Die Poesie der Pflanzen

„Bit pre a I ne gan"

Die slowenische Bio-Künstlerin Špela Petrič kreiert Mischwesen aus Mensch und Pflanze, liest Blattporen von den Lippen ab und berät Blumen beim Sex

Text: Interview: Lara Ritter, Artwork: Špela Petrič

„Bit Pre I Ne Gan“

Lara Ritter: Für eine Videoarbeit „Reading Lips“ hast Du Blattporen gefilmt, die sich öffnen und schließen und dabei an sprechende Münder erinnern. Du hast einen Lippenleser engagiert, der die Botschaften übersetzt. Es sind Silben wie „Bit Pre I Ne Gan“. Eine wundervoll poetische und humorvolle Arbeit! Wie kam es dazu?

Špela Petrič: Die Idee kam mir, als ich im Rahmen eines Forschungsprojekts Blattporen, sogenannte Stomata, beobachtete. Ich war wahnsinnig fasziniert, denn sie erinnerten mich an Münder, die mir etwas mitzuteilen versuchen. Dieses Phänomen, in Dingen und Mustern vermeintliche Gesichter, vertraute Wesen oder Gegenstände zu erkennen, ist ein kognitiver Fehler, der „Pareidolie“ genannt wird. In der Videoarbeit spiele ich bewusst damit und versuche aufzuzeigen, dass wir stets versuchen, die Natur aus einer menschlichen Perspektive heraus zu begreifen. Was die Arbeit sicher auch spannend macht, ist der Gedanke, dass es eines Tages vielleicht tatsächlich möglich sein könnte, mit Pflanzen zu kommunizieren.   

Gibt es schon Möglichkeiten, sich mit Pflanzen auszutauschen?

Wir tauschen uns ständig mit Pflanzen aus, wir sind uns dessen nur nicht bewusst! Wenn wir etwa in eine Wiese pinkeln. Sie erhält durch den Urin Informationen über uns. Wenn wir Pflanzen essen, nehmen wir ihre Messenger-Moleküle in unsere Körper auf. Mit der Arbeit „Phytoteratology“, die Teil meiner Serie „Confronting Vegetal Otherness“ ist, wollte ich dieses Verschwimmen der Grenzen zwischen Pflanze und Mensch sichtbar machen. Dafür züchtete ich in einer künstlichen Gebärmutter Pflanzenembyronen heran und unterstützte ihre Entwicklung mit Sexualhormonen, die ich aus meinem Urin extrahiert hatte. Dadurch entstanden einzigartige Körpermorphologien, seltsame Mischwesen aus Mensch und Pflanze. Ich war berührt von diesen pflanzlichen Monstern, die nach unglaublich intensiver Arbeit entstanden waren. 

„Wenn wir in eine Wiese pinkeln, tauschen wir uns mit Pflanzen aus.“

Erzähle uns von Deinen anderen Arbeiten mit Pflanzen!

Im Rahmen der Arbeit „Plant Sex Consultancy“ baute ich gemeinsam mit anderen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen medizinische Geräte, die Pflanzen dabei helfen sollen, ihre Fortpflanzungsstrategien zu verbessern. Diese Geräte ließen wir wie Sexspielzeuge aussehen, um augenzwinkernd die Wahrnehmung von Pflanzen als unempfindsame Wesen herauszufordern. Einmal führte ich auch eine Performance mit dem Titel „Skotopoiesis“ auf, für die ich mich zwanzig Stunden lang vor eine beleuchtete, mit Kresse bewachsene Fläche stellte und meinen Schatten darauf warf. Die Kresse, der ja sonst maximal als Brotaufstrich Beachtung geschenkt wird, stand plötzlich im Zentrum der Aufmerksamkeit. Als ich meinen Platz verließ, war meine Silhouette auf der Kresse zu sehen – sie hatte die die Spuren meiner Anwesenheit aufgezeichnet. 

Was bedeuten Dir Pflanzen? Sie spielen in Deinem künstlerischen Werk eine große Rolle …

Pflanzen fordern mich heraus und eröffnen mir neue Blickwinkel. Sie sind zu so etwas wie „Lehrmeisterinnen“ für mich geworden. Lange Zeit interessierten sie mich nicht, sogar während meines Biologiestudiums war ich ihnen gegenüber noch ignorant. Das Phänomen, dass wir dazu tendieren, Pflanzen zu übersehen, hat sogar einen Namen: es wird „Plant Blindness“ genannt. Irgendwann begann ich mich zu fragen, wieso Pflanzen so wenig Aufmerksamkeit erhalten, obwohl sie die Grundlage allen Lebens auf der Erde und fast immer Teil unserer Umgebung sind. Um eine Antwort darauf zu finden, startete ich eine Reihe künstlerischer Experimente, in deren Rahmen sich mein Verhältnis zu Pflanzen radikal veränderte. Ich begann eine intime Beziehung zu ihnen und zu der Merkwürdigkeit, die ihnen anhaftet, aufzubauen. 

 

„Seltsame Mischwesen aus Mensch und Pflanze“

Wieso sind wir Menschen den Pflanzen gegenüber blind?

Wir schenken Dingen Aufmerksamkeit, die sich in einem menschlichen Tempo bewegen und uns ähneln. In der westlichen Kultur gibt es die Tradition, lebende Organismen hierarchisch zu ordnen, und Pflanzen wurden in einer untergeordneten Rolle positioniert. Das ist ein historisches Erbe, das sich angesichts der ökologischen Krise als fatal herausgestellt hat. Wir besitzen ein gestörtes Verhältnis zu Flora und Fauna, dabei wären Pflanzen eigentlich wunderbare Verbündete im Kampf für eine bessere Zukunft. 

Findest Du es also ethisch nicht vertretbar, Pflanzen zu essen?

Doch. Wir Menschen müssen andere Organismen konsumieren. Wir können nicht ohne den Tod einer anderen Art überleben. Vegetarismus und Veganismus sind nur lebbar, wenn man gewisse Organismen, wie etwa Pflanzen, nicht in seine ethischen Überlegungen miteinbezieht. Alternative Überlegungen gehen in die Richtung, dass Teil der Nahrungskette zu werden, ein natürlicher Prozess des Lebens ist. 

Wie könnten uns Pflanzen helfen, die Menschheit zu retten?

Wir sollten anfangen, Pflanzen Aufmerksamkeit zu schenken, ohne dass wir uns davon im Gegenzug immer etwas erwarten, sei es ein frischer Salat oder eine schöne, grüne Wohnung. Allein ihre Dankbarkeit ist es wert, ihnen Zeit zu schenken. Sie sind langsam, sie sind ruhig, sie sind hartnäckig. Mit ihnen Verbindung aufzunehmen, schenkt Freude und macht einen stärker.  

 

Danke für das Interview!

Dieses Interview ist in der Printausgabe 4/2021 „The Wasted Issue“ erschienen. Sie können das Magazin in unserem SHOP bestellen.

Špela Petrič (*1980) ist eine slowenische New-Media-Künstlerin mit einem Doktortitel in Biomedizin, die in Ljubljana und Amsterdam lebt. In ihrer künstlerischen Praxis kombiniert sie Forschungsmethoden der Naturwissenschaften mit künstlerischen Experimenten und Performances. Ihre Arbeiten waren unter anderem im Pariser Centre Pompidou und auf der Ars Electronica in Linz zu sehen. Petričs Werke wurden mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Bio Art & Design Award. 

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