In ihrer Serie DECODING (THE WHOLE TRUTH) enthüllt die Wiener Künstlerin Karin Ferrari versteckte Botschaften in Musikvideos, Werbung und Nachrichten-Intros. Ihr neuester Film m y t h n i x schaffte es gerade in die Vorauswahl des österreichischen Kurzfilmbewerbs beim Vienna Shorts Filmfestival (27. Mai bis 1. Juni), in dessen Rahmen er am 31. Mai im Stadtkino im Künstlerhaus zu sehen sein wird. Wir sprechen mit ihr über die versteckten Tempel auf den Dächern New Yorks, heimliche Sehnsüchte und Aliens.
Das VIENNA SHORTS Filmfestival zeigt jährlich im Frühjahr rund 300 Kurzfilme aus aller Welt und ist damit ein qualifizierendes Event für die Oscars. Am 31. Mai um 17 Uhr 30 wird der Film „m y t h n i x“ als Teil des Programms „Zu viel (und nie genug)“ im Stadtkino im Künstlerhaus gezeigt. Um 18 Uhr am selben Tag kann er über das VIENNA SHORTS Online-Portal gestreamt werden.
Beim VIENNA SHORTS Festival, das von 27. Mai bis 1. Juni in den Wiener Kinos und online stattfindet, wird Dein psychedelischer Film „m h y t h n i x“ zu sehen sein, der in der Vorauswahl für den österreichischen Kurzfilmbewerb war. Er entstand in Zusammenarbeit mit den Künstlern Peter Moosgaard und Bernhard Garnicnig. Ausgangspunkt war ein Roadtrip, den ihr drei unternommen habt …
Im Sommer 2017 fragte mich Peter, ob ich mit nach Kärnten kommen wolle – er wollte wissen, wo die Akkus und die Milch herkommen. (Anm. der Red.: Im Kärntner Ort Wolfsberg soll ab 2022 eine Lithium-Mine in Betrieb gehen.) Drei Tage später borgten wir uns ein Auto aus und fuhren gemeinsam mit Bernhard nach Kärnten. Wir kannten uns gar nicht so gut, aber auf der Autofahrt hatten wir so viel Spaß, dass wir von dort aus weiter nach Apulien fuhren, wo ich früher als Reiseleiterin gearbeitet hatte. Dort verfilmten wir dann spontan mein Drehbuch, die Filmmusik komponierte Bernhard auf seinem Handy!
Worum geht’s in dem Film?
Er wirft die Frage auf, wie stark die Nutzung von technischen Geräten unsere Kreativität beeinflusst und bedient sich mythischer Erzählstrukturen, mit denen auch viele Hollywood-Drehbücher arbeiten. Beim Anschauen des Films ergibt sich ein recht paranoides Feeling.
Paranoia ist ja auch ein Mittel, das du in den Videos deiner YouTube-Serie „DECODING (THE WHOLE TRUTH)“ anwendest ...
Die Paranoia, die ich mit meinen Filmen erzeuge, bringen manche mit politischen Verschwörungstheorien in Verbindung, aber mich interessiert insbesondere der magisch-religiöse Aspekt von Verschwörungsmythen. Ich versuche in meinen Videos, den bizarren, hybriden Bereich zwischen Spiritualität, Aberglaube und Technologie sichtbar zu machen, indem ich behaupte, scheinbar versteckte Botschaften aufzudecken und zu interpretieren, sei es in Musikvideos wie Katy Perrys „Black Horse“ oder in der Nachrichtensendung ZiB. Es fasziniert mich, Verbindungen herzustellen zwischen Dingen, die scheinbar völlig gegensätzlich sind. Zum Beispiel zwischen Technologie und Religion – beide teilen sich einen gemeinsamen Imaginationsraum und werden von ähnlichen Begierden und Sehnsüchten vorangetrieben.
Sie spielen mit religiösen, spirituellen und übernatürlichen Sehnsüchten. Wir glauben immer, dass Technologie etwas Aufgeklärtes, Rationales und Steriles ist, gleichzeitig benutzen Tech-Companies in ihrer Werbung bewusst mythische Symbolik und kosmische Metaphern, um uns ihre Produkte zu verkaufen. Auffallend ist, dass Smartphone-Werbungen oft mit Symboliken spielen, die dem Handy einen techno-kosmologischen Touch verleihen sollen – die iPhone XS-Werbekampagne etwa stellte das iPhone als eine Art biokosmologischen Blob dar, der im Weltall aufpoppt.
Was bedeutet der Titel der Serie „The Whole Truth“ für Dich?
„The Whole Truth“ ist eine Realität, die über das Gegebene hinausgeht. Sie umfasst spekulative Inhalte, wie etwa den Illuminati-Mythos, die nicht die buchstäbliche Wahrheit sind, aber als Vehikel funktionieren, um andere Informationen zu transportieren – angefangen bei Misstrauen gegenüber Autoritäten. Mytho-poetische Inhalte eignen sich ganz gut für das Transportieren solcher Botschaften.
Sind Deine Filme auch Gehirnwäsche?
Manche Leute reagieren sehr extrem auf meine Videos, aber ich finde, die Verantwortung liegt immer bei den Zusehenden. Ich bringe ja nur zum Vorschein, was bereits da ist.
Die nächsten zehn Jahre will sich Karin Ferrari mit pseudo-sakraler, kommerzieller Architektur beschäftigen, also mit Gebäuden des Kapitalismus, die sakrale Bauelemente imitieren. Im Herbst 2020 erschien dazu „Rooftop Temples of New York City“ – der erste Band einer zehnteiligen Buchreihe im Verlag für moderne Kunst.
Wie kamst Du dazu, Dich so intensiv mit esoterisch-mythischen Verschwörungstheorien zu befassen?
Ich hatte einen poshen Job als kuratorische Assistentin, bis ich eines Nachts in einem sehr weirden Part von YouTube versank und mir die ganze Nacht lang trashige, aufklärerische Videos über Aliens ansah. Inzwischen hat YouTube aufgehört, solche Videos zu pushen, weil das Unternehmen realisiert hat, dass der für verschwörungstheoretische Inhalte sehr affine Algorithmus wie ein Bulldozer die postfaktische Welt aufbereitet hat, in der wir uns heute wiederfinden. Diese verrückten Videos berührten mich jedenfalls mehr als die meisten White Cube-Kunstprodukte und ich wünschte mir, dass jemand mit diesen Videos Kunst machen würde. Letzten Endes war das dann ich.
Wieso faszinieren uns solche Videos so?
Sie spielen mit der Sehnsucht nach Andersartigkeit und der Möglichkeit einer alternativen Realität. Viele Leute beschäftigen sich ja nicht nur aus Angst mit Aliens, sondern auch, weil es einen riesigen Wunsch gibt nach etwas Größerem als der eigenen Existenz.
Vor Kurzem hast Du das Buch „Rooftop Temples in New York City“ veröffentlicht. Seit wann befinden sich Tempel auf den Dächern New Yorks?!
Die ganze Stadt ist voll davon! Eine gewisse Ironie hat es schon, dass das Epizentrum des Kapitalismus auf seinen Hochhausdächern eine tempelartige Infrastruktur hat. Die Fassade der Börse etwa ist ein griechischer Tempel, das Dach nimmt die Form einer ägyptischen Pyramide an! Ob Wassertänke, Handymasten, Aufzugsschächte oder Penthäuser, bei genauerem Blick sind viele Architekturelemente von sakralen Kultstätten inspiriert.
Was kommt da zum Ausdruck?
Griechische Tempel oder Kulturstätten stehen kunstgeschichtlich für Harmonie und Vernunft, aber da ging es ziemlich ab. Im Orakel von Delphi hockte die Priesterin über einer Erdspalte, die giftige Dämpfe ausspuckte und war komplett high! Ich sehe da schon eine Korrespondenz zu dem, was in der Börse passiert: Spekulation ist ja auch eine Art Rausch. Kapitalismus ist keine Religion, aber auch in diesem System wirken irrationale Kräfte und ich glaube, es wäre ganz gut, wenn wir und diesen bewusst würden.
karinferrari.com Nach ihrem Studium der Kulturwissenschaften und Malerei an der Akademie der bildenden Künste Wien im Jahr 2008 arbeitete Karin Ferrari zwei Jahre lang als kuratorische Assistentin für Design am Museum für angewandte Kunst in Wien. Seit 2010 arbeitet sie an ihrer Videoserie DECODING (THE WHOLE TRUTH), mit der sie versucht, versteckte Botschaften in Musikvideos, Werbung und Nachrichten-Intros zu enthüllen. Die Videos werden auf ihrem YouTube-Kanal veröffentlicht und wurden international in Museen, Kunstzentren und im Fernsehen gezeigt. 2020 startete Ferrari ihr laufendes Forschungsprojekt Archi_Fictions of Ekstasy, ein essayistisches Theorie-Fiction-Kunstprojekt über pseudo-sakrale kommerzielle Architektur, das in mehreren Bänden erscheint und vom Benno-Barth-Preis und dem BKA unterstützt wird.