Die junge Wahl-Berlinerin ALL AMIN dekonstruiert für ihr Fashion-Label HARAM, was auf Arabisch soviel wie „verboten“ heißt, so ziemlich alles, was ihr in die Hände fällt – und kreiert daraus tragbare Skulpturen, die sie auf ihrem Instagram-Accountin Szene setzt.Ihre bizarren Korsagen aus gebrauchten Sneakern wurden sogar schon in der VOGUE und in der Cosmopolitan publiziert.
Pia Semorad: Schmeißt der Mainstream seine coolste Kleidung weg?
All Amin: Viele Schuhe, die ich bekomme, sind in einem guten Zustand, nur bei Fußballschuhen sind die Sohlen immer extrem abgelaufen. Die kann man nicht mehr zum Spielen tragen, aber ziemlich geil stylen, das weiß der Mainstream nur nicht. Ich stehe voll auf Neonfarben, und gerade bei Fußballschuhen gibt es ordentlich knallige Farbvarianten.
Woher bekommst Du all die gebrauchten Schuhe?
Als ich noch in Nürnberg wohnte, kaufte ich die Schuhe in einem Sneaker-Secondhandladen, der von einem Kurden geführt wird, meine Familie ist übrigens auch kurdisch. Der hat massenweise alte Schuhe und ließ mich sein Lager komplett durchwühlen, das war ziemlich geil. Ich bekomme auch viele Spenden.
Wie kamst Du vom Sneaker-Sammeln zum Upcyclen?
Ich arbeitete mit 18 Jahren im Schuhgeschäft Footlocker und hatte Leute in meinem Umfeld, die richtig krass im Sneakergame drinnen waren. Manche hatten ganze Zimmer voller Schuhkartons, das war für mich eine komplett neue Welt. Ich fand das schon alles ein bisschen heftig, aber ich wollte auch mit denen mithalten. Als ich mich dazu entschied, Mode zu studieren, setzte ich mich mehr mit der Modeindustrie auseinander und damit, wie Sneaker produziert werden. Plötzlich war ich nur noch genervt von all den Schuhen, die ich bei mir zu Hause hatte. Da ich gerne Absatz trage, fing ich damit an, aus meinen Sneakern eigene Hybrid-Sneakerheels zu entwickeln. So entstanden die ersten Kreationen, die ich dann auf Instagram veröffentlichte – die Nachfrage war sofort da. Ich war super überrascht, dass es den Leuten so gut gefällt. Ab da habe ich einfach immer weitergemacht.
„Bro, nein, ich will jetzt erstmal die Sachen anfassen!“
Mit welchen Materialien außer Schuhen arbeitest Du noch?
Ich schaue einfach, welche Materialien mir in die Hände fliegen, ich habe auch schon mit Fußballhandschuhen und Fußballschals gearbeitet. Vor Kurzem habe ich mit der Technik „Weaven“ begonnen, bei der man Shirts zerschneidet und dann neu zusammenknotet. In Zukunft möchte ich auch noch mehr mit Strick ausprobieren. Grundsätzlich arbeite ich aber mit allen Materialien, die keinen Gebrauch mehr finden. Man kann alles zerschneiden und etwas Neues daraus kreieren!
Also einfach drauflos dekonstruieren!
Einfach machen, nicht so viel drüber nachdenken. Ich arbeite ohne Konzept drauflos. Das war mein großes Problem an der Kunstuni. Ich kann nicht mit Institutionen, die wollen dir immer nur eine Art und Weise zu arbeiten aufzwingen. Ich kann auch anders an mein Ziel kommen! Es geht mir darum, meine eigene kreative Handschrift zu entwickeln und meine Identität in meine Arbeiten einfließen zu lassen, aber das ist schwierig mit strikten Vorgaben. Mir wurde an der Uni gesagt: „Du musst deine Kollektion zuerst zeichnen“, und ich dachte mir: „Bro, nein, ich will jetzt erstmal die Sachen anfassen!“. Ich muss erstmal gucken, wie mir ein Material gefällt, bevor ich damit spielen kann!
Du beschreibst Dich als Creative Mind und nicht als Designerin. In welchen anderen Bereichen der Kunst fühlst Du Dich zuhause?
Ich bezeichne mich nicht als Fashion-Designerin, weil mir das technische Wissen fehlt, wenn es um Schnittkonstruktion geht. Wenn etwas perfekt ausgearbeitet sein soll, mit einer guten Fertigung, dann würde ich das nicht hinkriegen. Ich könnte zum Beispiel keinen Mantel mit Kragen nähen. Ich bin viel mehr aufs visuelle Arbeiten aus und möchte auch mehr in Richtung Creative Direction gehen. Ich arbeite gerade an Filmen, mag das Cutten und würde mich auch gerne wieder mehr in Richtung Musik bewegen. Mode ist das, worin ich mich am besten ausdrücken kann.
Ist Komfort überbewertet?
Komfort sollte gar nicht überbewertet sein! Meine Korsagen schmiegen sich der Brust an und sitzen gut. Sie sind tatsächlich praktisch, da die Schnürung erweitert werden kann, je nachdem wie groß der Busen ist. Nur einknicken kann man nicht. Wenn man Korsagen trägt, muss man Körperhaltung bewahren.
In meinen Augen sind die größten Fashion-Opfer diejenigen, die einem Trend nach dem anderen hinterherlaufen, aber nicht verstehen, was sie tragen. Bei den meisten ist Kleidung sowieso nur eine oberflächliche Fassade, aber wir sind ja auch zu diesem Umgang mit Mode manipuliert worden. Wir sind solche Konsumopfer; wir kaufen und kaufen und am Ende sind wir immer noch unerfüllt.
Was ist Deine Fashion-Utopie: Wie werden wir in 20 Jahren gekleidet sein?
Am liebsten wäre es mir, wenn sich jeder ein bisschen mit sich selbst beschäftigt und sich etwas Kleines, Schönes näht. Dafür braucht man keine Schneiderausbildung, man kann einfach darauflos nähen. Es muss nicht perfekt sein. Hauptsache, die Naht hält!
All Amin (25 Jahre) ist als Kind kurdischer Flüchtlinge in Nürnberg aufgewachsen, vor zwei Jahren zog sie nach Berlin. Sie studiert Mode und hat sich über ihren Instagram-Account @haramwithsugar mit ihren ausgefallenen Designs in der internationalen Modewelt etabliert. Ihre Stücke waren sogar schon in der VOGUE und Cosmopolitan zu sehen. Sie kollaboriert unter anderem mit der österreichischen Fotografin Maša Stanić und ist in der jungen deutschen Künstlerszene mittlerweile eine bekannte Persönlichkeit.