Die Sex-Aktivistin

Sex mit Gütesiegel

Die in Berlin lebende, US-amerikanische Aktivistin, Künstlerin und Sexarbeiterin Sadie Lune performt in Pornos, für die sie selbst die Drehbücher schreibt und bei denen sie Regie führt. Wir sprechen mit ihr über das Recht auf Lust, guten Sex und feministische Erotik

„Erotik ist eine Form von Magie.“

Mäx Ilic: Was ist für Dich erotisch?

Sadie Lune: Erotik ist eine Form von Magie, eine Kombination aus Elementen, die wir tief im Körper wahrnehmen. Sie befeuert Fantasie und Lust, verändert unsere Biochemie und schafft Raum für unterschiedlichste Möglichkeiten. Sie verstärkt unsere Wahrnehmung von Gerüchen und Berührungen, bereitet uns auf das Vergnügen vor. Sie verbindet das Körperliche mit dem Spirituellen und öffnet einen kreativen Raum.

Was macht einen guten Porno für Dich aus?

Ich finde, ein guter erotischer Film ist etwas, das meinen Körper, mein Herz und meine Fantasie gleichzeitig anspricht. Etwas, das mich inspiriert – vielleicht sexuell, vielleicht künstlerisch. Wenn sich meine Atmung verändert, mir die Haare zu Berge stehen, meine Nippel hart werden oder ich mir einige neue Ideen aufschreiben muss – das sind für mich alles Aspekte eines guten erotischen Films. Geräuschkulisse und Tempo, Nahaufnahmen, die Chemie zwischen Performern und Performerinnen und deren Vergnügen sind Zutaten, die mir helfen, das Gesehene selbst zu kosten, zu riechen und zu fühlen.

Dein erster Film erschien bereits 2004. Warum hast Du Dich dazu entschieden, Pornos zu drehen?

Eine Antwort ist, dass es sich für mich politisch und radikal angefühlt hat, die Möglichkeiten von queeren Körpern, Sex und Lust zu zeigen. Ich war sehr motiviert und inspiriert durch Arbeiten von sex-positiven Feministinnen und Sex-Arbeiterinnen wie Carol Queen, Scarlot Harlot und Annie Sprinkle. Eine Antwort ist wohl auch, dass ich exhibitionistisch veranlagt bin und mich nackt wohl fühle. Auch wenn ich damals ein schlechtes Bild von meinem Körper hatte, war es aufregend, daran zu denken, dass andere Menschen Erregung, Lust oder ein Gefühl von Freiheit empfinden, wenn sie mich nackt oder beim Sex betrachten. Ich war hungrig nach Erfahrungen, Abenteuern und Experimenten.

„Nicht Kunst hat meine Miete gezahlt, sondern meine Arbeit als Hure.“

Du warst ja schon vor 2004 in der Sexszene tätig?

Ich fing mit 17 Jahren an, für Kunstkurse nackt Modell zu stehen, mit 19 habe ich begonnen zu strippen und für Nackt- und Fetischfotografie zu modeln. Mit 23 habe ich als Prostituierte und wenig später auch als Domina gearbeitet. Mitte zwanzig lebte in San Francisco, machte Performance Art und hatte mich entschieden, mich als Sexarbeiterin zu „outen”.

Wie waren die Reaktionen auf Dein erstes Werk?

Meine erste Szene im Video war für die Femdom-BDSM-Serie Virgin Kink. (Anm. d. Red.: FEMDOM ist die engl. Abkürzung für „weibliche Dominanz“, BDSM ein Akronym für Sadomaso-Praktiken.) Ich habe darüber eine Rezension gelesen, in der ich „ein durchschnittlich aussehendes Mädchen mit einem durchschnittlich aussehenden Körper” genannt wurde, das hat sich in mein Gedächtnis gebrannt und mich in meinem Leben und meine ganze Karriere lang begleitet. Ich habe seitdem die Freiheit erlangt, das zu tun, wozu ich mich hingezogen fühle, nämlich zu performen, ohne mich um die Meinung anderer, um deren Desinteresse oder um mein angeblich durchschnittliches Aussehen zu kümmern. 

„Mit 23 habe ich als Prostituierte und wenig später auch als Domina gearbeitet."

Bist Du am Anfang oft an Deine Grenzen gestoßen, auf Vorurteile? Wenn ja, wann, wie und mit wem?

Ich bin privilegiert, also sind die Probleme, auf die ich gestoßen bin, nichts im Vergleich zur strukturellen Diskriminierung der Pornoindustrie gegenüber Schwarzen, Trans, älteren Personen oder Menschen mit physischen Behinderungen. Trotzdem habe ich selbst auch einige unschöne Erfahrungen machen müssen.

Welche?

Während meines ersten Jahres in San Francisco habe ich mich für die Pornowebsite „Fucking Machines“ beworben. Bei dem Interview musste ich mich ausziehen, präsentieren und wurde dann gefragt, ob ich meine Achselhaare rasieren und meine Piercings entfernen würde. Ich bin nach San Francisco gezogen, damit ich meinen inneren Freak voll ausleben und mich frei in meinem Körper fühlen kann, also habe ich nein gesagt. Ich war immer schon schlecht im Business, was das angeht. Ich wollte nicht in eine Uniform gezwängt werde. Die Interviewerin hat nur geseufzt und gemeint, sie würden dann nicht mit mir arbeiten können.

„Meinen inneren Freak ausleben.“

Wie war es mit Safer Sex?

Ich habe ziemlich strenge Safer-Sex-Standards. Blowjobs gab ich damals nur mit Kondomen, weil ich auch als Prostituierte und Domina arbeitete und meine Kunden schützen musste, zumal wir alle praktisch keine Krankenversicherung besaßen. Keine der Porno-Firmen, bei denen ich mich damals beworben hatte, hätte einen Blowjob mit Kondom akzeptiert. Im Moment erlebe ich eher eine subtile Altersdiskriminierung. Ich bin nicht mehr jung, mein Körper ist von zwei Schwangerschaften gezeichnet.

Du hast in über 60 Porno-Szenen und -filmen mitgespielt, sie geschrieben oder dafür Regie geführt. Kannst Du uns in ein paar Worten Deinen Stil erklären?

Ecosexualität. Menschen, die ich liebe. Nicht konforme oder „perverse” Ideen. Tiefe Heilung. Die Erfüllung von Fantasien. Wasser. Fetisch. Magie. Mythologie. Reizwäsche. Elternschaft. Intimität. Humor. Dominierung. Verletzlichkeit. Empathie. Das Aufbrechen von Schamgefühlen. Der Austausch von Macht und Kontrolle. Nuancen. Blut. Intersektioneller Feminismus. Ruinen. Kommunikation. Leder. Trans-Personen. Schwarze Trans-Sexarbeiterinnen. Intensität. Ekstase. Depression. Üppigkeit. Improvisation. Liebe. Symbolismus. Momente der Freiheit. Überraschung. Psychologie. Kultur. Der Mond. Kunst. Sprache. Weirdos und queere Geschichte. Nahrung. Tränen. Natur und Dankbarkeit. 

Deine Filme als »Pornos« zu bezeichnen fühlt sich irgendwie abwertend an. Machst Du nicht eher erotische Filme?

Ich werde das oft gefragt. Pornos werden gemeinhin als schmutzig und ausbeuterisch gesehen. Ich finde aber, meine Arbeiten sind Pornos und ich erweitere bestenfalls das Genre. Der einzige Grund, warum ich nicht in der Mainstream Pornoindustrie arbeite, ist, dass ich zu komisch bin und dann doch auch meine persönlichen Grenzen haben. Ich wäre lieber Mainstream, das kannst Du mir glauben, ich will mich nicht über die Sexarbeit anderer stellen. Und sind wir mal ehrlich: Seit ich 19 Jahre bin, hat nicht Kunst meine Miete oder die Schwangerschaftsvitamine gezahlt, sondern meine Arbeit als Hure.

„Jede Person hat dasselbe Recht auf Lust.“

Du beschreibst Dich selbst als »Pleasure Activist«. Was genau bedeutet das für Dich?

Wenn ich von Lust und Pleasure rede, meine ich damit nicht nur Sex, sondern auch Entspannung, Kreativität, Genuss, Zwischenmenschliches, Schönheit, Gelächter und manchmal auch Heilung. Ich meine ein Vergnügen, das unseren Körper mit unserem Geist verbindet und auch spirituell sein kann. Jede Person hat dasselbe Recht auf Lust, auch Menschen aus marginalisierten Gruppen. Jeder Körper ist in der Lage, Lust zu empfinden. Lust verdient Raum, Respekt, Aufmerksamkeit, Entwicklung und Energie. 

Du bist eine starke Verfechterin von Sex-, Body- und Kink-Positivity, also der Toleranz gegenüber verschiedensten sexuellen Vorlieben. Warum denkst Du, sind Pornos politisch?

Weil die globale Pornoindustrie Milliarden an Euro wert ist. Im Kapitalismus ist Geld untrennbar mit Macht verbunden und Macht ist immer politisch. Pornos prägen bestimmte Körperbilder und damit bestimmte Werte einer Gesellschaft. Sie bestimmen, wer als sexuell attraktiv angesehen wird. Warum sollen nur junge, dünne, weiße Cis-Hetero-Körper als „fickbar” dargestellt werden? Warum sollen nur heteronormative Pornos mit Vanillasex, also Sex „einfach ohne Extras” erregend sein und alle anderen Praktiken ein Tabu?

Was läuft Deiner Meinung nach falsch in der Mainstream Pornoindustrie?

Die größten Probleme kommen von außerhalb der Industrie: Rachepornos auf den Social Media und nicht einvernehmliche Sex-Tapes. Kinderpornographie wird auf den einschlägigen Pornoseiten geduldet, weil damit Profit gemacht wird. Es gibt einen generellen Trend zu immer extremeren Szenen. Das ist schon besorgniserregend, besonders wenn die Performerinnen und Performer noch sehr jung sind. Auch haben sich die Kunden im Internet daran gewöhnt, Pornos gratis zu konsumieren, was natürlich die Frage nach fairer Bezahlung aufkommen lässt. Außerdem klagen viele Darstellerinnen und Darsteller über zunehmende Belästigung – offline wie online – und kaum Mitspracherecht am Set.

„Nimm dir Zeit für Lust, Liebe und deine Geliebten.“

Gibt es in der Ethischen Pornoindustrie ähnliche Probleme?

Ich verwende den Ausdruck Ethische Pornos nicht, für viele Anbieter ist das auch eher ein Marketing-Gag. Jedes Set kann ethisch sein: alle sollten sich sicher, gut behandelt und fair bezahlt fühlen. Vorgänge sollten transparent sein, vorher genau besprochen, und es sollte ein Konsens herrschen.

Die Mainstream Pornoindustrie ist dominiert von Männern, sexistischen und generell diskriminierenden Ansichten. Ist das im Begriff, sich zu ändern?

Die Industrie verändert sich, weil es immer mehr Content Creators gibt. Was ein bescheidener Ausdruck ist für Menschen, die nicht nur performen, sondern wie ich auch selbst Regie führen, produzieren, verwalten, sich um die Technik kümmern und um das Branding und Marketing ihrer eigenen Pornos. Das verändert die Industrie, weil es die Machtverhältnisse verschiebt. Viele erfolgreiche Performerinnen und Performer sind nicht länger abhängig von Agenturen und Produktionsfirmen. Bessere Bedingungen für die Repräsentation von Schwarzen, älteren, fetten, trans, nicht-binären und behinderten Menschen. Die größte Ausbeutung passiert auf den riesigen, teilweise dubiosen Online-Plattformen. Pornographie wird in Zukunft als Kunst anerkannt werden und Virtual-Reality-Sex-Filme mit Sexrobotern werden die Zukunft sein.

Gibt es noch etwas, das Du uns sagen möchtest?

Bringe Deinen Kindern die korrekten Namen für ihre Genitalien bei und lass sie sie im Spiegel anschauen. Vulva ist der äußere Teil, Vagina ist der innere. Sprich mit anderen über den Sex, den du gerne hättest oder nicht. Wenn du gerne spontanen oder anonymen Sex hast, dann schau, dass du immer eine kleine Packung Kondome, Einweghandschuhe und Gleitgel dabei hast und benutze sie auch. Und wenn du nicht oft Sex hast oder lieber masturbierst, dann ist das natürlich auch komplett in Ordnung. Pornos schauen und Sex-Arbeit in Anspruch nehmen ist nicht nur etwas für Cis-Männer. Nimm dir Zeit für Lust, Liebe und deine Geliebten – du wirst es auf deinem Totenbett nicht bereuen.

Vielen Dank für das Gespräch!


Sadie Lune ist eine in den USA geborene Künstlerin, Regisseurin und Pleasureaktivistin. Sie stand unter anderem auch schon für Erika Lust vor der Kamera. Sie wohnt in Berlin mit ihren zwei Kindern. 

Dieser Beitrag entstand im Rahmen einer Kooperation mit der Meisterschule der Graphischen Wien. Dieser Artikel erscheint außerdem in der C/O Vienna Magazine Sonderausgabe THE CONSUMER ISSUEHier bestellen!

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