Die Rapperin

Komplexe Rimes, freshe Message

Ebow is back, Bitch. Wie wahr, die Musikerin Ebru Düzgün aka Ebow erobert gerade mit ihrem Album Komplexität die Herzen des Wiener Publikums und die FM4 Charts. Die junge kurdisch-deutsche Künstlerin bricht gerne mit den medialen Bildern der unterdrückten muslimischen Frau und verrät uns im Interview, wie Rap und Political Correctness zueinander stehen.

Text: Lena Stefflitsch

„Das hundertste Lied über Waffen, Nutten und Autos ist nicht mehr interessant.“

Wie fühlt es sich an, das eigene Lied im Radio zu hören?

Ich bin mega happy, es ist wirklich ein krasses Gefühl.

Dein neues Album „Komplexität“ geht gerade ziemlich durch die Decke, der Song „Das Wetter“, den wir gerade gehört haben, ist in den FM4 Charts. Hast Du das Gefühl, als Künstlerin gerade richtig abzuheben?

Auf jeden Fall! Mein Label Problembär Records unterstützt mich sehr darin. Bei „Komplexität“ war es mir voll wichtig, mal alleine etwas auf die Beine zu stellen. Seit meinem achtzehnten Lebensjahr bin ich ständig unter Vertrag bei verschiedenen Labels. Als junges Mädchen glaubst Du, dass die meist zehn Jahre älteren Typen, mit denen Du arbeitest, in jedem Fall das letzte Wort haben. Dadurch verlernt man, auf den eigenen Geschmack zu vertrauen und verliert seine Meinung zur Arbeit. Bei meinem Debütalbum konnte ich am Ende gar nicht mehr beurteilen, ob es gut geworden ist oder nicht. Mir geht es mittlerweile auch nicht um „geht es gerade bergauf, komme ich groß raus“, ich habe jetzt schon voll Bock, direkt die nächste Platte zu produzieren.

Arbeitest Du mit weiblichen Produzentinnen zusammen, oder sind die noch immer eine Seltenheit im Hip-Hop?

Für mein nächstes Album arbeite ich mit der Wiener Musikerin Farce zusammen. Produzentinnen gibt es leider viel zu wenige. Deswegen dränge ich meine kleinen Cousinen, die musikalisch sehr begabt sind, dazu, produzieren zu lernen. Wenn ich an meine Anfänge zurückdenke und daran, wie lange es gedauert hat, bis Musiker mit mir Songs machen wollten ... Vor allem als junges Mädchen kann es passieren, dass Typen nur mit Dir arbeiten, weil sie auf Dich stehen und nicht, weil sie Deine Arbeit schätzen. Dadurch entstehen ungute Dynamiken.

„Wien hat eine gewisse Fuck-it-Attitüde.“

Wie verhält man sich in so einer Situation?

Zum Glück habe ich immer schnell gecheckt, warum jemand mit mir arbeitet. Wenn ich gemerkt habe, dass ein Typ das nur macht, weil er mich toll findet, konnte ich das direkt abblocken. Das passiert auch ständig – nicht nur im Hip-Hop, sondern auch im Rock und in der Alternative-Szene – das bestätigen viele meiner Freundinnen, die Musik machen. Die Typen sind dann pisst, wenn man nicht auf sie steht und trotzdem mit ihnen zusammenarbeiten möchte. Bei mir fing es damit an, dass nur die Jungs Studios hatten. Später zieht sich das weiter, Männer schieben sich gegenseitig Jobs zu. Genau deswegen versuche ich alle Musikerinnen, die ich kenne, zu fördern und gehe zum Beispiel immer mit der Rapperin EC auf Tour. Wenn ich eine Plattform habe, versuche ich diese zu teilen.

Du bist in München aufgewachsen, später nach Berlin gezogen, um schlussendlich in Wien zu landen. Wie gehen Wien und Rap zusammen?

Wien gab mir als Stadt immer schon das Gefühl, mal hier wohnen zu wollen. Nach meinem Bachelor in Architektur wollte ich von München weg und nach einer kurzen Berlin-Phase habe ich an der TU Wien im Master Architektur zu studieren begonnen. Zum anderen lernte ich damals die Jungs von Bilderbuch und viele andere Rapperinnen, die in Wien leben, wie das Künstlerkollektiv Femme DMC, kennen. Hier gibt es eine große female und queere Rap-Szene, die sich gegenseitig supportet, sowie viele Bookerinnen, wie Marlene Engel, die Hyperreality, die Clubschiene der Wiener Festwochen, veranstaltet, oder DJ Therese Kaiser, die dieses Jahr erstmals das Electric Spring Festival kuratierte. Das macht einfach so viel aus und unterscheidet die Wiener von der Berliner oder Münchner Musikszene.

Was macht die Wiener Musikszene noch aus?

Eine gewisse Fuck-it-Attitüde. Es geht nicht darum, besonders hip oder cool zu sein, sondern darum, etwas zu schaffen, womit man selber zufrieden ist. Zumindest trifft das auf die Musikerinnen, die ich gut finde, zu. In Berlin steht man unter enormem Druck, dass Songs anders sein müssen, dadurch entwickelt sich aber nicht wirklich etwas Neues. In Wien gibt es diese Lockerheit, wahrscheinlich kommt Musik aus Österreich gerade deswegen so gut in Deutschland an, wie es beispielsweise bei Bilderbuch der Fall ist.

Stimmt das Klischee, München sei so fad und konservativ?

Was auf jeden Fall stimmt, ist, dass sich die Stadt bisher mit bestimmten Themen noch nicht auseinandergesetzt hat. München ist sehr verschlafen, was Themen wie Rassismus und Sexismus angeht. Das merkt man schon an der Universität. Obwohl ich an der Technischen Universität Architektur studiere, geht es im Entwurfsprozess auch um ideologische Fragen: Für wen bauen wir, was und wen wollen wir damit erreichen, wie kann man öffentlichen Raum für Menschen mit verschiedensten Bedürfnissen gestalten? In München habe ich während meines gesamten Bachelorstudiums nur Luxuswohnungen entworfen.

„Mein Baba ist ein Feminist, deiner ist ’n Weichei.“

Was macht Deine Oma stolz?

Ich mache meine Oma stolz (lacht)! Klar ist sie auch stolz darauf, dass ich studiere. Keine Ahnung, sie liebt mich einfach, ich muss ihr nicht irgendetwas beweisen oder erreichen, um sie oder meine Eltern mit Stolz zu erfüllen. Meine Familie hat mich immer mit meiner Musik unterstützt. Wenn man jemanden so sehr liebt, ist es egal, was die Person macht.

Was für eine Rolle spielt Musik in Deiner Familie?

Musik bildet einen essenziellen Teil unseres Lebens, bei mir zu Hause wird viel gesungen. Das hat auch mit unserer Religion zu tun, wir sind aus der Osttürkei stammende Aleviten, bei uns ist Musik im Gebet verankert und ein wesentlicher Teil unserer Kultur. Besonders meine Mama förderte meine frühmusikalische Ausbildung.

In dem Song „Punani Power“ erklärst Du, dass Du den Begriff „punani“, der im Indischen so viel wie eine abwertende Benennung für weibliche Genitalien ist, im positiven Sinne verwendest – nämlich in seinem ursprünglichen Gebrauch im Hawaiianischen, wo das Wort „puanani“ schöne Blume bedeutet. Worum geht es konkret im Lied?

Einerseits handelt es davon, dass man als Frau den Platz im Rap Business claimen, also einnehmen muss. Andererseits spreche ich über die Rolle der Frau in der Gesellschaft, dieser Part endet mit: „Mein Baba ist ein Feminist, deiner ist ’n Weichei. Die Ära der Fuckboys ist vorbei, herzliches Beileid.“ Auch um zu zeigen, dass ich aus einer Familie, in der das Matriarchat herrscht, komme. Ich wurde so erzogen, dass die Frauen die Familie führen. 

Zuletzt singe ich über Frauen, die sich gegenseitig fertigmachen. Davon, dass Frauen sich als Feministinnen identifizieren und gleichzeitig Sexarbeiterinnen oder die Trans Community ausschließen. Oder dass Mädchen sich gegenseitig fertigmachen ... Ich habe behaarte Arme – als Teenagerin war das wirklich ein großes Problem, weil die anderen Mädchen meinten, es sei ekelhaft, „Haare wie ein Kerl“ zu haben.

„Wir konnten einfach mehr mit der Cosby-Familie als mit der himmlischen Familie anfangen.“

In dem gleichen Song singst Du „Ihr hasst mich, ihr hasst mich so richtig, denn diese Kanakin macht sich zu wichtig, ist zu gebildet, sieht zu gut aus, das sprengt eure Kästen muslimischer Frauen“. Wen sprichst Du hier an?

Die Zeile richtet sich gegen das Bild, das die Medien von Türkinnen und Kurdinnen vermitteln. In Interviews waren Leute oft verwundert, dass ich studiere, oder mir wurde gesagt: „Für ’ne Türkin siehst du echt gut aus.“ Ich wollte ihnen entgegnen: Eure Vorstellung von einer unterdrückten muslimischen Frau, die zersprenge ich gerade mit der Art und Weise, wie ich bin.

Wieso stellen Rap und Hip-Hop für so viele Minderheiten ein so wichtiges Sprachrohr dar?

Für uns, die in den 90ern aufgewachsen sind, war das einzige im Mainstream, mit dem wir uns identifizieren konnten, die Black Culture. Nicht etwa weil wir den gleichen Background haben, sondern weil wir gewisse Dinge verstanden haben. Zum Bespiel, dass man als Mensch zweiter Klasse behandelt wird, man Polizeigewalt anders zu spüren bekommt und dass es schwieriger ist, beruflich etwas zu erreichen. Meine Onkel haben mir ein Video von dem kalifornischen Rap Collective N.W.A. gezeigt und erklärt, worum es bei „Fuck tha Police“ geht, dass es eine krasse Polizeigewalt gegen die schwarze Bevölkerung gibt. Auch als Teenagerin habe ich gecheckt, dass die Bullen mich nicht so mögen, dass sie nicht meine Freunde sind. Wir konnten einfach immer mehr mit der Cosby-Familie als mit der himmlischen Familie anfangen. Die meisten Dinge im Mainstream waren einfach nicht für uns gemacht.

Sollen privilegierte weiße heteronormative Cis*-Männer rappen?

Ich finde nicht (lacht). Ich glaube, das hatten wir schon zur Genüge, im Hip-Hop sollten endlich mal andere Stimmen gehört werden, mehr queere Leute, mehr Frauen. Hip-Hop ist nicht für den eigenen Egotrip da, sondern etwas, das von der Community für die Community geschaffen wird. Es spricht aus der Gesellschaft raus für die Gesellschaft. Und auch nicht immer nur Gangster Rap – natürlich ist der auch wichtig, weil Rapper ihre Erfahrungen mitteilen. Nur wenn man das hundertste Lied über Waffen, Nutten und Autos gehört hat, ist es auch nicht mehr interessant. Im Moment pushen die großen Labels nämlich nur Gangster Rap.

*Cisgender bezeichnet Personen, deren Geschlechtsidentität mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt.

„Der Großteil des Publikums bestand aus weißen BWL-Studenten.“

Wieso ist das so?

Weil es dem Ausländer-Klischee eines Kanaken entspricht. Dieses Bild vom gefährlichen türkischen Typ, der dealt, ist konsumierbarer als das einer queeren Person, die über ihre Erfahrungen rappt. Auf dem Haftbefehl-Konzert in München bestand der Großteil des Publikums aus weißen BWL-Studenten. Die gehen da nicht hin, weil sie die Lebenserfahrung mit ihm teilen, sondern weil sie es einfach witzig finden. Ich bin voll der Haftbefehl-Fan und war richtig geschockt. Hip-Hop ist einfach zum Mainstream geworden und oft eben nur Entertainment für die Leute.

Ist es etwas Schlechtes, dass Hip-Hop im Mainstream angelangt ist?

Nein, aber man müsste das nützen und Leuten eine Stimmen geben, die bisher nicht so gehört wurden. Ich kenne auch Rapper, die weiße Cis-Dudes und auch feministisch sind, ich liebe die Jungs, und es ist voll gut, was sie machen. Die Frage ist nur, wer spricht worüber. Und wenn Du als weißer Cis-Mann über Feminismus sprichst, hören Dir vielleicht nicht so viele zu.

Kann man politisch korrekt rappen?

Man kann natürlich politisch korrekt rappen. Wenn man sich zum Beispiel Sookee ansieht, die das total durchzieht. Aber selbst sie macht Fehler. Auch im Rap sollte es gewisse Grenzen geben, zum Beispiel antisemitische Texte. Wie unlängst verdeutlicht durch den Skandal rund um den Echo-Preis, der Kollegah und Farid Bang verliehen wurde, obwohl sie für ihre antisemitischen Äußerungen bekannt sind. Da kann mir keiner erzählen, das wäre künstlerische Freiheit – nein, fuck you, ist es einfach nicht! Dass sie sexistisch, homophob und rassistisch sind, wird nicht mal thematisiert. Darüber wird in der Hip-Hop Community total hinweggesehen, so auf die Art: „Hip-Hop darf das“. Diesen Sexismus hat es zwar immer schon gegeben – es ist auch schlecht, dass es ihn gibt –, aber früher war er weniger krass als jetzt und eher mit Witz gemacht. Heute wird oft Rape Culture glorifiziert. Man müsste an beiden Enden darüber sprechen, wie sexistisch Hip-Hop noch werden darf, aber auch, wie politisch korrekt Hip-Hop sein muss.

„Da kann mir keiner erzählen, das wäre künstlerische Freiheit.“

Wo ziehst Du die Grenze bei der Political Correctness?

Die vorhin erwähnte Rapperin Sookee hat beispielsweise einen Song rausgebracht, der hieß „If I had a Dick“ und stieß damit auf viel Kritik, weil manche meinten, der Song sei transphob. So auf die Art: „Wieso rappst du darüber, dass man erst dann, wenn man einen Dick hat, ein Mann ist?“ Sookee konnte an einem Konzert nicht teilnehmen, weil manche Leute meinten, sie fühlten sich offendet. Viele meiner Freunde, die Transgender sind, verstehen das Problem nicht ganz und finden sie sowie den Song total cool. Da frag ich mich schon, wie es denn passieren kann, dass eine Person, die seit jeher für Feminismus und die queere Community einsteht, bei ihrem ersten Fehltritt so krass gelyncht wird. Dass gerade ihr so viel Hass entgegengebracht wird, obwohl so vieles im Hip-Hop viel schlimmer ist? Dieser hasserfüllte Umgang schockiert mich.

Was ist Deine Schwäche? Oder darf man das als Rapperin nicht verraten?

Ich würde behaupten, dass ich nicht radikal genug bin. Respekt war ein sehr wichtiger Wert in meiner Erziehung, was mich manchmal davon abhält, radikaler zu sein. Damit tue ich mir ein bisschen schwer, denn ich versuche jede noch so absurde Meinung einzubeziehen und zu verstehen, woher diese Einstellung kommt. Aber manche Dinge sind einfach falsch, da muss man auch nicht diskutieren.

Danke für das Gespräch!

Die Hippies

Text: Paula Pankarter

Das österreichische Duo Cari Cari hat sich für ihr Debütalbum ANAANA lange Zeit gelassen. Jetzt ist es da! Als Alexander Köck und Stephanie Widmer vor fünf Jahren ihre erste Single „White Line Fever“ auf eigene Faust veröffentlichten, explodierte diese auf Soundcloud und YouTube. Seitdem werden die beiden von internationalen Blogs gefeiert, lieferten den Soundtrack für TV-Shows wie „Shameless“ und rockten unzählige Festivals. Als waschechte DIY Band machen sie alles selbst: Songs, Videos und Artworks! Immer auf der Suche nach dem magischen Feenstaub beschwört das junge Duo mit Didgeridoo und surrealen Videos das Überirdische herauf. Wir haben mit den beiden bekennenden Hippies über Sehnsüchte, den Reiz der Fremde, Quentin Tarantino und Drogen gesprochen.

Die Bloggerin

Text: Paula Pankarter

Christl Clear ist Influencerin. Sie selbst bezeichnet sich als menschliches Medium. Noch so eine, die jungen Frauen durch ihre Handys zuflüstert, wie sie sich schminken sollen? Warum Christls Social-Media-Präsenz wichtig ist, was hinter ihren Hashtags und Selbstgesprächen steckt, verrät sie uns. Wir sprechen mit der erfolgreichsten schwarzen Bloggerin Österreichs darüber, ob der Tod postbar ist, warum Haare für schwarze Frauen hochpolitisch sind und wie sie in Österreich den Rassismus konkret erlebt. Ein Interview mit einer Frau, die eine Stimme hat und diese nutzt.

Arnulf das Schandmaul

Text: Felix Limani, Fotos: Anika Karoh

Arnulf Zeilner spielt auf zwei Flöten

Samstag um halb elf vormittags. Wir warten vor dem kleinen Bahnhof in Ladendorf, einer kleinen Gemeinde in NIEDERÖSTERREICH, eine knappe Fahrstunde von Wien entfernt. Ein weißes Auto biegt um die Ecke, hinter dem Steuer sitzt ein korpulenter Mann in MITTELALTERMONTUR. „Das ist er!“, raune ich Anika zu. Nach einer kurzen Fahrt erreichen wir keine Burg, dafür ein in altrosa gestrichenes Haus, das unser Gastgeber ARNULF ZEILNER, Mittelalterhobbyist, SPIELMANN und Streamer nicht zum Wohnen, sondern für seine Live-Übertragungen, zum Musizieren und als Lager verwendet. Wir betreten eine Welt irgendwo zwischen MITTELALTER, FANTASY und Jetztzeit.

Der Bibiza

Text: Julia Bauereiß, Fotos: Amine Sabeur, Albumcover: Maša Stanić

Franz Bibiza ist durch und durch Wiener, und man munkelt, er sei der Falco unserer Zeit, der doch seinen ganz eigenen Weg geht, und zwar in Richtung Erfolg. Wir treffen ihn via Zoom zwischen Hamburg und Berlin direkt aus dem Tourbus, hinter dem der Sportfreunde Stiller, die er gerade als Pre-Act begleitet. Er erzählt uns von seinem Leben als Grenzgänger zwischen Dekadenz und Charme, wieso Musiker wie Aliens sind und was Bibiza nachts am Würstelstand kauft.