„Kunst macht eigentlich Spaß."

EIN BISSCHEN MEHR SCHEINWERFERLICHT

Die neue Direktorin MICHELLE COTTON soll die KUNSTHALLE WIEN wieder ins RAMPENLICHT rücken, nachdem trotz aller Bemühungen das Direktorinnen-Trio WHW das Wiener Publikum in den vergangenen Jahren nicht wirklich begeistern konnte. Wir haben die gebürtige Britin, die im September 2024 ihr Amt antrat, getroffen und mit ihr über ihren Start in Wien, ihre PLÄNE und ihre VISIONEN gesprochen.

Text: Antje Salvi

„Zu versteckt, zu nischig, zu wenig Besucherinnen – wie wollen Sie das ändern?“

Antje Salvi: Herzlich willkommen in Wien. Haben Sie sich schon eingelebt?

Michelle Cotton: Das Einleben ist ein Prozess, aber wir haben als Familie einen schönen Platz gefunden, alle unsere Sachen sind nun angekommen und meine Bücher und Kataloge sind fast ausgepackt. Ich besitze viele, sehr viele, sehr, sehr viele Bücher (lacht). Es wird noch ein bisschen dauern, bis wir uns wirklich eingelebt haben.  

Sie sagen „wir“, haben Sie Kinder?

Ja, einen Sohn, und wir wohnen im Stadtzentrum. 

Wie haben Sie Ihre vergangenen ersten Wochen in Wien verbracht?

Ich bin ja schon seit Herbst 2023 regelmäßig zum Arbeiten von Luxemburg gependelt, wo ich Programmleiterin des MUDAM, des Museums für zeitgenössische Kunst, war. Es ist dann doch etwas anderes, wenn man ständig vor Ort ist. Ich mag die städtischen Schwimmbäder in Wien, ich schwimme sehr gerne. Ich fahre gerne mit dem Fahrrad herum und entdecke die Stadt. Es gibt so viele von diesen grandiosen historischen Geschäftsfassaden mit diesen alten Beschilderungen. Herrlich.  

„Ich besitze viele, sehr viele, sehr, sehr viele Bücher.“

In Wien hat der Turbokapitalismus noch nicht Einzug gehalten, wahrscheinlich nur eine Frage der Zeit!

Ich glaube, für Wien schaut es dahingehend ganz gut aus (lacht). Für mich ist wichtig, dass dies eine Stadt ist, die sich wirklich um Kultur kümmert. Man begegnet Kultur hier auf Schritt und Tritt. Das zeigt sich schon, wenn man die Ankunftshalle des Flughafens Schwechat betritt. Der Ort verkauft sich über sein kulturelles Angebot. Ich fühle mich privilegiert, in einem solchen Kontext und für ein Publikum zu arbeiten, das sich wirklich für Kunst interessiert. Hier findet eine echte Debatte über Kunst statt.

Bis vor noch gar nicht langer Zeit begrüßte einen am Flughafen noch eine Riesenreklame für ein Wiener Edelpuff. Ich bin mir nicht sicher, ob es wirklich eine Debatte über Kunst ist, eher ein Gesudere oder noch schlimmer ein kollektives Schweigen. Wie wird Wien international als Stadt der zeitgenössischen Kunst wahrgenommen?

Ich muss mich nicht sehr bemühen, Kolleginnen und Kreative dazu zu überreden, nach Wien zu kommen. Die Stadt und ihre Ausstellungskultur erfreuen sich eines hervorragenden Rufes. 

Gibt es ein spannendes zeitgenössisches Format in Wien, das Sie mögen?

Ich mag das Galerieformat „curated by“  (13.09.–19.10.2024). Ein wirklich sehr cleveres Konzept, verschiedene Kuratorinnen oder Künstlerinnen einzuladen, um Ausstellungen in verschiedenen Galerien in Wien zu konzipieren. Ein Highlight im Kunstkalender, für das die Stadt international bekannt ist.  

„Kunst macht eigentlich Spaß!“

Das ist interessant, in Wien wird „curated by“, denke ich, leider so nicht wahrgenommen. Aber lassen Sie uns tiefer eintauchen. Die Kunsthalle galt lange Zeit als das Sorgenkind der Stadt – zu versteckt, zu nischiges Programm, zu wenig Besucherinnen. Wie wollen Sie das ändern?

Das muss ich korrigieren, denn ich habe erst kürzlich die Besucherinnenzahlen für das vergangene Jahr erhalten. Wir sind tatsächlich wieder auf dem Niveau wie vor der Pandemie – sogar auf einem besseren, was derzeit einige der besten Museen der Welt noch nicht erreicht haben. Unsere Besucherinnenzahlen sind im Moment keineswegs rückläufig, sie sind sogar im Steigen begriffen. Ich hoffe, dass wir mit diesen Fakten diese Diskussion ad acta legen können. 

Ich kann jetzt nicht auf Herz und Nieren prüfen, wie diese Zahlen zustande gekommen sind, aber das klingt gut. Gerade voll waren die Ausstellungen jedenfalls in letzter Zeit nie, wenn ich sie besuchte, eher leer?

Wichtiger als die reinen Zahlen ist für mich, dass wir ein vielfältigeres Publikum in die Institution bringen müssen. Das ist eigentlich eine viel schwierigere Aufgabe. Um das zu erreichen, arbeiten wir an mehreren Fronten, denn wenn es nur um höhere Zahlen ginge, ja, dann könnte man das vielleicht mit einem einfacheren, vielleicht weniger intellektuell anspruchsvollen Programm erreichen, aber ich denke, das ist zu kurzsichtig gedacht. Wir sollten an jedem einzelnen Rädchen der Institution drehen, um neues und anderes Publikum in die Kunsthalle zu bekommen, und das tue ich aktuell sehr intensiv mit meinem Team. 

„Kunst nicht glattbügeln“

Wie könnte es gelingen, ein bunteres Publikum ins Haus zu lotsen?

Wir müssen die Art und Weise, wie wir mit den Menschen kommunizieren, ändern. Unsere neue Corporate Identity und das neue Design soll das kommunizieren.

Sind das nicht eher Äußerlichkeiten? Vielleicht hilft es, wenn die neue Kommunikation nach außen und die Vermittlung der Kunst einfach bodenständiger, zugänglicher und leichter verständlich wird. WHW hatte manchmal sehr sperrige Ausstellungen, zumindest klangen sie oft sperrig und überforderten vielleicht ein bestimmtes Publikum oder weckten zumindest nicht dessen Interesse?

Die Komplexität der Kunst zu erhalten und nicht glattzubügeln, ist mir trotzdem sehr wichtig. Ich denke, wir sollten das wertschätzen und die Kunst in all ihren verschiedenen Bedeutungsebenen bewahren. Deswegen muss sie ja nicht zwingend schwer verständlich sein. Im Gegenteil. Vergangenes Jahr hatte ich eine Ausstellung mit abstrakten Gemälden von Peter Halley aus den 1980er-Jahren kuratiert. Peter ist einer der klügsten, intelligentesten, theoretisch und konzeptionell bewusstesten Künstler, mit dem ich je gearbeitet habe. Wissen Sie was? Seine Bilder waren der größte Publikumsrenner bei Kindern. Die wussten genau, wie sie seine Bilder lesen konnten. 

Das ist ein Kompliment!

Ja, wir sollten uns wieder darauf besinnen, dass Kunst eigentlich Spaß macht. Sie kann Spaß machen. Und manchmal braucht es halt ein anderes Format, damit die Leute erkennen, dass sie mit Kunst Spaß haben können. 

„Die Kunsthalle ist im Hinterhof, aber im Hinterhof an einem Ort mit der höchsten Dichte an Kultur in der Stadt.“

Ich glaube, Sie haben auch ein anderes Problem. Die Architektur hier. Sie befinden sich im Museumsquartier im hinteren Teil des Hinterhofs.

Die Kunsthalle ist im Hinterhof, aber im Hinterhof an einem Ort mit der höchsten Dichte an Kultur in der Stadt. Wir könnten uns keinen besseren Ort für Zeitgenössisches denken.  

Klingt nach Zweckoptimismus! Gibt es irgendwelche Ideen, um Ihre schlechte Lage zu ändern?

Das ist ein sehr intensiv diskutiertes Thema in der Stadt mit vielen Beteiligten. Eine Diskussion, die lange vor meiner Zeit gestartet ist. Da prallen viele unterschiedliche Interessen und Meinungen aufeinander. Bei uns im Haus befinden sich auch noch Halle E+G und das Café. Ich möchte gerne mit allen zusammenarbeiten und die Kunst in die Empfangshalle bringen. Das Publikum soll die Kunst von dem Moment an spüren, in dem es das Gebäude betritt. Ohne Budget geht aber kaum was. Ein eher langfristigeres Projekt. Ich wünschte, wir hätten noch den gelben Container am Karlsplatz von Adolf Krischanitz ...  

... der ja 1992 als Provisorium hingestellt wurde und dann zehn Jahre stehen blieb. Eine schöne Zeit war das, eine Kunsthalle mitten in der Stadt ist eine gute Sache! Der Container wurde dann leider abgerissen und es entstand der heutige „project space“-Pavillon der Kunsthalle. Das Nebenhaus ist prominent in der Stadt, das Haupthaus versteckt im Hinterhof. Bisschen grotesk diese Situation!

Der Container hatte auch noch eine Brücke von der Kunsthalle Karlsplatz in Richtung Secession, erinnern Sie sich? Das wäre cool!  

Gibt es dafür konkrete Pläne?

Nein, nein, ich träume nur. Die beiden Orte, also im MQ und am Karlsplatz, zu verbinden, ist mein Ziel. Da entwickeln wir gerade noch Ideen. Was jedoch schon fixiert ist: Die Räumlichkeiten am Karlsplatz werden erweitert, das Café verkleinert und der Eingang wird verändert. Dafür wird die Kunsthalle am Karlsplatz im Herbst kurz geschlossen bleiben. 

„Wir werden für ein bisschen Scheinwerferlicht sorgen.“

Lassen Sie uns über Ihr Programm reden! Was planen Sie?

Unser Kuratorinnenteam plant gerade ein tolles projektbasiertes Inklusions- und Outreach-Programm, das sich sehr auf junge Leute, Studierende, Kinder, Familien und Schulkinder konzentriert. Das ist etwas, was wir ausbauen wollen. Wir suchen dafür gerade neue Partner aus dem sozialen Bereich. Der Kunsthalle-Shop und der Ticketbereich im Erdgeschoss werden sich in einen barrierefreien Workshop-Raum für dieses Publikum verwandeln, damit wir im Museumsquartier kurzfristig gleich einmal sichtbarer werden.  

Es gab viele Bewerberinnen für Ihren Job und sogar eine zweite Ausschreibung, weil sich in der ersten Runde angeblich keine geeigneten Kandidatinnen beworben hatten? Wie haben Sie die Jury überzeugt?

Die Kunsthalle Wien ist kein Museum, das sammelt und bewahrt, wir produzieren Bücher, Shows, beauftragen Künstlerinnen, die mit ihren Werken, die bei uns entstanden sind, in die Welt hinausgehen. Mein Programm baut auf der 32-jährigen Tradition der Kunsthalle Wien auf, also Ausstellungen zu produzieren und eine Plattform für Diskurs und Austausch zu sein und Neues zu recherchieren. Für mich ist die Kunsthalle ein Produktionshaus. Ich möchte unseren „Kunsthallen-Bienenstock“ ein bisschen greifbarer und sichtbarer machen, weil ich das Gefühl habe, dass Ihr Wienerinnen das hier noch nicht wirklich spürt. Wir werden für ein bisschen Scheinwerferlicht sorgen.  

Sie lernen ja schon länger Deutsch, wie ich feststellen darf. Gibt es Worte, die Sie in Wien neu aufgeschnappt haben?

„Prickelnd!“ Und wie heißt noch dieses eine Wort, wenn man sich dauernd beschwert? 

„Jammern“, auf Wienerisch „sudern“.

Ja, genau; „jammern“ und „sudern“ und „prickelnd“.

Herzlichen Dank für das Gespräch.

ALEKSANDRA DOMANOVIĆ & NORA TURATO
Bis 26.1.2025 (Domanović) 

Die Kuratorin und Kunsthistorikerin MICHELLE COTTON (*1977 in UK) hat schon mehr als 50 Ausstellungen realisiert. Als Programmverantwortliche war sie in den renommierten, von Künstlerinnen geleiteten Organisationen S1 ARTSPACE in Sheffield und Cubitt in London tätig. Als Chefkuratorin verantwortete sie von 2010 bis 2015 das Ausstellungsprogramm des Zentrums für zeitgenössische visuelle Kunst FIRSTSITE in Colchester. Von dort wechselte sie als Direktorin an den BONNER KUNSTVEREIN, den sie von 2015 bis 2019 leitete, anschließend zum MUDAM in Luxemburg, bis sie ihren Posten in Wien in der KUNSTHALLE besetzte. 

Die Direktorin & Modedesignerin

Text: Eva Holzinger

Tuchlauben Wien, wo Louis Vuitton auf Gucci trifft, Pferdehuf auf Pflasterstein, zu viel Stress auf zu viel Geld und das C/O Vienna Magazine auf Ingried Brugger, seit 2000 Direktorin des Bank Austria Kunstforums und Modeschöpferin – unter anderem für die amtierende Bundeskanzlerin. Brugger war damals die erste Frau in Österreich, die eine Kunstinstitution dieser Größe leitete. In ihrem Studio über den Dächern der Wiener Schickeria reden wir über feministische Kunst, Skifahren, Frühstück im Bett und Hunde, die nach Monaten benannt sind. 

Die MAK-Direktorin

Text: Antje Mayer-Salvi, Porträts: Christian Anwander für C/O Vienna

Seit gut über einen Jahr leitet Lilli Hollein nun das MAK­. Eine Art Bootcamp für Museumsdirektorinnen seien die vergangenen Monate mit Lockdown, Ukraine-Krieg und Energiekrise gewesen. Anlässlich der großen Ausstellung The Fest. Zwischen Repräsentation und Aufruhr (noch bis 7. Mai 2023) sprechen wir mit ihr über durchgemachte Nächte, die Wedding-Planner des Barocks, und warum Spitzen- und Klöppelarbeiten die Hermès-Taschen ihrer Zeit waren.

Lilli Hollein Porträt Nahaufnahme bunt

Die Kuratorin

Text: Antje Mayer-Salvi

Abaseh Mirvali/ Die Kuratorin

Wir interviewten die iranisch-amerikanische Star-Kuratorin Abaseh Mirvali, die ein bisschen Glamour aus der großen weiten Welt nach Wien brachte. Auf der Vienna Contemporary kuratiert sie die Show Solo Expanded. Sie war unter anderem Direktorin der Colección Jumex in Mexico City, einer der größten privaten Sammlung zeitgenössischer Kunst in Lateinamerika. Im Team von Bill Clinton arbeitete sie übrigens auch mal. Zur Zeit lebt sie abwechselnd in Mexiko City und Berlin.