Die Vintage-Expertin

No excuse to be badly dressed!

Die Französin Pénélope Blanckaert ist Mitherausgeberin des Buches Icon of Vintage Fashion. Für das Auktionshaus Artcurial, das seit kurzem eine Dependance in Wien unterhält, leitet sie die Abteilung Vintage & Fashion Arts. Sie erzählte uns bei einem Wiener Frühstück über ihre behütete Kindheit in Lyon, ihre harte Lehrjahre bei Yves Saint Laurent in Paris und wie sie das Vintage-Ding in den USA entdeckte. Nach unserem Gespräch ging sie privat auf die Suche nach einer Lodenjacke – bei Humana wurde sie fündig.

Text: Antje Mayer-Salvi

„Als Kind hatte ich unter meinem Bett einen Katalog von 'La Redoute' versteckt!"

Antje Mayer-Salvi: Es gibt wenig über Sie persönlich im Internet zu lesen. Erzählen Sie uns doch ein bisschen aus Ihrem Leben!

Pénélope Blanckaert: Ich bin in Paris geboren. Als ich sieben Jahre alt war, ist meine Familie, meine Eltern und meine zwei Geschwister, nach Lyon gezogen. In unserem großen Haus tummelten sich immer viele Künstlerinnen, überall hingen Gemälde und standen Skulpturen. Wirklich überall. Es war eine ganz besondere Atmosphäre. Mein Vater, Gilles Blanckaert, ein Unternehmer, war und ist ein leidenschaftlicher Sammler zeitgenössischer Kunst. Das war er aber schon als er jung war und nicht so wohlhabend wie dann in den späteren Jahren. Er nahm mich oft mit ins Museum. In seiner Fabrik gab es Ateliers, die er an Künstlerinnen vermietete, wir waren als Kinder dort oft zu Besuch. Ich glaube, von ihm kommt meine Liebe zur Mode und Kunst.

Und Ihre Mutter?

Sie ist handwerklich sehr begabt und strickt die schönsten Dinge, sie kann auch fantastisch nähen. Für meine zwei Kinder produziert sie tolle Modelle nach Mustern, die sie damals schon für uns Kinder verwendete.

Sind Sie ausgebildete Modedesignerin?

Nein, ich kann weder zeichnen, noch bin ich handwerklich sonderlich ambitioniert, aber ich habe mich schon immer sehr für Mode interessiert. Man wird es kaum glauben, aber ich habe ursprünglich Wirtschaft studiert, hatte auch zeitweilig einen PR-Job für Beauty und Fashion. Das war überhaupt nicht nach meinem Geschmack. Also hatte ich mich entschlossen, ein Post Graduate am Institut français de la mode zu machen, eine sehr renommierte Schule für Fashion in Paris. Danach absolvierte ich zwei harte Lehrjahre bei Yves Saint Laurent unter Stefano Pilati, Laurent war da schon nicht mehr dort. Es fiel mir ziemlich schwer, zu akzeptieren, dass ich in der Hierarchie dort erst einmal ganz unten anfing.

Hatten Sie sich als Jugendliche auch schon für Vintagemode interessiert?

Meine Mutter hatte immer so konservatives Zeugs aus Paris für uns zu Anziehen eingekauft. Das besaß Qualität, klar, aber in Lyon war das total uncool. Ich hatte unter dem Bett ein Katalog von „La Redoute“ versteckt und saß da abends mit meinem Taschenrechner und stellte mir in meiner Phantasie Outfits zusammen. Das war in den Achtzigern und die Zeit der berühmten Supermodels wie Cindy Crawford, Claudia Schiffer oder Naomi Campbell, die Zeit der – zumindest visuell - starken Frauen mit breiten Schulterpolstern, schmalen Taillen und leuchtenden Neonfarben. Ich imaginierte mich als erfolgreiche, bewunderte Businessfrau, die in solchen Outfits die Straße entlang läuft. Ziemlich albern, oder?

Ich kann mich gut erinnern an die Achtziger! Ein Königreich für einen Benetton-Pulli in Pink in Strickoptik mit Schulterpolstern! Wie sind Sie letztlich auf das Vintage-Ding gekommen?

Durch meinen Studienaufenthalt an der West coast in den USA am Ende der Neunziger. Vintage ist dort schon seit den Siebzigern Teil der Modekultur. Es gab und gibt diese riesigen Second Hand Stores, wo man einen Kashmere Pulli um fünf Dollar erstehen kann. Die Marke ist in diesen Läden sekundär, es geht um die „Combination“. In Frankreich gab es damals, eigentlich noch bis vor ein paar Jahren, nicht wirklich ein Interesse an Vintage. Jetzt boomt der Markt.

„No excuse to be bad dressed!"

Wann haben Sie die Fashion Auktionen für sich entdeckt?

Die hatten damals in Paris mehr oder weniger zwei Frauen in ihrer Hand. Die sind mittlerweile schon ziemlich betagt und privat ein Paar. Die hatten ein richtiges Monopol. Ich hatte bei ihnen, nachdem ich bei Yves Saint Laurent gekündigt hatte – sozusagen von der Pike auf – das Handwerk gelernt, indem ich alle Teile drapierte, fotografierte und beschrieb, inklusive der Recherche. Nicht in der Bibliothek, sondern am Objekt habe ich mir also mein Wissen angeeignet.

Wird Vintage Mode bei Auktionen in Kommission genommen?

Ja, nur in Kommission, wenn ich selbst etwas haben will, steigere ich mit. Wir kaufen nichts. Die Kunden können die Sachen vor der Auktion anprobieren. Aber eigentlich ist es mittlerweile überhaupt kein Problem, Vintage online zu kaufen. Man kauft ja neue Kleidung auch ohne Probleme im Internet. Bei Artcurial haben wir nicht immer so viel Zeit, aber wir versuchen natürlich im Katalog die Sachen so gut als möglich zu beschreiben und einzuordnen. In Österreich habt Ihr keine Vintagemode Auktionen, oder?

Im Dorotheum gibt es welche. Kaufen Sie selbst Vintage Mode im Internet?

Ich muss zugeben, ich habe dafür einfach keine Zeit, ich schaff es einfach nicht! Aber ich habe einen guten Tipp für Eure Leserinnen. Steigert bei Auktionen, dort bekommt man Vintage viel günstiger als in den Online Shops, die ja meistens selbst ihre Sachen ersteigern! Es ist übrigens auch total lustig, weil man für ein Stück kämpfen muss.

Was ist guter Style für Sie?

No excuse to be bad dressed in diesen Tagen! Guter Style ist keine Frage von Geld und sexy ist keine Frage der Tiefe des Ausschnitts, sondern eher das Gegenteil. Die Demokratisierung der Mode finde ich wunderbar!

„Evidenz ist das Zauberwort! Kleidung, die du Jahre trägst, weil sie funktioniert!"

Beim Aktionshaus Artcurial versteigern Sie aber eher hochpreisige Stücke?

Die beliebten Klassiker Kelly und Birkin gibt es im Maison Hermès bekanntlich nur auf Bestellung. Bis man eine der Luxusteile ersteht, kann es zweieinhalb bis dreieinhalb Jahre dauern, hängt vom Style ab. Bei unseren Auktionen, kann man seine Hermès-Tasche sofort mit nach Hause nehmen. Die Preise dafür sind natürlich auch bei uns sehr hoch, mit Rufpreisen zwischen circa 15.000 bis über 60.000 Euro. Die blaue „Kelly“ aus dem Jahr 1954, mit einem Fotoprint von Grace Kelly darauf, ging für 73.720 Euro weg.

Wie unterscheidet sich Artcurial von anderen Auktionshäusern?

Bei Artcurial haben wir bei Vintage Mode eine Art Reappropriation-Strategie. Wir nennen das bei uns „Vintage & Fashion Arts“. Wir versteigern Schmuck, Accessoires und Mode, deren Geschichte und Kontext wir intensiv recherchieren und kommunizieren, dabei sind auch ganze Kollektionen, die modehistorische Bedeutung haben, was im Museumskontext natürlich interessant ist, wie etwa Kollektionen von Poiret, Schiaparelli, Vionnet, Balenciaga, Mode von allen japanischen Designer der 1980er-Jahre sowie von Martin Margiela in den 1990er-Jahren. Und wir zeigen, wie man die alten Stücke in einen neuen zeitgenössischen Zusammenhang stellen könnte. Das ist mein aktiv kreativer Part bei dem Ganzen.

Was tun Sie, wenn Sie frei haben?

Mich mit Mode beschäftigen (lacht). Nein, echt! Und eben alles, was damit im weitesten Sinne zu tun hat: Kino, Kunst, Kochen, nichts tun, leben. Ich habe zwei Kinder mit zweieinhalb und fünfeinhalb Jahren, und ich habe einen aufregenden Job. Da bleibt nicht viel Zeit übrig!

Was lieben Sie an der Vintage Mode?

Ich kann nichts neues Teures kaufen – eine neue Bluse irgendeines Labels für 4.000 Euro. Niemals! Nicht mal 500 Euro gäbe ich aus, nur weil irgendein Labelschild hinten drin eingenäht ist. Ich finde selbst 300 Euro für eine Vintage Yves Saint Laurent Bluse zu teuer. Ich bin da sehr strikt. Wenn man aus der Branche kommt, würde man das nie tun, da man weiß, dass das Phantasiepreise sind, die nichts mit dem tatsächlichen Wert zu tun haben. Mir ist die Marke erst einmal völlig egal, wenn ich etwas kaufe, sondern es muss einen guten Style haben. Das heißt, eine Silhouette kreieren mit Material, Proportion, Farbe und Schnitt.

„Silhouette mit Material, Proportion, Farbe und Schnitt kreieren."

 Sehr französisch diese Aussage! Werden Sie sich auch was in Wien kaufen?

Ja, ich würde gerne eine alte Trachtenjacke aus Loden in Marineblau kaufen. Wissen Sie, wo ich so etwas bekomme?

Der Laden ist alles andere als elegant, aber der Humana auf der Wiedner Hauptstrasse hat eine Art Trachtenabteilung, die gar nicht so schlecht bestückt ist. Aber erwarten Sie sich dort keine Birkin Bags!

Die haben WIR ja! Danke für den Tipp! In solchen Shops bekommt man die besten Dinge (später mailt uns Pénélope, dass sie dort ein paar „Schätze“ erstanden hat, Anm. d Red.).

Gab es Vintagestücke, die Sie nie vergessen haben?

Ja, klar, es gibt Diorkleider, die ich in der Hand hatte, die wunderschön sind, aber mich interessieren diese Starstücke gar nicht so. Ich habe großen Respekt für Mode, die evident ist. Evidenz ist das Zauberwort! Kleidung, die du Jahre trägst, weil sie funktioniert. Sie ist wie ein gutes Werkzeug, das dir hilft, deine Persönlichkeit auszudrücken. Die einfachen Sachen von Comme des Garçons erfüllen diese Kriterien für mich zum Beispiel perfekt!

Ich danke Ihnen für das Gespräch!

Die Reiter-Schwestern

Text: Antje Mayer-Salvi

The Shoe must go on! Die beiden Schwestern Magdalena & Anna Reiter heißen nicht Ludwig mit Vornamen und sind Frauen – anders als die männlichen Firmenchefs vier Generationen davor. Sie verkörpern den frischen Wind, der in die Ludwig-Reiter-Schuhdynastie einzuziehen beginnt. Wir besuchten die beiden auf einem idyllischen Gutshof in Süßenbrunn nahe Wien, wo die berühmten rahmengenähten Modelle angefertigt werden, und sprachen über das Thema ihres Lebens: Schuhe.

Die Schatzsucherin

Text: Antje Mayer-Salvi

Nach zwanzig Jahren in Paris ist Caroline Messensee vor vier Jahren wieder in ihre Heimatstadt Wien zurückgekehrt, um hier eine Dependance von Artcurial aufzubauen, ein junges – im Jahr 2002 gegründetes – französisches Auktionshaus. Das Haus ist klein, die Umsätze groß. 200 Millionen Euro setzt es mit Street Art, Comics, Oldtimer, Schmuck, Uhren, bildender Kunst und sogar Mode um. Wir sprachen mit Messensee darüber, was Wien von Paris lernen kann, wie sie in Österreich auf Schatzsuche geht, und warum alle ihre Möbel unbedingt Rollen haben müssen.

Der Designberater

Text: Antje Mayer-Salvi

Simon Ladner ist gemeinsam mit Katharina Schmid Geschäftsleiter von AREA. Das Unternehmen unterhält Dependancen in Linz und Salzburg, plant, gestaltet und möbliert Räume mit hochwertigen Designstücken. Wir haben den Experten in Linz besucht und ihn gefragt, was gutes Design ausmacht, gemeinsam über den schlechten Geschmack mancher Österreicherinnen gestaunt und erfahren, warum Ikea, Instagram und Großraumbüros besser als ihr Ruf sind.

Die Schmetterlingserbin

Text: Antje Mayer-Salvi

Die charismatische Französin Praline Le Moult betreibt ein kleines Modelabel und führt mit ihrem Mann Harri Cherkoori das alteingesessene Wiener Textilgeschäft INDIE unweit des Stephansdoms. Der weltbekannte Schmetterlingsjäger Eugène Le Moult ist ihr Urgroßvater, zu dessen Kunden der Schriftsteller Vladimir Nabokov und der Kaiser von Japan gehörten. Sein legendäres Leben wurde im Tim & Struppi-Comic, im Filmklassiker Papillon und in den Modekollektionen seiner Urenkelin verewigt.