Klappkaribik, Münz-Mallorca oder Tussi-Toaster. Sabine, die vor über zwei Jahrzehnten mit ihrem Mann Gerhard das
Sonnenstudio Sun Max Plus auf der Gumpendorfer Straße
im 6. Wiener Bezirk eröffnet hat, lebt (noch) von ihren Stammkundinnen und deren
ungebrochener Sehnsucht nach Wärme, UV-Licht und einem bronzenen Teint. Ein
Gespräch und eine Fotoreportage über das aussterbende Geschäft mit der Sonne aus der Steckdose.
Sabine begrüßt uns mit einem Kaffee aus dem Automaten. Wir vergessen schnell, wie spät es ist, weil die Sonne von den vergilbten Jalousien im Studio ausgesperrt wird. Stattdessen finden wir uns in einer merkwürdigen Oase wieder, in der weder Tageszeiten noch Jahreszeiten eine Rolle spielen. Wir lassen uns unter den Plastikpalmen nieder, als der Radiomoderator den Weihnachtshit «All I Want for Christmas Is You« von Mariah Carey in Dauerschleife ankündigt.
Helena Vollmann, Frieda Temper: Weshalb kommen die Leute zu Ihnen?
Sabine und Gerhard: Gemischt, gemischt. Manche schickt
der Arzt zu uns – sie brauchen UV-B-Strahlung wegen
Kreuzschmerzen, Schuppenflechte oder der Wirbelsäule. Manche wollen ihrer
Psyche und Seele Gutes tun und manche wollen sich für den Urlaub bräunen. Und einige
sind extrem, die wollen unbedingt immer sehr braun sein.
Fühlen Sie sich persönlich auch glücklicher, wenn Ihre Haut einen braunen Teint hat?
Ich war jetzt acht Wochen nicht im Solarium, da habe ich schon blass ausgesehen. Ich bin mir müde und ausgelaugt vorgekommen. Wenn ich braun bin, fühle ich mich happy. Es tut mir gut, ins Solarium zu gehen, ein bisserl eine Farbe zu haben. Wenn andere Leute blass sind, ist mir das egal, ich finde das nicht automatisch hässlich. Mein Mann Gerhard zum Beispiel geht sehr selten ins Solarium, und das, obwohl er mit mir dieses Studio betreibt. Er liebt die Kälte und ich liebe die Sonne. Im Urlaub liegt er immer unter dem Schirm und ich brate in der Hitze. So ist das eben.
Für manche ist der Besuch im Solarium wie ein Urlaub – wenn auch ein kurzer. Zwölf Minuten unter den Röhren braten, während vor dem Gebäude der dreispurige Verkehr vorbeirauscht. Zwölf Minuten Urlaub von der Welt. Das verspricht zumindest der tropische Sandstrand, der auf der Außenfassade prangt.
Wie geht Solarium eigentlich?
Regelmäßig reingehen! Wenn Du eher leicht einen
Sonnenbrand kriegst, dann fangen wir für neun Minuten mit dem schwachen Bett an.
Ein paar Stunden später merkt man eh, ob man einen leichten Sonnenbrand hat
oder nicht. Dann machst Du einen Tag Pause und am zweiten Tag steigern wir dann
auf zwölf Minuten. Das machst Du dann jeden zweiten Tag, bis Du die Farbe hast,
die Du wolltest. Um diese Farbe zu halten, reicht es, einmal in sieben bis zehn
Tagen zu gehen.
Wie diskret und anonym soll so ein Besuch im Solarium bleiben?
Wir haben das System „Kundin rein, Kundin raus“. Dass
sich hier viele Leute treffen und miteinander plaudern, das gibt’s fast nicht.
Sind Sie mit Ihrer eigenen Bräune zufrieden?
Natürlich! Es passt vollkommen, übertreiben will ich ja
auch nicht.
„Wegen der Wirbelsäule oder Schuppenflechte oder der Seele“
Die Tür geht auf. Ein Mann mittleren Alters tritt ein, sein Mobiltelefon am Ohr. Er sei lediglich hier, erklärt er Sabine, um ein Telefonat zu führen, denn draußen sei es zu kalt dafür. Als er sein Gespräch beendet hat, verstaut er sein Mobiltelefon und geht dann doch verstohlen zu einer der Sonnenbänke. Sich künstlich zu bräunen ist wohl immer noch etwas, was man lieber heimlich tut, soll die sonnenverwöhnte Haut doch Gesundheit, Freizeit und genug finanzielle Mittel für ferne Urlaube selbst im Winter suggerieren.
Hat es schon einmal jemand übertrieben?
Leute wollen manchmal zu schnell braun werden und gehen
zu lange rein. Dann bekommen sie einen Sonnenbrand. Einmal gab es deshalb Schwierigkeiten,
aber da war der Kunde selbst schuld, das ist schon Jahre her. Wir fragen die
Kunden aber immer, wann sie das letzte Mal im Solarium waren, und ob sie leicht
einen Sonnenbrand bekommen. Wenn der Kunde blass ist, dann weise ich höflich
darauf hin, dass er einmal zehn Minuten reingehen und ausprobieren soll, wie die
Haut darauf reagiert. Manche befolgen das, manche befolgen das nicht. Bei neuen
Röhren muss man mehr aufpassen, die sind wirklich teilweise sehr aggressiv.
Hat das Solarium ein Imageproblem?
Ja, es gibt immer noch die Ansicht, dass Solarien
hautschädigend seien, auch wenn das so nicht stimmt. Wenn man ab und zu
reingeht, ist es gesund für Haut, Knochen und Psyche. Aber wenn man übertreibt,
kann alles schädlich sein. Wenn man zu viel Alkohol trinkt, ist das auch ungesund.
Wenn man einmal in der Woche mit Freundinnen ein Glas Bier trinkt, ist das okay.
Jeden Tag sechs Krügerl sind schädlich.
Sabine geht zum Münzeinwurfautomaten, um auch für uns einmal die Röhren anzuwerfen. Vier Minuten „Gigasun“ kosten 4,80 Euro. Die Maschine fährt hoch, wir hören das Surren der Sonne. Manche sehen aus wie Discos – sie glitzern und glänzen und spielen Musik. Andere haben die Gestalt von Autos, wie zum Beispiel die Sonnenbank zum Sitzen in Raum 5, deren Lehne wie eine Motorhaube aussieht. Lediglich der Anschnallgurt fehlt. Alles sieht aus wie man sich in den 1990ern die Zukunft vorgestellt hat.
Wie geht es in diesen Zeiten anderen Solarienbesitzerinnen?
Bekannte haben teilweise zugesperrt. Die Zukunft ist
trostlos, sie ist mühsam. Wir verkaufen ja Energie. Strom wird in Wärme und
Licht umgewandelt, das ist sehr kostenintensiv. Wir merken, dass sich die Leute
die künstliche Sonne nicht mehr leisten wollen. Wir wissen noch nicht, wo es
hingeht.
Vielen Dank für das Gespräch.
Im Getränkeautomat im Foyer steht eine letzte, einsame Dose Red Bull. Der Mann, der nur telefonieren wollte, ist
mittlerweile fertig mit seiner Besonnungseinheit. Im Hintergrund setzt Mariah
Carey zum siebten Mal mit ihrem Weihnachtshit an.