Die Schmetterlingserbin

Stoff aus geschichte

Die charismatische Französin Praline Le Moult betreibt ein kleines Modelabel und führt mit ihrem Mann Harri Cherkoori das alteingesessene Wiener Textilgeschäft INDIE unweit des Stephansdoms. Der weltbekannte Schmetterlingsjäger Eugène Le Moult ist ihr Urgroßvater, zu dessen Kunden der Schriftsteller Vladimir Nabokov und der Kaiser von Japan gehörten. Sein legendäres Leben wurde im Tim & Struppi-Comic, im Filmklassiker Papillon und in den Modekollektionen seiner Urenkelin verewigt.

Text: Antje Mayer-Salvi

„Schmetterlinge sind wie Schnee.“

Antje Mayer-Salvi: Du warst in Deiner Kindheit sicher von Hunderten – wenn auch aufgespießten und toten – Schmetterlingen umgeben!

Praline Le Moult: Nein, überhaupt nicht. Es gab keinen einzigen Schmetterling in unserem Haus. Keinen einzigen! Ein paar Spinnen, die in Kästen rumhingen, das war’s. Die Vergangenheit war für meine Eltern nicht relevant, nur die Zukunft galt. Unsere Villa auf einer Pariser Insel ließ mein Vater, der ein bekannter Werber und Art-Direktor war, von seinem Freund Philippe Starck designen. Das sagt eigentlich schon alles. 

Philippe Starck war in den 80er-Jahren der angesagteste Designer und Vertreter des „Neuen Design“ schlechthin! Ich habe Fotos Deines Elternhauses gesehen, ikonisch für die Zeit. Die abenteuerliche Lebensgeschichte Deines Urgroßvaters war tatsächlich kein Thema?

Sein Leben war wie ein Märchen, aber um die Wahrheit zu sagen, darüber zu sprechen in unserer Familie tabu. Er kümmerte sich leidenschaftlich um seine Schmetterlinge, aber seine Kinder und seine Frau vernachlässigte er. Mein Großvater Pierre, der für ihn die Schmetterlinge fotografierte und daher sehr gut kannte, war gar nicht gut auf ihn zu sprechen. Als ich älter wurde und ihn zu Eugène interviewen wollten, lehnte er vehement ab. Nach dem Tod meines Vaters im Jahr 1979 habe ich mir dann aus Dokumenten, Büchern und anderen Quellen die Lebensgeschichte meines Urgroßvaters zusammengereimt. Mein Mann war mir eine große Hilfe, er ist ein sehr guter Detektiv!

„Fashion as Fiction!“

Du bezeichnest Eugène Le Moult sogar als „Muse“ für Deine Retro-Sportswear-Kollektionen, die Du in einer kleinen Auflage aus schmeichelweicher Baumwolle herstellst und von Hand bedruckst.

Meine Pyjamas und andere Kollektionen sind nicht von Schmetterlingen inspiriert, das wäre ja schon ein bisschen spießig, sondern vom Leben meines Urgroßvaters, der sehr an funktionaler Kleidung interessiert war. Die Leute lieben die Story dahinter, wenn sie meine Sachen tragen, werden sie Teil einer spannenden Lebensgeschichte, zu Mitspielerinnen und Mitspielern in einem Film. Mein Motto als Modedesignerin lautet: Fashion as Fiction! 

Apropos: Der berühmte Film „Papillon“ mit Steve McQueen und Dustin Hoffman zeigt, wie sich Dein Urgroßvater mit Hilfe von Sträflingen sein erstes Geld und seinen späteren Weltruhm verdiente.

Mein Ugroßvater war angeblich auch eines der Vorbilder für Indiana Jones! Er begann seine Karriere als Teenager im Regenwald der Strafkolonie Französisch-Guayana, wo er aufwuchs, weil sein Vater als Beamter mit dem Ausbau des Straßennetzes betraut war. Es gab giftige Schlangen, Jaguare, riesige Spinnen und eben wunderschöne Schmetterlinge wie den Morpho, den er bald systematisch jagte, nach Frankreich verkaufte und für den er auch Experte wurde. 

Die Nachfrage war unglaublich groß, von vier bis zwanzig Millionen Stück wird kolportiert. Wie kann man so viele Schmetterlinge erbeuten?

Dafür setzte er Sträflinge ein, wie es eben auch in „Papillon“ gezeigt wird, die sich so Freiheit auf Zeit und Geld verdienen konnten. Nicht ganz unumstritten, würde ich sagen. Nebenher sammelte er wie wild. Drei Jahre nach seiner Rückkehr nach Paris im Jahr 1908 verfügte Eugène über die viertgrößte Schmetterlingssammlung der Welt, nach denen in den Museen in Washington und London. Zu seinen Kunden zählten der König von Belgien, der Kaiser von Japan, Vladimir Nabokov und Sergei Chruschtschow. Er forschte aber auch wissenschaftlich. 

„Mein Urgoßvater war angeblich eines der Vorbilder für Indiana Jones.“

Den Morpho gibt es sogar als Emoji!

Ja, das ist tatsächlich ein Morpho. Die Färbung der Schmetterlinge entsteht übrigens nicht durch Pigmente, sondern durch die Brechung von Licht – daher sind sie ewig haltbar und bleiben bunt. Früher gab es Schmetterlinge im Überfluss, doch heute drohen sie durch den Klimawandel elend auszusterben.

Warum finden wir Schmetterlinge so schön?

Ich habe mich oft gefragt, warum Schmetterlinge so begehrenswert sind, diese Design- und Wunderobjekte. Sie sind so schön, weil sie zu Tarnzwecken wie Blumen aussehen, ihre hauptsächliche Nahrungsquelle. Viele Arten können sich nicht untereinander paaren. Sie sind schwer zu fangen, unglaublich fragil, erscheinen plötzlich wie aus dem Nichts – das ist magisch. Und sie sind selten. Viele Schmetterlinge gibt es nur für eine sehr kurze Zeit im Jahr – wie Schnee.

„Es gab giftige Schlangen, Jaguare, riesige Spinnen und eben wunderschöne Schmetterlinge.“

Wer hat die Sammlung Deines Großvaters geerbt?

Sein Zinshaus in Paris war von oben bis unten voll mit Fundstücken, Insekten, eingelegten Schlangen und Schmetterlingsladen. Es hatte schon etwas „Messiehaftes“. Er betrieb dort auch einen kleinen Shop und begrüßte die Kunden mit einer Taube auf der Schulter. Sehr skurril und dabei ziemlich geschäftstüchtig – er behauptete schon mal, dass eine Art sehr selten sei und verlangte einen entsprechenden Preis, dabei stapelten sich im Lager Kisten voll davon. Meine Schwester und ich besitzen leider nur noch ein paar wenige Kästen.

Wo befindet sich der Rest der Beutestücke, Inbegriff naturschönen Designs?

Seine unglaublich große Sammlung ist in die ganze Welt versteigert worden und in den berühmtesten Museen der Welt zu sehen, auch im Naturhistorischen in Wien. 

Die Lepidopterologen dort haben uns gesagt, man würde sie sofort an der filigranen Schrift meines Urgroßvaters erkennen. Die Schmetterlingssammlung in Wien beherbergt übrigens eine der größten Sammlungen von Tag- und Nachtfaltern weltweit – ungefähr 3,5 Millionen präparierte und einige hunderttausend nichtpräparierte Exemplare.

Du hast Kostüm und Bühnendesign in Central Saint Martins und Kunst an der École des Beaux-Arts de Paris studiert. Velleicht kannst Du mir verraten, was Schönheit ist?

Die Menschen werden schön geboren. Wenn sie genug Liebe in ihrem Leben erfahren, bleiben sie schön bis an ihr Lebensende.

Vielen Dank für das Interview!

Dieses Interview  ist in der Printausgabe #2 „The Beauty Issue“ erschienen. Sie können das Magazin in unserem SHOP bestellen.


www.p-lemoult.com
www.indie.land

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Text: Antje Mayer-Salvi, Fotos: Rafaela Pröll

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Brigitte Winkler, ©Rafaela Pröll, Brigitte Winkler, ©Rafaela Pröll, Styling: Simon Winkelmüller, Makeup/Hair: Nicole Jaritz, Fotoassistenz: Philipp Haffner