„Der Geruch von Leder bedeutet Heimat für uns.“
Ludwig Reiter II. auf der Reise nach Amerika. Rechts: die beiden Schwestern Magdalena und Anna Reiter.
1992 erwirbt Ludwig Reiter die Kitzmantelfabrik in Vorchdorf im Salzkammergut, die er aber ein paar Jahre später wieder schließt.
Antje Mayer-Salvi: Können Sie sich beide noch an Ihre allerersten Schuhe erinnern?
Magdalena Reiter: Die ersten, die mir im Gedächtnis geblieben sind, waren Schuhe für ein Faschingsfest. Das waren goldene Ballerinas, die hat uns eine Mitarbeiterin in der Produktion extra gefertigt – aus sehr schönem goldenen Hirschleder. Die haben wir getragen bis zum Gehtnichtmehr. Wir waren schon zu groß, da haben wir sie immer noch getragen, beim Spielen und im Gatsch und überall; wir wollten sie einfach nicht mehr ausziehen. Die waren einfach so schön!
Und die haben Sie noch?
Anna & Magdalena R.: Naja, wir haben noch einen Schuh davon, der andere ist in einen See gefallen.
Hand aufs Herz! Wie viele Paar Schuhe besitzen Sie außerdem?
Anna R.: Wir haben einen sehr großen Schuhkasten – da sind sicher 150 Paar drin! Wir teilen uns die Schuhe im Grunde mit unserer Mutter, denn wir drei haben dieselbe Schuhgröße. Wir können sehr schlecht Schuhe weggeben, ausmisten ist ganz schwierig für uns. Das ist eine schlechte Angewohnheit in der Familie Reiter, wir wollen immer alle unsere Schuhe behalten, selbst wenn sie schon komplett ausgelatscht sind.
Passt das zur Ludwig-Reiter-Philosophie, dass sich drei Menschen ihre Schuhe teilen? Man sagt doch: „Einem Schuh wohnt der Geist des Menschen inne, der ihn trägt.“
Anna & Magdalena R.: Eben! Wir sind ganz eng miteinander, da passt das schon! Wir teilen auch unsere Anziehsachen, überhaupt ganz vieles im Leben (lachen).
„Teilen unsere Anziehsachen"
Das Qualitätsbewusstsein der Österreicherinnen sei viel ausgeprägter als etwa in Großbritannien, wo die Fast-Fashion-Mentalität vorherrschend sei, erzählt Anna Reiter. Besonders gut würden die qualitativen Schuhe auf dem asiatischen Markt angenommen. Im Mittleren Osten sei es allerdings schwierig, da „dort vor allem nur Sandalen getragen werden, die Ludwig Reiter zwar auch führt, aber leider nicht wüstentauglich sind“, erzählt Magdalena Reiter.
Wie ist es, wenn man mit der Schwester gemeinsam in einem Unternehmen arbeitet? Gibt es da nie Konflikte?
Anna R.: Es macht vor allem Spaß! Immer eine Challenge natürlich, aber unser Familienunternehmen war immer präsent, seit unserer Kindheit, das ist für uns beide ganz normal. Für mich könnte es nicht besser sein – mit meiner Schwester, meinem Vater und meinem Onkel zusammenzuarbeiten. Mein Vater hat das Unternehmen von seinem Vater mit gerade einmal 23 Jahren übernommen und der wiederum von seinem.
Wie viele Jahre sind Sie beide auseinander?
Anna & Magdalena R.: Nur zwei.
Haben Sie zwischen den Lederstapeln und Maschinen gemeinsam gespielt?
Magdalena R.: Ja, natürlich! Wo wir halt hindurften. Der Geruch von Leder bedeutet Heimat für uns, der ist ganz wichtig für unser Wohlbefinden. Wir verbrachten schon als Kinder viel Zeit im Unternehmen. Beim Abendessen wurde über die Firma gesprochen. Unsere Eltern nahmen uns oft auf Reisen und Messen mit, das war cool für uns, weil wir von klein auf schöne Städte erkunden konnten. Manche unserer Mitarbeiterinnen kennen uns seitdem wir Kinder waren.
„Wir haben zwischen den Lederstapeln Verstecken gespielt.“
Anna Reiter studierte Wirtschaft an der WU in Wien und war dann unter anderem sechs Jahre bei Louis Vuitton in London tätig. Nun fungiert sie als Marketingchefin des Hauses. Ihre zwei Jahre jüngere Schwester Magdalena studierte in Wien Tourismusmanagement und ist nach ein paar Auslandsaufenthalten für das E-Commerce im Unternehmen verantwortlich.
Worüber hat sich die Familie Reiter unterhalten, wenn sie beim Abendessen saß?
Anna R.: Oft hat unser Vater irgendwelche Muster mit nach Hause gebracht, die haben wir anprobiert, sind Probe gelaufen – das besprachen wir dann abends ...
... Probe gehen?
Anna R.: ... ja, Probe gehen! Das machen wir heute noch. Wir testen ein Muster oder Modell, schauen, wo es drückt, wo es Verbesserungsbedarf geben könnte, was gut ist. Wir fragen auch oft Freunde, wie der Schuh bei ihnen ankommt. Über solche Modelle haben wir sehr oft bei Tisch gesprochen ...
Magdalena R.: ... und dann natürlich über das tägliche Brot. Wie sich das Geschäft weiterentwickelt, über neue Filialen, neue Mitarbeiterinnen und neue Möglichkeiten und Märkte. Alles eben, was geschäftlich so über den Tag angefallen ist.
„Ludwig Reiter war einer der Pioniere in der Retro-Sneaker-Welle Mitte der 80er-Jahre, die den Sneaker-Hype von heute formte.“
Ludwig Reiter produziert in einer ehemaligen Gutshofanlage in Süßenbrunn bei Wien, wo sich seit 2011 der neue Betriebsstandort der Schuhmanufaktur befindet, etwa hundert Schuhe am Tag.
Stehen ausschließlich Ludwig Reiter Schuhe in Ihrem Schrank?
Anna R.: Eigentlich schon. Ich habe noch ein paar Modelle aus der Kollektion aus meiner Zeit bei Louis Vuitton, wo ich sechs Jahre in London gearbeitet habe, aber die ziehe ich kaum noch an. Wir beide tragen nicht gerne Stöckelschuhe, wir sind ohnehin schon so groß.
Und wenn Sie sich für Stöckelschuhe entscheiden, dann von wem?
Magdalena R.: Von Ludwig Reiter natürlich!
Ludwig Reiter führt Stöckelschuhe?
Magdalena R.: Ja klar, wir haben immer wieder Stöckelschuhe im Sortiment.
Was sollte ein guter Schuh haben, damit er ein guter Schuh ist?
Anna R.: Er sollte aus wahnsinnig schönem Leder produziert sein; Tragekomfort ist ganz wichtig. Man muss darin den ganzen Tag das machen können, was man machen möchte, und er muss natürlich auch Komplimente bringen.
Magdalena Reiter: Deswegen lieben wir unsere Polo-Stiefel. Sehr schön, zeitlos, cool – die kann man auch anziehen, wenn man noch sehr jung ist. Alle unsere Schuhe sind nur aus natürlichen Materialien. Da ist kein Stück Plastik dran. Die Laufsohle ist aus Leder. Die Sohle ist mit einem Korkbett eingefüllt, das heißt sie ist sehr angenehm am Fuß zu tragen und atmungsaktiv.
„Ein guter Schuh muss auch Komplimente bringen!“
Die zwei Schwestern „wollen in Zukunft die klassische Linie mit etwas farbigeren und modischeren Modellen vorsichtig aufbrechen“. Das Unternehmen führt eigene Filialen in Österreich, Deutschland und der Schweiz.
Sie beide besitzen keine Nikes oder Adidas?
Anna R.: Nein, das ist nicht unser Stil. Wir haben sehr gute Sportschuhe in unserem Programm. Ich würde sogar behaupten, Ludwig Reiter war wesentlich mit daran beteiligt, dass die Sneaker gerade so einen Hype erleben. Wir waren mit die Ersten, die den „Trainer“, ein Modell des Österreichischen Bundesheeres, das damals in der Kitzmantelfabrik in Vorchdorf im Salzkammergut produziert wurde, verbessert wiederaufgelegt haben – und das schon Mitte der 80er-Jahre! Das ging damals aus einer Zusammenarbeit mit dem bekannten österreichischen Modedesigner Helmut Lang hervor. Ich bin kürzlich sogar einen Wettbewerb mit unserem Marathon-Modell aus Veloursleder und ultraleichtem Textil gelaufen.
Hatten Sie noch nie in Ihrem Leben Blasen an den Füßen?
Magdalena R.: Doch sicher. Im Sommer, wenn es sehr heiß ist, kriegen sogar WIR Blasen (lacht), im Winter aber vor allem von diesen schrecklich harten Skischuhen ...
Anna R.: ... und da wir schon als Kinder keine Schuhe weggeben konnten, aber unsere Füße schnell wuchsen, trugen wir beide ständig Modelle, die uns zu klein waren. In denen bekamen wir regelmäßig Blasen. Es gibt leider keine blasensicheren Schuhe!
Gibt es einen Ludwig-Reiter-Bestseller?
Anna R.: Es gibt den sogenannten „Husarenstiefel“. Das Modell kommt auch aus der Kitzmantelfabrik im Salzkammergut. Der ist wunderschön. (Preis: knapp 1.200 Euro, Anm. d. Red.)
Magdalena R.: Diesen Schuh hat Brad Pitt übrigens in unserer Berliner Filiale gekauft und dann im Quentin-Tarantino-Film „Inglourious Basterds“ getragen. Der basiert auf ungarischen Kavallerie- und alten alpinen Skistiefeln. Ein sehr robuster Schuh aus Juchtenleder, natürlich rahmengenäht.
„How can you recognize a true Gentleman? By his Shoes.“
Brad Pitt trägt in Quentin Tarantinos Film „Inglorious Basterds“ Schuhe von Ludwig Reiter.
Anna Reiter: Neben den gängigen Ludwig-Reiter-Modellen, wie dem bekannten Maronibrater um etwa 700 Euro, werden auch viele Sonderwünsche erfüllt und namhafte Kunden beliefert, wie etwa das Burgtheater oder seit neuestem die Wiener Philharmoniker.
Hat Ludwig Reiter in den 30er-Jahren auch fürs Militär produziert?
Anna R.: Bereits 1887 belieferte Ludwig Reiter die k. u. k. Sicherheitswache mit Maßstiefeln und rahmengenähten Offiziersschuhen. Für die Armee wurden bis in die 1940er-Jahre Stiefeletten zur Ausgehuniform und Reitstiefel gefertigt. Unsere Manufaktur wurde dann aus Wiener Neustadt ausgesiedelt, um Platz für eine Maschinenproduktionsstätte zu machen. Stattdessen richteten wir 1940 in der Schuhmanngasse im 17. Bezirk eine neue Werkstätte ein. Während des Krieges produzierten wir weiterhin Schuhe – für die Zivilbevölkerung, aber auch für das Militär. Damals gab es für Unternehmen wie uns die Bedingung, dass wir nur produzieren durften, wenn wir auch etwas an den Staat abgaben. Nur so konnte man Arbeitsplätze wichtiger Mitarbeiter sichern, weil sie somit nicht in den Wehrdienst mussten, und man auch nur so seine Arbeitsmaterialien behalten konnte.
Wenn Sie jemanden das erste Mal treffen, schauen Sie zuerst auf die Schuhe?
Magdalena und Anna R.: Leider, immer. Das ist eine blöde Angewohnheit von uns. Es ist wirklich oft so, dass man über die Schuhe viel über den Charakter eines Menschen erfahren kann. Jemand, der einen super toll aussehenden Anzug anhat und dazu irgendwelche abgelatschten Treter, macht uns stutzig. Wie lautet das berühmte Zitat von Oscar Wilde: „How can you recognize a true Gentleman? By his Shoes.“
Vielen lieben Dank für das Gespräch!
Magdalena Reiter (links), Antje Mayer-Salvi, Chefredakteurin C/O Vienna Magazine (Mitte) und Anna Reiter (rechts.)