Die Schönheit der Verschwendung

The Beauty of Waste

Ihre Kunst ist bestürzend und schön zugleich: Die niederländische Künstlerin und Fotografin Thirza Schaap kreiert aus angeschwemmtem Plastikmüll bizarre Skulpturen, um auf die globale Verschmutzung der Meere aufmerksam zu machen. Wir haben sie im südafrikanischen Kapstadt am Atlantischen Ozean erreicht.  

Text: Lara Ritter, Fotos: Thirza Schaap

„Zeitverschwendung ist unglaublich wichtig.“

Lara Ritter: Im tschechischen Kutná Hora gibt es eine Kirche, die aus den Knochen Verstorbener gebaut ist. Ein wunderschönes Gebäude, das aus dem Tod entstanden ist – es erinnert mich an Deine Objekte: beeindruckende Skulpturen, kreiert aus Plastikmüll.

Thirza Schaap: Meine Skulpturen sind genauso wie diese Kirche: Wahnsinnig hässlich und unglaublich schön zugleich. Ich hebe ihre Schönheit in meinen Fotografien hervor, um mich in die Köpfe der Betrachter zu schleichen. Schockierende Bilder, wie die von plastiküberschwemmten Stränden, schiebt man schnell von sich weg. Schöne Bilder haben hingegen die Kraft, sich in den Gedanken einzunisten und Emotionen hervorzurufen, die einen dazu motivieren können, aktiv zu werden und zu handeln. 

„Solange wir das Plastik nicht sehen, existiert es nicht – das will ich ändern.“

Was macht Plastikmüll so schön?

Die Spuren der Zeit! Alte Dinge haben mich schon immer begeistert, denn ich bin in einem holländischen Neubauviertel aufgewachsen, wo nichts Geschichte hatte. Als ich mit 17 Jahren nach Amsterdam gezogen bin, war ich fasziniert von den alten Gebäuden und den Second-Hand-Märkten. Es berührt mich nach wie vor, wenn ich Plastikobjekte finde, denen ich ansehe, wie lange sie im Ozean gereist sind. Die verwaschenen Farben, die scharfen Kanten, die kleinen Muscheln, die am Plastik angewachsen sind, all die Geschichten, die in diesen Details verborgen sind, faszinieren mich.   

Deine Kunst schöpft ursprünglich aus etwas reichlich Unschöpferischem, der Verschwendung: Wohnt ihr dennoch eine Notwendigkeit inne?

Die Ressourcenverschwendung hat keine Notwendigkeit, die Verschwendung von Zeit ist hingegen unglaublich wichtig. Im Westen definieren wir uns fast nur noch über unsere Arbeit, denn sie legt den Grundstein für den Konsum, den wir finanzieren müssen. Als ich begonnen habe, mehr Zeit in Südafrika zu verbringen, ist das Gefühl verschwunden, immer produktiv sein zu müssen. Hier bedeutet Lebensqualität, Zeit zu haben, in der man machen kann, worauf man Lust hat, sei es zu wandern oder Freunde zu treffen.  

„Wahnsinnig hässlich und unglaublich schön zugleich.“

Welches ist das schönste Plastikobjekt, das Du je am Strand gefunden hast?

Ich habe einmal eine Koralle gefunden, in der sich ein Fischernetz verfangen hatte, das war schon fast eine fertige Skulptur, wunderschön. Eine meiner Lieblingsskulpturen ist auch eine weiße Flasche, an die ich eine Muschel geklebt habe. Man sieht zwischen den beiden Texturen keinen Unterschied, obwohl das eine Plastik ist und das andere eine Muschel – der Abfall integriert sich in die Umwelt und wird zu einer Art zweiten Natur.   

„Der Abfall integriert sich in die Umwelt und wird zu einer Art zweiten Natur.“

Welche Geschichte haben die Plastikobjekte, die Du findest?

Ich bin auf Instagram in Kontakt mit Menschen, die auch Plastikmüll sammeln, und tausche mich mit ihnen darüber aus, wo die Objekte herkommen könnten, die wir finden. Das ist ein bisschen wie Schatzsuchen und Rätsellösen. Wenn der Markennamen sichtbar ist, ist es am einfachsten zu dokumentieren, aus welchen Ländern die Objekte stammen. Ich finde Wasserflaschen aus allen Teilen der Welt und habe sogar alte Shampooflaschen gefunden, die ich noch aus meiner Jugend kenne. Sie haben alle unterschiedliche Formen, Farben und Zustände angenommen, faszinierend! 

„Ob die Menschheit überleben wird?“

Die Urlaubsbilder von weißen, makellosen Sandstränden sind fest in unseren Köpfen verankert ...

... weil dort, wo Touristen hinkommen, vor all den schönen Resorts auf dieser Welt die Strände von Reinigungskräften sauber gehalten werden, aber das ist nicht die Realität. Die ungereinigten Strände auf dieser Erde sind mittlerweile voller Plastikmüll. Solange wir ihn nicht sehen, verdrängen wir das Problem – das will ich mit meiner Kunst ändern.  

Ist die Menschheit noch zu retten?

Ich habe einmal einen Wissenschaftler gefragt, ob die Menschheit überleben wird. Er hat ganz selbstverständlich Nein gesagt. In 20.000 Jahren werden wir von der Erde verschwunden sein, andere Menschen sagen in noch kürzerer Zeit. Wenn man sich die lange Geschichte unserer Erde anschaut, ist die Menschheit nur ein kurzes Kapitel. Die Natur ist so voller Schönheit, dass ich fast glücklich wäre, mich dafür zu opfern, dass sie wieder aufblühen kann.  

Vielen Dank für das Interview!

Dieses Interview ist in der Printausgabe 4/2022 „The Wasted Issue“ erschienen. Sie können das Magazin in unserem SHOP bestellen.

Thirza Schaap ist Fotografin und Künstlerin. Sie lebt in Amsterdam und Kapstadt in Südafrika. Im Jahr 2017 startete sie ihr Projekt „Plastic Ocean“, für das sie Skulpturen aus Plastikmüll kreiert, deren Fotos sie auf ihrem Instagramaccount teilt, um auf die Verschmutzung der Meere aufmerksam zu machen. Eines ihrer Fotos schmückte bereits das Cover der „Vogue Singapore“.  

Der Stylo d'amour

Text: Eva Holzinger, Artwork: Selina de Beauclair

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Der Herr Eidinger

Text: Antje Mayer-Salvi, Fotos: Maša Stanić

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Lars Eidinger wird im Gasthaus von Maša Stanić fotografiert.

Die Ordensschwester

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Die dicken Wände des Klosters Kirchberg in Niederösterreich stammen aus vergangenen Jahrhunderten, doch nicht die Schwestern, die darin leben. Wir fragten eine, die es wissen muss: Ordensschwester und Psychotherapeutin Teresa Hieslmayr gibt unorthodoxe Antworten auf komplizierte Fragen. Was theologischer Umweltschutz bedeutet, wie Gott während der Corona-Krise helfen kann, und warum billiges Schweinefleisch Sünde ist.