Eine Geschichte, die selbst die österreichische Innenpolitik nicht besser hätte schreiben können: Russische Oligarchen, absurde Bauprojekte, verschwundene Millionen und korrupte österreichische Politiker. Elena Tikhonovas aktueller preisgekrönter Debütspielfilm Kaviar ist sehr lustig – und er ist im gewissen Sinne visonär. Wir haben mit der in Wien lebenden russischen Regisseurin und Drehbuchautorin über #ibizagate und russischenHumor gesprochen.
In Deinem neuen Spielfilm „Kaviar“, der kürzlich in die österreichischen Kinos gekommen ist, erzählst Du von russischen Oligarchen und korrupten österreichischen Politikern – eine Geschichte, die jener, die vor wenigen Wochen Österreichs Innenpolitik erschüttert hat, erstaunlich ähnlich ist. Hast Du prophetische Fähigkeiten?
Anscheinend! Den Plot habe ich 2011 geschrieben, dabei habe ich mich von der russischen Community in Österreich inspirieren lassen. „Kaviar“ ist die Nacherzählung der Geschichten meiner Freunde. Für jeden Protagonisten im Film gibt es einen Prototypen im echten Leben. Natürlich habe ich diese Geschichten überhöht und ins Groteske gezogen, aber nun hat die Realität den Film sogar noch übertroffen.
Das heißt, Du hängst in Deiner Freizeit tatsächlich mit russischen Oligarchen ab, die sich irgendwelche Brücken in Wien kaufen wollen?
Leider nicht. Es wäre wirklich nett, einen „Taschenoligarchen“ zu haben, weil ich große Pläne im Kino habe und das Geld gut brauchen könnte (lacht). Oligarchen bin ich nur einmal bei einer Geburtstagsparty begegnet. Dies verdanke ich einer Freundin, die als Übersetzerin für solche Leute arbeitet. Ich habe sie damals gebeten, mich bei nächster Gelegenheit einzuschleusen, damit ich recherchieren kann, wie diese Leute so drauf sind.
„Strache als PR-Manager, das Ibiza-Video als Trailer, man kann sich nicht mehr wünschen.“
Filmszene: Was kostet die Welt? Der Russe Igor will sich in Wien einkaufen.
Was war Dein erster Gedanke, als das Ibiza-Video erschienen ist?
Ich war schockiert, vor allem von dem Niveau. Als Produzent und Drehbuchautor Robert Buschwenter und ich den Plot entwickelten, hatten wir uns an älteren Skandalen der FPÖ orientiert. Diese Partei kann ja auf eine wirklich lange Korruptionsgeschichte zurückblicken. Was mich dann doch überrascht hat, war, dass die Didaktik in den Ibiza-Aufnahmen genauso ist wie in meinem Film. Ich persönlich sehe das Video als göttliches Geschenk für die Promotion meines Films. Ich bin Strache eigentlich sehr dankbar (lacht).
Der Film handelt ja eigentlich von einem sehr ernsten Thema, von Korruption. Wieso stellst Du es auf so eine lustige Art und Weise dar?
Das Leben ist viel zu schwer und anstrengend, manchmal muss man es einfach mit Humor nehmen. Mein Sprichwort: Ich lebe in einer schrägen Komödie, und nun erlebt mit mir ganz Österreich eine Komödie.
„Ganz Österreich erlebt eine Komödie.“
Wird man handlungsfähiger, wenn man die Dinge mit Humor nimmt?
Wenn man alles zu ernst nimmt, lähmt das. Humor ermöglicht es einem, dem Teufel ins Gesicht zu lachen.
„Kaviar“ lebt vor allem auch von Deinen genialen Wortwitzen, die meist eine tiefere Wahrheit enthüllen. Muss Witz für Dich wahrhaftig sein oder Wahrheit immer witzig?
Als ich nach Österreich gekommen bin, habe ich kein Wort Deutsch gesprochen, das musste ich über die Jahre erst lernen. Ich bin sehr häufig falsch verstanden und permanent belächelt worden, weil ich die Wörter falsch zusammengebaut habe. Inzwischen lebe ich seit 19 Jahren in Wien und bin es gewohnt, für alle ein Clown zu sein. Die meisten Wortwitze sind von mir – Robert hat oft einfach meine Sprechfehler niedergeschrieben. Viele Witze sind aber auch am Set entstanden, weil eine Schauspielerin irgendwas falsch ausgesprochen oder übersetzt hat.
„Dadurch, dass man in Österreich für einen Witz nicht gleich umgebracht oder in den Gulag gesteckt wurde, trauen sich die Leute mehr.“
Unterscheidet sich der österreichische vom russischen Humor?
Die Russen haben jahrzehntelang Zensur erlebt, vieles durfte nicht ausgesprochen werden. Auch heute kannst du in Russland noch bis zu drei Jahre ins Gefängnis kommen, wenn du demonstrieren gehst – so etwas schneidet tief in die Humor-DNA eines jeden Volkes. Den russischen Humor nennt man auch „Küchenhumor“, weil man nur mit Freunden leise in der Küche über die Situation lachen darf. Der politische Humor in Russland ist köstlich, weil die Witze so indirekt sind. Ich kann nicht sagen, dass der österreichische Humor direkter wäre, aber auf jeden Fall lachen Österreicher über andere Sachen als Russen. Die Österreicher haben Schmäh. Und dieses Jammern gefällt mir irrsinnig. Dadurch, dass man in Österreich nicht gleich umgebracht oder in den Gulag gesteckt wurde, trauen sich die Leute mehr. In Russland ist in jedem Witz auch die Angst da, in Österreich darf man viel mutiger sein. Wenn ich mit meinen Kollegen in Moskau rede und sie mir erzählen, was sie alles nicht auf der Leinwand zeigen dürfen, dann denke ich mir, das packe ich alles in meine Filme, seid neidisch!
Bist Du deshalb nach Österreich gekommen, weil man hier mutiger sein darf?
Das war Zufall oder Liebe. Ich war in Moskau auf der Filmhochschule VGIK und habe dort meinen Ehemann Dominik Spritzendorfer kennengelernt, der übrigens als Kameramann bei „Kaviar“ mitgearbeitet hat. Wir haben uns verliebt, und nach dreieinhalb Jahren war ich schwanger. Er wollte nach Wien, weil er meinte, wir hätten dort ein besseres Leben als in Moskau.
Bist Du glücklich in Wien?
Ich liebe Wien, das Einzige, was fehlt, ist das Meer.
„Natürlich sind Frauen smarter als Männer!“
Filmpremiere im Gartenbaukino
„Kaviar“ ist ein Film, bei dem die Frauen gewinnen und die Männer am Ende die Trottel sind. Eine Utopie?
Natürlich sind Frauen viel smarter als Männer, eh klar (lacht)! Da meine Protagonistinnen Frauen sind, müssen sie der dramaturgischen Logik der Komödie nach auch gewinnen. Protagonistinnen deshalb, weil ich selbst eine Frau bin und Frauen viel besser verstehe. Seit Jahrhunderten schreiben Männer Geschichten über Frauen. Was uns im Kino gezeigt wird, sind Vorstellungen von Männern von Frauen – und die sind immer auch manipulativ. Meiner Meinung nach sind Frauen komplett anders gebaut als die meisten Frauenfiguren. Wo gibt es bitte solche Frauen, wie sie beispielsweise Hitchcock entworfen hat? In „Kaviar“ wollte ich vom echten Leben erzählen. Obwohl die Männer im Film solche Trottel sind, sind sie trotzdem irgendwie sympathisch. Das war eine ganz bewusste Entscheidung: Die Heldinnen sind auch Idiotinnen. Antagonisten sind eben auch Sympathieträger.
„Ich vereine in meiner Person drei Komponenten, die ein Filmdebüt fast unmöglich machen: Ich bin eine Ausländerin, ich bin eine Frau, und ich bin eine Debütantin.“
Wie hast Du Dich als junge Frau im männlich dominierten Filmbusiness durchgesetzt, war das auch eine Komödie?
Eher eine Tragödie, eine Schlimmer-geht’s-nimmer-Geschichte. Ich vereine in meiner Person drei Komponenten, die ein Filmdebüt fast unmöglich machen: Ich bin eine Ausländerin, ich bin eine Frau, und ich bin eine Debütantin. Wer vertraut sein Geld so einer Person an? Drei Jahre haben meine Produzentin, Ursula Wolschlager, und ich nur damit verbracht, die Finanzierung zu organisieren. Ich habe mich immer gefragt, wieso das alles so schwer ist. Nun offenbart sich mir eine Art übersinnliche Logik dahinter: Es war einfach noch nicht der richtige Augenblick für den Film. Perfekter könnte es nun nicht laufen: Strache als PR-Manager, das Ibiza-Video als Trailer – man kann sich nicht mehr wünschen.
Deine Frauenfiguren sind nicht gerade die klassischen Feministinnen. Vor allem die Figur der Vera verkörpert das Paradeklischee einer unemanzipierten Russin: aufgetusste sexy Blondine, die sich einen reichen Mann geangelt hat. Und doch zeigst Du sie vielleicht sogar als stärkste Frau des Films, denn am Ende ist sie es, die sich das Geld von den Männern holt. Ist Feminismus in Russland anders als in Österreich?
Definitiv. Mit der Oktoberrevolution wurde in Russland die Gleichberechtigung durchgesetzt. Wir hatten zwar noch keine Präsidentin, aber Frauen sind in Russland in Machtpositionen sehr etabliert, zum Beispiel auch in der Filmbranche.
„Willst Du Sexobjekt, dann bekommst Du Sexobjekt!“
Die Schauspielerinnen Sabrina Reiter (links) und Darya Nosik (rechts)
Trotzdem scheint Sexappeal bei russischen Frauen eine viel größere Rolle zu spielen als bei Österreicherinnen.
Russische Frauen spielen damit – und das manchmal sehr schlau. Ganz nach dem Motto: Willst Du Sexobjekt, dann bekommst Du Sexobjekt! Es gibt natürlich auch in Russland Frauen, die tatsächlich puppenhafte Dummchen sind, aber ich kenne sehr viele, die ihren Sexappeal ganz bewusst als Ass im Ärmel ausspielen.
Eine wichtige Rolle im Film spielt auch Marihuana, es ist fast schon handlungsentscheidend und trägt auf jeden Fall zum Sieg der drei Frauen bei. Die Antikapitalistinnen kiffen, ihr Zeichen ist der Joint im Mund. Ist Kiffen an sich schon ein rebellischer Akt?
Das ist ein rebellischer Akt meinerseits, weil es in Russland verboten ist, Kiffen auf der Leinwand darzustellen. Andererseits ist Marihuana in der antikapitalistischen Szene einfach ein sehr großes Thema, und ich wollte diese Menschen realitätsgetreu darstellen. In Wahrheit hat die Schauspielerin freilich nur irgendwelche Tees geraucht. Das hat fürchterlich gestunken. Am Set haben wir schon gewitzelt, dass es viel einfacher gewesen wäre, echtes Gras zu rauchen.
Auf der Suche nach dem großen Geld wühlen die Figuren buchstäblich in der Scheiße. Stinkt Geld also doch?
Ja, meiner Meinung nach stinkt Geld. Die entscheidende Frage ist: Wie weit kann oder will ein Mensch für Geld gehen? Geld ist wie eine Verführung des Teufels. Wenn ich dir sage, ich habe in der Toilette eine Millionen versteckt, und wenn du sie rausholst, gehört sie dir. Würdest du es tun? Ich habe mich viel mit Sigmund Freud beschäftigt, dadurch war mir klar, dass das Geld im Dixi-Klo sein musste.
„Wie weit kann ein Mensch für Geld gehen?“
Schauspieler Georg Friedrich, mit blauem Auge, ist neben „Kaviar“ auch in zahlreichen, hauptsächlich österreichischen, Film- und Fernsehproduktionen auf der Leinwand zu sehen.
Die Szenen mit dem Dixi-Klo schauen tatsächlich ziemlich übelerregend aus! Wir habt Ihr das gemacht?
Das waren nur geschmolzene Mozartkugeln. Man konnte aus den Toiletten essen. Es hat nur nach Schokolade, Vanille und Marzipan gerochen.
Lenins Statue zieht sich wie ein Leitmotiv durch den Film. Am Ende wird Lenins Vision einer Umverteilung des Kapitals sogar Wirklichkeit. Glaubst Du, kommunistische Theorien sind für unsere heutige Gesellschaft noch relevant?
Das hoffe ich. Ich bin schließlich Marxistin. „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!“ – diese bekannte kommunistische Losung ist eine unglaublich schöne Idee. Ob wir das jemals erleben werden, ist eine andere Frage. In Russland haben wir gesehen, wie schnell dieser Traum in einen Albtraum kippen kann. Aber für eine gesunde, demokratische und liberale Gesellschaft ist es wichtig, Utopien zu haben. Der Sozialismus kann auch oder gerade heute noch Ideale vorgeben.
Du wirst immer wieder als die verrückte Russin bezeichnet. Was macht Dich verrückt?
Kunst ist immer verrückt. Und sich überhaupt für einen künstlerischen Beruf zu entscheiden, ist es irgendwie auch. Mit „Kaviar“ dachte ich, einen Sonntagsfilm gemacht zu haben, und dann hat die Realität den Film noch überholt. Wer ist da verrückt? Ich, die sich die Geschichte ausgedacht hat, oder die, die das in der Realität durchgezogen haben?
Ich danke Dir für das Gespräch!
Die russische Regisseurin und Drehbuchautorin Elena Tikhonova studierte an der Moskauer Filmuniversität VGIK Kamera für Spiel- und Dokumentarfilm. Seit 2000 lebt und arbeitet sie in Wien. Nach ihrem Dokumentarfilm „Elektro Moskva“ (2013, Co-Regie Dominik Spitzendorfer) ist „Kaviar“ ihr erster Spielfilm. Kürzlich wurde dieser mit dem Max-Ophüls-Publikumspreis ausgezeichnet.