Ob als Bösewichtin in der Spionage-Komödie The King's Man oder als Cowgirl in der Amazon-Prime-Serie The English: Die junge österreichische Schauspielerin Valerie Pachner (*1987) ist gerade dabei, international richtig durchzustarten. Ein guter Zeitpunkt, um Klartext über einen Beruf zu sprechen, den sie anfangs als eitel empfand.
Der noch vor der Pandemie gedrehte Film „Another Coin for the Merry-Go-Round“ (2021) wird seine Premiere auf dem Grazer Filmfestival Diagonale feiern.
Lara Ritter: Auf dem Filmfestival Diagonale, das von 8. bis 13. Juni in Graz stattfindet, sind Sie demnächst gemeinsam mit Musiker Voodoo Jürgens in Hannes Starz' Film „Another Coin for the Merry-Go-Round“ zu sehen. Eine Low-Budget-Produktion. Vier Musikerinnen Anfang Dreißig hoffen in der Wiener Underground-Musikszene auf den großen Durchbruch. Gewöhnlich sind Sie für gut bezahlte, internationale Produktionen gebucht. Wie lief der Dreh?
Valerie Pachner: Das war eine ganz spezielle Erfahrung, es war sehr chaotisch (lacht). Wir hatten null Kohle und nur zehn Drehtage, aber machten alle mit Lust und Freude mit. Die Tage, an denen wir drehten, waren total intensiv, das war der völlige Wahnsinn! Die vielen improvisierten Szenen und der Vibe, der am Set herrschte, sind aber genau das, wovon der Film lebt.
Aus den Proberäumen und Lokalen der Wiener Indie- und DIY-Szene ging es mit Ihrer Rolle der Bösewichtin in der Spionage-Komödie „The King’s Man“ direkt nach Hollywood. Ein denkbar starker Kontrast!
Diese unterschiedlichen Welten waren ein großer Spagat, allein wegen der Machart der Filme! Der Dreh von „The King's Man“ war extrem technisch und perfektionistisch, die Bildkomposition spielte eine große Rolle. Die Reaktion des Publikums war viel präsenter als ich gewohnt bin. Oft fiel die Frage: „Will the audience like it?“ Es war interessant, wieviel Bedeutung dem gegeben wurde. Bei Indie- oder Arthouse-Produktionen lehnt man es ja eher ab, den Film nach dem Publikum auszurichten. Künstlerisch ist das vielleicht auch sinnvoller, gleichzeitig fand ich es aber schön, dass den Zuschauerinnen und Zuschauern so viel Interesse entgegengebracht wurde.
Mussten Sie Action-Stunts üben?
Ja, es gab eine kleine Kampfszene! Die war extrem durchchoreographiert, ich hätte mir fast gewünscht, ein bisschen mehr echte Action zu haben. Ich liebe es, wenn man beim Dreh einfach mal machen kann und es sich so anfühlt, als sei alles echt. Wenn es sehr technisch wird, finde ich das manchmal mühsam.
„Meistens habe ich mega-professionelle Menschen um mich – oder zumindest nette!“
Im Drama „Der Boden unter den Füßen“ (2019) spielt Pachner Protagonistin Lola, eine erfolgreiche Unternehmensberaterin, die bis zu hundert Stunden pro Woche arbeitet. Der Film der österreichischen Regisseurin Marie Kreutzer wurde bei den Internationalen Filmfestspielen Berlin in den Wettbewerb um den Goldenen Bären eingeladen.
Wie viel Wahrheit steckt im Klischee der gereizten Regisseure und nörgelnden Hollywood-Diven?
Mir ist noch nie eine weibliche Diva untergekommen, ich habe das eher bei männlichen Schauspielern erlebt. Meistens habe ich aber mega-professionelle Menschen um mich – oder zumindest nette! Wenn alle unter Druck stehen, kann es natürlich schon mal zugehen, aber ich hatte noch keine schlimmen Erlebnisse.
Sie sagten einmal, Sie fänden es interessant, sich mit verschiedenen Charakteren auseinanderzusetzen und Sie lieben zu lernen. Wie finden Sie die Liebe zu Charakteren wie Workaholic Lola aus „Der Boden unter den Füßen“?
Sobald mich ein Skript interessiert, fällt mir das recht leicht. Wenn ich, wie zum Beispiel bei Lola, Schwierigkeiten mit gewissen Eigenschaften der Person habe, versuche ich zu verstehen, wieso sie so ist, wie sie ist. Selbst Bösewichte finde ich meist liebenswert – ich verteidige die Personen, die ich spiele, immer aus einem Mitgefühl heraus.
Zehrt es an Ihren Kräften, gewisse Charaktere zu verkörpern?
Auf jeden Fall. Es gibt Charaktere, die mir durch ihre Art durchs Leben zu gehen, Kraft geben. Andere Figuren kosten mich wiederum viel Energie, da muss ich im Zuge der Vorbereitung darauf achten, dass ich zwischendurch wieder zu mir komme und mich erhole. Ich verbringe am Tag zwölf Stunden oder länger mit meinen Rollen. Ich habe schon versucht, mich weniger in diese hineinzubegeben, aber ich kann das nur ganz oder gar nicht. Bevor ich für einen Dreh zusage, wäge ich deswegen immer ab, wie sehr mich eine Figur auszehren wird, wie viel ich da geben und mich kümmern muss.
2019 wurde das Drama „Ein verborgenes Leben“ des US-amerikanischen Regisseurs Terrence Malik im Wettbewerb der Internationalen Filmfestspiele von Cannes uraufgeführt und konkurrierte dort um die Goldene Palme.
Welche Rolle war bisher die größte Herausforderung?
Unter anderem die Rolle der Franziska Jägerstätter im Drama „Ein verborgenes Leben“ des US-Regisseurs Terrence Malick. In dem Fall war es nicht ihr Charakter, sondern ihre Geschichte, die an mir zehrte. (Anm. der Red.: Der Film beruht teils auf wahren Begebenheiten, Franziska Jagerstätter war die Frau des österreichischen Bauern Franz Jägerstätter, der den Kriegsdienst bei der Wehrmacht verweigerte und 1943 in Brandenburg von den Nationalsozialisten hingerichtet wurde.) Als Figur hatte sie etwas sehr Nährendes. Auch anstrengend war der Dreh von „Der Boden unter den Füßen“ der Wiener Regisseurin Marie Kreutzer, in dem ich Workaholic Lola spielte. Die Lola war echt anstrengend.
Wie finden Sie sich in eine Rolle ein?
Meist fange ich schon recht früh im Vorbereitungsprozess damit an, mich in die Körperlichkeit einer Figur hineinzufühlen. Derzeit bereite ich mich für die Amazon-Limited-Serie „The English“ auf die Rolle eines Cowgirls vor. Da muss ich natürlich üben zu reiten und mit dem Gewehr zu schießen! Manchmal verlangt eine Figur aber auch einfach, dass ich mich abschotte und mit meiner Innenwelt befasse.
In Ihrer Jugend trugen Sie Dreadlocks, unternahmen Fahrten zu Donnerstagsdemos und führten lange Diskussionen in Ihrer WG-Küche. Nach der Matura verbrachten Sie ein Jahr in Honduras, wo Sie Ihre Liebe zum Schauspiel entdeckten, als Sie mit einem Schauspieler ein Straßentheater mit Kindern veranstalteten.
Wir stellten in einer Markthalle eine Blackbox auf, um dort mit Kindern und Jugendlichen Themen zu behandeln, die sie beschäftigen, wie AIDS, Drogen und das Alleinsein. Wir improvisierten und stellten kleine Stücke zusammen. Damit die Eltern, die dort arbeiteten, zusehen konnten, führten wir sie vor Ort auf – danach waren viele sehr berührt.
Theaterregisseur und aktueller Burgtheater-Intendant Martin Kušej holte Pachner bereits während ihrer Schauspielausbildung an das Residenztheater in München, wo sie bis 2017 Teil des Ensembles war.
Zurück in Wien bewarben Sie sich beim Max-Reinhardt-Seminar und wurden sofort aufgenommen.
Ich hatte mich aus der Angst heraus beworben, dass ich es bereuen würde, wenn ich es nicht tue. Eigentlich hatte ich aber schon einen Lebensweg für mich gewählt und studierte Internationale Entwicklung und Germanistik. Als ich dann überraschend am Max-Reinhardt-Seminar aufgenommen wurde, konnte ich mich nicht darauf einlassen und studierte nebenbei noch ein Semester an der Uni weiter, das war komplett gaga. Erst am Ende des ersten Studienjahres, welches sehr intensiv war, entschied ich mich voll und ganz für das Schauspielstudium.
Wie lange brauchte es, bis Sie die Rolle der Schauspielerin annehmen konnten?
Ich habe lange mit mir gekämpft. Schauspielerin zu sein, kam mir so eitel vor und passte nicht zu meinem Selbstbild. Bei mir musste immer alles politisch sein. Ich weiß noch, wie in meinem ersten Studienjahr an der Hauptuni Audi-Max-Besetzungen stattfanden und ich die Leute aus dem Seminar dorthin mitnehmen wollte, aber denen war das voll egal. Als ich irgendwann merkte, wie intensiv man sich als Schauspielerin mit Menschen auseinandersetzen muss, konnte ich meinen Wunsch aber akzeptieren. Ich merkte, dass ich so vielleicht auch etwas verändern kann.
Valerie Pachner (*1987 in Bad Schallerbach) studierte von 2009 bis 2013 Schauspiel am Max-Reinhardt-Seminar in Wien. Bereits während ihrer Ausbildung holte Martin Kušej sie an das Residenztheater in München, wo sie bis 2017 Teil des Ensembles war. 2016 wurde sie mit dem Förderpreis der Freunde des Residenztheaters, als auch mit dem Bayerischen Kunstförderpreis für ihre Bühnenarbeit ausgezeichnet. Im selben Jahr spielte sie unter der Regie von Terrence Malick in Ein verborgenes Leben die weibliche Hauptrolle der Franziska Jägerstätter.2019 feierte Marie Kreutzers Drama Der Boden unter den Füßen mit Pachner in der Hauptrolle Premiere bei den Internationalen Filmfestspielen Berlin, für ihre Darstellung erhielt Valerie Pachner unter anderem den Deutschen Schauspielpreis. Der Film lief in US-amerikanischen Kinos und wurde von Vanity Fair zu einem der zehn besten Filme 2019 ausgewählt.