komponierst Du auch Gerüche und Düfte?

Muss man als Floristin, allein schon, weil Menschen allergisch reagieren können. Es gibt Blumen, die schon extrem riechen. Wenn du ein Dinner dekorierst, kannst du nicht hundert Hyazinthen auf den Tisch knallen, die Gäste kippen dir alle weg. Der Duft der Blumen ist ein sensibler Punkt in der Floristik. Es gibt viele Blumen, speziell Lilien, von denen die Menschen Kopfschmerzen bekommen. Ich mache ja auch viele Blumen-Abos, da beliefere ich einmal in der Woche Büros, Kanzleien, Restaurants und so weiter. Wenn man da als Mitarbeiterin einen Buschen Lilien am Tresen stehen hat und deren Duft acht Stunden am Tag inhalieren muss, ist das einfach zu intensiv. Das geht nicht. 

Gibt es eine Blume, die für Dich berauschend gut duftet? 

Ja, da gibt ein paar Düfte. Ein paar Arten von Narzissen können unglaublich gut riechen, auch Maiglöckchen, Rosen natürlich und gewisse Orchideen. Es gibt Tulpen, die duften nach Orangen und kleine Cosmea, die nach Schokolade riechen! Weiße Pfingstrosen verströmen ein betörendes Odeur. Im Sommer arbeiten wir sogar Salbei und Minze in die Sträuße. Das duftet nach Sommer. 

Du gestaltest die bezauberndsten und aufwendigsten Blumenarrangements für Bälle, Hotels oder Begräbnisse und wirst zuweilen auch mal für eine Nobelhochzeit eingeflogen! Gab es Momente, an denen Du an Deine Grenzen geraten bist. 

Ja, das war bei einem Auftrag für das jüdische Fest Bar Mitzwa. Es war gerade Veilchenzeit. Ich hatte der Kundin grüne Platten aus Polstermoos gestaltet und darauf einzeln die Veilchen gesteckt. Das war das Ärgste, was wir jemals gemacht haben. Die musste man einzeln mit einem Draht anstecken. Das war irre. Es waren annähernd 30.000 Veilchen. Die halten nur zwei Tage, die musste man behandeln wir Neugeborene. Geradezu ausbrüten. In solchen Momenten ist das dann schon ein sehr stressiger Job. Du solltest wie ein Koch am Punkt sein.  

„Blumen sind architektonische Kunstwerke.“

Du bist mittlerweile eine bekannte Floristin. Wie war dein Werdegang?  

Ich wuchs in einer sehr ländlichen Gegend – sehr bescheiden – im Bregenzerwald auf. Mein Vater war Holzarbeiter und meine Mutter Hausfrau. Ich habe acht Geschwister und bin die Jüngste. Wir besaßen kaum Spielzeug, deswegen spielte ich als Kind eben mit dem, was da war, mit Blumen. Ich flocht Kopfkränze und nachmittagelang legte ich aus Gänseblümchen, Löwenzahn und irgendwelchen geklauten Blumen auf der Straße meterlange Zierleisten. Ich liebte das! Später begann ich eine Floristenlehre in Bregenz. Meine ehemalige Chefin und Lehrmeisterin Mathilde Ressmann hatte die beste Floristenschule der Welt besucht: Weihenstephan in Bayern. Ihr verdanke ich sehr viel Wissen.  

Was macht eine gute Floristin aus?

Ein Gespür für Farben und Formen, große Fingerfertigkeit, gutes Gespür für Menschen, dreidimensionale Vorstellungskraft, denn die Sträuße sind etwas, das man regelrecht bauen muss. Ich habe als Kind oft Blumen zerlegt, sie sind architektonische Kunstwerke. Wie perfekt sie konstruiert sind! Unentbehrlich ist körperliche Fitness, denn der Beruf ist sehr kräfteraubend. Man steht um drei Uhr früh am Grünmarkt, am Abend muss alles stehen und am nächsten Tag muss alles weg. Blumen können sehr viel Gewicht haben, in wahrsten und im abstrakten Sinn des Wortes! 

Apropos: Zu Dir kommen oft Menschen in Lebenssituationen, die extrem sind, oder?

Ja, wirklich sehr extrem, speziell bei Beerdigungen. Blumen nehmen den Menschen ein bisschen ihren Schmerz, sie tun gut und geben dem traurigen Anlass in gewissem Sinn etwas Positives. Ich liebe es, Kränze und Sarg-Bouquets zu gestalten, ich habe mit meinen Gebinden leider auch schon von einigen Freunden Abschied nehmen müssen. Den Sarg mit Blumen abzudecken, hat etwas ganz Friedliches für mich. 

„Ich warf meinem Kollegen die losen Blumen ins Taxi.“

Wenn man an Blumen denkt, denkt man an Liebende! Du hast sicher mit Deinen Sträußen schon Paare zusammengebracht!   

Das würde ich nicht behaupten wollen, aber ich habe dafür gesorgt, dass so manche Angebetete hin und weg war (lacht). Ich muss ja oft diese Kärtchen schreiben, die mir am Telefon diktiert werden. Ohne zu viel zu verraten: Durch meine Hände geht doch die eine oder andere intime, skurrile bis kryptische Botschaft, oder sagen wir „Insider“ an die geliebte Person. Das ist sehr süß, wie sich das manche im Detail überlegen, und ich bemühe mich aufrichtig, das so umzusetzen, wie sie es wollen.   

Ging auch schon Mal etwas mit einer Blumenlieferung richtig schief?

So ganz schlimm nicht, aber einmal hatte ich einen Hochzeitsstrauß vergessen. Die Braut wollte mich dann auch verklagen. Die bekam dann schon einen, aber eben nicht den, den sie bestellt hatte. Die gewünschten cremefarbenen Rosen hatte ich einfach nicht, es war vierzehn Uhr am Samstagnachmittag. Ich warf meinem Kollegen die losen Blumen ins Taxi, der band dann den Strauß im Auto auf der Fahrt zum Standesamt!

Gibt es noch ein Traumprojekt für Dich, das Du mit Deinen Blumen realisieren willst?

Auf den Treppen der ehrwürdigen Wiener Sezession thronen doch diese zwei sehr großen Schildkrötenschalen links und rechts vom Eingangstor. In denen stehen zwei popelige Lorbeerbäume. Diese Schalen möchte ich in einer Nacht einmal heimlich füllen, dann sind die am nächsten Tag voll mit Blumen und stehen einfach so da. 

Danke für das Gespräch! 

Dieses Interview ist in der Printausgabe 4/2021 „The Wasted Issue“ erschienen. Sie können das Magazin in unserem SHOP bestellen.

Christine Finks Geschäft wurde bereits vom US-amerikanischen Schriftsteller Leonard Koren besucht. Sechs Wochen lang erforschte er in ihrem Lokal auf einem Sofa sitzend die Magie der Floristinnenkunst und schrieb schließlich ein Buch darüber: Blumenkraft. Charme – Anmut – Zartheit in einem kommerziellen Kontext, erschienen im Ernst Wasmuth Verlag (2006).

Der Fotograf Guenter Parth

Text: Antje Mayer-Salvi

Der österreichische Fotograf Guenter Parth ist mit den legendären Printmagazinen der achtziger und neunziger Jahre groß geworden: „Tempo“, „Männer Vogue“, „Wiener“, „i-D Magazine“, „Elle Italia“. Er hatte Celebrities wie José Carreras, Billy Wilder oder Quentin Tarantino vor der Linse. Der gebürtige Vorarlberger war jung, gefragt, die Szene feierte wild, arbeitete kreativ, Geld spielte keine Rolle. Dann kam das Internet, die digitale Fotografie, und irgendwann verloren auch die Magazine ihren Glamour. Parth fotografierte einfach digital weiter. In seinem Wiener Atelier hütet er seine schönsten Vintage-Prints. Vermisst er die Dunkelkammer? „Nein, mein Glück ist, dass ich immer ein gutes Foto machen kann.“

Die Fotografin Rafaela Pröll

Text: Antje Mayer-Salvi

Rafaela Pröll gehört zu den bekanntesten Mode- und Porträtfotografinnen in Österreich. Wir trafen die gebürtige Bregenzerin zu einem Gespräch unter einem Waldviertler Apfelbaum. Während uns die reifen Früchte auf die Köpfe fielen, besprachen wir die Kunst des guten Porträts, warum man Licht hören kann und in welchen Momenten selbst ein Vollprofi wie sie ins Schwitzen kommt.

Markus And His Flowers

Text: Antje Mayer-Salvi

Am Boden und einen Meter darüber. Die Objekte des Wiener Künstlers, Landschaftsgestalters, Floristen, Designers und Fotografen Markus Jagersberger, der sich Markus And His Flowers nennt, spielen mit den Dimensionen Groß und Klein, Extravaganz und Understatement. Immer schwingt da diese feine Note Humor mit. Wir trafen ihn auf seiner wild bepflanzten Terrasse, redeten und tranken Schnaps mit Kaffee.

Die Poesie der Pflanzen

Text: Interview: Lara Ritter, Artwork: Špela Petrič

Die slowenische Bio-Künstlerin Špela Petrič kreiert Mischwesen aus Mensch und Pflanze, liest Blattporen von den Lippen ab und berät Blumen beim Sex