Die Musikerin

Twerking auf den stillen Straßen Wiens

Gasthauskind und Krawallfrau Katarina Maria Trenk liebt nichts mehr als die Bühne. Gerade eben war sie noch als Sängerin bei Stefanie Sargnagels Theaterstück Am Wiesnrand im Münchner Volkstheater zu sehen. In Zeiten der Ausgangssperre spaziert sie mit ihrem Aufnahmegerät durch Wiens leere Straßen, produziert Songs im Wohnzimmer und telefoniert täglich mit einsamen Schmauswaberl-Stammgästen. Wir haben mit ihr geskypt.

Text: Viktoria Kirner

KMT bei ihrem Auftritt im Radiokulturhaus im Rahmen der Reihe „Solo Together" mit Alicia Edelweiss.

„Saufen und spielen wollen d’Leut immer.“

Viktoria Kirner: Seit bald zwei Wochen steht das Leben, wie wir es kennen, still. Was hast Du in der Zeit vor Jogginghose und Selbstoptimierung gemacht? Womit hast Du Dein Geld verdient?

Katarina Maria Trenk: Ich bin Musikerin und war gerade am Münchner Volkstheater als Sängerin in der Produktion „Am Wiesnrand“ von Stefanie Sargnagel, unter der Regie von Christina Tscharyiski, engagiert. Ich arbeite aktuell außerdem an einem Noise-Solo-Projekt namens „KMT“ und war bis vor Kurzem Barfrau im Schmauswaberl, Wiens wohl berüchtigtstem Tschocherl.

Oje, Musik und Gastro – wie steht es gerade um Dein Einkommen?

Mir fällt mein gesamtes Einkommen weg. Das Münchner Stück lief mit drei bis vier fast gänzlich ausverkauften Vorstellungen monatlich wirklich sehr gut. Alle restlichen Vorstellungen wurden nun abgesagt. Auch mit „KMT“ musste ich vier bereits geplante Konzerte absagen. Mein Hauptproblem ist, dass ich wie viele andere Musikerinnen auch nicht von Plattenverkäufen, Streams oder Tantiemen lebe, sondern fast ausschließlich von Live-Auftritten. Und natürlich hat das Schmauswaberl jetzt auch zu. Obwohl wir Mitarbeiterinnen mit dem Betreiber in einem sehr familiären Verhältnis stehen, war dieser gezwungen, uns abzumelden. 

„Jetzt twerke ich in meinem Turm.“

Wie und wo verbringst du deinen Alltag?

Ich lebe derzeit in der Wohnung von Freunden, die kürzlich von Wien aufs Land gezogen sind. Die Wohnung wird liebevoll „Der Turm“ genannt: fünfter Stock ohne Lift, Innenhofausrichtung und kein Tageslicht – beste Voraussetzungen für eine Ausgangssperre.

Was machst Du den ganzen Tag im Turm?

Ich twerke zum Beispiel.

Mit Online-Twerk-Tutorials?

Ja, genau. Ich hatte eigentlich mit Freundinnen einen Strandurlaub gebucht, bei dem wir an Twerking-Workshops teilnehmen wollten, aber daraus wird ja leider nichts. Jetzt twerke ich im eben im „Turm“. 

Und die Musik ...?

... die habe ich mir mit dem wichtigsten Equipment aus meinem Proberaum ins Wohnzimmer geholt und eine Art Home-Studio gebaut. Ich wollte mir ohnehin bald eine Auszeit nehmen und irgendwo eine Residency machen, um mich auf die Musik zu konzentrieren. Das mache ich halt nun in Wien-Margareten. Ach ja, und ich gehe täglich spazieren! Das lässt sich ebenfalls sehr gut mit der Arbeit für mein Noise-Projekt „KMT“ verbinden. Ich arbeite dabei sehr viel mit No-Fi Field-Recordings, mich interessieren Audioaufnahmen, die von industriell gefertigten Geräten erzeugt werden – und natürlich Straßengeräusche. 

Du spazierst also mit einem Aufnahmegerät durch die Stadt – was haben Wiens leere Straßen gerade zu bieten?

Spektakuläres! Jetzt, wo alle in ihren Wohnungen sind, ist die Stadt viel lauter. Man kann auf einmal auch die Natur hören. Man lauscht und schaut plötzlich viel genauer. Ich bin sicher schon fünfzig Mal ein und denselben Weg gegangen, doch erst jetzt fallen mir dort die tollen Häuserfassaden auf. Ich mache mit meinem Aufnahmegerät täglich meine Naschmarkt-Runde, genieße die Stadt und nehme auf. Dass derzeit keine Autos fahren, ist super. Wenn ich jetzt den Ventilator eines Geschäftes aufnehme, habe ich keine Verkehrsgeräusche im Hintergrund. 

„Ich habe heute an der leeren Schmauswaberl-Bar ein Seiterl getrunken.“

Wie war die Naschmarkt-Runde heute?

Ich war vorhin im leeren Schmauswaberl und habe das Geräusch der Kühltruhe aufgenommen – und danach an der leeren Bar ein Seiterl getrunken.

Das Schmauswaberl ist für seine kultigen Stammgäste bekannt, die den Großteil ihres Tages zwischen Bartresen und Jukebox verbringen. Sie haben in dem Tschocherl eine Zuflucht gefunden. Was machen diese Menschen jetzt?

Von vielen weiß ich es leider nicht. Aber mit der Renate telefoniere ich regelmäßig. Das ist eine ältere Dame, die täglich zwischen 18 und 19 Uhr ins Schmauswaberl zum Plaudern kam. Sie hat immer nur zwei Euro Trinkgeld gegeben, weil sie keinen Alkohol trinkt und somit nie etwas bestellt hat. Sie wollte nur, dass man ihr zuhört. Dieses Ritual führe ich jetzt eben telefonisch mit ihr fort. Sie hat sonst nicht wirklich jemanden. Mit ein paar anderen Stammgästen hält der Betreiber Kontakt. Der Umgang ist sehr familiär, wir schauen aufeinander. Was jetzt der Johnny mit der Goldkette, unser berühmtester Stammgast, den die gesamte Wienzeile kennt, macht, weiß ich leider nicht. Als wir letztens etwas aus dem Lokal geholt haben, ist er ganz traurig vor der Tür gestanden. Wir konnten ihn leider nicht reinlassen. 

„Wenn man betrunken Musik macht, glaubt man immer gleich, man ist ein Genie.“

Neben Klopapier-Panikkäufen sagt man den Wienerinnen ja nach, sie hätten besonders schnell die Weinregale in den Supermärkten geleert. Wie sieht es mit Deinem Alkoholkonsum in der Quarantäne aus?

Eigentlich ganz gut. Die ersten paar Tage habe ich die gekaufte Rotweinflasche nicht angerührt. Gestern nach dem Spazieren habe ich mir dann ein Gläschen Sekt gegönnt, beim Telefonat mit einer Freundin dann aber die ganze Flasche getrunken. Also man kann sagen: einen Tag nüchtern, am zweiten ein Glaserl, am dritten zwei Flaschen – so ungefähr.

Exponentielles Wein-Wachstum also …

Das passiert meistens dann, wenn ich Musik mache. Wenn man betrunken Musik macht, glaubt man immer gleich, man ist ein Genie. Aber nur bis zum ersten Flascherl, danach wird man zu schwermütig. Ich muss dann oft Gedichte schreiben. 

„Bald singe ich besser als Maria Callas.“

Kannst Du der Quarantäne auch etwas Positives abgewinnen?

Ich bin der unglückliste Mensch, wenn ich nicht auf der Bühne stehen kann. Mir fehlt gerade ein sehr wichtiger Teil. Aber man kann die Zeit gerade trotzdem nutzen. Zum Beispiel mache ich täglich Sprech- und Gesangsübungen. Bald singe ich besser als Maria Callas.

Das Positive an der derzeitigen Situation ist auch, dass man endlich Zeit hat, das Internet auszulesen. Was ist für Dich das Lustigste, was das World Wide Web in Zeiten von Corona zutage gebracht hat?

Das Video von Arnold Schwarzenegger mit seinem Baby-Esel und seinem Pony. Klick! 

Hast Du durch Corona schon was für Dein Leben gelernt? Gab es für Dich schon einen philosophischen Moment?

Ich musste schmerzlich feststellen, dass meine Oma nicht mit all ihren Weisheiten recht hatte. Sie hat immer gesagt: „Auch wenn der Krieg ausbricht – saufen und spielen wollen d’Leut immer, die Gastro wird’s immer geben.“ Tja, eventuell ist es an der Zeit, mich beruflich umzuorientieren.  

Katarina Maria Trenk ist seit über 15 Jahren mit ihren Bandprojekten „Sex Jams“, „Leeloo“, „EUROTEURO“ und „KMT“ auf internationalen Bühnen zuhause. Der geduldige Umgang mit Wirtshaus-Patientinnen wurde ihr gewissermaßen in die Wiege gelegt, aufgewachsen ist sie nämlich im langjährig von ihrer Mutter betriebenen Gasthaus Trenk im südlichen Niederösterreich.

Die Londoner Kellnerin

Text: David Meran

Corona-Verdacht in England? Valentina (29) ist Tochter einer Oberösterreicherin und eines Italieners. Sie bediente Reisende in einer stark frequentierten Champagner-Bar im Bahnhof St. Pancras in London. Täglich war sie in Kontakt mit hunderten Menschen aus aller Welt, dann entwickelte sie schwere Symptome einer COVID-19-Infektion. Getestet wurde sie bis heute nicht. Eine kleine, unspektakuläre Geschichte, die aufzeigen soll, was in Tagen wie diesen alles möglich wird und zum Problem werden kann.

Die Kulturredakteurin

Text: Antje Mayer-Salvi

Nicola Eller berichtet als ORF-Redakteurin regelmäßig über Kunst und Kultur in Österreich, unter anderem für die wöchentliche Sendung kulturMontag. Wir haben sie im Home-Office erreicht und gefragt, worüber sie und ihre Kolleginnen nun, wennnichts mehr stattfindet, berichten. Wie produziert man auf dem Küniglberg gerade Beiträge, und was bewegt sie persönlich in ungewöhnlichen Zeiten wie diesen?

Die Geschwister

Text: Lara Ritter

Derzeit ist ganz Österreich wegen des Corona-Virus quasi in Quarantäne: Geschäfte sind geschlossen, Veranstaltungen abgesagt, die Straßen leer. Wir wollten wissen, wie es es jetzt im Privaten weitergeht, wie sich der neue Alltag gestaltet und welche Sorgen und Schwierigkeiten es gibt. Im ersten Teil unserer Interviewserie lassen wir diejenigen zu Wort kommen, die dem jetzigen Zustand noch am ehesten etwas Positives abgewinnen können: Kinder! Wir haben Luis (11) und Carla (8) aus Wien interviewt, die zurzeit im Burgenland weilen und Pause von der Schule haben. 

Der Fotograf des Monats: Max Siedentopf

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Schutzmasken aus Unterhosen, Salatblättern, Nutella-Gläsern und Toast mit Zahnpastabelag: Die Arbeiten des Londoner Fotografen Max Siedentopf sind ein Spiegel unserer Zeit, kritisch und humorvoll zugleich. Seine Werke haben es schon in die New York Times und – wenn auch illegal – in die Tate Modern geschafft. Wir haben ihn via Skype zum virtuellen Interview getroffen, bei dem er uns über seine Vergangenheit als Profischwimmer, seine tiefe Abneigung gegen Awards und seine Handy-Shootings für Gucci erzählt.

Der Trauerbegleiter

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Das Corona-Virus lässt keinen Lebensbereich unberührt – sogar während Beerdigungen, bei denen die Nähe zu anderen Menschen so wichtig ist, muss Distanz eingehalten werden. Wir haben den Tiroler Bestatter und Trauerbegleiter Karl Neurauter interviewt und ihn gefragt, welche Einschränkungen die aktuellen Vorsichtsmaßnahmen in seiner täglichen Arbeit mit sich bringen. Ein Gespräch über das Abschiednehmen in Zeiten der Corona-Krise. 

Dier Rapperin

Text: Anja Kundrat

Princess Nokia war gestern. Dafina Sylejmani aka Dacid Go8lin (*1989) rappt und gründete mit anderen das weibliche* Hip-Hop-Kollektiv Femme DMC, das westliche Beats mit albanischen Sounds mischt. Wir sprachen mit Dacid Go8lin über BitchesSchmerz und darüber, warum die Clubszene nach Corona wieder „richtig krass abgehen“ wird.

Dacid Go8lin