Die VR-Architektinnen

The Future is Immersive

In ein paar Jahren wird es keine Smartphones und Laptops mehr geben. Stattdessen wird sich unser digitales Leben im immersiven Internet, momentan auch als Metaverse bekannt, abspielen. Davon gehen zumindest Lara Lesmes und Fredrik Hellberg aus, die gemeinsam das spanisch-schwedische Architektinnenduo Space Popular bilden. 

Text: Bernardo Vortisch

„Wir erkennen das Wunder des Internets nicht an.“

Bernardo Vortisch: Ihr habt 2013 begonnen, miteinander zu arbeiten. Hättet Ihr euch damals vorstellen können, dass Ihr irgendwann virtuelle Räume baut?

Fredrik Hellberg: Wir hatten schon Interesse an dem Thema, als noch keiner wusste, was virtuelle Räume überhaupt sind (lacht). Unser erstes spekulatives Projekt haben wir bereits 2013 für eine weltweite Sterblichkeitsdatenbank gestaltet, die, so unsere Idee, gleichzeitig als Ort für virtuelle Begräbnisse fungieren sollte. Ein Jahr später begannen wir mit VR-Headsets zu arbeiten, als sie zum ersten Mal frei kommerziell verfügbar wurden [Anm.: Oculus Rift Headset]. Uns war klar, dass VR die Welt und die Architektur drastisch verändern wird.

Die Idee einer virtuellen Realität ist schon ziemlich alt. Mitte der Neunziger probierte sich Nintendo schon mit seinem Virtual Boy an dem Konzept, ist aber – wie alle anderen frühen VR-Etablierungsversuche – damit gescheitert. Was ist dieses Mal anders?

Lara Lesmes: Alles ist anders! In den Neunzigern gab es ein großes architektonisches Interesse an virtuellen Räumen, aber eher aus einer philosophischen Perspektive. Das ANY-Magazin schrieb etwa einen Wettbewerb zur Gestaltung eines virtuellen Hauses aus, an dem Top-Architekten wie der Japaner Toyo Ito teilnahmen. Der große Unterschied zu damals ist heute, dass VR Mainstream und leichter verfügbar ist, auch wenn Headsets momentan noch zu teuer sind. Die Art und Weise, wie wir das Internet und unsere Devices verwenden, hat sich stark verändert. Das Leben der Menschen spielt sich zu großen Teilen bereits im Internet ab, ganz im Gegensatz zu den Neunzigern. 

„Eine dreidimensionale Form des Internets ...“

Als Meta ihr „Metaverse“ ankündigten, war ich erschrocken. Der Name kommt eigentlich aus einem dystopischen Science-Fiction-Roman von Neal Stephenson, in welchem Virtual Reality nicht besonders positiv dargestellt wird. Mir scheint, dass mit der zunehmend von wenigen Firmen besetzten Infrastruktur des Internets eine Entwicklung hin zu mehr Immersion vor allem heißen würde, dass wir und unsere Daten noch mehr Produkt dieser Konzerne werden. Wie holen wir uns das Internet zurück?

L.: Es wird offensichtlich unvermeidbar sein, dass wir zentralisierte Plattformen verwenden, wenn wir soziale VR-Räume betreten wollen, das, was Menschen mit dem Wort „Metaverse“ meinen, eine dreidimensionale Form des Internets. Wir beide bevorzugen den Begriff „Immersives Internet“. Wir werden dafür erst einmal die Plattformen nutzen, die wir schon kennen, auch weil wir da die meisten unserer Freunde finden werden. Bald wird es alternative Formen des immersiven Internets geben, die aber dann nicht mehr gratis sind. Das ist kein spezifisches Problem des Metaverse, sondern des Internets allgemein. 

Werden die Nutzerinnen zahlen?

L. & F.: Ja, sie werden bereit sein, für sichere Services zu zahlen. Es ist gut, dass sie skeptisch sind, denn durch VR werden noch mehr sensible – etwa biometrische – Daten kommuniziert. Das Internet ist komplex, aber das immersive Internet wird noch viel komplexer sein. Es ist einer physischen Stadt viel ähnlicher als das aktuelle Internet.

„Das Internet ist komplex. Das immersive Internet wird noch viel komplexer sein.“

Ihr verwendet dabei die Metapher eines zentralen Platzes ...

F.: Vor ein paar hundert Jahren waren solche zentralen Orte weder demokratisch noch zivil, sondern sehr kontrollierte Bereiche mit strengen Gesetzesregelungen, an denen keine freie Meinungsäußerung erwünscht war. Im Laufe der Zeit wurden sie erst demokratisiert. Eine ähnliche Entwicklung, wenn auch schneller, werden wir vielleicht im immersiven Internet beobachten. 

Erinnert das auf eine Weise nicht an die wilden, frühen freien Jahre des Internets? Wird das Internet an die Menschen zurückgegeben werden?

L.: Es muss nicht zurückgegeben werden, es ist ja schon da, um von uns benutzt zu werden, oder? Wir können innerhalb des Internets private Plattformen verwenden. Aber es ist schön, dass Du das sagst, denn wir alle erkennen das Wunder des Internets nicht an. Es wurde erfunden und wurde uns gratis gegeben, ohne sofort kapitalisiert zu werden. Das ist bisher mit keiner anderen Form von Infrastruktur passiert. Bei der Erfindung des Telefons und anderer Innovationen waren diese zuerst in Händen privater Unternehmen, bevor sie verstaatlicht wurden. 

„40 Welten gleichzeitig offen haben.“

Es gibt eine Sache, die ich gerne am immersiven Internet verstehen würde. Ihr geht davon aus, dass es letztendlich Smartphones und PCs ersetzen wird und wir dort den Hauptteil unserer Arbeit verrichten werden. Es fällt mir etwas schwer, das zu verstehen. Werde ich dann mit einem Headset in einem virtuellen Raum sitzen und auf einen virtuellen Computer oder ein Notizbuch schauen?

L.: Ja, am Anfang werden wir das sicher so machen, da wir uns schon seit Jahrhunderten so organisieren. Mit der Zeit werden sich diese Repliken weiterentwickeln und sich dem großen möglichen Potenzial anpassen. 

F.: Alle Medien, die wir in unserem Alltag verwenden, werden uns nicht mehr auf einem Screen oder einer Werbetafel präsentiert werden, sondern direkt vor unseren Augen erscheinen. Das heißt, dass jede Fläche, die wir sehen, das Potenzial zur Informationsweitergabe hat. Ein leerer Stapel Papier könnte, sobald wir näher hinsehen, voller Informationen sein. Informationen könnten auch, wie es jetzt schon bei Menüs in VR-Computerspielen ist, vor uns in der Luft schweben. Wahrscheinlich werden wir eine physische Verbindung zwischen der virtuellen Information und dem Raum, in dem sich unser Körper befindet, herstellen.

Also eine Fusion zwischen dem realen, physischen Raum und dem virtuellen?

L.: Man hat eine Verbindung zu dem Raum, in dem man sich befindet. Jede, die schon einmal ein Headset zu Hause verwendet hat, weiß, wie wichtig es ist, dass das Spiel sich an die Räumlichkeiten anpasst, weil man sonst die ganze Zeit irgendwo reinläuft. Mithilfe der realen Umgebung werden virtuelle Objekte kreiert, die Teil deines Interface werden.

Eines Eurer Spezialgebiete ist der Transport in virtuellen Räumen. Wie funktioniert virtuelle Teleportation und wie wird sie sich anfühlen?

F.: Technisch gesehen können wir schon teleportieren, in einigen VR-Spielen passiert es schon. Tatsächlich ist es gar nicht so anders, als würde man im Browser kurz die Tabs wechseln. Wenn man jedoch innerhalb des Mediums ist, braucht man etwas Substanzielleres, um die Bewegung durch viele verschiedene Welten begreifbar zu machen. Es ist normal, viele Tabs offen zu haben, und vielleicht werden wir einmal 40 Welten gleichzeitig offen haben.  

„Man braucht einen Durchgangsort.“

Wenn man mit einem Fingerschnipsen zwischen ihnen hin- und herwechseln kann, wird es für uns schwer verständlich und überfordernd sein ...

F.: Wir sind davon überzeugt, dass man eine Schwelle oder einen Durchgangsort braucht, einfach weil unser Geist so die Welt versteht: Man geht auf einen Hügel, durch eine Tür und so weiter. Wir brauchen ein ähnliches Konzept, angepasst an das unglaubliche Potenzial, sich durch tausende Orte gleichzeitig zu bewegen. Anders als die meisten Fiction-Portale, die oft an sperrige Türen erinnern, haben wir vorgeschlagen, virtuelle Textilien zu verwenden, mit ihnen  kann man sich effizienter durch das immersive Internet bewegen.

Also zieht man einfach einen Vorhang zur Seite?

L.L.: Ja, genau! Eine Tür, zu der man vielleicht auch einen Schlüssel braucht, impliziert oft Ausschluss, während ein Vorhang eine Grenze aufzeigt, aber gleichzeitig einladend ist. 

Nun arbeitet Ihr nicht nur in digitalen Räumen, sondern seid auch im „analogen“ Raum Architekten. Wie beeinflusst Eure virtuelle Arbeit die analoge Architektur?

L.: Was sich sowohl durch unsere physische als auch unsere virtuell erlebbare Arbeit zieht, ist, dass wir für beides ähnliche Designprozesse verwenden. Wir beginnen nicht damit, Formen zusammenzubringen oder Volumen zu entwerfen, sondern denken zuerst über die Sequenz der Räume nach und wie sie erlebt werden sollen. Wir arbeiten in beiden Formen unserer Architektur mit viel historischer Recherche und kurzen Studien, die unsere Arbeit informieren. Bei virtueller Architektur basiert diese Recherche viel auf Formen und Aussehen der Räume, Ornamentation und so weiter. Bei physischer Architektur begreifen wir einen Ort als Geschichte von Bauweisen, Techniken und lokal verfügbaren Materialien. Wenn wir digitale Systeme kreieren, bauen wir auf den Graden der Komplexität der Software auf, mit der wir arbeiten. 

Vielen Dank für das Gespräch!

Die Spanierin Lara Lesmes und der Schwede Fredrik Hellberg bilden das multidisziplinäre Architektinnen-Duo Space Popular. 2013 eröffneten sie in Bangkok ihr Studio, seitdem arbeiten sie zusammen an physischer und virtueller Architektur. Mittlerweile arbeiten sie in Spanien und London, der Stadt in der sie gemeinsam die Architectural Association absolvierten. Das Duo kreierte gemeinsam Gebäude, Ausstellungen, Möbelkollektionen und Public Artworks in ganz Europa und Asien.

Die Missing Links

Text: Eva Holzinger

Standbilder aus dem Film 16. November, Eine Utopie in 9 wirklichen Bildern, 1972, Fotos: Gert Winkler

Missing Link war legendär. Die von Angela Hareiter, Otto Kapfinger und Adolf Krischanitz in den 70er-Jahren gegründete Architektinnen-Gruppe dachte Architektur neu. Wir sprachen mit Otto Kapfinger über die Suche nach dem, was zwischen Mensch, Architektur, Urbanität und Kunst ist – mehr als wir noch wissen.

Der Bioniker

Text: Eva Holzinger

Wir haben anlässlich der Ausstellung Bioinspiration – Die Natur als Vorbild im Technischen Museum Wien (bis 3.9.) mit dem britischen Stararchitekten Michael Pawlyn gesprochen. Der Pionier des biomimetischen Designs erklärt uns, wie wir das Bauen und die Architektur radikal verändern können, indem wir nicht nur von der Natur lernen, sondern unsere Sinne schärfen und in ihrem Rhythmus leben.

Porträt von Michael Pawlyn

Durch die Augen der Tiere

Text: Elisa Promitzer

Die Welt in ZEITLUPE betrachten? Kein Problem für die Libelle: Ihre Reaktionszeit ist einmalig, ihre Trefferquote beim Fliegenfangen liegt bei 95 Prozent. Sie möchten wissen, wie sich das anfühlt? Das Londoner KÜNSTLERINNENKOLLEKTIV MARSHMALLOW LASER FEAST macht es möglich. Es experimentiert seit 2011 mit VIRTUELLER REALITÄT und macht mit VR-Brillen Unsichtbares sichtbar. Wir sprechen mit Mitbegründer BARNABY STEEL über die POESIE der Bäume, Explosionen der Sinne und Sternenstaub, warum er keine Mücken tötet und was ein Lachs mit dem Atemzyklus des Waldes zu tun hat. Blicken Sie DURCH DIE AUGEN DER TIERE und lesen Sie selbst.