Die Modejournalistin

Der Laufsteg des Lebens

Brigitte R. Winkler ist die Doyenne des österreichischen Modejournalismus und eine unermüdliche Förderin junger österreichischer Designerinnen. Sie sei die erste Modebloggerin des Landes gewesen, so die Fashionexpertin ironisch über sich selbst. Noch immer jettet sie unermüdlich um die Welt, um an vorderster Front von den großen Shows mit der eigenen Kamera zu berichten.

Text: Antje Mayer-Salvi, Fotos: Rafaela Pröll

Brigitte Winkler, ©Rafaela Pröll, Brigitte Winkler, ©Rafaela Pröll, Styling: Simon Winkelmüller, Makeup/Hair: Nicole Jaritz, Fotoassistenz: Philipp Haffner

„ Für die Mode gekämpft“

Antje Mayer-Salvi: Die Wiener Fotografin Rafaela Pröll, Stylist Simon Winkelmüller und Visagistin Nicole Jaritz haben Dich für dieses Interview extra gestylt und geshootet. Wie war es für Dich, mal vor der Kamera zu stehen?

Brigitte R. Winkler: Das habe ich gar nicht gerne. Als junge Frau habe mir doch deshalb eine Kamera gekauft! Wenn man selbst fotografiert, ist die Gefahr geringer, fotografiert zu werden. Als Rafaela mich fragte, antwortete ich: Wenn Du Dir das antun willst?! Macht, was ihr wollt! Ich hätte nur wenigen anderen zugesagt – ihr kann ich vertrauen. Vor Kurzem war Peter Savic in Wien, er zählt zu den gefragtesten Haar-Stylisten der Welt und kreiert Frisuren für Lady Gaga bis Madonna. Wir waren gemeinsam auf einen Kaffee. Er hat ein bisschen an mir rumgeschnippelt und mir geraten: Haare glatt am Kopf! Das Wiener Team hat das dann auch so gemacht, ein weiterer Beweis für mich: Da sind Vollprofis am Werk!

Obwohl Du das internationale Who is Who der Modewelt persönlich kennst bzw. kanntest: Helmut Lang, Gianni Versace, Karl Lagerfeld, Rei Kawakubo, Jean-Paul Gaultier – und wie sie alle heißen –, Du Dich zwischen den Adabeis, Schönen und Reichen auf den wichtigsten Modeschauen der Welt bewegst, giltst Du als ziemlich uneitel! Wie kommt’s?

Ich bin total uneitel, weil ich es mir schlichtweg zeitlich nicht leisten will! Ich putze mir die Zähne, ich verwende ein bisschen Rouge, weil mich sonst die Leute wegen meiner Blässe fragen, ob ich krank bin. Das war es dann aber auch schon. Stylen und Schminken kosten so viel Zeit. Ich sehe mich ja selbst nicht, die Leute, denen ich vor die Augen komme, die tun mir ja leid. Ich würde auch nie eine Schönheitschirurgin an mir rumbasteln lassen. Warum sollte ich mir das antun? Alleine das Gefühl, dass mir da jemand im Gesicht herumschneidet! Ich bilde mir einfach ein, ich bin 25 Jahre alt und die Schönste auf der Welt. Ich blicke fast nie in einen Spiegel, und wenn ich es am Abend doch tue, ist es schon oft passiert, dass ich entdecke, dass ich den ganzen Tag mit dem Lippenstiftabdruck einer Freundin rumgelaufen bin.

„Mode hat mit Disziplin zu tun. Ich besitze sie definitiv nicht.“

Was ist für Dich in der Mode die größte Sünde?

Jemandem Vorschriften zu machen. Kein Zwang – jede soll sich kleiden, wie sie will.

Gibt es einen wirklich gut angezogenen Menschen, den Du kennst?

Nein, ich schaue nicht darauf, was Leute anziehen, sondern sehe nur ihr Inneres. Oder ob jemand lustig ist.

Deine größte Modesünde? Schon mal bei der Billig-Handelskette KiK eingekauft?

Doch, ein einziges Mal, bis ich erfahren habe, wie dieser Konzern agiert. Ich brauchte viele rosa T-Shirts für eine private Veranstaltung. Die hatten welche.

Du hast Dich Dein Leben lang in einem Umfeld bewegt, in dem gutes Aussehen hochgeschätzt wird – hast Du nie das Gefühl gehabt, dass Du da mithalten musst?

Mode hat ein unglaublich breites Spektrum, es ist Kulturgut, aber auch Teil einer Glamourwelt, zu der es selbstverständlich gehört, schön sein zu wollen. Ich habe mal die österreichische Schauspielerin Sunnyi Melles Backstage interviewt und sie gefragt „Was bedeutet Ihnen Mode?“ und darauf antwortete sie: „Mode hat mit Disziplin zu tun.“ Ich erstarrte innerlich, dachte, mich hätte ein Pfeil getroffen. Diese Aussage ist so richtig! Ich besitze sie definitiv nicht. Gott sei Dank ist sie auch den wirklich bedeutenden und interessanten Leuten nicht wichtig. Man weiß ja, wie leger Armani sich kleidet oder wie Gaultier rumläuft – der legt seine gestreiften Leiberln nie ab!

„Tragen will ich sie nicht, ansehen will ich sie.“

Mode war schon immer Deine Leidenschaft. Was ist das Faszinierende daran?

Tragen will ich sie vorderhand nicht, ansehen will ich sie, bestenfalls anfassen und manchmal besitzen. Mode sagt so viel über die Menschen und ihre Zeit aus. Was mich noch mehr interessiert, ist, was sie über unser aller Zukunft erzählt. Eine gute Designerin hat die Kraft und das Talent zu erkennen, was der Mensch von morgen will. Meine letzte Lieblingsshow dahingehend war von CHANEL Couture und fand 2014 statt. Karl Lagerfeld schickte damals alle seine Models mit Sneakers auf den Laufsteg. Ich sagte nach der Show zu ihm „Karl, danke, dass man als Frau keine Stöckelschuhe mehr tragen muss, wenn man schön sein will.“ Er antwortete sinngemäß: „Das war das letzte political Statement in der Mode. Nun haben sich die Frauen dort alles erkämpft.“

Ab da konnte Coco Chanel ruhig schlafen?

Coco Chanel war die Wegbereiterin für uns Frauen, indem sie funktionale Kleidung, wadenlange Röcke, luftige Hosen und den Kurzhaarschnitt für Damen salonfähig machte. Die Frauen nahmen sich selbst nicht mehr als Schmuckstück des Mannes wahr, sondern als selbstständige Menschen, die sich ihre Kleidung eben so gestalten, dass sie sich frei bewegen und bequem arbeiten können. Wenn ich High Heels tragen mag, ist das gut, aber ich muss sie nicht mehr tragen. Dass Coco Chanels Statement damals einer Befreiung gleichkam, können sich die jungen Frauen von heute gar nicht mehr vorstellen! Das ist das, was mich an der Mode so fasziniert. Das künstlerische Talent zu spüren, was morgen ist. Wie skandalös und sensationell war es, als Yves Saint Laurent den Transparenz-Look auf den Laufsteg brachte! Ich zeige meinen Busen?! Na und! Du darfst mich trotzdem nicht vergewaltigen!

Du bist eher eine Forscherin der Laufstege, nicht eine Forscherin der Straße.

Das stimmt. Das ist meine Welt, in der ich gelernt habe. Als ich Karl Lagerfeld mal gefragt habe, wie er denn auf seine tollen Ideen komme, meinte er: „Ich habe meine Augen offen, wenn ich auf der Straße unterwegs bin.“ Das äußerte er aber schon in den Achtzigerjahren, lange bevor die Streetwear so ein aktiver Teil der Modewelt wurde!

„Ich zeige meinen Busen?! Na und! Du darfst mich trotzdem nicht vergewaltigen!“

Wann hast Du Karl Lagerfeld zum ersten Mal getroffen? Er mochte Dich sehr gerne, wie es scheint!

Ich glaube, das war Mitte der Achtzigerjahre. Da war ich recht am Anfang meiner Karriere. Es gibt ein Foto von damals, als wir uns das erste Mal begegnet sind. Karl hat es eben mögen, wie ich mit ihm gesprochen habe, und er wusste, dass er sich zu hundert Prozent auf mich verlassen kann, was auch immer er mir erzählte – mit Helmut Lang habe ich mir das ebenso ausgemacht. Bevor wir miteinander sprachen, fragte ich immer: „Sind wir privat oder ist das beruflich?“ Wenn sie sagten „privat“, blieb das privat. Mit Karl Lagerfeld konnte ich ja auch Deutsch in Paris sprechen, das war natürlich sehr angenehm für uns beide, er tat das sehr gerne.

Erzähl uns über Deine erste Zeit als Modejournalistin beim „Kurier“!

Ich habe ziemlich früh angefangen, selbst zu fotografieren, um mich nicht auf die Agenturfotos verlassen zu müssen. Aufnahmen von einem Kleid von hinten gab es damals nicht, da konnte das noch so schön sein. Ich habe das natürlich gemacht. Ich habe mir das Fotografieren selbst beigebracht und in New York auf Ratschläge von Kollegen hin eine Canon EOS-1, die 1989 auf den Markt kam, mit Equipment um rund 5.000 Dollar gekauft. Ich hatte das Glück, dass die Digitalkameras erst zehn Jahre später aufkamen. Meine Fotos sind alle analog entstanden. Ich hatte auch immer noch eine kleine Kamera im Täschchen für die Promis in der first Row, Objekte zu wechseln dauerte einfach zu lange. Im März fotografierte ich die Herbstmode in Paris, dann bin ich nach Wien zurückgefahren, habe alles entwickeln lassen und erst im September wieder aus der Schublade geholt. Ich habe, glaube ich, sogar schon 1981 meine ersten Interviews mit Gianni Versace und Giorgio Armani geführt.

„Karl hat es eben mögen, wie ich mit ihm gesprochen habe.“

Du warst Ende der Siebzigerjahre erst für die Frauenseite beim „Kurier“ zuständig.

Genau, Anfang der Achtziger habe ich dort den Modepart übernommen und bin dann bald das erste Mal, mit der Erlaubnis meines Chefs, sogar mit einem Fotografen nach Paris gepilgert. Damals die große weite Welt aus der wienerischen Perspektive! Dort war ich dann auf meiner ersten Modeschau. Sie war sogar von Yves Saint Laurent. Wie wir beide es ohne Einladung dort hineingeschafft haben, weiß ich einfach nicht mehr – keine Ahnung!

Wie hat sich der Modejournalismus geändert, als das Internet aufkam?

Mein Chef meinte, ich müsse nun nicht mehr persönlich zu allen Shows fliegen. Daraufhin erwiderte ich, dass ich keine Secondhand-Journalistin werden möchte. Ich will die Shows und die Mode live mit eigenen Augen sehen. Für mich sei das Internet bestenfalls eine Ergänzung. Aber klar, man kann ja nicht alle Modeschauen besuchen, dafür ist es gut. Wenn ich dann etwas Beeindruckendes im Netz entdecke, weiß ich, dass ich das nächste Mal dorthin gehen sollte. Großartig!

Ist es sehr schwierig, auf die Gästelisten der großen Modeschauen zu kommen?

Absolut. Besonders auf die der wichtigen Modedesignerinnen. Es kommen ja Medien und Besucherinnen aus der ganzen Welt. Selbst wenn die Labels wie CHANEL eine Riesenhalle wie das Grand Palais in Paris mit 2.000 Sitzplätzen anmieten, ist da immer noch nicht genug Platz für alle, die hineinwollen. Die PR-Managerinnen der Labels müssen eine knallharte Auslese betreiben. Ich hatte immer Glück, ich besaß als Österreicherin den „Kulturjoker“, mir gestand man Kunstverständnis zu. Ich werde ich nicht vergessen, wie Gianni Versace mir einmal eröffnete, dass er so gerne nach Wien komme wegen Klimt, Schiele, des Kunsthistorischen Museums und das alles „anbete“.

„Ich besaß als Österreicherin den ,Kulturjoker’.“

Wie kommt man zu den begehrten Einladungen?

Man muss sich jede Saison direkt bei der zuständigen PR-Ladies melden – in Mailand, London, Paris, New York, und jedem Haus einzeln Bettelbriefe, wie ich das nenne, schreiben. Früher schickte man wirklich noch Briefe: 50 Stück nach Paris, 20 Stück nach London, 47 Stück nach Mailand, später waren es nur mehr Faxe, nun sind es E-Mails. Man musste angeben, in welcher Unterkunft man vor Ort residiert, dort wartete man dann gespannt auf die Einladungen, die manchmal auch erst kurz vor der Show eintrafen. Im Anschluss muss man natürlich etwas über das Gesehene schreiben, ansonsten wird man von der Liste gestrichen. Die Häuser ändern aber ihre Rankings nicht jede Saison, sondern haben Fixstarterinnen inklusive der festgelegten Sitzordnung, sonst wäre das ja organisatorischer Wahnsinn.

Muss die Unterkunft elegant sein, damit man als „würdig“ eingestuft wird?

Nein, überhaupt nicht. Man muss nicht im Hilton absteigen, man kann sie zu einer privaten Adresse schicken lassen, auch etwas Kleineres ist okay – vollkommen egal.

Gibt es ein Vorbild für Dich im Modejournalismus?

Ich nenne sie nicht Vorbilder, sondern „Assistentinnen“. Die Britin Suzy Menkes, die wohl einflussreichste Modejournalistin der Welt, ist meine „Lieblingsassistentin“. Sie kenne ich persönlich. Im April kommt sie nach Wien und gibt einen Workshop im Rahmen der Condé Nast International Luxury Conference in der Hofburg (29.–30. April 2020, Anm. d. Redaktion). Ich freue mich total, dass sie dann auch unsere Ausstellung im MAK besuchen wird.

Hat Dich es nie gereizt, diese schönen Dinge, die am Laufsteg an Dir vorbeidefilieren, auch zu besitzen?

Doch, ja. Ich trinke nicht, ich rauche nicht, aber ich bin süchtig nach großartiger Mode und Kunst. Ich habe mir immer wieder Teile gekauft, zum Beispiel einen Rock von Bernhard Willhelm, der so dick bestickt wie ein Teppich ist, großartig! Den habe ich natürlich noch nie angezogen. Ich würde mich doch nicht auf dieses wunderbare Teil setzen! Für mich sind solche Stücke Kunstwerke, die ich am liebsten an die Wand hängen würde. Ich kann gar nicht sagen, wie groß meine Sammlung ist, sechs bis acht Schränke voller Mode werden es schon sein.

Hortest Du Deine Schätze bei Dir zu Hause?

Ich habe das Glück, einen Archivraum zu besitzen, in dem in in dreißig Schränken meine ganzen Unterlagen, die ich in meinen vierzig Jahren Berufsleben zusammengetragen habe, sammle.

Hast Du alle Stücke selbst gekauft oder auch welche geschenkt bekommen?

Ich habe hin und wieder was geschenkt bekommen, von den ganz Lieben, auch von Helmut Lang zum Beispiel. Aber erst als wir eng befreundet waren, vorher hätte ich so etwas nie angenommen. Es freut mich auch, wenn ich als Journalistin bei CHANEL dreißig Prozent Rabatt bekomme. Nur was sind dreißig Prozent, wenn das Outfit 5.000 Euro kostet?! So was kann ich mir nur einmal in zehn Jahren leisten.

Welche Pläne verfolgst Du mit Deiner Sammlung?

Meine schriftliche Sammlung, meine Fotos, meine vielen Einladungen und sonstige Dokumente aus vierzig Jahren internationalem Modegeschehen bergen selbst für mich immer wieder Überraschungen, wenn ich mir die Zeit nehme, ein bisschen darin zu wühlen. Es ist mir jedoch eine große Ehre, dass ich bei der aktuellen Modeausstellung „SHOW OFF: Austrian Fashion Design“ einerseits wissenschaftliche Beraterin bin, aber auch selbst ein bisschen zum Teil der Ausstellung werde. Zuerst wollte ich das auf keinen Fall. Das ist ja peinlich, wenn man als Mitgestalterin von sich selbst was zeigt. Ich habe mich dann aber überreden lassen. Es werden Fotos von mir und meinen Lieblingsdesignern, wie Karl Lagerfeld oder Gianni Versace zu sehen sein, die begehrten Einladungen zu den Modeschauen und ein paar meiner Artikel im „Kurier“.

Warst Du die erste Journalistin, die in Österreich über den „Vater der Coolness“ Helmut Lang geschrieben hat?

Im „Kurier“ auf alle Fälle. Ich bin damals mehrmals zum Chefredakteur gepilgert und habe ihn angefleht, doch mal was über diesen Helmut Lang schreiben zu dürfen, der sei ein toller junger Designer und der mache so viele gute Sachen und aus dem werde mal was. Beim dritten Mal hat er dann geklagt: „Geh, du mit deinem Helmut Lang!" Den kenne ja keiner und wer solle das denn lesen. Ich bin ihm damit schon richtig auf die Nerven gegangen. Ich habe im Grunde vierzig Jahre lang für die Mode gekämpft, weil sie wird ja nach wie vor von den meisten Medien hauptsächlich als Illustration oder bunte Behübschung für den vermeintlich seriösen Rest gesehen.

Wie war Dein erstes Gespräch mit Helmut Lang?

Ich traf ihn das erste Mal in seinem Studio auf der Mariahilfer Straße. Wir haben uns ziemlich schnell, ziemlich bald, sehr gut verstanden. Zu Beginn sind mir allerdings auch Fehler passiert. Man versteht nicht beim einfachen Hinsehen alles, man muss auch in der Mode lernen. Einmal betitelte ich eine seiner Shows, auf der er seine minimalistische Unterwäsche als Oberteile zeigte, ein „Buhhhh für Bou-Bous neue Mode“. Bou-Bou war sein Spitzname. Das war Blödsinn, er war seiner Zeit weit voraus, die Show großartig – ich hatte es einfach noch nicht verstanden. 

Modedesignerinnen zu interviewen ist ziemlich schwierig, was fragt man die denn?

Es gibt in Paris auch ganz banale Modeschauen, wo ich jetzt auch nicht so genau wüsste, was ich die Designerinnen danach fragen soll. Aber es gibt großartige Künstlerinnen, die schätzen es sehr, wenn man sich auskennt und intellektuell an die Sache rangeht, es ergeben sich dann tiefere Gespräche, auch gerne mal über den Sinn des Lebens. Natürlich gehört auch Glamour-Talk dazu, wer was bei der Oscar-Verleihung anzieht, aber man darf Modejournalismus nicht auf so Banales beschränken, man täte der Mode unrecht.

Diese Interviews im Backstagebereich sind kurz, oder?

Es sind eher Statements, ich habe immer alles mit der Hand mitgeschrieben.

„Es gibt in der Modewelt kaum etwas, was ich nach vierzig Jahren nicht erreichen kann.“

Gab es Momente, in denen Du Dir selbst gesagt hast, jetzt werfe ich meinen Job hin? Die Fashion-Szene signalisiert einer ja immer wieder: „Du bist in, Du bist out.“

Ich habe mich mal bei einer Modeschau von Thierry Mugler vor der ersten Reihe auf den Boden gekniet, um zu fotografieren. Was hat die hinter mir Sitzende gemacht? Sie hat mir einen Fußtritt verpasst. Das war schon tief. Ich lasse mich aber von niemandem davon abbringen, das zu tun, was ich will. Ich habe darauf einfach nicht reagiert, es einfach nicht zur Kenntnis genommen. Ich konzentriere mich auf das, was mich interessiert, was mich weiterbringt. Es gibt in der Modewelt kaum etwas, was ich nach vierzig Jahren nicht erreichen kann. Ich habe sogar kürzlich weltweit als Einzige ein Interview mit der Designerin Rei Kawakubo bekommen, die die Kostüme der Oper „Orlando“ von Olga Neuwirth in der Staatsoper entworfen hat. Sie hat der „New York Times“ ein schriftliches Interview gegeben, der „Presse“ ebenfalls. Die Frau Winkler durfte in den Tee-Salon in der Staatsoper kommen und mit ihr eine halbe Stunde sprechen. Ihr Mann Adrian fragte mich gleich bei der Begrüßung, wie lange ich denn auf das Gespräch gewartet hätte. Meine Antwort: dreißig Jahre.

Du hast auch mit Rapper Kanye West ein Interview gemacht?

Ja, da war er noch nicht mit Kim Kardashian verheiratet. Ich habe ihn Backstage nach einer Raf-Simons-Show nach seiner Einstellung zu Mode gefragt. Da hat er fast zu weinen begonnen und gemeint: „Already as a child I wanted to be a fashion designer.“ Er ist vielleicht ein guter Musiker, aber seine Begabung und vor allem seine Hingabe in Sachen Mode halten sich nach meinem Dafürhalten in Grenzen.

Auf welches Interview in Deiner Karriere bist Du besonders stolz?

Ich bin stolz darauf, sagen zu können, mit Helmut Lang befreundet zu sein. Er ist einer der ganz, ganz großen Modedesigner unserer Zeit.

Du bist längst in Pension. Du scheinst nicht wirklich kürzertreten zu wollen?

Ich warte darauf, dass mir das mal gelingt (lacht)! Ich bin ja schon seit zehn Jahren im Ruhestand und erfülle alle Klischees dieser Welt: Seit meiner Pensionierung habe ich überhaupt keine Zeit mehr. Ich kann schreiben für wen ich will, ich bin Professorin, habe Vorlesungen an der Angewandten gehalten und jetzt an der Kunstuniversität Linz. Ich reise nach wie vor zu Modeschauen, ich kann machen, was ich will. Ich tue, was mir Spaß macht – und das hat immer noch mit Mode zu tun.

Was bringst Du Deinen Studentinnen über Mode bei?

Ich frage sie: Wollt Ihr nur designen, was Ihr wollt? Dann solltet Ihr Künstlerinnen werden und könnt in Wien bleiben. Wollt Ihr, dass Eure Mode getragen wird? Dann schaut, dass den Kundinnen die Klamotten auch passen, und geht nach Paris, London Mailand oder New York. Es ist einfacher auf eine Leinwand zu malen, als so unterschiedlich gebaute Körper, wie wir Menschen sie nun einmal haben, gut anzuziehen.

„Trotzdem werden weiterhin T-Shirts für zwei Euro in Europa verkauft. Das ist Irrsinn!“

Viele Modefirmen, besonders die großen Labels, produzieren in Asien unter oft schrecklichen Bedingungen für die Arbeiterinnen, immer mehr Textilmüll überschwemmt den Globus, für die Produktion der Luxusgüter werden wertvolle Ressourcen verschwendet. Immer mehr, immer neu! Regt Dich das nicht auch alles furchtbar auf?

Das regt mich sogar furchtbar auf, manchmal bin ich kurz davor zu sagen: „Da will ich nicht mehr mitmachen!“ Auch wenn du als Journalistin darüber schreibst, dass Textilfabriken in Bangladesch einstürzen und Leute sterben, werden trotzdem weiterhin T-Shirts für zwei Euro in Europa verkauft. Das ist Irrsinn! Solche billigen Klamotten sollten bei uns verboten werden. Es ist auch erschütternd, dass es möglich ist, dass Top-Marken wie Saint Laurent Blusen schleissig in China produzieren lassen, jene nicht einmal aus Baumwolle sind und es Kundinnen gibt, die dafür ernsthaft bis zu 2.500 Dollar hinlegen. Eine große Marke ist keine Garantie mehr für Qualität. Es gibt viele negative Entwicklungen in der Modewelt, die ich nicht verstehen kann.

Hast du dich schon als junges Mädchen für Mode interessiert? Gab es in Deiner Familien jemanden, die Dich dazu inspiriert hat?

Ich komme aus Kärnten. Mode war kein Thema in meiner Familie. Mein Vater war Jurist, und meine Mutter Lehrerin, auch ich bin ausgebildete Volksschullehrerin. Wenn mein Vater nach Hause kam, legte er sofort eine Schallplatte auf. Klassische Musik, insbesondere Opern, war in unserem Haushalt allgegenwärtig. Am Sonntag hörte mein Vater sich oft Gustaf Gründgens „Faust“ an. Das ist eine schöne Kindheitserinnerung. Ursprünglich studierte ich übrigens Mathematik und Physik, weil ich wissen wollte, was die Welt im Innersten zusammenhält. Ich habe das Studium aber nicht abgeschlossen, an der Mathematik bin ich letztendlich gescheitert. Kunst ist eine ganz große Leidenschaft von mir, für mich ist die Mode ein Teil davon. Wenn ich mehr Zeit hätte, würde ich mehr in die Oper gehen, ins Theater und in Konzerte.

„Die Fashionwelt ist zugemüllt mit Mode.“

Kinder?

Nein, keine. Ich hatte einen Freund, der leider vor zwei Jahren verstorben ist. 51 Jahre lang war ich mit ihm dick und eng befreundet. Wir haben weder geheiratet noch zusammengelebt. Ich habe ihm von Anfang an gesagt, ich will selbstständig bleiben, ich bin Feministin. Das haben wir so durchgezogen, bis zum Schluss.

Wie schätzt Du die Bedeutung der österreichischen Modeszene ein?

Österreich ist ein kleines Land. Die Fashionwelt ist zugemüllt mit Mode. Wenn gleichzeitig wichtige internationale Shows stattfinden, wer soll denn dann noch nach Wien fliegen? Auf die jährliche MQ Vienna Fashion Week kommt keine Einkäuferin und keine internationale Presse. So ist das. Wenn du international verkaufen willst, musst du raus.

Welche hiesigen Talente haben Potenzial?

Es gibt große Talente in Österreich und ein Handwerk, auf das sich die hiesigen Designerinnen mehr berufen sollten. Das Model Claudia Schiffer stand mal Backstage in einem weißen Brautkleid vor mir, und Karl Lagerfeld fragte mich „Wissen Sie, woher das Material für dieses Kleid kommt?“ Natürlich hatte ich keine Ahnung. Er sagte: „Aus Tirol. Das ist Tiroler Loden.“ Lagerfeld wusste eben, welche Schätze wir in Österreich besitzen. Es gibt so viel Talent in und aus Österreich: House of the Very Islands, PETAR PETROV, Arthur Arbesser, Peter Pilotto, um nur ein paar zu nennen.

„Lagerfeld wusste eben, welche Schätze wir in Österreich besitzen.“

Findest Du Dirndl gut?

Trage es, wenn es zu dir passt! Es darf nicht aufgesetzt sein. Ich habe es früher öfter mal angezogen, bin sogar ein großer Fan des Dirndls, aber leider hat es, obwohl es nichts dafür kann, einen fiesen Beigeschmack bekommen. Ich liebe ein Zitat von Gustav Mahler: „Tradition ist nicht die Anbetung der Asche, sondern die Weitergabe des Feuers.“

Was kannst Du gar nicht leiden?

Früh aufzustehen! Wenn eine Modeschau in Paris oder sonst wo um neun Uhr morgens beginnt, muss da schon ein sehr guter Name auf dem Programm stehen, damit ich mich dafür aufraffe. Ich bin eine Nachtarbeiterin.

Viele Parties, ein Haufen Drogen – war das ein Teil Deines Lebens?

Das hat für mich mit Mode nichts zu tun.

Letzte Frage: Wofür lohnt es sich, jeden Tag aufzustehen – außer für die Mode?

Für die Musik. Aber dafür muss ich nicht aufstehen, die kann ich auch im Bett genießen.

Danke Dir für das Gespräch.

Brigitte R. Winkler wurde 1947 in Kärnten geboren und ist dort aufgewachsen. Sie studierte Germanistik und Kunstgeschichte in Wien und ist ausgebildete Volksschullehrerin. Von 1977 bis 2010 arbeitete sie bei der österreichischen Tageszeitung „Kurier“, wo sie zuerst die Frauenseite gründete und leitete, ab 1980 schrieb sie regelmäßig über Mode. Über dreißig Jahre lang berichtete sie von den wichtigen Modeschauen der Welt, heute ist sie mit den bekanntesten Fashion-Fotografinnen, Designerinnen, Models und Prominenten der Modewelt bekannt. 1992 erschien ihr Buch „Weltmeister der Mode. Von Armani bis Yamamoto“. 2018 wurde ihr von der Sektion II: Kunst und Kultur des Bundeskanzleramts der Professorinnentitel verliehen. Sie lehrt an der Kunstuniversität Linz und ist als wissenschaftliche Beraterin frei tätig.

www.rafaelaproell.com 

www.simonwinkelmuller.com

www.mak.at/showoff

„Woher kimmsch'n Du?“

Text: Antje Mayer-Salvi, Fotos: Andreas Kronthaler

Selbstporträt in pinken Schlüpfern

Aufgewachsen ist der Modedesigner Andreas Kronthaler, Ehemann von Vivienne Westwood, im Zillertal in Tirol. Wir könnten ihn fragen, wie es so war, Tee mit Prince Charles zu trinken. Tun wir aber nicht. Wir sprechen über die Mostbeer-Nocken seiner Oma und die Pelzmäntel der alten Tante in Graz. Inzwischen ist Vivienne Westwood verstorben. Wir haben das Gespräch nicht geändert und so belassen, wie es damals kurz vor ihrem Tod gehalten wurde. 

Die Koi

Text: Lara Ritter

Einzigartige Outfits, ausgefallene Musikvideos und Songs im Stil der 80er: Sängerin Ankathie Koi zählt nicht umsonst zu den Paradiesvögeln der heimischen Musikszene. Wir haben mit ihr ein Gespräch über PORNOSSCHULTERPOLSTER und das STERBEN geführt. 

Die Sängerin Ankathie Koi

Die Fashion-TV-Maker

Text: Antje Mayer-Salvi

Ulrike Tschabitzer-Handler und Andreas Bergbaur

Die Fashion-Expertinnen Ulrike Tschabitzer-Handler und Andreas Bergbaur kuratierten gemeinsam die aktuelle MAK-Ausstellung SHOW OFF. Austrian Fashion Design (wieder ab 1. Juni bis 30. August). Sie war einen Monat lang geöffnet, dann war Schluss. Die Pause nutzen die beiden kreativ: Auf show-off.net gibt es heimische Mode, chice Masken und Fashion-Fotografie digital zu sehen und sogar zu kaufen. Ein Fashion-Live-TV-Format geht am 28. Mai online – „improvisiert, aber unterhaltsam“, wie man uns gut gelaunt versichert.